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Entdeckungsgeschichte des Krankheitsbildes

Im Dokument Die Immunschwäche der Katze (Seite 12-16)

4 Die FIV–Infektion der Katze

4.1 Entdeckungsgeschichte des Krankheitsbildes

Bereits 1964 hatten Jarrett et al. in Schottland das erste Retrovirus (Subfamilie Onkovirinae) bei Hauskatzen entdeckt, das Feline Leukämievirus FeLV (Jarrett et al.

1964; Hartmann/Hein 2008, 20-41). Dabei handelt es sich um ein Virus mit paradoxen pathologischen Effekten, die sich sowohl cytosuppressiv (Immundefizienz, Myelosuppression) als auch cytoproliferativ (Lymphom, Myeloproliferation) auswirken (Hardy 1980, 1987, 1990; Rojko/Olsen 1984; Essex et al. 1985; Neil/Onions 1985; Neil et al. 1987; Hoover/Mullins 1991, 1995). Da es große Ähnlichkeit mit dem murinen Leukämievirus aufweist, kann man davon ausgehen, dass das Virus ursprünglich von einem Nagervirus abstammt, das auf Katzen übertragen worden ist. Klinisch zeigen infizierte Katzen häufig das folgende Bild: „Tumoren (vor allem Lymphome), Knochenmarksuppression (Anämie, Thrombozytopenie, Neutropenie), neurologische Symptome, immunomediierte Krankheiten, Fortpflanzungsstörungen, opportunistische Infektionen“ (Hartmann/Hein 2008, 20, 23-29).

Da nicht-neoplastische FeLV-assoziierte Erkrankungen bedeutend häufiger auftreten als Tumoren, ist unter den genannten Symptomen die Immunsuppression als wichtigstes Symptom zu nennen, welches die infizierten Tiere für sekundäre Infektionen prädisponiert. Zwar weist die FeLV-Infektion sowohl in Europa als auch

Der amerikanische Tierarzt Niels C. Pedersen, der sich zuvor wissenschaftlich mit dem FIP- (Feline infektiöse Peritonitis) und dem FeLV-Virus (Pedersen et al. 1979 und 1984) auseinandergesetzt hatte, konstatierte im Jahr 1986 ein auffälliges Krankheitsge-schehen innerhalb einer großen Kolonie von Hauskatzen, die er bereits seit mehr als zehn Jahren medizinisch betreute (Pedersen et al. 1987). Das neue Krankheitsbild ähnelte zwar demjenigen der FeLV-Infektion, diese konnte jedoch ausgeschlossen werden, da die Tiere bei ihrer Eingangsuntersuchung auf das Leukämie-virus getestet worden waren.

Die von Pedersen medizinisch versorgten Katzen gehörten einem Kollektiv an, das in der Nähe von Petaluma gehalten wurde, einer kalifornischen Stadt, nicht weit entfernt von San Francisco (Eigner et al. 2001,1). Es handelte sich um 43 Tiere im Alter von sechs Monaten bis zu dreizehn Jahren. Bevor die Tiere der Kolonie eingegliedert wurden, hatten viele davon keinen Besitzer. Demzufolge lebten alle diese Katzen vor Aufnahme in die Kolonie als Freigänger und waren daher zum Teil verwildert. Jedes Tier wurde vor der Eingliederung in das bereits bestehende Katzenkollektiv gegen Katzenseuche und Katzenschnupfen geimpft sowie kastriert.

Darüber hinaus untersuchte man den gesamten Bestand sowie alle Neuzugänge etwa ab 1975 regelmäßig auf das Vorhandensein des Felinen Leukämievirus (FeLV) (Pedersen et al. 1987). Nur unter der Bedingung eines negativen Befundes durfte ein Tier in die Kolonie aufgenommen werden.

Die 43 Katzen des Kollektivs wurden in fünf voneinander isolierten Einzelgruppen (A bis E) gehalten, teils in Zwingern aus Maschendraht, teils im Haus der Besitzerin. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Zusammenstellung der Gruppierungen nur wenig.

In der Zeit von 1968 bis 1982 zeigten sich zudem kaum medizinische Probleme.

Lediglich Krankheitsbilder, die für Katzenhaushalte dieser Größenordnung typisch sind, wurden gelegentlich festgestellt, unter anderem sporadisch auftretende Diarrhoen (Nolte/Zentek 2003, 719f., 780-784), Katzenschnupfen (Hartmann 2003, 206-227), Flohbefall, Ohrräude (Weber 2003, 321f.) und das feline urologische Syndrom (Kraft 2003b, 859-908). Die Mortalitätsrate der Tiere ließ sich darüber hinaus im genannten Zeitraum als gering einstufen.

