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Die Abwendung vom Schnickschnack?

2. Eine kleine Utopie

Ich meine, daß sich die Volkshochschule der Zukunft darauf konzentrieren wird, Angebote zu machen,

– die ein Mischungsverhältnis realisieren, das insgesamt Sinn macht, so daß es für die „Kunden“ reizvoll bleibt, aus einem vielfältigen Angebot mehrere Angebote gleichzeitig wahrzunehmen;

– die nicht im Lernprozeß durch Medien – wie z. B. Internet etc. – ersetzt werden können, sondern immer „soziale Phasen“ (Kadelbach) enthalten, bei Konzentra-tion auf die „face-to-face-Kontakte“,

– die stoffübergreifend und projekthaft sind,

– die in der Qualität besser sind als Angebote anderer Träger.

Stoffübergreifende Veranstaltungen haben auch in Zeiten finanzieller Restriktionen immer noch quantitativ zugenommen. Ihr Reiz scheint vor allem darin zu liegen, daß in ihnen Lern- und Kooperationsformen (auch Formen selbstorganisierten Lernens) praktiziert werden, die für die TeilnehmerInnen einen hohen Grad an

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Anteil der TN-Gebühren

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ver Befriedigung liefern. Die Möglichkeit der Partizipation, Mitbestimmung und Selbst-organisation ist um so größer, je weniger fachliche Vorgaben existieren. Hieraus kann eine Lernatmosphäre resultieren, die schon für sich – unabhängig von definierba-ren Lernerfolgen – attraktiv ist. Lernatmosphärisch haben die Volkshochschulen – wie von mir durchgeführte Sekundäranalysen des Berichtssystems Weiterbildung zeigen – gegenüber der Konkurrenz oft einen bemerkenswerten Vorsprung.

Solche stoffübergreifenden Veranstaltungen sind aber nur möglich, wenn das Mi-schungsverhältnis im Angebot insgesamt von einem Geist getragen wird, der eben nicht erlaubt, das einzelne kontextfrei und beliebig transportierbar zu sehen. Die ge-meinsame Sinnbestimmung vor dem Hintergrund eines gege-meinsamen Bemühens, die Existenz der Klientel zutreffend zu interpretieren, ist für die Legitimation des Ganzen wesentlich. Dies setzt aber interne Strukturen der Volkshochschule voraus, in denen es möglich wird, KursleiterInnen tatsächlich intensiv untereinander und mit den Fach-bereichsleiterInnen ins Gespräch zu bringen, was heute eher selten sein dürfte.

Die Konzentration auf Veranstaltungen, die den face-to-face-Kontakt zwingend er-forderlich machen, halte ich deshalb für sehr wahrscheinlich, weil Situationen im Berufsleben und in der häuslichen Atmosphäre immer häufiger werden, in denen ausschließlich über Medien kommuniziert wird. Der Gebrauch von Medien wird das Alltägliche sein, die Abwesenheit der Medien die Ausnahme. Wo heute noch Volks-hochschulen große Anstrengungen machen, in den Gebrauch neuer Software einzu-weisen, könnte künftig die Produktion von sich selbst erklärender Software stehen, mit der man sich im selbstorganisierten (einsamen) Lernen vertraut macht. Dann wäre die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten der Volkshochschule rückläu-fig. Solche Angebote lassen sich oft nur mit Hilfe massiver Investitionen aufrechter-halten, bei schnell veralternder Hard- und Software.

Die Volkshochschule wird dort attraktiv bleiben und attraktiver werden, wo sie Mög-lichkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation anbieten kann, die zuhause oder im Beruf nicht mehr existieren. Lernen heißt dann, Lebensmöglichkeiten, die im Beruf oder zu Hause versiegen, anderswo abzuholen. Für solche Angebote könnten die Volkshochschulen Spezialisten werden.

Schon heute gibt es Reichtumsdefinitionen, in denen die Ruhe (Abwesenheit von Lärm), die intensive, verbindliche Kommunikation (statt der oberflächlichen, unver-bindlichen) und die Konzentration auf weniges (statt der ständigen Konfrontation mit der gesamten Öffentlichkeit) als erstrebenswerte Güter gelten.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß es immer mehr Volkshochschulen geben wird, die erkennen werden, daß ihre Zukunft darin liegt, in einer begrenzten Zahl von Veranstaltungen die Möglichkeit zu bieten, an dieser alten und zugleich neu ent-deckten Form von Reichtum zu partizipieren. Dieses wäre vielleicht eine der zahlrei-chen „Wenden“, mit deren Entdeckung sich ErziehungswissenschaftlerInnen gern schmücken. Man könnte sie als die „Ab-Wendung vom Schnickschnack“ bezeich-nen.

