• Keine Ergebnisse gefunden

Bildungsbegriff – verändertes Selbstverständnis gegenüber der Wissens- Wissens-aneignung

4. Bildungsfunktion von Medien

4.3 Bildungsbegriff – verändertes Selbstverständnis gegenüber der Wissens- Wissens-aneignung

Medien verweisen also zunächst einmal auf den Bedarf an Medienkompetenz als Lernziel der Zukunft. Sie zeigen aber auch, daß das eingeschränkte Verständnis von Bildung als Wissensvermittlung obsolet ist: Warum Wissensvermittlung in päd-agogischen Veranstaltungen, wenn das erforderliche Wissen viel schneller, direkter, umfassender und unmittelbarer auf die individuellen Interessen bezogen über me-diale Systeme abrufbar ist?

Dies bedeutet eine große, zukünftig noch bedeutsamer werdende Entwicklung für die Erziehungswissenschaft und die Profession der Erwachsenenbildung. Wenn es zunehmend leichter wird, Wissen zu akkumulieren und weltweit an Wissen heranzu-kommen, und wenn der Umfang des wissenschaftlichen Wissens geradezu explo-diert, dann wandeln sich auch die Aufgaben von Bildung. Gegenüber einer immer größer werdenden Flut von Informationen muß sie die über die technischen Reali-sierungsmöglichkeiten hinausgehende Bearbeitung von Wissen ermöglichen – und dies geht nur über die Betonung der Entwicklung von Selektionskompetenzen. Me-dien haben zwar eine Bildungsfunktion an sich (z.B. das Aufzeigen eigenständiger Zugangsmöglichkeiten zu Wissensressourcen), die Bildungsfunktion für den profes-sionellen Umgang mit Wissen verschiebt sich jedoch von den Bereichen Aufnahme und Wiedergabe von Informationen auf die Bereiche von Auswahl, Gewichten und Beurteilen der Information.

a) Bildungsbereich

Parallel zur notwendiger werdenden Selektionskompetenz wird der Bedarf an Bera-tung im Bereich der Weiterbildung steigen angesichts der Notwendigkeit, den Men-schen zu helfen, ihre Interessen zielgenau und ohne große Umwege durch Informa-tionswüsten zu verfolgen.

Darüber hinaus benötigen die neuen Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Gestaltungs-möglichkeiten einen Raum des angstfreien Zugangs unter dem Aspekt individueller Erfahrung und diskursiver Stellungnahme. Eine Möglichkeit der Bildung wird von daher in der traditionellen Verlängerung der Zuständigkeit bestehen, insbesondere den bildungsfernen Schichten, den technischen „Have-nots“, den medialen Analpha-beten (den von Negroponte als außerhalb des Internet und von daher als „Homeless“

Bezeichneten) individuelle Zugangsmöglichkeiten zu bieten. Aber auch der Austausch über neue Wahrnehmungsformen (via Internet u.a.) und neue Bedingungen der Ar-beitswelt wird neben der Vermittlung neuer beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten eine Aufgabe der Bildung bleiben, auch als Möglichkeit der Meinungsbildung und Einflußnahme auf einen gesellschaftlich notwendigen Diskurs, der über eine kogni-tive Anpassung an die schnelle technologische Entwicklung im Informations- und Kommunikationstechnologie-Bereich hinausgeht. (Gerade die Tatsache, daß päd-agogische Überlegungen der technischen Entwicklung häufig verspätet hinterher-laufen und nur wenige Menschen von sich aus den Antrieb haben, die enormen Veränderungen des medialen Alltags zu diskutieren, sollte – bildungspolitisch

betrach-tet – nicht davon abhalten, aktiv Bildungsprozesse in diesen Bereichen in Gang zu setzen.)

