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Einfluss von Massnahmen der ALV auf die Erwerbsintegration von jungen Menschen

9 Rolle und Massnahmen der Arbeitslosenversicherung

9.3 Einfluss von Massnahmen der ALV auf die Erwerbsintegration von jungen Menschen

Die Massnahmen der ALV sind bei Weitem nicht die einzigen Angebote, welche Jugendliche und junge Erwachsene bei den Übergängen an der Nahtstelle I und II unterstützen sollen. Wir fokussieren in dieser Überblicksstudie auf die Massnahmen der ALV, da diese am stärksten in den Zuständigkeitsbereich des Seco fallen.

Welche Erkenntnisse bezüglich der Wirkungen dieser Massnahmen sind aus der Literatur ersichtlich? Die nachfolgende Zusammenfassung der Ergebnisse geht zuerst auf Feststellungen zum «Erfolg» von namen ein und hält danach Erkenntnisse bezüglich einer erfolgsversprechenden Ausgestaltung der Mass-nahmen fest.

9.3.1 Erfolg von Massnahmen der ALV

Die schweizweite Bestandsaufnahme der Zwischenlösungen an der Nahtstelle I aus dem Jahr 2015 (Landert/Eberli 2015) geht auf Verbesserungsmöglichkeiten und Anschlusslösungen nach dem Absolvieren von Zwischenlösungen ein, enthält jedoch keine Wirkungsanalysen im engeren Sinn. Motivationssemester als Massnahme der ALV zur Zwischenlösung an der Nahtstelle I bilden einen wichtigen Untersuchungsge-genstand der Bestandsaufnahme. Diese hält fest, dass Aussagen über den Erfolg einer Zwischenlösung aufgrund der Datenlage oft nur im Rahmen von Selbstevaluationen, Rechenschaftslegungen oder perio-disch durchgeführten externen Evaluation einzelner Institutionen sinnvoll sind (Landert/Eberli 2015, 47).

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2013 2014 2015 2016 2017

mehr als 3 Jahre 1 - 3 Jahre weniger als 1 Jahr keine Erfahrung

Rolle und Massnahmen der Arbeitslosenversicherung

Der «Erfolg» von Massnahmen ist massgeblich von Merkmalen der Teilnehmenden abhängig und die Angebote richten sich an unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen. Zudem ist es nicht einfach festzulegen, wie der Erfolg von Massnahmen zu messen ist, denn wenn lediglich Anschlusslösungen be-trachtet werden, wird man der Thematik nicht ausreichend gerecht. Gemäss der Autoren der Bestands-aufnahme empfiehlt sich bei der Beurteilung von Massnahmen auch zu beachten, inwiefern es bei Brü-ckenangeboten den Teilnehmenden gelingt, die persönliche Entwicklung ebenso engagiert zu verfolgen wie die Suche nach einer Anschlusslösung.

In den jährlichen Befragungen der Anbieter von Motivationssemestern werden die Anschlusslö-sungen der Teilnehmenden an Motivationssemestern erhoben. Im Zeitraum 2016/2017 haben 53 Prozent der Teilnehmenden eine Anschlusslösung im Sinne einer beruflichen Ausbildung (EFZ, EBA, Schulische Ausbildung oder Praktische Ausbildung nach INSOS), weitere 15 Prozent eine andere Lösung (Praktikum, Arbeitsstelle oder weiteres SEMO) und 32 Prozent keine Anschlusslösung gefunden (Mühlebach 2017).

Der Anteil an Personen ohne Anschlusslösung an das SEMO erscheint beim ersten Lesen hoch. Anzumer-ken ist hierzu erstens, dass die Merkmale der Teilnehmenden an Motivationssemestern sich von denen aus Brückenangeboten unterscheiden, da die Aufnahme in ein Motivationssemester im Vergleich zu den Brü-ckenangeboten weniger restriktiv ist. SEMO haben denn auch den Charakter von «Auffangbecken»

(Landert/Eberli 2015). Zweitens ist zu bedenken, dass Anschlusslösungen wie oben aufgeführt nicht als einziger Indikator zur Messung des Erfolgs einer Massnahme betrachtet werden sollten. Auch das Errei-chen von Etappenzielen ist je nach Lebenssituation der Betroffenen als Erfolg zu werten. Drittens zeigen die Befragungen, dass sich der Anteil der SEMO-Absolvent/innen ohne Anschlusslösungen in den letzten Jahren verringert hat. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Angebote optimiert wurden.

