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5.4 Mechanische Eigenschaften

5.4.4 Einfluss des Temperns

Durch ein dem Spritzgießen nachgelagertes Tempern können die thermomechani-schen Eigenschaften optimiert und die Schwindung im Gebrauch vorweggenommen werden [92]. Da duroplastische Bauteile in der Regel spezifischen Kundenanforde-rungen unterliegen, werden häufig für jeden Anwendungsfall angepasste Temperzyk-len angewendet. Um den Einfluss des Temperns auf die thermomechanischen Ei-genschaften darzustellen, wurden ein vergleichsweise kurzer Zyklus mit niedriger Endtemperatur (10 h, 215 °C) und ein vergleichsweise langer Zyklus mit hoher Ma-ximaltemperatur (18 h, 240 °C) gewählt.

Da der Speicher- und Verlustmodul bei der DMA mittels einarmiger Biegung be-stimmt werden, sind die Werte mit den Ergebnissen aus der Zugprüfung nur qualita-tiv vergleichbar. Für die Materialien PF6510 und PF1110 zeigt sich, dass der Spei-chermodul von ungetemperten Proben mit zunehmender Temperatur im Vergleich zu den getemperten Materialien etwas stärker abfällt, Abbildung 5.36. Folglich können keine Rückschlüsse von der Steifigkeit auf den Vernetzungszustand gezogen werden.

Ab einem Temperaturbereich von 160 °C kann eine deutliche Zunahme des Verlust-moduls festgestellt werden, da der Bereich des Glasübergangs erreicht wird. Ab ca.

200 °C fällt der Verlustmodul ab und der Speichermodul steigt, bis ein lokales

Maxi-mum bei ca. 240 °C erreicht wird. Die Zunahme des Speichermoduls resultiert aus einer Nachvernetzung, die oberhalb der Glasübergangstemperatur einsetzt. Dabei werden zusätzliche Molekülverbindungen geknüpft und stickstoffhaltige Brücken un-ter Abspaltung von Ammoniak in Methylenbrücken umgewandelt. Die getemperten Materialien weisen eine deutlich geringere Temperaturabhängigkeit der mechani-schen Kennwerte auf. Der Speichermodul bei Raumtemperatur ist bei dem Material mit höherem Harzanteil (PF6510) geringer, als im ungetemperten Zustand. Mit zu-nehmendem Füllstoffanteil (PF1110) sind die Auswirkungen auf den Speichermodul deutlich geringer ausgeprägt. Der Speichermodul der bis 215 °C getemperten Pro-ben fällt erst bei Temperaturen oberhalb von 230 °C stärker ab. Die Verschiebung des Glasübergangsbereiches durch eine höhere Temperatur beim Tempern kann nachgewiesen werden, da der Speichermodul für die bis 240 °C getemperten Materi-alien bis ca. 260 °C linear abfällt. Der Verlustmodul nimmt im Bereich der Glasüber-gangstemperatur zu, da die Dämpfungseigenschaften in direktem Zusammenhang mit der Erweichung des Materials stehen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Tempera-turabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften für ungetemperte Materialien am stärksten ausgeprägt ist. Weiterführende Untersuchungen haben gezeigt, dass das Werkstoffverhalten auf andere rieselfähige, anorganisch gefüllte Phenolharzform-massen übertragbar ist [101].

Abbildung 5.36: Einfluss des Temperns auf den Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls von Phenolharzformmassen

links: PF6510: PF-(GF35+GB20) rechts: PF1110: PF-(GF35+GB45)

Bei der Ermittlung der dynamisch mechanischen Eigenschaften konnte die Verschie-bung des Glasübergangsbereiches mit zunehmender Tempertemperatur nachgewie-sen werden. Zur Ermittlung der Glasübergangstemperatur (Tg) wird die

Thermome-0,0

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

0,0

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

chanische Analyse (TMA) eingesetzt, da diese für Phenolharze sichere und reprodu-zierbare Ergebnisse liefert [3]. Die Ergebnisse der TMA-Untersuchungen der unge-temperten und geunge-temperten Proben weisen eine konstante Zunahme der Längen-ausdehnung, gemessen in Plattendurchgangsrichtung, auf. Ab einer spezifischen Temperatur, welche je nach Härtungsbedingungen variiert, steigt die Maßänderung signifikant an. Dieser Bereich wird als Glasübergangsbereich definiert. Da oberhalb von Tg die Brown’sche Molekularbewegung des Netzwerkes zunimmt, steigt folglich die thermische Ausdehnung. Aus dem Schnittpunkt der extrapolierten Tangenten vor und nach dem Glasübergang kann die Glasübergangstemperatur bestimmt werden [98].

