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Einleitung

Im Dokument 114/2021 (Seite 33-38)

1.1 Ausgangssituation und Zielstellung

Sanierungsstau, Fachkräftemangel, hohe Baukosten, unzureichende Digitalisierung: Dies ist nur ein Ausschnitt jener Herausforderungen, mit denen sich der Gebäudesektor in Deutschland in den vergangenen Jahren konfrontiert sah. Die Erreichung der Klimaziele im Gebäudebereich erscheint unter diesen Rahmenbedingungen zumindest fraglich.

Denn die Ziele sind anspruchsvoll: Europaweit sind Gebäude für ca. 40 % des Energieverbrauchs und 36 % der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, weshalb die Europäische

Gebäuderichtlinie für 2050 das Ziel festlegt, einen hocheffizienten, dekarbonisierten Gebäudebestand zu erreichen. In Deutschland sind dem Gebäudesektor ca. 35 % des

Endenergieverbrauchs und 33 % der Treibhausgasemissionen (BMWi, 2015) zuzuordnen. Im Rahmen ihres Energiekonzepts hat die Bundesregierung das Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050 vorgegeben, und obgleich die Emissionen von Gebäuden seit 1990 bereits um 44 % gesenkt werden konnten, ist das Zwischenziel von 66-67 %

Emissionsminderungen bis 2030 nur erreichbar, wenn die Sanierungsanstrengungen deutlich erhöht werden. 7

Zur Erreichung der Ziele müsste die Sanierungsrate in Deutschland von zuletzt ca. 1 Prozent auf rund 2 Prozent (BMWi, 2015) erhöht werden. Dies scheiterte in den vergangenen Jahren vor allem an der nicht ausreichend großen Wirtschaftlichkeit von Sanierungen: Energie war tendenziell günstig, seit 2016 besteht besonders in Ballungsräumen ein Fokus auf dem Bereich Neubau, um der Wohnraumknappheit und den steigenden Mieten entgegen zu wirken. Dies verringerte wiederum die Kapazitäten für Sanierungen. Die Baukosten sind in diesem Zeitraum merklich gestiegen. Gleichzeitig können Sanierungskosten nur begrenzt auf die Mieter*innen umgelegt werden.

Vor diesem Hintergrund sind Ansätze, mit denen das seit Jahren eher träge

Sanierungsgeschehen beschleunigt werden könnten, für Deutschland und den deutschen Sanierungsmarkt hochinteressant.

Bereits seit über einer Dekade beschäftigen sich Forschungs- und Demonstrationsvorhaben in Deutschland und Europa mit Verfahren industrieller Vorfertigung von Gebäude-Bauteilen, insbesondere von Fassadenelementen. In der Baupraxis hat sich die Vorfertigung bislang vor allem im Neubau von Fertighäusern etabliert und bewährt. Im Bereich der Gebäudesanierung findet eine kommerzielle Nutzung industriell vorgefertigter Bauteile in Deutschland bislang noch nicht statt.

Die so genannte Energiesprong-Initiative (heute: Stroomversnelling8) verfolgt seit 2010 in den Niederlanden das Ziel, das Sanierungsgeschehen mit dem Instrument der industriellen

Vorfertigung von Bauteilen auf eine ganz neue Basis zu stellen und breit in den Sanierungsmarkt zu bringen. Rasch bildeten sich Initiativen in Frankreich und Großbritannien, 2017 unter

Koordination der dena auch in Deutschland, die versuchen, das erfolgreiche Energiesprong-Modell auf weitere Länder zu übertragen.

7 Das Öko-Instituts prognostiziert, dass das Sektorziel des Bundesklimaschutz-Gesetzes für Gebäude von 70 Mio. t CO2e im Jahr 2030 um voraussichtlich mehr als 20 Mio. t CO2e verfehlt werde (Harthan, 2020). Prognos erwartet eine weniger starke Zielverfehlung von 8 Mio. t CO2e (Kemmler, 2020).

8 https://www.perssupport.nl/persbericht/90076/ambitie-4-5-miljoen-woningen-naar-nul-op-de-meter-in-2050/download-attachment/2650 (Mitglieder sind Industriepartner, öffentliche Organisationen und Wohnungsunternehmen).

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Ziel der vorliegenden Studie ist es, europäische Pilotprogramme wie Energiesprong sowie Forschungsvorhaben im Bereich industrieller Sanierung zu analysieren, deren Übertragbarkeit auf Deutschland zu untersuchen und Handlungsempfehlungen zur Unterstützung der

Markteinführung industrieller Sanierung zu geben.