Diesen Gedanken möchte ich abschließend auf einem kleinen Ausflug in eine be-scheidene Utopie ausmalen. Utopien beginnen oft mit einer „vernichtenden Kritik“

der Vergangenheit:

Charakteristisch für viele Volkshochschulen der Vergangenheit war, daß ihr Erfolg im Umsatz gesehen wurde. Viele Belegungen, viele Veranstaltungen, viele Unter-richts-Stunden und eine technisch moderne Medienausstattung galten als Beleg für Tüchtigkeit. Dabei gerieten die Volkshochschulen in die Situation, daß die hauptbe-ruflich beschäftigen pädagogischen MitarbeiterInnen kaum noch Möglichkeiten hat-ten, auf die Qualität einzelner Veranstaltungen zu achten. Solange diese Umsatz machten, war „die Welt in Ordnung“. Drittmittel wurden so zahlreich wie möglich eingeworben. Die Kommunikation der pädagogischen MitarbeiterInnen mit Kurslei-terInnen fand oft kaum noch statt. Nur wenn Beschwerden einliefen, gab es Anlässe,

„nachzusehen“. Es spricht viel dafür, daß diese Zeiten nicht nur als rosige in Erinne-rung bleiben, sondern auch als problematische.

Heute werden „neue Medien“ noch auf pädagogischen Kongressen gefeiert. Man erinnere sich aber daran, mit welchen hochtrabenden Sprüchen die Öffentlichkeit versehen wurde, als die zahlreichen Privatfernsehsender zugelassen wurden und die Verkabelung der Nutzer begann. Wo damals noch der mündige Konsument be-müht wurde, dem die Kunst des Auswählens beizubringen sei, herrscht heute verbit-terte Resignation über die Langeweile und die ständige Belästigung durch Werbung auf den zahlreichen Kanälen.

Man hat übersehen, daß technischer und wirtschaftlicher Fortschritt nichts mit inhalt-licher Programmqualität zu tun haben müssen. Wenn die Investitionen von Rund-funk und Fernsehen zu 80% in die Programmqualität und nur zu 20% in die Übertra-gungsqualität gesteckt würden, hätten wir heute eine wesentlich interessantere Me-dienlandschaft. Ähnliches kann über das Internet gesagt werden. Der Besuch in einer guten Bibliothek ist heute noch wesentlich effizienter als stundenlange Suchpro-zesse im Internet. Nur: Leider gibt es zu wenig gute Bibliotheken, während das Internet überall zugänglich wird.

Die Volkshochschulen können – wenn man die Erfahrungen aus dem Fernsehbereich auf die neuen Medien in dem Sinne übertragen darf – dadurch attraktiv werden, daß sie werbefreie, direkte Kommunikationsmöglichkeiten anbieten, die zudem noch nicht einmal in therapeutischer Absicht gestaltet werden, mit einem Medieneinsatz, der weise dosiert ist.

Träger therapeutischer Angebote haben auch heute schon entdeckt, daß unmittel-bare Kommunikation, Ruhe und Konzentration Güter sind, die ihren Markt haben.

Teilweise sind Volkshochschulen – besonders im Bereich der Gesundheitsbildung – auch in diesen Markt eingedrungen. Das rasche – inzwischen verlangsamte – Wachs-tum des Sektors Gesundheitsbildung zeigt, daß hier starke Bedürfnisse vorhanden waren und sind, die aber nicht nur von Volkshochschulen befriedigt werden, sondern von sehr zahlreichen Institutionen, die leider teilweise offensichtliche Bindungen zu esoterischen Zirkeln pflegen oder pflegten. Auch der Bereich der Psychokurse mit unklaren Verbindungen zu religiös extremen Gruppen ist hier zu nennen. Die Volks-hochschulen haben – wie es scheint – die hier vorhandenen Probleme erkannt und mit Abgrenzung vom unseriösen therapeutischen Markt reagiert.

Die Abwendung vom „Schnickschnack“ wird sicherlich nicht nur von den Volkshoch-schulen selber gewollt, sondern teilweise auch dadurch „erzwungen“ werden, daß

es immer bessere Möglichkeiten geben wird, den Weiterbildungsmarkt transparent zu machen. So dürfte es nicht mehr lange dauern, bis die Weiterbildungsberatungs-stellen in den Ballungszentren nicht nur trägerspezifische, sondern trägerübergrei-fende Informationen geben. Dies könnte mehrere Effekte haben: daß ein wesentlich stärkerer Preis-Wettbewerb einsetzt, daß die Erfahrung und das Qualitäts-Bewußt-sein von Verbrauchern schnell ansteigen und daß auch die Qualitätskriterien der Förderinstitutionen „differenzierter“ werden: Ein Qualitätsbewußtsein wird kommen, das von profunder Urteilskraft getragen ist und sich nicht mehr an Äußerlichkeiten des Verwaltungs- und Finanzierungshandelns orientiert. Man wird über die Produkt-kataloge lachen, die heute im Zuge der Verwaltungsreform mühsam definiert wer-den.

