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Der Umgang mit komplexen und vielschichtigen Problemsituationen im Unter-richt ist ein Ziel der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung (Terhart, 2000). Dies bereitet den Studierenden der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung jedoch oft Schwierigkeiten. Ein Beispiel für solch eine Problemsituation ist das experi-mentelle Arbeiten im Biologieunterricht. Typische Probleme sind hier das Feh-len eines Kontrollansatzes, das Konfundieren verschiedener VariabFeh-len und das Ziehen unlogischer Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Ergebnissen (vgl. Hammann, H Phan, Ehmer, & Bayrhuber, 2006). Um in dieser Beispielsi-tuation angemessen reagieren zu können bzw. um zur Vermeidung dieser Si-tuation alternative Handlungsmöglichkeiten entwickeln zu können, müssen verschiedene Aspekte des Lehrerprofessionswissens miteinander vernetzt werden. Für das biologiespezifische Beispiel ist die Kombination von fachdi-daktischem Wissen über den Einsatz fachgemäßer (biologischer) Arbeitswei-sen, dem fachspezifischen Wissen zur Diagnose von Schülerleistungen und Rückmeldungen im Unterricht und Wissen über den Einsatz fachspezifischer Medien sinnvoll. Weiterhin kann die Vernetzung mit Wissen über die Schüler-vorstellungen zum Experimentieren sinnvoll sein.

Die Grundlage für die Entwicklung fachspezifischen Professionswissens bei Lehrerinnen und Lehrern wird in der universitären Ausbildung gelegt. Diese erste Ausbildungsphase setzt sich in Deutschland aus Veranstaltungen der Fachwissenschaften, Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken zusam-men. In diesem Zusammenhang stellt Terhart (2000) eine Unverbundenheit fächerübergreifender Veranstaltungen sowie eine geringe fachinterne Koordi-nation von Veranstaltungen fest. Auf Grund dieser Unverbundenheit nehmen viele Studierende die Ausbildung als fragmentiert und zu wenig vernetzt wahr (zum Beispiel Hilligus & Schmidt-Peters, 1998; Kuhlee & van Buer, 2009;

Terhart, 2000; Well, 1999). Dies kann eine Erklärung für die Schwierigkeiten von Studierenden bei der Erfassung komplexer Problemsituationen und dem Umgang mit diesen Situationen im Unterricht sein. Bereits 2004 forderte die Kultusministerkonferenz (KMK) in den Standards für die Lehrerbildung eine Verknüpfung fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Argumente in Bezug auf die Planung und Gestaltung von Unterricht ohne auf die Umsetzung dieser

Forderung einzugehen (siehe Kultusministerkonferenz, 2004c; Kultusminister-konferenz, 2008). Als Möglichkeit für die Entschärfung dieser Problematik kann die aktuelle Forschung zum Lehrerprofessionswissen herangezogen wer-den. Diese geht davon aus, dass die Entwicklung von Lehrerprofessionswissen einen wichtigen Beitrag zu „gutem Unterricht“ leisten kann (Berliner, 2001).

Basis verschiedener Studien in diesem Bereich (zum Beispiel Baumert

& Kunter, 2006) ist eine Dreiteilung des Lehrerprofessionswissens in die Berei-che Fachwissen, allgemeinpädagogisBerei-ches Wissen und fachdidaktisBerei-ches Wissen.

Einen möglichen Ansatzpunkt zur Verringerung der Fragmentierung in der Lehrerausbildung bietet das fachdidaktische Lehrerprofessionswissen, da die-ses integrativen Charakter besitzt. Es wird durch das Fachwissen (Krauss et al., 2008) sowie durch das allgemeinpädagogische Wissen (zum Beispiel van Driel, Verloop, & de Vos, 1998) beeinflusst. Im fachdidaktischen Lehrerprofes-sionswissen werden gleichzeitig Teile der genannten Wissensbereiche fachbe-zogen zusammengeführt (Kattmann, 2003).

Eine positive Auswirkung von fachdidaktischem Professionswissen der Lehr-kräfte auf die Qualität des Unterrichts und auf den Lernfortschritt der Schüle-rinnen und Schüler konnte bereits für den Mathematikunterricht gezeigt wer-den (Baumert & Kunter, 2006). Erste Ergebnisse aus dem Bereich der Biologie bestätigen diese Erkenntnisse (Jüttner & Neuhaus, 2010; Schmelzing, Wüs-ten, Sandmann, & Neuhaus, 2010).

