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Die Termintreue ist eine bedeutende logistische Zielgröße produzierender Unterneh-men. Produkte pünktlich herzustellen und auszuliefern ist eine Aufgabe, der im Betrieb viel Beachtung geschenkt wird. Für die verantwortlichen Manager und Ingenieure er-scheint die Termintreue aber häufig als Resultat vieler sich gegenseitig beeinflussender Einzelbemühungen. Eine gezielte Steuerung der Termintreue wird auf Grund der kom-plexen Zusammenhänge und unterschiedlichen Verantwortungsbereiche als schwierig empfunden. Die vorliegende Arbeit zeigt ein Modell, welches die Wirkzusammenhänge zur Beeinflussung der Termintreue erklärt.

1.1 Motivation

Die Produktionsplanung und -steuerung (PPS) von Industriebetrieben verfolgt mehrere Ziele gleichzeitig. Neben einer hohen und gleichmäßigen Kapazitätsauslastung sind u. a. auch kurze Durchlaufzeiten, geringe Lager- und Werkstattbestände, eine hohe Flexibilität und eine hohe Termintreue Ziele der PPS [Schuh-06, S. 28]. Zum Teil wider-sprechen sich diese Zielgrößen: Der Markt verlangt kurze Lieferzeiten und eine pünktli-che Lieferung, während die Unternehmen die hohe gleichmäßige Auslastung der Be-triebsmittel und möglichst niedrige Bestände anstreben, um die Kosten zu senken [Wiendahl-97, S. 3]. Kurze Lieferzeiten sind zudem nicht ausreichend, wenn sie nicht mit hoher Liefertreue eingehalten werden [Gudehus-06, S. 55].

Abbildung 1: Zielgrößen der Logistikleistung und der Logistikkosten [Lödding-08, S. 19]

Abbildung 1 gibt einen Gesamtüberblick über die logistischen Zielgrößen, getrennt nach Logistikleistung und Logistikkosten. Die Literatur nennt unterschiedliche Begriffe,

die teilweise synonym zur Termintreue gebraucht werden. Das zweite Kapitel erklärt den Unterschied zwischen Termintreue, Liefertermineinhaltung und Liefertreue.

Eine Studie der RWTH Aachen und des VDMA [Brosze et al.-11, S. 18] belegt, dass die logistischen Leistungsmerkmale Lieferfähigkeit, Lieferzeit und Termintreue den Kun-dennutzen bestimmen. Die wichtigste logistische Zielgröße ist dabei die Liefertreue ge-genüber dem Kunden. Sie ist für zwei Drittel der an der Studie beteiligten Unternehmen die führende logistische Zielgröße.

Pünktlich belieferte Kunden bauen Vertrauen zu ihren Lieferanten auf, so dass die Wahrscheinlichkeit zur Konkurrenz zu wechseln sinkt. Häufig berücksichtigen Unter-nehmen die Termintreue bei der Lieferantenauswahl. Die Normen zur Qualitätszertifi-zierung EN ISO 9001:2008 [DIN-08] und VDA-Empfehlung 5001 [VDA-94] legen es Unternehmen nahe, Lieferanten nach deren Fähigkeiten zu beurteilen und daraufhin ihre Lieferantenauswahl zu treffen. Die Unternehmen legen die Kriterien für die Aus-wahl, Beurteilung und Neubeurteilung eines Lieferanten zwar selbst fest, in der Litera-tur finden sich aber Termintreue und Liefertreue häufig als empfohlene Faktoren [Nebl-07, S. 262; Melzer-Ridinger-[Nebl-07, S. 227; Hess-08, S. 265].

Neben dem Verlust an Kundenbindung sind weitere Kosten mit einer zu niedrigen Ter-mintreue verbunden. In bestandsarmen Wertschöpfungsketten kann die mangelhafte Termintreue eines Zulieferers zu einer verminderten Termintreue des Kunden oder gar zum Produktionsausfall führen. Häufig wird eine niedrige Termintreue durch kostspieli-ge Expresslieferunkostspieli-gen kompensiert, sofern dies möglich ist. Kunden reagieren auf eine verspätete Belieferung oft auch durch Bestellungen mit Lieferterminen, die vor dem ei-gentlichen Bedarfstermin liegen. So werden entlang der Wertschöpfungskette Sicher-heitsbestände aufgebaut, um Produktionsausfällen vorzubeugen. Eine niedrige Termin-treue auf Grund von verfrühter Fertigstellung der Aufträge wirkt ebenfalls negativ. Dies äußert sich in Form von Kapitalbindungskosten, verursacht durch den Fertigwarenbe-stand beim Produzenten. [Lödding-08, S. 26 f.]

Für produzierende Unternehmen lässt sich die Bedeutung einer hohen Termintreue in zwei Wirkrichtungen zusammenfassen. Einerseits senkt sie die Logistikkosten, indem sie die Zuverlässigkeit entlang der Lieferkette steigert, andererseits können Unterneh-men mit hoher Termintreue auf dem Markt tendenziell höhere Preise für ihre Produkte fordern. Den Vorteilen einer hohen Termintreue stehen aber auch Kosten gegenüber.