1.2 Serielle Sanierung

Industrielle oder serielle Sanierung zeichnet sich durch die industrielle Vorfertigung der Baumodule, innovative Prozessoptimierung sowie digitale Planung, Durchführung und Monitoring aus. Die Senkung der Sanierungskosten und die Verringerung der Bauzeit vor Ort sind zentrale Ziele industrieller Sanierung. Durch weitgehende Vorfertigung von

Fassadenelementen und Technikmodulen in der Fabrik sollen deren Herstellungskosten deutlich gesenkt werden. Weiter wird durch die Vorfertigung die Montagezeit auf der Baustelle minimiert, so dass die Sanierungsmaßnahmen am Haus in wenigen Tagen abgeschlossen werden können. Voraussetzung hierzu ist jedoch ein weitgehend digitalisierter Planungs- und Fertigungsprozess, der Aufbau entsprechender Fertigungskapazitäten und auch die Entwicklung neuartiger Geschäftsmodelle für die Gebäudesanierung.

Abbildung 1: Innovationsebenen serieller Sanierung

Prozessoptimierung Industrielle

Vorfertigung Digitalisierung

Standardisierte Prozesse, Finanzierungsmöglichkeiten, Innovative

Geschäftsmodelle Standardisierte Komponenten,

Baulich individuell adaptierbar,

Vielfältig kombinierbar

Digitales Aufmaß/ BIM,

Maschinenlesbarkeit der Daten,

Gebäudemonitoring

Quelle: Eigene Darstellung, BPIE

1.2.1 Technische Innovationen

Bei der seriellen Sanierung kommen insbesondere die folgenden industrielle vorgefertigten Module / Bauteile zum Einsatz:

► Großformatige hochgedämmte Fassadentafeln, in die Fenster und evtl. haustechnische Elemente integriert sind

► Großformatige Dachelemente incl. Deckung und PV-Anlagen

► Haustechnikmodule für Beheizung, Warmwasserbereitung und Belüftung 1.2.1.1 Fassadenelemente

Für die großformatigen Fassadenelemente werden in der Regel Holzrahmenkonstruktionen gewählt, jedoch werden auch Stahlrahmenkonstruktionen eingesetzt. Je nach Bauaufgabe können schmalere zweigeschossige Elemente, oder längere eingeschossige Elemente eingesetzt

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werden. Die Größe wird durch die Transportmöglichkeiten vorgegeben, d. h. durch die Standardgröße der Sattelschlepper, da Schwerlasttransporte mit Übergröße sehr teuer sind.

Die Rahmenkonstruktion wird mit Dämmung gefüllt, zwischen der tragenden Konstruktion zumeist Matten und ergänzend eine zweite Dämmschicht vor die tragenden Rahmenteile.

Ebenso werden die Bauteile mit entsprechenden Folien versehen und die Fenster (mit Dreifachverglasung) luftdicht montiert. Eventuell werden haustechnische Komponenten wie z. B. dezentrale Lüftungsgeräte integriert. Je nach Bedarf können auch elektrische Leitungen oder Lüftungsrohre vorgesehen werden.

Abbildung 2: Ansicht Unterseite Fassadenelement

Bild: co2online / Christian Reher

Für die Fassadenbekleidung können unterschiedlichste Materialien eingesetzt werden. Meistens werden Holzverschalungen, Holzwerkstoffe oder Faserzementplatten verwendet, jedoch sind auch Klinkerriemchen üblich. Die Elemente werden fullfinished für den Transport mit

Wetterschutz versehen.

Die Wände des Gebäudes werden für die Montage bereits vor Anlieferung vorbereitet. Dazu werden Spezialwinkel im Mauerwerk verdübelt, auf die die Rahmenelemente mit dem Kran abgesetzt und verschraubt werden. Der Sockel wird später z. B. mit einem

Wärmedämmverbundsystem gedämmt.

1.2.1.2 Dachmodule inkl. PV

Die Dachmodule werden vergleichbar mit den Fassadenelementen zumeist als

Holzrahmenkonstruktion ausgeführt und in der Regel auf den vorhandenen Dachstuhl montiert.

Jedoch tritt öfters der Fall auf, dass der Dachstuhl solche zusätzlichen Lasten nicht mehr aufnehmen kann und entweder vorher verstärkt werden muss oder abgetragen wird. In letzterem Fall werden u. U. komplette Dachgeschossmodule gefertigt.

Sämtliche Schichten der Elemente – beispielsweise bestehend aus OSB-Platten, Dampfsperre, Holzkonstruktion / erste Dämmebene, zweite Dämmebene, Unterspannbahn bzw.

