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2 Grundlagen und Stand der Technik

4.1 Deduktive Modellbildung

Dieser Abschnitt leitet die Grundstruktur der Abhängigkeit zwischen der Termintreue und ihren Einflussgrößen her. Die deduktive Ableitung der allgemeingültigen Modell-struktur beruht auf dem Modell der Fertigungssteuerung (vgl. Abschnitt 2.2.1). Die Ein-flussgrößen auf die Termintreue sind demnach der Rückstand und die Reihenfolgeab-weichung, wobei der Rückstand sich in den mittleren Rückstand und die Rückstands-streuung aufteilt (vgl. Abschnitt 2.2.1.1). Zunächst geht der Abschnitt auf den mittleren Rückstand und dann auf die Reihenfolgeabweichung ein. Die Annahmen über die Rei-henfolgeabweichungen sind direkt auf die Rückstandsstreuung übertragbar, sie wird daher nicht einzeln dargestellt.

Der Rückstand und die Reihenfolgeabweichung an den Arbeitssystemen verursachen Terminabweichungen der Aufträge. Unter idealen Bedingungen, also ohne

Rück-standsstreuung und ohne Reihenfolgeabweichungen, beschreibt eine ideale Termin-kennlinie die Wirkung des mittleren Rückstands auf die Termintreue. Abbildung 13 a zeigt den Verlauf der Termintreue bei gegebener Termintoleranz über dem mittleren Rückstand. Ohne Rückstandsstreuung und Reihenfolgeabweichungen gibt es ein In-tervall für den mittleren Rückstand, innerhalb dessen das Arbeitssystem eine Termin-treue von 100 Prozent erreicht. Verlässt das System dieses Rückstandsintervall, fällt die Termintreue sprunghaft auf null Prozent. Drei Betriebspunkte auf der Kennlinie sind in Abbildung 13 b, c und d jeweils mit einem Histogramm ihrer Terminabweichung her-vorgehoben. Für einen mittleren Rückstand mit kleinem Betrag ist die resultierende Terminabweichung gering und die Aufträge sind termintreu (Betriebspunkt

). Steigt der Rückstand über ein kritisches Niveau, verzögern sich die Aufträge an dem entspre-chenden Arbeitssystem (Betriebspunkt

). Die Terminabweichung übersteigt in Folge die Termintoleranz und die Termintreue fällt auf null Prozent. Der Sprung in der Termin-treue entsteht ebenfalls bei negativem Rückstand und einer daraus resultierenden ne-gativen Terminabweichung (Betriebspunkt

). In diesem Fall stellt das System die Auf-träge zu früh fertig.

Abbildung 13: Deduktiv abgeleitete Termintreuekennlinie über dem mittleren Rückstand

Unter nicht idealen Bedingungen kann eine Rückstandsstreuung in ausreichender Höhe dazu führen, dass auch an den Betriebspunkten

und

einige Aufträge ter-mintreu sind, während bei Betriebspunkt

einige Aufträge aus dem Termintoleranz-fenster fallen könnten. Die Kurve würde dementsprechend einen runderen Verlauf an-nehmen, ähnlich dem einer Glockenkurve.

Eine ideale Kennlinie lässt sich auch für die Termintreue in Abhängigkeit der Reihenfol-geabweichung ableiten. Jeder vorgezogene Auftrag stellt mindestens einen anderen Auftrag zurück. Reihenfolgeabweichungen lösen daher immer gleichzeitig positive und negative Terminabweichungen aus, sie treten paarweise auf. Abbildung 14 zeigt in Bild-teil a den Verlauf der Termintreue über der Reihenfolgeabweichung als Terminkennlinie an einem idealen Arbeitssystem. In diesem Fall ist ein ideales Arbeitssystem als voll-ständig rückstandsfrei definiert, also ohne mittleren Rückstand und ohne Rückstands-streuung. Entlang der Kennlinie sind vier charakteristische Betriebspunkte mit ihrer Terminabweichungsverteilung in den Bildteilen b, c, d und e hervorgehoben. Ohne Rei-henfolgeabweichungen arbeitet das ideale System zu 100 Prozent termintreu. Auf der idealen Kennlinie entspricht dieser Betriebspunkt dem y-Achsenabschnitt (Betriebs-punkt