Die Evaluation der arbeitsmarktlichen Massnahmen der ALV aus dem Jahr 2014 (Morlok et al.) hat keinen spezifischen Fokus auf junge Stellensuchende, zeigt allerdings, dass fast alle untersuchten Gruppen ihre Bewerbungschancen durch eine AMM-Teilnahme verbessern können. Dieser Befund geht einher mit den Ergebnissen zu den Auswirkungen von Diskontinuitäten an der Nahtstelle I, wonach jede Teilnahme an einer Zwischenlösung im Vergleich zur Variante, gar keine Beschäftigung zu haben, die Chancen auf einen Ausbildungsabschluss stark erhöht (vgl. Abschnitt 7). Ausbildungs- und Berufs-Praktika haben gemäss Morlok et al. (2014) als einzige Massnahmenkategorie einen negativen Effekt auf die An-zahl Bewerbungen, was gemäss der Evaluation damit zusammenhängen dürfte, dass viele Stellensuchen-de ihr Praktikum abschliessen wollen (oStellensuchen-der sich gegenüber ihrem Arbeitgeber verpflichtet fühlen, dies zu tun), und andererseits die (teilweise berechtigte) Hoffnung hegen, dass das Praktikum zu einer Festanstel-lung führen wird (Morlok et al. 2014, 25). Zudem weist die Evaluation darauf hin, dass bei umfassenderen Weiterbildungsprogrammen wie Praktika vor allem langfristig positive Effekte zeigen, während sie

kurzfristig nicht zu einer Verkürzung der Arbeitslosigkeit führen. Die langfristige Wirkung der Praktika konnte in der Evaluation nicht gemessen werden, wird aber positiv vermutet (Morlok et al. 2014, 25).

Evaluationen von einzelnen arbeitsmarktlichen Massnahmen für Jugendliche und junge Erwachsene decken sich mit dem Ergebnis der nationalen Evaluation: Den evaluierten Massnahmen wird eine positive Wirkung attestiert – sei es bezüglich der direkten Verbesserung der Arbeitsmarktchancen der Teilnehmen-den oder dem Erreichen der dahingehenTeilnehmen-den Etappenzielen, auch wenn viele Evaluationen eher Teilnehmen-den Voll-zug und das Optimierungspotenzial im Fokus haben als eine (methodisch oft schwierig umzusetzende) Wirkungsmessung (z.B. Metzger/Stadelmann 2017; Morlok et al. 2015; Stasny Hoffet/Zimmermann 2014;

Rüfenacht/Neuenschwander 2013; Jurt/Daigler 2011). Grundsätzlich geht aus den Evaluationsergebnissen hervor, dass Investitionen in Begleitung, Beratung und Bildung von jungen Personen sich auszahlen, wenn die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dadurch nicht in NEET-Situationen geraten.

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9.3.2 Erfolgsversprechende Merkmale von Massnahmen der ALV

Die Untersuchungen zum Einfluss von arbeitsmarktlichen Massnahmen der ALV enthalten viele Erkennt-nisse bezüglich erfolgsversprechender Ausgestaltungsmerkmale. Einige davon sollen hier festgehalten werden:

Arbeitsmarktnähe und Kombination von Arbeit, Bildung und Coaching: Eine Stärke der Motiva-tionssemester besteht darin, dass sie in Kontakt mit der Wirtschaft sind und die Jugendlichen einer prakti-schen Arbeit nachgehen können. Die Programmstruktur mit den drei Schwerpunkten Arbeit, Bildung und Coaching ist besonders für schulmüde Jugendlichen wichtig (Bachinger et al. 2015) und wird im Allge-meinen geschätzt (Jurt/Daigler 2011). Angeregt wird, dem Gesundheitsaspekt mehr Rechnung zu tragen, da gesundheitliche Schwierigkeiten unter den Zielpersonen verbreitet sind (Jurt/Daigler 2011; Tucci 2009).

Dem Coaching kommt insbesondere für Jugendliche mit vielschichtigen Problemlangen (z.B. gesundheitli-che Instabilität, familiäre Verpflichtungen, knappe finanzielle Mittel) eine elementare Bedeutung zu (vgl.

Schmidlin et al. 2018; Rudin et al. 2016). In diesem Zusammenhang wird das persönliche Engagement der Coaches als grosse Stärke bewertet.

Flexibilität und Vielfältigkeit des Angebots: Die Flexibilität der Motivationssemester werden eben-falls als grosse Stärke bewertet. Die Kantone können die Ausgestaltung der einzelnen Massnahmen flexi-bel an die regionalen Rahmenbedingungen anpassen (Bachinger et al. 2015). Die Entwicklung von spezifi-schen Programmen für Subgruppen wird mehrheitlich positiv beurteilt. So zeigt beispielsweise eine Evalua-tion, dass durch die Abgrenzung zwischen SEMO Standard und SEMO Plus (für Personen mit Mehrfach-problematiken) homogenere Teilnehmergruppen gebildet werden können, was die Vermittlung von be-darfsgerechteren Inhalten erleichtert (Morlok et al. 2015).

