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Einsatz von anchored instruction-Aufgaben

Im Dokument Förderung des vernetzten Denkens (Seite 61-66)

2   Theorie

2.4   Vernetztes Denken

2.4.2   Förderung vernetzten Denkens

2.4.2.2   Einsatz von anchored instruction-Aufgaben

Anchored instruction-Ansatz - Definition

Der anchored instruction-Ansatz bezeichnet Lernaufgaben, bei denen durch den Einsatz von Medien ein realistischer Makro-Kontext als sogenannter Anker (anchor) geschaffen wird. Die Aufgaben fokussieren durch die Verwendung realitätsnaher Problemsituationen auf die Förderung der Fähigkeiten des Prob-lemlösens (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Pichert et al., 1992). Die eingesetzten Anker können video- oder textbasiert gestaltet sein (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Pichert et al., 1992).

Anchored instruction-Ansatz - Ursprung

Der der Fallmethode ähnliche anchored instruction-Ansatz scheint ebenfalls zur Förderung vernetzten Denkens geeignet. Er wurde von der Cognition and Technology Group at Vanderbilt, einem multidisziplinärem Team von Wissen-schaftlern des Learning Technology Center der Vanderbilt University, Anfang der 1990er Jahre entwickelt (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990).

Anchored instruction-Ansatz - Ziele und inhaltliche Grundlagen

Der anchored instruction-Ansatz hat das Ziel, bei Lernenden anwendbares und flexibles Wissen kontextorientiert zu generieren (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990). Dabei sollen die Lernenden Sinn, Bedeutung und Relevanz der Lerninhalte erkennen (Kuhn, 2008).

Die Grundlage des anchored instruction-Ansatzes bildet das Konstrukt der situierten Kognition bzw. des situierten Lernens. Diese in den Bereich des Konstruktivismus einzuordnende Theorie (Gruber, 2001) sagt aus, dass Ler-nen situationsgebunden stattfindet und Wissensstrukturen mit Anwendungssi-tuationen verbunden sind (Brown, Collin, & Duguid, 1989). Besonders effektiv sind nach diesem Ansatz Lernsituationen, welche in authentische Kontexte eingebunden sind (Gruber, 2001) und durch ihre Komplexität eine Problembe-trachtung aus verschiedenen Perspektiven zulassen (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990). Wenig komplexes, nicht mit Anwendungen und Kontexten verbundenes Wissen kann durch den Lernenden wiedergegeben

werden, es steht jedoch nicht spontan zur Lösung von realen Problemsituatio-nen zur Verfügung (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990). Der Entwicklung von diesem inert knowledge (träges Wissen) bei Lernenden soll durch den anchored instruction-Ansatz entgegengewirkt werden (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990).

Anchored instruction-Ansatz - Struktur

Die Cognition and Technology Group at Vanderbilt (1997) hat für die Entwick-lung von Ankermedien die in Tabelle 9 dargestellten sieben Kriterien formu-liert.

Tabelle 9: Designprinzipien des anchored instruction-Ansatzes (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1997).

Design Principle Hypothesized Benefits

1. Video-based format A. More motivating.

B. Easier to search.

C. Supports complex comprehension.

D. Especially helpful for poor readers yet it can also support reading.

2. Narrative with realistic problems

(rather than a lecture on video) A. Easier to remember.

B. More engaging.

C. Prime students to notice the relevance of mathematics and reasoning for everyday events.

3. Generative format

(i.e., the stories and students must generate the problems to be solved)

A. Motivating to determine the ending.

B. Teaches students to find and define problems to be solved.

C. Provides enhanced opportunities for reasoning.

4. Embedded data design (i.e., all the data needed to solve the problems are in the video)

A. Permits reasoned decision making.

B. Motivating to find.

C. Puts students on an “even keel”

with respect to relevant knowledge.

