• Keine Ergebnisse gefunden

einzulassen ist ein Abenteuer

Bild: Ingo Höhn, zvg

ERLESEN

ANALYSE UND UTOPISCHER AUSBLICK

Es ist das letzte von verschiedenen geplanten Büchern zu Afrika, das Al Imfeld mit «Agrocity.

Die Stadt für Afrika» verwirklichte, das soeben im Rotpunktverlag erschienen ist. Im November gab der 1935 im Luzerner Hinterland geborene Autor auf unserer Stadtentwicklungsseite einen Einblick in seine jahrzehntelange Beschäfti-gung mit afrikanischen Städten. «Die kommende Stadtplanung Afrikas müsste zusammen und gleichzeitig von unten und von oben kommen», heisst es da. Und: «Es geht um ein Miteinander und nicht ein Nacheinander.» Der Städtebau in Afrika habe primär Menschen und nicht virtuelle Realität und elektronische Gadgets einzubeziehen.

Denn: Seien nach der Unabhängigkeit der kolo-nialisierten afrikanischen Länder um 1960 der alte Kaiserstil aus der Antike und gar das Päpstliche und Königliche aus Rom und Versailles bevorzugt worden, folge nun eine gewisse Ernüchterung und man fliehe in eine futuristische Architektur ohne Menschen, aufgebaut mit Computern und 3-D-Druckern. Im Stadtzentrum regiert leerer Pomp, drumherum drängen sich die Slums.

«Skizzen zu neuer Urbanität» untertitelt Imfeld sein Werk, das ein immenses Wissen impliziert, das der Autor sehr zugänglich, verständlich und unterhaltsam vermittelt. Von Reportagen und historischen Exkursen über theoretische Essays hin zu konkreten Lösungen für eine städteplane-rische Mischung und Versöhnung von Stadt und Landwirtschaft. Denn das Städtewachstum in Afrika ist auch eine Folge massiver Landflucht – die Böden sind übernutzt und ausgelaugt.

Im abschliessenden Manifest plädiert Imfeld für eine «Agrocity» ohne Randgebiete, die aus einem Gefühl der Zugehörigkeit, Ökologie und Biodiversität schöpft. Zudem soll in dieser neuen Art Stadt die Luft genauso kultiviert werden wie der Boden und die Menschen sollen sich perma-nent weiterbilden können. Klingt nach Utopie?

Wer weiss ... Vielleicht wird es tatsächlich Afrika sein, das die Versorgung mit der Ökologie verbindet sowie Stadt und Land in Einklang bringt? Al Im-feld zumindest findet gute Argumente dafür. (is)

AM STEILHANG

«Der Walliserdialekt mit Leuker Einschlag ist nicht nur Rolf Hermanns angeborene Mundart, sie ist in erster Linie ein literarischer Kunstgriff, mit dem der Autor seine lautmalerischen Spiele treibt», schreibt Literaturkritiker Beat Mazenauer in seinem Nachwort zu Rolf Hermanns Spoken-Word-Textsammlung «Das Leben ist ein Steilhang».

Es ist ein guter Überblick, was Hermann in den letzten Jahren auf der Bühne gemacht hat, einiges kennt man von seiner Truppe Die Gebirgspoeten (mit Matto Kämpf und Achim Parterre). Es sind witzige und überlegte Texte, mal abstrakt, mal sehr konkret. Wie in seinen schriftdeutschen Ly-rikbänden (zuletzt: «Kartographie des Schnees») beweist Hermann ein grosses Feingefühl für die Sprache und ihre Nuancen, findet stets den tref-fenden – zuweilen auch träfen – Sound. Er hört den Menschen genau nach dem Mund und bringt das in breitem Walliserdeutsch aufs Papier. Es ist eine äusserst melodische Sprache – sofort hat man Hermanns Stimme im Ohr. Viele der Pro-saminiaturen, Spoken-Word-Texte und Gedichte wurden von Spoken-Script-Mitherausgeberin Ur-sina Greuel und dem Autor auf Standarddeutsch übersetzt, was wohl der Verständlichkeit dienen mag, aber der Sprache, die Hermanns Poetik zu einem grossen Teil ausmacht, das Funkeln, die Kraft nimmt. «Und wä wär widär daheimu sii gsii, / hei wär ä Fläschu Wii üffgita / und hei keerig gfäschtu» hat einfach eine andere Spannung, ist atmosphärischer, als «Und als wir wieder zuhause waren, / haben wir eine Flasche Wein aufgemacht / und zünftig gefeiert.»

