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Elektrophysiologische Erkenntnisse zur Verarbeitung negativer und positiver

Viele Studien untersuchten bereits kortikale Korrelate emotionaler Stimuli mittels EEG, wodurch perzeptuelle und kognitive Prozesse dank großer zeitlicher und örtlicher Auflösung erfasst werden können (Fabiani, Gratton, & Federmeier, 2007). EKPs sind diesbezüglich hilfreich um Komponenten des kortikalen Verarbeitungsprozesses emotionaler Stimuli zu erforschen (Pizzagalli, Regard, &

Lehmann, 1999). Typische Befunde für unterschiedliche visuelle emotionale Stimuli zeigen erhöhte Amplituden der frühen EKP-Komponenten. Zu diesen gehören die parieto-okzipitale P1-Kompo-nente, die okzipito-temporale N1-Komponente und die Early Posterior Negativity (EPN, ~250 ms).

Erhöhte EKP-Amplituden dieser Komponenten wurden sowohl für negative als auch für positive Stimuli gegenüber neutralen berichtet, was als frühes Korrelat einer verstärkten sensorischen Enko-dierung bei evolutionär salienten Stimuli interpretiert werden kann (Schupp, Junghofer, Weike, &

Hamm, 2003a). Wenn im Folgenden die Aspekte positiver und negativer Stimuli erläutert werden, bezieht sich diese Darstellung immer auf die Gegenüberstellung zu emotional neutralen Stimuli. Da-bei gelten Gesichter als rein biologische Stimuli, währenddessen Wörter als rein symbolisch gelten.

Gesten als Hybridform haben sowohl biologische als auch symbolische Anteile.

Emotionseffekte werden in manchen Studien auch für die P2-Komponente gefunden. Die zentral-anteriore P2(a), tritt dabei zeitlich überlappend zwischen N1 und EPN auf, oft mit Ausschlag zwi-schen 150 und 250 ms (Carretie et al., 2013) und kann als gegenläufige Positivierung von N1 oder EPN gewertet werden. Einige Studien berichten P2-Emotionseffekte für traurige und angeekelte Ge-sichter (Carretie et al., 2013), ärgerliche GeGe-sichter (El Zein, Gamond, Conty, & Grezes, 2015), bei Gesten (El Zein et al., 2015) und bei negativen Wörtern (Kanske, Plitschka, & Kotz, 2011; Trauer, Andersen, Kotz, & Muller, 2012). Carretie et al. (2013) berichten, dass diese P2-Komponenten mit Arealen im visuellen Kortex und mit Netzwerken, die eher der exogenen Aufmerksamkeit unterlie-gen, assoziiert sind. Andere Forscher untersuchten eine teilweise zeitlich und räumlich überlappende parieto-okzipitale P2-Komponente in einer Gestenstudie im Intervall von 214 bis 294 ms (Mohring, Shen, & Neuhaus, 2014) oder bei Wörtern zwischen 150 und 200 ms (Schindler, Wegrzyn, Steppacher, & Kissler, 2015). Dieser P2-Komponente werden zudem auch Emotionseffekte für po-sitive und negative Adjektive (Grzybowski, Wyczesany, & Kaiser, 2014) sowie ängstliche Gesichter (Stekelenburg & de Gelder, 2004) zugeschrieben.

Bezüglich der in den vorliegenden Studien untersuchten EKP-Komponenten (P1, N1, P2/EPN) lässt sich insgesamt feststellen, dass vergleichbare Emotionseffekte für verschiedene Stimulusklassen be-richtet wurden. Dies gilt für die P1-Komponente (Scott, O'Donnell, Leuthold, & Sereno, 2009), die N1-Komponente (auch synonym: N170) (Fruhholz, Jellinghaus, & Herrmann, 2011) und die EPN-Komponente (Flaisch et al., 2011) sowie die P2-EPN-Komponente (Mohring et al., 2014). Aufgrund der menschlichen Prädisposition für emotionale Informationen (Ohman & Mineka, 2001) müssen emo-tionstragende Stimuli nicht direkt unter Aufmerksamkeitshinwendung beachtet werden, um diese be-vorzugt zu verarbeiten (Vuilleumier, 2005). Dies gilt sowohl für Gesichter, deren emotionale Signi-fikanz biologisch prädisponiert ist (Rhodes, 1985), als auch für Wörter, deren emotionale SigniSigni-fikanz symbolisch-kognitiv gelernt ist (Desmond et al., 1995), ähnlich wie bei teils kulturell gelernten Ges-ten (Buck & VanLear, 2002). Diese Untersuchungsergebnisse unterstützen die Sichtweise, dass emo-tionale Stimuli privilegierte Verarbeitung erfahren, sogar ohne dass vorab eine explizite (experimen-telle) Instruktion oder Information bezüglich der verwendeten Emotionsqualität der präsentierten Sti-muli gegeben wird (Schupp, Junghofer, Weike, & Hamm, 2004; Schupp, Ohman, et al., 2004). Den-noch gibt es beträchtliche Variationen bezüglich der Zeitpunkte von Emotionseffekten in EKP-Stu-dien. Beispielsweise berichten Kissler et al. (2009), dass der früheste signifikante Emotionseffekt mit der EPN beginnt, während hingegen Bayer, Sommer und Schacht (2012) emotionsabhängige Diffe-renzen bereits im P1-Intervall finden. Die Gründe für diese Variabilität sind aktuell noch nicht ge-klärt, wobei insgesamt Emotionseffekte in frühen visuellen Verarbeitungsstadien (bis einschließlich P2/EPN) häufig auftreten (Flaisch et al., 2011). Etliche Studien nahmen dabei angstrelevante negative Stimuli in den Fokus, welche die Aufmerksamkeit aufgrund ihrer erhöhten Verhaltenssalienz ver-stärkt auf sich ziehen (Ohman & Mineka, 2001). Jedoch konnte gezeigt werden, dass beispielsweise sämtliche sechs Basisemotionen im Gesichtsausdruck (Batty & Taylor, 2003), einschließlich freund-licher Gesichter (Marinkovic & Halgren, 1998) gegenüber neutralen eine privilegierte Verarbeitung erfahren. Gleichermaßen zeigte sich sowohl im Falle von positiven als auch negativen Handgesten gegenüber neutralen eine erhöhte Aktivität in den visuell assoziativen Arealen, die auch für die Ver-arbeitung bei der Objektwahrnehmung und -erkennung verantwortlich sind (Flaisch & Schupp, 2013). Ebenso ergaben sich erhöhte EKP-Amplituden für angenehme und unangenehme Wörter ge-genüber neutralen (Schacht & Sommer, 2009), was einen mühelosen, selektiven kortikalen Verarbei-tungsprozess bei emotional salienten Wörtern nahelegt (Herbert, Junghofer, & Kissler, 2008).