Die Glasübergangstemperaturen der untersuchten anorganisch gefüllten Phenolharz-formmassen im ungetemperten Zustand erreichen Werte im Bereich zwischen 177 °C und 194 °C, Abbildung 5.37. Erreicht die Glasübergangstemperatur der Formmasse während der Verarbeitung mit zunehmender Aushärtung die Werkzeug-temperatur, nehmen die Molekülbeweglichkeit und dadurch die Reaktivität deutlich ab. Da die Reaktion dennoch geringfügig fortgesetzt wird, stellt sich Tg im Bereich bis ca. 20 K oberhalb der Werkzeugtemperatur ein. Durch das Tempern bis 215 °C wird Tg auf bis zu 250 °C angehoben. Eine weitere Zunahme der Härtungstemperatur be-wirkt eine proportionale Zunahme der Glasübergangstemperaturen auf bis zu 298 °C.

Aufgrund einer unterschiedlichen Zusammensetzung der Formmassen und den da-raus resultierenden unterschiedlichen Reaktionsgeschwindigkeiten, kann der Vernet-zungsgrad bzw. die Vernetzungsdichte unterschiedlich stark ausgeprägt sein, wo-durch wiederum Tg beeinflusst wird.

Abbildung 5.37: Einfluss des Temperns auf die Glasübergangstemperaturen von anorga-nisch gefüllten Phenolharzformmassen

100 150 200 250 300 350

160 180 200 220 240 260 TgC]

Härtungstemperatur [°C]

PF-GF55

PF-(GF+GB+MB)65 PF-GF35+GB45 0

Abbildung 5.38: Einfluss des Temperns auf die Glasübergangstemperatur von PF1110 (PF-GF35+GB45) mit variierendem Feuchtegehalt

Die Untersuchung der dynamischen Eigenschaften von PF6510 und PF1110 bei zu-nehmendem Feuchtegehalt haben gezeigt, dass der Speichermodul bis zum Glas-übergang vergleichbare Kurvenverläufe, unabhängig vom Wassergehalt, aufweist.

Demgegenüber setzt die Nachvernetzung mit zunehmender Feuchte früher ein, so dass davon auszugehen ist, dass die Glasübergangstemperatur hin zu höheren Temperaturen verschoben werden kann. Abbildung 5.38 stellt den Einfluss des Tem-perns auf die Glasübergangstemperatur von PF1110 bei zunehmender Feuchte dar.

Tg der ungetemperten Proben ist auf einem vergleichbaren Niveau von ca. 190 °C.

Durch das Tempern bis 215 °C bzw. 240 °C wird Tg auf ca. 260 °C bzw. ca. 310 °C angehoben. Da das im Granulat gebundene Wasser während der Verarbeitung ver-dampft, kann es weder als Inhibitor oder Katalysator wirken. Daraus resultiert, dass der Feuchtegehalt des unvernetzten Granulats den Vernetzungszustand im vorlie-genden Fall nicht beeinträchtigt.

Da die Abnahme der mechanischen Kennwerte aus Kap. 5.4.3 nicht auf eine unvoll-ständige Vernetzung zurückzuführen sind, stellt sich die Frage, ob Tempern eine Möglichkeit zur Verbesserung der Eigenschaften darstellt. Abbildung 5.39 stellt den Einfluss des Temperns auf die Zugeigenschaften von PF6510 mit zunehmendem Feuchtegehalt dar. Infolge der Nachvernetzung steigt die Netzwerkdichte an und die Beweglichkeit der Moleküle ist stark eingeschränkt. Die Bruchdehnung sinkt, weshalb die Zugfestigkeit durch das Tempern abnimmt. Da eine geminderte Festigkeit auch bei einem sehr geringen Feuchtegehalt feststellbar ist, wird eine hohe Netzwerkdich-te als Grund für die geringe Bruchdehnung angenommen. Mit zunehmendem Feuch-tegehalt nimmt die Zugfestigkeit der bis 215 °C getemperten Proben von 108 N/mm²