Dieser Zustand änderte sich im Jahr 1982 plötzlich. In Gruppe D, in die kurz zuvor ein vier Monate altes Weibchen aufgenommen worden war, zeigte sich ein neues Krankheitsbild. Ungefähr ab dem dritten Monat nach seiner Eingliederung litt dieses Tier wiederholt unter Durchfall, entwickelte eine chronische mucopurulente Rhinitis6 und eine Konjunktivitis7. Der schlechte Gesundheitszustand des Tieres hielt weitere zwei Jahre an, danach magerte die Katze stark ab und wurde anämisch. Parallel zu dieser Symptomatik ließen sich ebenfalls Verhaltensauffälligkeiten, wie „zwanghaftes Umherlaufen“ sowie „häufige Bewegungen von Mund und Zunge“ feststellen (Horzinek 1990, 41). In weiterer Folge traten neben einer schweren Stomatitis insbesondere periodontale Entzündungen auf.8 Die Katze wurde wiederholt mit Bluttransfusionen therapiert. Trotz des weiterhin hohen medizinischen Aufwandes, welcher für das Tier betrieben wurde, ließen sich weder die Anämie noch die Kachexie und die chronischen Infektionen, die inzwischen aufgetreten waren, beherrschen, weshalb die Katze schließlich verstarb. Im Zeitraum zwischen 1982 und 1986 entwickelten neun weitere Katzen der Gruppe D eine ähnliche Symptomatik, wohingegen nur ein Tier einer anderen Gruppe betroffen war (Horzinek 1990) .

Aufgrund der beiden Tatsachen, dass die humane AIDS-Erkrankung in den frühen 1980er Jahren hauptsächlich bei Homosexuellen diagnostiziert wurde und dass damals zudem sehr viele Homosexuelle in San Francisco lebten, war der Katzenbesitzerin das Krankheitsbild von AIDS durchaus geläufig (Koch 1987, 1f.;

Grmek 1990, 6-10, 32f.). Aus diesem Grund äußerte sie wiederholt gegenüber ihrem Tierarzt Niels C. Pedersen die Vermutung, dass auch ihre Katzen an AIDS erkrankt seien. Obschon dies zunächst nur eine spekulative Hypothese der Besitzerin zu sein

6 Zum Krankheitsbild siehe KRAFT 2003a, 655-659.

7 Zu den verschiedenen Bindehauterkrankungen der Katze siehe MARTIN/DIETRICH

2003, 385-391.

8 Zu Krankheiten der Mundschleimhaut bei der Katze siehe allgemein NOLTE/ZENTEK 2003, 741-759, und insbesondere zu den verschiedenen Formen der Stomatitis 743-759.

schien, begann sich Pedersen mit der Erforschung der Ursache für die Symptome und Krankheitsbilder der betroffenen Tiere zu beschäftigen. Nur wenig später schlussfolgerte der Tierarzt, dass es sich um eine neue Infektionskrankheit handeln müsse, welche zwar hinsichtlich der Symptome und ihres Krankheitsbildes der felinen Leukämievirusinfektion ähnelt, jedoch nicht durch das FeLV ausgelöst wird.

Nach umfangreichen Versuchsreihen an zum Teil spezifisch-pathogen-freien Katzen (SPF), gelang es Pedersen und dessen Mitarbeitern bereits im Jahr 1986, das Feline Immunschwächevirus (FIV) zu entdecken. Wegen seines T-lymphotropen Verhaltens wurde das Virus jedoch zunächst nur als felines T-lymphotropes Lentivirus (FTLV) bezeichnet, die Bezeichnung FIV erschien Pedersen zu diesem Zeitpunkt noch zu anmassend. Der Name FTLV war darüberhinaus schlüssig mit den allgemein gültigen Regeln zur Nomenklatur von Retroviren vereinbar (Pedersen et al. 1987;

Hartmann 2003, 177).

Schon in den unmittelbaren Folgejahren hatte man das Virus weltweit isoliert (Ishida et al. 1988; Harbour et al. 1988). Nachträgliche Analysen von aufbewahrten Blutseren9 weisen darauf hin, dass die FIV-Infektion jedoch zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt als dem ihrer offiziellen Entdeckung aufgetreten sein muss. Sehr wahrscheinlich sind erste Fälle bereits in den 1960er Jahren beobachtet, jedoch damals noch nicht näher spezifiziert worden (Gruffydd-Jones et al. 1988; Shelton et al. 1990; Furuya et al. 1990). Möglicherweise wurde das Krankheitsbild anfangs auch einer FeLV-Infektion zugeschrieben, zumal deren Symptome zum Teil mit jenen der FIV-Infektion identisch sind (Horzinek 1990). Das FeLV wurde zwar – wie oben beschrieben – schon 1964 isoliert, jedoch darf man davon ausgehen, dass sicherlich nicht alle Katzen mit entsprechenden Krankheitsbildern auf dieses Virus untersucht worden sind, wenn auch Testverfahren seit Mitte der 1970er Jahre zur Verfügung

9 HOLZNAGEL et al. 1997 gelang es im Rahmen von Nekropsien im Blut erkrankter Katzen, das post mortem genommen wurde, mithilfe von vier verschiedenen Verfahren FIV-spezifische Antikörper nachzuweisen. Dies zeigt, dass die Methoden mittlerweile so ausgereift und sensitiv sind, dass damit durchaus auch an hämolysiertem Blut serologische Tests erfolgreich ausgeführt werden können.

standen. Daher ist es wahrscheinlich, dass die beiden Erkrankungen gerade in der Anfangszeit nach der Entdeckung des FeLV zunächst miteinander verwechselt worden sind und man es darum auch nicht für notwendig gehalten haben mag, nach einem weiteren verursachenden Virus zu forschen.

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