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Die archaischste ungarisch(sprachig)e Ethnie bilden die Moldauer Tschangos, die schon seit Jahrhunderten einem starken rumänischen Einfluss ausgesetzt sind.

Schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts berichten die das Moldau-Gebiet besuchenden Missionare regelmäßig vom beginnenden Prozess einer sprachlichen und kulturellen Assimilation der römisch-katholischen Ungarn an das orthodoxe Rumänentum.

Aus den Reiseberichten Anfang des 19. Jahrhunderts zeigt sich eindeutig, dass die ungarische Sprache in vielen Dörfern der Moldauer Ungarn eindeutig an Raum verliert.

So wurden auch in der Forschungsliteratur über die Tschango-Ungarn bis heute immer wieder Stimmen laut, die - was ihren Sprachzustand betrifft - die herderschen Alarmglocken läuten.

In fast jedem Bericht über ihren Sprachzustand findet sich von László (1882: 85) über Gyırffy (1916: 501) bis Pozsony (2005: 147) die Prophezeiung, dass der endgültige Sprachwechsel schon innerhalb von 1-2 Generationen eintreten wird:

„Ich behaupte (...) dass in 30 Jahren [von der ungarischen Sprache] nicht mehr viel zu retten sein wird.” (László 1882: 85, zitiert in Vincze 2004: 107)

„(...) die ungarische Sprache [wird] im Moldau-Gebiet in 20 Jahren vollständig und unwiderbringlich verstummen” (Gyırffy 1916: 501, zitiert in Mikecs 1941: 311)

„[Es ist wahrscheinlich, dass] innerhalb von 1-2 Generationen ganze Dorfgemeinschaften (wie z.B. die katholischen Siedlungen um Románvásár [d.h. die Nord-Tschangos] ) ihre einstige Muttersprache aufgeben werden.” (Pozsony 2005: 147)

Die vorliegende Arbeit soll nun auch dazu beitragen, herauszufinden, wie es um die Sprache der Tschangos tatsächlich bestellt ist. Das konkrete sprachliche Material hierzu liefern das Wörterbuch Yrjö Wichmanns (1936), der „Sprachatlas der Moldauer Tschango Mundart”

(Szabó T. Attila - Gálffy Mózes - Márton Gyula 1991) und der Dokumentarroman von József Gazda „Hát én hogyne síratnám” (1993).

Sowohl das Wörterbuch Wichmanns als auch der Tschango-Sprachatlas sind mehr oder weniger Ansammlungen isolierter Wörter. Zu einer vollständigen Darstellung des Sprachzustands der Moldauer Ungarn muss jedoch die spontane, freie und ungebundene Rede in die Untersuchung miteinbezogen werden, wozu der Dokumentarroman Gazdas, der sich aus den Erinnerungen von über 100 Moldauer Tschangos aller Dialektgruppen – im Grunde genommen allesamt „Sprachmeister” – zusammensetzt, ein ideales Korpus bietet.

Zusätzlich beschränkt sich die Analyse so nicht nur auf den Sprachzustand der Nord-Tschangos, sondern kann auch auf die weiteren Dialektgruppen der Moldauer Ungarn, die Süd- und Székler Tschangos ausgeweitet werden.

Konkrete Ziele der vorliegenden Arbeit:

1.) Anhand des Nordtschango-Wörterbuchs von Yrjö Wichmann, das den Sprachzustand unseres Untersuchungsdorfes Szabófalva (rum. Săbăoani) von 1907 widerspiegelt, soll herausgefunden werden, inwieweit sich der Wortschatz innerhalb von beinah einem Jahrhundert verändert hat.

2.) Unter Zuhilfenahme des in den 50-er Jahren gesammelten Datenmaterials des „Sprachatlas der Moldauer Tschango Mundart” (Szabó T. Attila - Gálffy Mózes - Márton Gyula 1991) soll – in einer Art „Halbwertszeit”-Analyse – zusätzlich eine Zwischenbilanz gezogen werden, um so - sofern möglich – die „dynamische” Geschichte der einzelnen Wörter besser nachverfolgen zu können.

3.) Durch die Analyse des reichhaltigen sprachlichen Materials, das uns der Dokumentarroman von József Gazda „Hát én hogyne síratnám” (1993) zur Verfügung stellt, soll der Einfluss der rumänischen Sprache auf den Moldauer Tschango-Dialekt (Dialektgruppen) anhand der Verteilung der Kontaktphänomene der Lehnwörter, Lehnbedeutungen, Lehnbildungen sowie des Kodewechsels untersucht werden.