Das Walliserdeutsch ist urchig und wirkt zer-klüftet wie die steilen Felsen, zwischen denen es gesprochen wird. Und doch ist Hermanns Schrei-ben nicht dem Tal verhaftet. Er, der heute in Biel lebt und in Fribourg und Iowa studierte, hat einen weiten Horizont. Der Dialekt, der Katholizismus, die Berge. Sie weisen immer über Grenzen hi-naus. Ins «Univärsum odär Düürvisum» wie es im «günäkologisch Liäbesgidicht» heisst. Schön, abstrus, geerdet. Ein Buch zum Lesen, Wieder-lesen und – vor allem – laut Lesen! (is)

TRÜMMER DES LEBENS – SELBST GEMACHT

Wow. Da brach plötzlich die Literatur mit Wucht über die Bankenwelt herein. 2013 erschien «Früh-ling der Barbaren», Jonas Lüschers literarisches Debüt. Mit dieser Novelle etablierte sich Lüscher nicht einfach nur in der gehobenen Autorenelite.

Er machte die Banken und ihre Verkommenheit zum literarischen Thema. Und brach damit fest-gefahrene Schweizer Literaturklischees ruckartig auf: keine Innerlichkeitsprosa, keine Gschichtli, die in einem Krachen oder maximal in Bern spie-len. Sondern eine internationale Szenerie und ein Wirtschaftssektor, der so wichtig scheint und doch kaum literarisch abgehandelt wird. Lüscher liess in «Frühling der Barbaren» kurzerhand England bankrott gehen. Und hielt gleichzeitig der Schweiz nicht nur als Bankenplatz den Spiegel vor.

Das war aktuelle, elegante, intelligente und auch böse Literatur, weil sie von Menschen berichtet, die vor ihren selbst beigebrachten Trümmern des Lebens stehen. Daran hält sich der 41-jährige, also spät zum Romancier gereifte Schweizer, der in München lebt, auch in seinem Folgeœuvre «Kraft».

Lüscher behagen Katastrophen. Jetzt begibt er sich dabei ins universitäre Milieu. Richard Kraft, Rhetorikprofessor in Tübingen, unglücklich ver-heiratet und finanziell gebeutelt, hat womöglich einen Ausweg aus seiner Misere gefunden. Sein alter Weggefährte István, Professor an der Stan-ford University, lädt ihn zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Preisfrage ins Silicon Valley ein. Kraft soll in einem 18-minütigen Vortrag begründen, weshalb alles, was ist, gut ist und wir es dennoch verbessern können. Für die beste Antwort ist eine Million Dollar ausgelobt. Damit könnte Kraft sich von seiner Frau freikaufen.

Lüschers Kunst liegt in der Konzentration und der gezielten Gespreiztheit der Sprache, die das Demaskieren von Idealen und die Betrachtung von Denktraditionen im Zerrspiegel zum urkomi-schen (Lese-)Genuss werden lässt. So ist alleine der Name des Protagonisten Programm und Spott zugleich: Der deutsche Universitätsprofessor hält sich wissenschaftlich und politisch für umfas-send kompetent, doch im privaten Leben ist er wiederholt gescheitert, und das greift nun auch über aufs Berufliche. Am Schluss ist der virile Bildungsbürger Kraft kraftlos. (rb)

Al Imfeld: Agrocity.

Die Stadt für Afrika.

Rotpunktverlag, Zürich 2017. 224 Seiten. Fr. 32.–

Rolf Hermann: Das Leben ist ein Steilhang.

Der gesunde Menschen-versand, Luzern 2017.

216 Seiten. Fr. 23.–

Jonas Lüscher: Kraft.

Roman. C.H. Beck Verlag, München 2017.

237 Seiten. Fr. 28.90

BÜHNE

Wer kocht am besten? Richtig: «s’Mami». So wird denn auch der Bühnenraum in eine bemerkenswert hippe Küche verwandelt und das Publikum von den «Müttern» bekocht. Tätschmeisterin ist jeweils eine «Mutter» pro Abend, die ein Gericht aus ihrer Heimat kocht. Die 14 Frauen, die am Projekt beteiligt sind, stammen aus zehn verschiedenen Ländern. Während sich allmählich der Duft von Köstlichkeiten aus Kolumbien, dem Iran, Kroatien, Bosnien, der Ukraine, Sri Lanka, Uganda, Algerien, Holland oder der Schweiz verbreitet, erzählen die Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, von dem, was sie verbindet.