100 150 200 250 300 350

1,0 2,0 3,0 4,0

TgC]

rel. Feuchtegehalt [%]

ungetempert

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C PF1110: PF-(GF35+GB45)

0

auf 80 N/mm² (-26 %) ab. Ein analoges Materialverhalten ist bei den bis 240 °C ge-temperten Proben feststellbar, wobei die Zugfestigkeit um 21 % auf 78 N/mm² sinkt.

Der Zugmodul nimmt im getemperten Zustand geringfügig ab, was sich mit den Er-gebnissen der DMA deckt.

Abbildung 5.39: Einfluss des Temperns auf die mechanischen Eigenschaften von PF6510 (PF-GF35+GB20) mit zunehmendem Feuchtegehalt

links: Zugfestigkeit bei RT rechts: Zugmodul bei RT

Bei dem Material PF1110, welches einen deutlich höheren Füllstoffanteil aufweist, ist die Abhängigkeit des Temperns im lagertrockenen Zustand, d.h. bei einem relativen Feuchtegehalt von 1,95 %, weniger stark ausgeprägt, Abbildung 5.40. Demgegen-über nimmt die Zugfestigkeit der bis 215 °C und 240 °C getemperten Materialien mit zunehmendem Feuchtegehalt stärker ab. Bei einer relativen Feuchte von 3,65 % ist die Festigkeit um 20 % geringer, als bei den spritzfrischen Proben. Das deutet eben-falls darauf hin, dass keine wirksame Steigerung der mechanischen Eigenschaften infolge der Nachvernetzung eintritt. Die zunehmende Sprödigkeit bewirkt ein früheres Versagen der Prüfstäbe, so dass die Festigkeitswerte der getemperten Werkstoffe sinken. Der Elastizitätsmodul ungetemperter und getemperter Materialien variiert mit zunehmendem Feuchtegehalt im Bereich der Standardabweichung, so dass keine Abhängigkeiten abgeleitet werden können.

0 40 80 120 160 200

1,0 2,0 3,0 4,0

Zugfestigkeit [N/mm²]

relativer Feuchtegehalt [%]

PF6510: PF-(GF35+GB20)

ungetempert

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

0 5 10 15 20 25

1,0 2,0 3,0 4,0

E-Modul [x10³ N/mm²]

relativer Feuchtegehalt [%]

PF6510: PF-(GF35+GB20)

ungetempert

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

Abbildung 5.40: Einfluss des Temperns auf die mechanischen Eigenschaften von PF1110 (PF-GF35+GB45) in Abhängigkeit vom relativen Feuchtegehalt

links: Zugfestigkeit bei RT rechts: Zugmodul bei RT

Da die Zugfestigkeit von PF6510 und PF1110 im getemperten Zustand bei Raum-temperatur deutlich geringer Werte als die der ungetemperten Materialen erreichen, muss überprüft werden, inwiefern die thermomechanische Beständigkeit durch das Tempern verbessert werden kann. Aufgrund dessen werden die Zugeigenschaften von PF1110 und einem mit dem PF6510 vergleichbaren Werkstoff (Vyncolit X6952, PF-GF55) unter Temperatureinfluss bis 200 °C bestimmt. Die Schulterzugstäbe wur-den hierfür in der temperierten Prüfkammer 30 Minuten vor Prüfbeginn gelagert, um eine gleichmäßige Temperaturverteilung im Werkstück zu gewährleisten.