Die Analyse von Unterrichtssituationen, in denen Probleme identifiziert und nach theoretisch-fachdidaktischen Aspekten gruppiert werden, bildet die Basis für die Erfassung des Umgangs mit komplexen Unterrichtssituationen. Auf-bauend auf dieser Strukturierung können Beziehungen zwischen den vorhan-denen Problemen und den biologisch-fachdidaktischen Aspekten hergestellt werden. Mit der jeweils relevanten theoretischen Grundlage ist das Auffinden und Abwägen verschiedener Lösungsmöglichkeiten verbunden. Diese Prozesse werden im Modell des vernetzten Denkens als Diskriminiertheit, Differenziert-heit und IntegriertDifferenziert-heit bezeichnet (zum Beispiel Möller, 1999; Schroder et al., 1975; Seiler, 1973).

Durch den Einsatz von Fällen, welche als „Ausschnitte der Wirklichkeit“ be-zeichnet werden können (Perry & Talley, 2001; Well, 1999), konnte im

US-amerikanischen Raum gezeigt werden, dass Fähigkeiten zur Bildung vernetz-ter Handlungsalvernetz-ternativen für Unvernetz-terrichtssituationen (Harrington, 1995) sowie die Verknüpfung von Theorie und Praxis (Hammerness & Darling-Hammond, 2002) gefördert werden. Der Einsatz von Fällen als Darstellung komplexer und problemorientierter Unterrichtssituationen, welche durch die Studierenden analysiert und diskutiert werden, ist seit den 1980er Jahren ein wichtiger Be-standteil der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im US-amerikanischen Raum (Merseth, 1996). Fälle werden hier sowohl als Förder- als auch als Testinstru-ment eingesetzt (Merseth, 1996; Sykes & Bird, 1992). Ein ähnlicher, stärker auf den schulischen Bereich fokussierter Ansatz wird mit anchored instructions verfolgt (Kuhn, 2008). Durch die Verwendung von Ankermedien wird dabei ein realitätsnaher Kontext generiert (Cognition and Technology Group at Vander-bilt, 1990), welcher auf das Lösen von komplexen Problemsituationen fokus-siert ist (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Pichert, Snyder, Kinzer, & Boswell, 1992). Untersuchungsergebnisse zum anchored instruction-Ansatz zeigen bei Schülerinnen und Schülern positive Effekte bei der Erfas-sung komplexer Problemsituationen sowie auf die Förderung anwendbaren und flexiblen Wissens (Blumschein, 2004; Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990). Beide Ansätze nutzen realistische Kontexte zur Verbesse-rung des Umgangs mit komplexen problematischen Situationen. Im Gegen-satz zum anchored instruction-Ansatz existieren für den Falleinsatz als Inter-ventions- und Testinstrument bereits Ergebnisse verschiedener Studien im Bereich der Lehrerausbildung. Untersuchungen zur Effektivität des Einsatzes realitätsbezogener Unterrichtssausschnitte in Form von Fällen in der Ausbil-dung von Biologielehrerinnen und -lehrern fehlen bisher jedoch.

Mit dem Einsatz von im biologisch-fachdidaktischen Bereich verankerten Fäl-len soll ein Beitrag zur Verbesserung des Umgangs der Studierenden mit komplexen und problematischen Unterrichtssituationen geleistet werden. Das Ziel dieser Arbeit ist daher die Förderung des vernetzten Denkens der Studie-renden im biologisch-fachdidaktischen Bereich. Die Effektivität des Einsatzes praxisorientierter, theoretisch basierter Lernfälle wird, in Bezug auf die Förde-rung der Vernetzungsfähigkeit von Studierenden, durch den Einsatz eines fall-basierten Testinstruments sowie durch die Durchführung von Interviews über-prüft. Aufgrund von bisher vorliegenden Studien aus verschiedenen

Fachbereichen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung (zum Beispiel Hammerness

& Darling-Hammond, 2002; Harrington, 1995; Levin, 1995) wird eine Wirk-samkeit der Intervention in Bezug auf die Weiterentwicklung der Fähigkeiten von Studierenden zur Aufschlüsselung von Informationen und darauf aufbau-end zum Generieren verknüpfter Handlungsalternativen für fachdidaktische Problemsituationen vermutet. Weiterhin wird auf eine stärker theoriebasierte Herangehensweise der Studierenden an problematische Unterrichtssituationen fokussiert.

Im Dokument Förderung des vernetzten Denkens (Seite 20-24)