1.1.1 Exogene und endogene Aufmerksamkeit

Je nach Situation kann die Aufmerksamkeit von einer Sache beansprucht, aber auf eine andere ge-richtet werden, abhängig davon ob exogene (außenwelt-getriebene) oder endogene (intern-konzent-rationsgesteuerte) Aufmerksamkeitskontrolle vorherrscht (Posner, 1980). Exogene Aufmerksamkeit

bezieht sich auf stimulusgetriebene und reflexartige Aufmerksamkeitsprozesse. Die Aufmerksamkeit wird aufgrund der intrinsischen Salienz des sensorischen Inputs unbewusst verlagert (Peelen, Heslenfeld, & Theeuwes, 2004). Dagegen bilden endogene Aufmerksamkeitsprozesse eher eine wil-lentliche und kognitive Verarbeitung ab, die sich entsprechend volitionaler Ziele und bewusster Er-wartungshaltungen ergeben (Peelen, Heslenfeld, & Theeuwes, 2004; Posner, Snyder, & Davidson, 1980). Dabei scheint die semantische Verarbeitung von Wörtern wesentlich mit der Rekrutierung endogener Aufmerksamkeit verknüpft zu sein, die bei der volitionalen Verarbeitung visuell gecueter Stimuli ebenso langsamer verarbeitet (Wolfe, Alvarez, & Horowitz, 2000). Dem entgegengesetzt steht die exogene Aufmerksamkeitsverlagerung. Laut Carretie et al. (2013) ist evolutionärer Erfolg stark von der exogenen Aufmerksamkeit abhängig, welche die adaptive Aufgabe übernimmt, biolo-gisch saliente Ereignisse und Stimuli zu entdecken, die Aufmerksamkeit auf diese zu lenken und deren Verarbeitung bevorzugt einzuleiten. Dieser Prozess muss stimulusgetrieben, nahezu automa-tisch funktionieren, sogar wenn eine ressourcen-aufwendige andere Aufgabe parallel ausgeführt wird. Hopfinger und West (2006) berichten, dass es sich bei der ersten EKP-Komponente, die von exogener Aufmerksamkeit beeinflusst wird, um die P1-Komponente im extrastriaten Kortex handelte und erst darauffolgende Komponenten (N1) von endogener Aufmerksamkeit beeinflusst wurden.

1.1.2 Emotionale Stimuli ziehen exogene Aufmerksamkeit auf sich

Auch Wörter mit emotionalem Gehalt rufen wiederum eine automatisch-intuitive Verarbeitung her-vor (Kissler et al., 2013). Ähnlich der exogenen Aufmerksamkeit sollte ebenfalls die „emotionale Aufmerksamkeit“ (Vuilleumier, 2005) reflexartig und exogen gesteuert sein. Diese exogene, auto-matisch-intuitive und schnelle Verarbeitung wird oft mit angstrelevanten Stimuli in Verbindung ge-bracht (Pourtois, Grandjean, Sander, & Vuilleumier, 2004). Allerdings zeigen Studien, dass auch die weniger beachteten positiven Stimuli (Schacht et al., 2009) sowie endogene Wortstimuli unbewusste exogene Aufmerksamkeit auf sich ziehen (Fox, Russo, Bowles, & Dutton, 2001). Nach Pourtois, Schettino und Vuilleumier (2013) ist die Trennung emotionaler Aufmerksamkeit von der nicht-emo-tionalen Ebene kompliziert und erfordert weitere Studien. Jedoch scheint eine kompetitive Integra-tion von exogener und endogener Stimulusverarbeitung stattzufinden (McMains & Kastner, 2011).

Diesbezüglich werden auf dem Verarbeitungsweg zwischen V1 und Amygdala Feedbackschleifen als mögliche Ursache für die Verstärkung emotional-salienter Stimuli angesehen (Grandjean et al., 2005). Dies ist in nachfolgender Abbildung 1 noch einmal zusammengefasst.

Abbildung 1: Mutmaßlicher Zusammenhang zwischen prozessierendem Gehirnareal sowie Aufmerksamkeitsausrichtung. Grafik entnommen aus Pourtois et al. (2013).

1.2 Emotion und Aufmerksamkeit: Aufmerksamkeitsressourcen und priorisierte