). Ausgehend vom ersten Betriebspunkt steigt die Reihenfolgeabweichung. In den Terminabweichungshistogrammen bedeutet dies eine zunehmende Streuung der Verteilung, die im Modellansatz idealsymmetrisch angenommen ist. Sehr wenige und sehr kleine Reihenfolgeabweichungen vermögen nicht die Terminabweichung der Auf-träge aus dem Termintoleranzintervall zu bewegen (Betriebspunkt

). Erst ab einem gewissen Ausmaß beginnt die Termintreue durch Erhöhung der Reihenfolgeabwei-chung zu sinken. Einen Zustand, bei dem das Arbeitssystem auf Grund von Reihenfol-geabweichung nicht mehr 100 Prozent termintreu arbeitet, markiert Betriebspunkt

.

Die Terminkennlinie für die Reihenfolgeabweichung nähert sich einem unteren Wert an, ab dem keine größere Terminabweichung durch Vertauschung von Aufträgen mehr möglich ist. Theoretisch kann die Termintreue auch unter das Niveau von Betriebspunkt

fallen, z. B. wenn keine Aufträge mehr innerhalb des Termintoleranzintervalls liegen.

Hierzu ein Beispiel: An einem Arbeitssystem befinden sich zwei Aufträge im Bestand.

Beide Aufträge füllen mit ihrer Auftragszeit die gesamte Tageskapazität aus. Der erste Auftrag ist zur sofortigen Fertigstellung eingeplant, der zweite für den Folgetag. Ohne Termintoleranz senkt ein Vertauschen beider Aufträge die Termintreue auf null Prozent.

Ein solcher Fall ist ein theoretisch konstruiertes, aber durchaus mögliches Szenario.

Würde die Auftragszeit der Aufträge jeweils nur die halbe Tageskapazität ausfüllen und wären keine anderen Aufträge im Bestand, hätte eine Vertauschung keinerlei Auswir-kung auf ihre Terminabweichung. Die Mindesttermintreue bei auftretender Reihenfol-geabweichung hängt demnach auch von der Auftragszeitstruktur ab. Hinzu kommen die Erkenntnisse von Yu und Nyhuis, die die Höhe der maximalen Reihenfolgeabwei-chung mit dem Bestand verbinden (vgl. Abschnitte 2.2.1.2 und 2.3.3). Kapitel 6 unter-sucht diesen Zusammenhang experimentell.

Abbildung 14: Deduktiv abgeleitete Termintreuekennlinie über der Streuung der Reihenfolgeab-weichung

Der Modellierungsansatz zur Reihenfolgeabweichung ist direkt auf die Rückstands-streuung übertragbar. Auch sie wirkt auf die Streuung der Terminabweichung, ohne den Mittelwert zu beeinflussen. Die ideale Kennlinie für die Rückstandsstreuung folgt daher

dem Verlauf der Kennlinie aus Abbildung 14. Eine gesonderte deduktive Ableitung für den Zusammenhang zwischen Termintreue und Rückstandsstreuung entfällt.

Um gezielte Aussagen über das quantitative Verhalten der Termintreue in Abhängigkeit ihrer Einflussgrößen machen zu können, eignet sich vor allem ein analytisches Modell.

Es soll die Wirkbeziehungen zwischen Rückstand und Terminabweichung sowie zwi-schen Reihenfolgeabweichung und Terminabweichung formal darstellen. Der Vorteil der analytischen Modellierung ist, dass alle Modellzusammenhänge mathematisch zu einem Gesamtmodell der Termintreue zusammengeführt werden können.

Der folgende Abschnitt beschreibt die formalen Zusammenhänge aller Einflussgrößen und gibt einen Ansatz zur Berechnung der Termintreue.