Aufträge nach ihrer terminlichen Dringlichkeit zu bearbeiten steht möglicherweise einer

rüstoptimalen Zusammenfassung im Wege und mindert die Leistung der Arbeitssyste-me. Viele Unternehmen veranlassen Überstunden oder Wochenendschichten, um eine hohe Termintreue zu gewährleisten. Dies ist in der Regel ebenfalls mit hohen Kosten verbunden. [Lödding-08, S. 26 f.]

Eine niedrige Termintreue ist eine mangelhafte Logistikleistung. Eine hohe Termintreue ist mit Kosten verbunden. Für jede Produktion gibt es ein Gleichgewicht aus ausrei-chender Logistikleistung und vertretbaren Kosten. Die vorliegende Arbeit stellt durch die Modellbildung ein Werkzeug zur Analyse der Termintreue und ihrer Verbesserung bis zum angestrebten Niveau vor. Sie zeigt allgemein, wie die Termintreue durch ge-zielte Beeinflussung ihrer logistischen Einflussgrößen steuerbar ist. Den Zielgrößen-konflikt zwischen Termintreue und Kosten löst dies zwar nicht auf, ein vollständiges Modell der Termintreue ist jedoch der erste Schritt zu einer sinnvollen Positionierung im Spannungsfeld dieses Dilemmas.

1.2 Problemstellung und Ziel der Arbeit

Die Bedeutung der Termintreue in der Produktion ist hoch. Eine Steigerung der Termin-treue ist häufig mit einer Beeinflussung anderer logistischer Zielgrößen verbunden.

Dennoch fehlt bisher ein analytisches Modell, das die Verbindung zwischen der Termin-treue und ihren Einflussgrößen quantitativ erklärt. Ein solches Modell erfüllt zwei Funk-tionen. Zum einen bildet es die Grundlage dafür, die Parameter der Fertigungssteue-rung im Einklang mit der logistischen Zielsetzung einer hohen Termintreue festlegen zu können und zum anderen ist es möglich, aus dem Modell grundsätzliche Erkenntnisse über die Gestaltung von Fertigungssteuerungsverfahren zum Erreichen einer hohen Termintreue zu gewinnen [Lödding-08, S. 39]. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Mo-dellierung der Termintreue. Hierbei ist der Einfluss des Rückstands und der Reihenfol-geabweichung auf die Termintreue systematisch dargestellt.

1.3 Vorgehen und Aufbau der Arbeit

Als Grundlage dieser Arbeit erläutert Kapitel 2 die angewandten Modelle der Produk-tion und zeigt die Lücken im Stand der Technik auf. Das Kapitel stellt heraus, dass die Verteilung der Terminabweichung im Abgang der Fertigung die Termintreue bestimmt.

Kapitel 3 entwickelt ein Verfahren zur Analyse der Terminabweichung. Ein wesentliches Element ist dabei eine Methode zur Messung der Reihenfolgeabweichung. Mit dem

vorgestellten Verfahren ist es möglich, die Termintreue bzw. die Terminabweichung auf ihre Einflussgrößen zurückzuführen.

Kapitel 4 modelliert die Termintreue in vier Schritten. Der erste Schritt leitet aus den bekannten qualitativen Wirkbeziehungen die grundlegenden Modellzusammenhänge her. Der zweite Schritt überführt die Logik dieser Grundannahmen in analytische For-meln zur Berechnung der Termintreue. Der dritte Schritt erzeugt durch systematische Veränderung der Einflussgrößen in der Produktionssimulation verschiedene Termin-treuewerte und stellt diese den Grundannahmen des Modells und den Berechnungser-gebnissen der analytischen Formeln gegenüber. Der letzte Schritt, die Modellsynthese, führt durch Vergleich und Anpassung des zweiten und dritten Schritts die Modellierung der Termintreue zusammen. Dabei ergänzt er die analytischen Formeln um entspre-chende Korrekturparameter und erzeugt auf diese Weise das Modell der Termintreue.

Kapitel 5 fasst die Erkenntnisse aus der Modellierung der Termintreue zusammen und stellt sie grafisch als Termintreuekennlinien dar.

Kapitel 6 untersucht die Reihenfolgeabweichung, die ihrerseits von weiteren Einfluss-größen abhängt. Das Kapitel geht dabei über die Modellierung der Termintreue hinaus und trägt zum Erkenntnisgewinn über die Herkunft von Reihenfolgeabweichungen bei.

Es stellt durch Aufzeigen des Zusammenhangs zwischen Bestand und Termintreue die Verwandtschaft dieser Arbeit zur Kennlinientheorie her.

Kapitel 7 erläutert das Vorgehen zur Analyse und Verbesserung der Termintreue im Be-trieb und veranschaulicht die Anwendung der Modellierung der Termintreue an einem Praxisbeispiel.

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick in Kapitel 8.

Abbildung 2 zeigt eine Übersicht über den Aufbau der Arbeit:

Abbildung 2: Aufbau der Arbeit