In der Essenz werden die Qualitätskriterien der Förderinstitutionen – seien es staat-liche, seien es verbandliche – bildungspolitische bleiben. Kern der Frage nach Qua-lität wird werden, was Volkshochschulen denn sein können, nicht was sie haben.

Wie können sie gesehen werden – oder sich selbst sehen?

Denkbare – miteinander eng verflochtene – Dimensionen einer solchen Identität sind:

– Volkshochschulen sind durch Unabhängigkeit von Parteien, Kirchen, Wirtschafts-verbänden und Betrieben im öffentlichen Interesse arbeitende Träger, die zu-gleich politisch neutral wie politisch sensibel sind („kritische Neutralität“) und zu- gleich-zeitig Kommunikationsmöglichkeiten für die lokale politische Willensbildung orga-nisieren, mit deren Hilfe Politik wieder sichtbar gemacht wird.

– Volkshochschulen sind die wichtigsten Träger von Bildungsangeboten, die zum Nachholen von Qualifikationen von Schule und Berufsausbildung gebraucht wer-den, mit der Hauptaufgabe, Zielgruppen zu bedienen, deren soziale Integration gefährdet ist.

– Volkshochschulen sind Träger kultureller und interkultureller Angebote, die es Erwachsenen erlauben, sich intensiv in die eigene Produktion von Kultur einzuar-beiten, statt nur Publikum von Massenkultur zu sein; und die es Erwachsenen ermöglichen, fremde Kulturen – auch durch Sprachenlernen – zu verstehen und mit ihnen in Kommunikation zu treten.

– Volkshochschulen sind ebenfalls Träger von Bildungsangeboten, die besonders älteren Erwachsenen im Rahmen von Gesundheitsbildung Gelegenheiten geben, sich aktiv für die Pflege und Wiederherstellung der eigenen Gesundheit einzuset-zen.

Käme man zu diesem Ergebnis, dann ließe es sich verantworten zu sagen, daß Volkshochschulen als öffentliche Weiterbildungsträger bevorzugt zu fördern sind, damit sie überleben.

Volkshochschulen der Vergangenheit haben diesen verschiedenen Definitionen in wechselnder Intensität und in wechselnden Mischungsverhältnissen entsprochen, abhängig von der Förderungslandschaft, von der Persönlichkeit der leitenden Per-sonen, von den Präferenzen der verantwortlichen Politiker. Um zu erkennen, wie schwer es sein wird, Qualität in Volkshochschulen zu erhalten, braucht man sich nur zu den oben skizzierten Dimensionen das jeweilige Gegenteil auszumalen:

– Volkshochschulen können durchaus in (lokal-)politischer Abhängigkeit stehen und in dieser Abhängigkeit zu politischer Einseitigkeit oder Abstinenz gezwungen sein;

– sie können durchaus als Orte des Outsourcing von (beruflich) bildenden Angebo-ten größerer Industrieunternehmen oder Behörden mißbraucht werden, um de-ren Kosten zu senken, ohne hierbei die Freiheit zu haben, selbst definierte Problem-gruppen in die Lernprozesse einzubeziehen;

– sie können durchaus als Träger von Sprachkursen fungieren, die als sozialer Puffer von Verbänden finanziert werden, die billige Arbeitskräfte benötigen und denen nicht an internationaler/interkultureller Verständigung, sondern an der Be-friedung sozialer Konflikte liegt;

– sie können durchaus als Spielwiese für Angebote gebraucht werden, bei denen – u.a. in den Bereichen Philosophie und Gesundheit – Inhalte verbreitet werden, die – wie bestimmte Medikamente – wirkungslos bis gefährlich sind, aber eine große Schar gläubiger „Fans“ anziehen.

Die Beispiele zeigen, was hier mit Schnickschnack gemeint ist.

Vor diese Alternative gestellt, müssen die Volkshochschulen das alte Problem im-mer wieder neu lösen: Ob sie sich an den Entwicklungen in Wissenschaft, Ethik und Kunst orientieren oder an dem Alltag des Journalismus, des Mainstream und des Kitsches. Meine Utopie ist, daß sie besser werden, wenn sie das letztere vermeiden.

Literatur

Faulstich, Peter/Teichler, Ulrich/Döring, Ottmar: Bestand und Entwicklungsrichtungen der Weiterbildung in Schleswig-Holstein. Kiel: Ministerium für Frauen, Bildung, Weiterbildung und Sport 1995

Strukturkommission Weiterbildung (Hrsg.): Bremer Bericht zur Weiterbildung. Analysen und Empfehlungen zur den Perspektiven der Weiterbildung im Lande Bremen. Ergebnisse der Kommissionsarbeit 1. Bremen 1995

Strukturkommission Weiterbildung (Hrsg.): Untersuchungen zur Bremischen Weiterbildung – Expertisen. Ergebnisse der Kommissionsarbeit 2. Bremen 1995

Hannelore Faulstich-Wieland

Was folgt aus den Jugendstudien für die