Die Ergebnisse der Zugprüfung von PF-GF55, dargestellt in Abbildung 5.41, verdeut-lichen, dass die Zugfestigkeit getemperter Proben im Hochtemperaturbereich gegen-über ungetemperten Proben deutlich geringer abfällt. Somit können die thermome-chanischen Eigenschaften durch ein nachgelagertes Tempern optimiert werden. Bei Raumtemperatur weisen sowohl die ungetemperten als auch die bis 215 °C und 240 °C getemperten Proben eine vergleichbare Zugfestigkeit und Steifigkeit auf. Das ist darauf zurückzuführen, dass dem Werkstoff elastomerbasierte Additive zuge-mischt sind, weshalb die Bruchdehnung ein Prozent erreicht. Mit steigender Tempe-ratur fällt die Zugfestigkeit der ungetemperten Proben stärker ab. Bereits bei 140 °C sinkt die Zugfestigkeit um ca. 33 % auf 90 N/mm². Im Gegensatz dazu nimmt die Festigkeit getemperter Materialien um 10 % bis 15 % ab. Bei einer Temperatur von 200 °C fällt die Zugfestigkeit der bis 215 °C getemperten Proben auf ein vergleichba-res Niveau der ungetemperten Materialien. Durch das Tempern bis 240 °C wird eine hohe Warmfestigkeit realisiert, so dass die Zugfestigkeit ca. 80 % des

Ausgangswer-0

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

10

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C 0

tes bei Raumtemperatur erreicht. Die Bruchdehnungen variieren bei den ungetemperten Proben zwischen 1,0 % und 1,1 %, ohne eine zu- oder abnehmende Tendenz in Abhängigkeit der Temperatur aufzuweisen. Die Bruchdehnungen der ge-temperten Proben nehmen mit zunehmender Temperatur von 0,9 % auf 1,0 % zu.

Eine Verbesserung der Steifigkeit getemperter Proben kann unter Berücksichtigung der Annahme, dass durch das Tempern die Vernetzungsdichte ansteigt, nicht festge-stellt werden. Zudem fällt bei sehr hohen Temperaturen (200 °C) die Steifigkeit bei getemperten Proben stärker ab.

Abbildung 5.41: Einfluss des Temperns auf die thermomechanischen Eigenschaften von X6952 (PF-GF55) in Abhängigkeit der Temperatur

links: Zugfestigkeit von -20 °C bis 200 °C rechts: Zugmodul von -20 °C bis 200 °C

Dass die Festigkeit ungetemperter Proben mit zunehmender Prüftemperatur abnimmt, ist bei Phenolharzformmassen mit steigendem Füllstoffgehalt analog feststellbar, wobei die Auswirkungen weniger stark ausgeprägt sind [101]. Die Abnahme der Zugfestigkeit und des Elastizitätsmoduls von PF1110 im getemperten und unge-temperten Zustand ist im Temperaturbereich zwischen -20 °C und 200 °C vergleich-bar, Abbildung 5.42. Das ist darauf zurückzuführen, da das PF1110 mit 80 % anor-ganischen Verstärkungsstoffen den höchsten Füllstoffanteil der untersuchten Werk-stoffe aufweist. Da die VerstärkungsWerk-stoffe kaum temperaturabhängiges Materialver-halten aufweisen, sind die thermomechanischen Eigenschaften von der Matrix ab-hängig. Somit zeigen sich für einen sehr geringen Harzanteil kaum Änderungen in Abhängigkeit des Temperns. Die Zugfestigkeit ungetemperter Proben bei 200 °C nimmt bezogen auf die Werte bei Raumtemperatur um 32 % auf 104 N/mm² ab.

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

0

getempert bis 215 °C getempert bis 240 °C

perten Proben im Vergleich zu den ungetemperten bei Raumtemperatur bereits um 10 % niedriger ist. Dennoch fällt die Reduzierung der Zugfestigkeit getemperter ben bei zunehmenden Einsatztemperaturen gegenüber denen ungetemperter Pro-ben geringer aus. Es muss berücksichtigt werden, dass sich der hohe Füllstoffanteil sowie das Tempern negativ auf die Duktilität auswirken. Die Bruchdehnung verringert sich infolge des Temperns von 0,6 % auf 0,5 % und steigt mit zunehmender Prüf-temperatur nicht an. Die Ergebnisse der Steifigkeit veranschaulichen, dass der Zugmodul mit zunehmender Netzwerkdichte nicht verbessert werden kann.

Abbildung 5.42: Einfluss des Temperns auf die thermomechanischen Eigenschaften von PF1110 (PF-GF35+GB45) in Abhängigkeit der Temperatur

links: Zugfestigkeit von -20 °C bis 200 °C rechts: Zugmodul von -20 °C bis 200 °C