Holzfaserplatten, Deckung und PV-Module – werden im Werk vorgefertigt. Ebenfalls werden Durchdringungen für Lüftungen, Dachausstiege, evtl. Dachflächenfenster etc. in die Elemente werkseitig integriert. Da die Elemente individuell geplant werden kann auch hier der

Schichtaufbau variieren. Bei der Montage werden die Elemente an der Traufe bis an die Fassadenelemente herangezogen. Sowohl Traufe, als auch Firstanschlüsse müssen detailliert geplant werden.

36 1.2.1.3 Haustechnikmodule

Auch die Haustechnikmodule werden zum Teil im Werk vorgefertigt. Sie bestehen in der Regel aus einer Luftwärmepumpe für Heizung und Warmwasserbereitung, einem Kombispeicher, Druckausgleichsgefäßen und einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Jedoch werden auch vielfach dezentrale Lüftungsanlagen verbaut. Die Anschlüsse zum Gebäude sind

vorkonfiguriert. Die Module werden entweder in einem Anbau oder kleinen Containern vor die Gebäude angeordnet und sind somit für das Servicepersonal von außen zugänglich. Ebenfalls integriert werden Regelung, Strom- und Wärmemengenzähler und weitere Messtechnik für das Monitoring des Gebäudes.

1.2.2 Prozessinnovationen

Die weitgehende Vorfertigung von Fassadenelementen oder Haustechnik-Modulen

revolutioniert den traditionellen Planungs- und Bauprozess der Sanierung. Eine herkömmliche Vollsanierung eines Bestandsgebäudes dauert üblicherweise mehrere Wochen. Für die Arbeiten sind mindestens vier Gewerke (Elektriker, SHK-Handwerk, Fensterbauer, Stuckateure)

einzubinden und zu koordinieren. Bei der seriellen Sanierung erfolgen die Leistungen im Idealfall durch einen einzigen integralen Sanierungsanbieter, der dem Kunden die Vorfertigung und Montage der Bauteile aus einer Hand anbieten kann.

Beauftragt wird der integrale Sanierungsanbieter nicht zwingend durch den

Gebäudeeigentümer, sondern oft durch einen Generalübernehmer. Dieser ist Auftragnehmer und Vertragspartner des Gebäudeeigentümers und garantiert diesem (und somit auch dessen Mieter*innen) die langfristige Erreichung eines Nettonullniveaus. Hierfür müssen dem Generalübernehmer im Gegenzug langfristige Einkommensströme ermöglicht werden. Diese können sich – je nach rechtlichen Rahmenbedingungen des Landes – aus einem Anteil der Mietzahlungen (entsprechend der eingesparten Energiekosten), aus den Einnahmen der Energieproduktion (Einspeisevergütung) und aus der Energielieferung an die Haushalte zusammensetzen. So ist eine Leistungsgarantie selbst über lange Zeiträume (bis zu 20 Jahre) wirtschaftlich darstellbar. Die Mieter*innen erhalten im Rahmen einer Warmmiete einen umfassenden Energieservice mit garantiertem Leistungsniveau.

1.2.3 Digitalisierung

Eine wesentliche Innovation der seriellen Sanierung ist die möglichst durchgängige Digitalisierung des Planungs- und Produktionsprozesses (siehe auch Kapitel 5.3.5.4) unter Anwendung des Building Information Modeling (BIM). Dabei werden alle relevanten Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst. Das Bauwerk wird als virtuelles Modell geometrisch visualisiert und zusätzlich mit zahlreichen weiteren Informationen, wie z.B.

Bauteileigenschaften und Kosten, ergänzt (Computermodell).

Die für die Sanierung zu fertigenden Komponenten, wie beispielsweise Dachmodule oder Fassadenelemente, werden zunächst digital geplant. Wichtig ist hierbei die Sicherstellung einer möglichst schnellen und unkomplizierten Montagefähigkeit der Module vor Ort.

Die Daten der digital definierten Bauelemente fließen dann auch digital in die

Fertigungsprozesse ein, so dass maximale Synergien zwischen der digitalen Planung und der Fertigung genutzt werden können.

Auch für das Monitoring technischer Kennzahlen in der Haustechnik wird digitale und fernauslesbare Messtechnik verwendet. Messdaten der solaren Stromproduktion oder des Heizenergieverbrauchs sind für den Generalübernehmer, der die technische Gewährleistung und die Langfristgarantie verantwortet, zentrale Kennzahlen, über die er das vertraglich zugesagte

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Nettonullniveau kontrollieren kann. Gleichzeitig erlaubt es die digitale Erfassung dieser Kennzahlen, den Bewohner*innen ein Interface (App oder Browser) zur Verfügung zu stellen, mithilfe dessen sie jederzeit einsehen können, ob sie mit ihrem Energieverbrauch im Rahmen der in der Warmmiete enthaltenen Mengen liegen.

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