D. Clarifies how relevance of data depends on specific goals.

5. Problem complexity

(i.e., each adventure involves a problem of least 14 steps)

A. Overcomes the tendency to try for a few minutes and then give up.

B. Introduces levels of complexity characteristic of real problems.

C. Helps students deal with complexity, D. Develops confidence in abilities.

6. Pairs of related adventures A. Provides extra practice on core schema.

B. Helps clarify what can be transferred and what cannot.

C. Illustrates analogical thinking.

7. Links across the curriculum A. Helps extend mathematical thinking to other areas (e.g., history, science) B. Encourages the integration of knowledge.

C. Supports information finding and publishing.

Ein Beispiel für eine anchored instruction-Aufgabe ist die videobasierte Jasper Series, deren 12 Episoden vier mathematischen Themenkomplexe zugeordnet sind. In der Episode „Rescue at Boone's Meadow“ findet die Hauptperson Jas-per einen verletzten Adler, der dringend zum Tierarzt gebracht werden muss.

Dazu müssen die Schülerinnen und Schüler unter Beachtung der Reisezeit, des Landeplatzes, des Verkehrsmittels, des Treibstoffs und der Nutzlast eine praktikable Lösung entwickeln. Die weiteren Episoden der Jasper Series und auch die Ankeraufgaben anderer Projekte basieren auf dem gleichen Grund-prinzip (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1997).

Eine Weiterentwicklung der Ankermedien in Form von computerbasierten in-teraktiven Lernumgebungen wurde 1997 durch Crews et al. vorgestellt. Diese anchored interactive learning environments basieren auf den Grundlagen und Designprinzipien des ursprünglichen anchored instruction-Ansatzes. Hierbei wird das situierte Lernen durch einen interaktiven Adventure Player unter-stützt (Crews et al., 1997), wodurch der verankerte Kontext aus verschiede-nen Perspektiven betrachtet werden kann.

Neben den Vorteilen des anchored instruction-Ansatzes birgt dieser auch Nachteile. Bei der Erstellung von videobasierten Ankermedien nach den De-signprinzipien der Cognition and Technology Group at Vanderbilt (1997) wird ein Arbeitsaufwand von ca. 100 Stunden pro Unterrichtsstunde veranschlagt (Brahler, Peterson, & Johnson, 1999; Kuhn, 2008). Für die von Crews, Biswas, Goldman, und Brandsford (1997) entwickelten computerbasierten Ankerme-dien ist der Zeitaufwand und in diesem Zusammenhang auch der finanzielle Aufwand noch höher als beim ursprünglichen anchored instruction-Ansatz ein-zuschätzen (Blumschein, 2004). Weiterhin sind videobasierte Ankermedien in einigen Bereichen unflexibel. Sie können nur begrenzt auf vorhandene Erfor-dernisse im Unterricht, wie beispielsweise Binnendifferenzierung oder sprach-liche Probleme, reagieren (Kuhn, 2008).

Aufgrund dieser Nachteile modifizierte Kuhn (2008) den Theorierahmen der Cognition and Technology Group at Vanderbilt (1997) und erstellt vier Leitli-nien für die Entwicklung modifizierter anchored instruction-Aufgaben (Tabelle 10). Auf dieser Grundlage generierte er für den Physikunterricht praktikable,

flexible und theoretisch begründete Ankermedien unter der Verwendung von Zeitungsaufgaben (Kuhn, 2008).

Tabelle 10: Designprinzipien des modifizierten anchored instruction-Ansatzes (Kuhn, 2008).