Universelle Mutterschaft

Trauer, Geburt, Essenskultur, Kindererziehung, die eigene Mut-ter. Flucht nach Europa. Menstruation. Körperbehaarung. Die

«Mütter» sprechen vieles an, nehmen kein Blatt vor den Mund. Es sind Themen, die über Grenzen hinweg verbinden, die zwischen den Frauen Kontakt herstellen. Es entsteht ein Raum, in dem sie einfach Frauen sein dürfen. Ihre Herkunft, ihre Sprache spielen dabei keine Rolle. Im gegenseitigen Teilen ihrer Geschichte sind sie vereint in ihrem Frau- und Muttersein. Jede Frau teilt ihr Erlebtes mit den anderen, jede hat Einschneidendes zu berichten, jede hat ihre Meinung. Und der Moment, in dem sich ihre so verschiedenen

«Mütter» von Alize Zandwijk bringt Frauen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen auf die Bühne des Luzerner Theaters und zeigt, welche Energien durch solche Gemeinschaften freigelegt werden können.

Oh, Mama

Mütter, DO 23. März bis SA 17. Juni, Luzerner Theater

Lebenswege berühren, der ist magisch. Genau diese Begegnung und die Kraft, die diese freisetzt, will Regisseurin Alize Zandwijk mit «Mütter» auf der Bühne sichtbar machen.

Interkulturelle Akzeptanz

Auch das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH Zentralschweiz, welches für «Mütter» mit dem Luzerner Theater in Partnerschaft tritt, pflegt diese Art von interkulturellem Austausch zur Förderung der gegenseitigen Anerkennung und Akzeptanz. In seinen Abend-veranstaltungen «Frauenpalaver» treffen sich Frauen aus verschie-denen Herkunftsländern zum Gedanken- und Wissensaustausch, zur Vernetzung und zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Frauenthemen sowie ihrer Rolle als Frau und Migrantin.

Begegnung hilft. Sie baut Angst vor dem Fremden ab und Brücken zwischen verschiedenen Welten auf. Und sie ermöglicht Projekte wie «Mütter», die aufzeigen, wie im respektvollen Miteinander eine vielleicht zuerst ungeahnte Vertrautheit entstehen kann.

Barbara Boss Der Raum der Begegnung per se – die Küche. Bild: John Thijssen

BÜHNENFACH

DER KLASSIKER

Georg Büchners «Woyzeck» fand man nach seinem Tod 1837 als Entwurf, auf ein paar lose Seiten Papier niedergeschrieben. Heute gehört die fragmentarische Geschichte des einfachen Soldaten, der seine Geliebte Marie umbringt, zu den meistgespielten Stücken auf deutsch-sprachigen Bühnen. Woyzeck ist ein Prototyp des von der Gesellschaft Verstossenen, der sei-nem dumpfen Dasein mit einer Verzweiflungs-tat ein tragisches Ende setzt. Die Küssnachter Theaterleute bringen im dreissigsten Jahr ihres Bestehens «Woyzeck» als wildes Rösslispiel auf die Bühne, welches so schnell dreht, dass Ab-springen unabwendbar zur Katastrophe führt.

Regie: Christof Bühler. (bob)

Woyzeck, DO 30. März bis SO 9. April, Mostkeller, Merlischachen

DIE SCHARFZÜNGIGEN

Nicole Knuth und Olga Tucek (Knuth & Tucek), Trägerinnen des Schweizer Kleinkunst-Preises Cornichon 2013 und des Deutschen Kleinkunst-preises 2014, singen normalerweise bitterböse Lieder auf die Missstände unserer Zeit. Nun wa-gen sie sich für einmal an historische Stoffe und stürzen sich Hals über Kopf ins dunkle Mittelalter.

In Form eines satirischen Heimatfilmtheaters mit Gesang und Musik berichten sie von den Prozess-akten über Hexerei, Zauberei und dem Verkehr mit dem Teufel im Raum Luzern. Ein heisser Ritt über den Abgründen hiesiger Gottesfürchtigkeit!

Im Rahmen der Kabarettwochen. (bob) Hexe!, DO 16. März, Kleintheater, Luzern

DIE JUNGEN WILDEN

Tausendsassa Damiàn Dlaboha (Bild links) und sein mit einem ebenso klingenden Namen geseg-neter Komplize Béla Rothenbühler (Bild rechts) schütteln als Kollektiv Fetter Vetter & Oma Hom-mage ein Projekt nach dem anderen aus dem Ärmel. Frisch, intelligent und kritisch treffen die beiden mit ihren Inszenierungen den Nerv ihrer Generation. Über den neuesten Wurf «Die Traumfabrik», eine Eigenkreation mit Musik, verraten sie nicht viel: «Ein Häftling, eine Zelle, eine Chance: Träumen! Ein Regime, eine Op-position, eine Frage: Träumen?» Nach kurzem Gastspiel in Bern nochmals in Luzern zu sehen.

Lesen Sie auch die Kritik von Urs Hangartner auf null41.ch! (bob)

Die Traumfabrik, DI 14. bis DO 23. März, jeweils 20 Uhr, Theaterpavillon, Luzern

Presenting Partner

EINE LUFTIGE