Der Interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) kommt gerade bei Massnahmen für Jugendliche und junge Erwachsene eine grosse Bedeutung zu. Insgesamt bewährt sich, wenn die IIZ-Partner sich auf eine interinstitutionell geteilte Gesamtstrategie einigen (Schmidlin et al. 2018). Eine kürzlich durchgeführte schweizweite Bestandsaufnahme zu Zwischenlösungen an der Nahtstelle I (Landert/Eberli 2015) hält fest, dass die SEMO ihr Angebot mit den Brückenangeboten und dem Case Management Berufsbildung (CM BB) koordinieren und im Rahmen der IIZ in ebenso engem Kontakt mit den wichtigsten zuweisenden Stel-len sind (RAV, kommunale Sozialdienste, Lehraufsicht und Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung).

Übertritte sind unter gewissen Bedingungen sowohl vom Brückenangebot in ein SEMO wie auch umge-kehrt möglich. Für die Zwischenlösungen stellen Landert/Eberli (2015) insgesamt fest, dass das System sich als lernfähig erwiesen hat und dass damit zu rechnen ist, dass die Koordination der Akteure in den meis-ten Kantonen funktioniert. Die Evaluation des Case Managements Berufsbildung (Egger, Dreher & Partner 2015) stellt hingegen fest, dass die RAV und CM BB selten starke Partner seien. Wenige Personen, die bei den RAV gemeldet sind, sind auch bei einem CM BB gemeldet.

Angebote für Zielgruppen mit besonderen Herausforderungen: Es gibt klar identifizierbare Sub-gruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die beim Zugang zu nachobligatorischen Ausbildun-gen oder beim Einstieg in den Arbeitsmarkt mit besonderen HerausforderunAusbildun-gen konfrontiert sind. Dies sind a) Schüler/innen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die in der Volksschule integrativ geschult werden, b) spätzugewanderte Jugendliche und junge Erwachsene, welche die obligatorische Schule nicht in der Schweiz besuchen oder kurz vor Abschluss der Schule in die Schweiz ziehen, c) Personen, die eine nachobligatorische Ausbildung abbrechen und d) junge Eltern mit Betreuungs- und Unterhalts-pflichten e) Absolvent/innen von zweijährigen EBA-Ausbildungen. Die Angebote von verschiedenen Institutionen, darunter die ALV, zur Unterstützung bei den Übergängen an den Nahtstellen I und II können gemäss mehrerer Studien noch stärker darauf ausgerichtet werden, diese Gruppen konsequenter zu

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tifizieren und gezielter zu unterstützen (Schmidlin et al. 2018; Schmidlin et al. 2017; Stutz et al. 2016;

Egger, Dreher & Partner 2015; Landert/Eberli 2015; Stalder/Guntern 2015).

Umgang mit Absenzen: Der Umgang mit Absenzen bildet in der Praxis oft eine Herausforderung, sei es bei der Umsetzung von arbeitsmarktlichen Massnahmen oder auch beim Absolvieren einer Ausbildung.

So kann das Ziel der Niederschwelligkeit48 im Widerspruch zur Verbindlichkeit oder Arbeitsmarktnähe von Programmen oder Ausbildungen stehen (Morlok et al. 2015). Absenzen können Ausdruck für unterschied-liche Schwierigkeiten sein und sind mitunter ein Indikator, welcher über das «Klima» in der Schule oder einem Programm Auskunft gibt (vgl. Börsch-Supan et al. 2018). Die Forschung weist darauf hin, dass der Thematik von Absenzen mehr Aufmerksamkeit zukommen sollte (vgl. Börsch-Supan et al. 2018; Stamm 2013). Coachings können dazu beitragen, dass trotz Absenzen ein Programm oder eine Ausbildung nicht abgebrochen werden muss.

Qualifizierende Bildungsangebote: In der Regel führen Kurse der arbeitsmarktlichen Massnahmen in den Bereichen Grundkompetenzen und Fachkompetenzen nicht zu Abschlüssen und Zertifikaten, wel-che im Rahmen einer darauf aufbauenden berufliwel-chen Grundbildung angerechnet werden können. Hier sieht das Autorenteam der Studie zu «Möglichkeiten und Grenzen für die Arbeitslosenversicherung be-züglich Angebote der Nachholbildung» (Stalder/Guntern 2015, 49) ein Potenzial zur Förderung der Nach-qualifikation. Ein modulartiges Absolvieren von Ausbildungen ist insbesondere für die Nachqualifikation von Relevanz – es kann aber auch für jüngere Personen entlastend sein. Wenn gewisse Teile der schuli-schen Anforderungen einer beruflichen Grundbildung bereits im Rahmen von vorgelagerten arbeitsmarkt-lichen Massnahmen erworben werden können, dürfte dies gerade für Personen mit grösseren Schwierig-keiten einer entscheidenden Entlastung während der Ausbildung gleichkommen.

48 Niederschwelligkeit beispielsweise im Sinne, dass Absenzen keine oder nur geringe Folgen/Sanktionen nach sich ziehen.

Gesamtbetrachtung und Fazit