Belege für die Authentizität des Dokumentarromans:

a.) die als Ergebnis der über 20 Jahre lang in Anspruch nehmenden Materialsammlung von József Gazda entstandenen Tonbandaufnahmen der biographischen Interviews der zahlreichen Tschango-Informanten können jederzeit beim Autor eingesehen werden

b.) József Gazda versieht die Äußerungen seiner Informanten jeweils mit einer kodierten Buchstabenverbindung, deren Entschlüsselung sich im Namensverzeichnis des Kapitels V dieser Arbeit findet, so dass sich ermitteln lässt, welcher konkreten Person und welchem Siedlungsgebiet der jeweilige Beleg zuzuordnen ist

4.) Anhand des umfangreichen und authentischen Sprachkorpus des oben erwähnten Dokumentarromans, das sich aus insgesamt 100.122 Wörtern zusammensetzt und sämtliche Dialektgruppen der Moldauer Tschangos umfasst, kann weiterhin folgenden Fragen nach-gegangen werden:

a.) Stärkegrad des rumänischen Einflusses in den drei Tschango-Dialektgruppen

b.) eventuelle Unterschiede in den einzelnen Dialektgruppen der Moldauer Tschangos in der Stärke des rumänischen Einflusses

c.) Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung

5.) Die Ergebnisse der Analyse des Dokumentarromans von József Gazda können einen Beitrag zum Forschungsprojekt „Die ungarische Sprache im Karpatenbecken am Ende des

XX. Jahrhunderts” leisten, und dieses durch das sprachliche Material der Moldauer Tschangos ergänzen.

Das oben genannte Forschungsprojekt wurde 1993 von Miklós Kontra ins Leben gerufen und beschäftigt sich mit der kontaktlinguistischen Analyse des Sprachzustandes und -gebrauchs der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns. Die Folgen der Zweisprachigkeit stellen die bisher erschienen Bände über die ungarische Sprache in der Ukraine (Transkarpatien), (István Csernicskó 1998), Jugoslawien (Wojwodina) (Lajos Göncz 1999) und Slowakei (István Lanstyák 2000) dar; noch in Erscheinung begriffen sind die Bände über den ungarischen Sprachzustand in Rumänien (János Péntek und Sándor Szilágyi), Österreich und Slowenien (István Szépfalusi und Ottó Vörös).

6.) Durch die Integration des Gazda-Materials in das oben erwähnte Forschungsprojekt soll den Tschangos etwas von ihrem „Stiefkind-Status” innerhalb der Zweisprachigkeits- und Sprachkontaktforschung genommen werden, auf den z.B. auch Sándor (1996a:51) oder Bodó (2005: 302) aufmerksam machen.

Bodó (2005: 302) legt als zukünftigen Aufgabenbereich der sprachwissenschaftlichen Tschango-Forschung die ausführliche Beschreibung der lexikalischen und grammatischen Folgen des (tschango)ungarisch - rumänischen Sprachkontaktes fest. Mit dem Fehlen dieser empirischen Forschungen erklärt er u.a. den Umstand, dass die Sprache der Tschangos sowohl in der ungarischen Öffentlichkeit als auch in der Fachliteratur oft negativ bewertet wird.

Dies zeigt sich z.B. auch darin, dass der pejorative Ausdruck „sprachlicher Prozess der Tschangoisierung” („nyelvi csángósódás”) mittlerweile zum soziolinguistischen Terminus technicus geworden ist. Katalin Fodor (2001: 18, zitiert in: Tánczos 2004: 249 ) benutzt ihn z.B. als Synonym für den Prozess des Sprachabbaus, den sie auf die vielen rumänischen Lehnwörter und Lehnbildungen zurückführt.

7.) Diese Einschätzung soll nun in dieser Arbeit anhand konkreten sprachlichen Materials geprüft – und wenn nötig, revidiert werden.

Die Äußerungen der Gazda-Informanten werden jeweils mit einer kodierten Buchstabenverbindung versehen, deren Entschlüsselung sich im Namensverzeichnis des Anhanges findet, so dass sich ermitteln lässt, welcher konkreten Person und welchem Siedlungsgebiet der jeweilige Beleg zuzuordnen ist. (József Gazda kennzeichnet die Männer mit 2, die Frauen wiederum mit 3 Majuskeln)

Die Vertreter der Nord-Tschangos werden mit N, die Süd-Tschangos mit S und die Székler Tschangos schließlich mit Sz abgekürzt.