Designprinzipien Ziele

1. Authentizität und Anwendungsbezug Umgang mit realen Problemstellungen und authenti-schen Situationen

A. Interesse erzeugen

B. Anwendungsbezug herstellen

2. Multiple Kontexte und Perspektiven Inhalte sind in verschiedene Situationen eingebettet A. Flexibilität

B. Anwendung des Gelernten

3. Sozialer Kontext Schaffung sozialer Lernarrangements A. kooperatives Lernen fördern B. Problemlösen fördern

C. “Hineinwachsen in die Expertengemeinde”

4. Instruktionale Unterstützung Anleitung und Unterstützung der Lernenden A. Eigenständiges Lernen

B. Erwerb anwendbaren Wissens C. Motivation

Fallmethode und anchored instruction-Ansatz

Bei der Gegenüberstellung der Fallmethode und des anchored instruction-Ansatzes lassen sich fünf gemeinsame Grundmerkmale identifizieren: ein kon-struktivistischer Lernansatz, Problemorientierung, Verwendung realistischer Kontexte, die Problemanalyse aus verschiedenen Perspektiven und eine aus-reichende Komplexität (Tabelle 11). Auch das Ziel „Problemlösen“ ist, wenn auch unterschiedlich stark gewichtet, eine Gemeinsamkeit von cases und an-chored instructions. Bei dem Falleinsatz steht der Problemlöseprozess stärker im Fokus, wogegen beim anchored instruction-Ansatz die Vermeidung von trägem Wissen im Zentrum steht. Fälle beschreiben den Verlauf einer realisti-schen Problemsituation und sind in zwei bis vier Acts unterteilt. Entlang dieser Situation werden Probleme theorieasiert identifiziert, analysiert, diskutiert und Alternativen aufgezeigt. Im Gegensatz dazu bildet die Problemsituation beim anchored instruction-Ansatz einen realistischen Anker, auf dessen Grundlage verschiedene Lernaufgaben eingesetzt werden können. Auch für die mediale Unterstützung stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung (Tabelle 11).

Das primäre Anwendungsgebiet der Fallmethode liegt im Bereich der Lehre-raus- und -weiterbildung. Die Umsetzung des anchored instruction-Ansatzes ist hingegen im Bereich der Förderung von Schülerinnen und Schülern zu

fin-den (Tabelle 11). Eine Besonderheit von Fällen ist die Eignung dieser auch als Testinstrument.

Tabelle 11: Vergleich von Falleinsatz und anchored instruction-Ansatz.

Falleinsatz anchored instruction-Ansatz Aufbau

Fall als Kontext und Informationsquelle, be-stehend aus zwei bis vier Acts (Context, Prob-lem, Lösung) (Shulman, 2004)

Realistischer Kontext als Anker, verbunden mit Lernaufgaben (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1997; Crews et al., 1997; Kuhn, 2008; Shuy, 1997) Textbasierter Fall (Levin, 1995; Merseth,

1991; Shulman, 2004) Textbasierter Anker (Gragg, 1940)

Videobasierter Anker (Cognition and Techno-logy Group at Vanderbilt, 1997)

Multimedialer Anker (Crews et al., 1997) Zeitungsaufgaben als Anker (Kuhn, 2008) Merkmale

Konstruktivistischer Ansatz (Brown et al., 1989; Gruber, 2001; Richert, 1992)

Problemorientierung (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Pichert et al., 1992;

Shulman, 1991)

Verwendung realistischer Kontexte (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990;

Kuhn, 2008; Levin, 1995)

Analyse aus verschiedenen Perspektiven (Brown et al., 1989; Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Shulman, 1991)

Ausreichende Komplexität (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Levin, 1995) Ziele

Problemlösen (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Doyle, 1990; Merseth, 1991; Pichert et al., 1992)

Analysefähigkeit (Doyle, 1990; Merseth, 1991)

Treffen von Entscheidungen (Doyle, 1990;

Merseth, 1991)

Aufzeigen alternativer Handlungsmöglichkei-ten (Kleinfeld, 1991)

Weiterentwicklung des PCK (Barnett, 1991)

Anwendbares Wissen (Cognition and Technol-ogy Group at Vanderbilt, 1990)

Flexibles Wissen (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990)

Zielgruppe Fokus: Ausbildung und Weiterbildung von

Lehrkräften Fokus: Schülerinnen und Schüler

Aufgrund der genannten Punkte sowie in Bezug auf die zu Beginn dieser Ar-beit angesprochenen Probleme der Studierenden im Umgang mit komplexen unterrichtsbezogenen Problemsituationen scheint die Fallmethode der geeig-netere Interventionsansatz zu sein. Weiterhin bieten Fälle neben der Möglich-keit zur Förderung vernetzten Denkens einen Testansatz für durchgeführte

Interventionen. Aufgrund dessen werden für diese Arbeit Fälle als Interven-tions- und Testinstrument eingesetzt.

Im Dokument Förderung des vernetzten Denkens (Seite 61-66)