Für den Bildungsbereich bedeutet das, daß das eigentlich Pädagogische in den Vordergrund tritt: nicht die Wissensvermittlung, sondern die Beschäftigung mit dem Menschen mit dem Ziel, ihn zum Umgang mit und zur Realisierung seiner eigenen Existenz in der Medienwelt zu befähigen.

Selbstverständlich werden sich die herkömmlichen Angebotsformen von Weiterbil-dung ändern müssen. Für eine Just-in-time-Qualifizierung, für eine individuelle Selbst-lernhilfe, für eine Fortbildung bezogen auf und über Medien werden keine Seminar-formen halbjährlich mit zwei Wochenstunden gebraucht, sondern flexible Konzepte an unterschiedlichsten Lernorten in kurzfristigen und medialen Formen. Daß diese Anforderungen die heutigen Pädagogen und Träger der Weiterbildung vor große und vor allem eigene Weiterbildungsanstrengungen stellen, darf dabei nicht zu Re-signation führen.

b) Profession

Für Weiterbildende bedeutet dies zunächst einmal, sich in einem Bereich, der noch keine langfristig gesicherten Erkenntnisse aufzuweisen hat und in dem der Wissens-vorsprung des Lehrenden nicht automatisch oder generationsgemäß die Lehr-/Lern-situation definiert, selber Erfahrungen zu machen und sich auf einen eher spiralför-mig angelegten Lehr-/Lernprozeß angstfrei einzulassen. Die Hauptaufgabe besteht in der Vermittlung und Didaktisierung der Erfahrungen hin auf die Interessen der Lernenden, aber auch bezogen auf Fachproblemkreise, Lernumfeld und ggf. Grup-peninteressen. Wichtiger Rückbezugspunkt dabei ist der bewußte Umgang mit der eigenen Lernbiographie, die zu großen Teilen bereits heute eine Medienbiographie ist, jedoch gerade nicht mit dieser verwechselt werden sollte.

Analog zur Vernetzung durch Medien werden auch Inhalte der Weiterbildung kom-plexer, multiaspekthafter und interdisziplinärer. Da die real vorhandene Komplexität in der pädagogischen Bearbeitung nicht zu reduzieren, sondern zu qualifizieren ist, werden projektorientierte Ansätze zu interessegeleiteten Themen in Zukunft einen verstärkten Ansatzpunkt pädagogischer Vermittlungsarbeit darstellen. Zusammen mit der bereits angesprochenen Selektions-, Beratungs-, Wahrnehmungs- und Vermittlungskompetenz steht auch Medienvielfalt im Methodischen für die Ausbil-dung von Professionalität als Kompetenzmerkmal zukünftig im Vordergrund. Die traditionellen Bereiche, wie z.B. Fach-, Personal- und Sozialkompetenz, werden da-durch zwar nicht ersetzt, jedoch um Ausprägungen einer Lehrkompetenz, bezogen auf eine mediale Gesellschaft, noch um einiges überschritten.

Die Rolle der Lehrenden im Rahmen der Angebotsplanung ändert sich. Verstärkt müssen Kombinationen aus personalen und multi-medialen Lernangeboten integriert, multi-mediale Selbstlernangebote individuell abgestimmt offeriert werden – mit dem Ziel der Förderung von Lernkompetenzen. Das setzt den Überblick über vorhandene Lernsoftware, eigene Lernerfahrungen in den Kombinationen und neuen Lern-arrangements, Lernberatung und vieles mehr voraus.

c) Bildungsorganisation

Ebenso gravierende Veränderungen stehen in dem Bereich der Organisation von Lernprozessen an. Wenn Lernen zum großen Teil Selbstlernen zu Hause oder am Arbeitsplatz bedeutet, und dies wiederum mit und durch Medien, dann müssen nicht nur die bisher bekannten Angebotsformen überdacht, sondern auch die institutiona-lisierte Weiterbildung neu definiert werden. Weiterbildungsberatung, individuelle Lernarrangements, Medienvielfalt, Überblickswissen und Fachkompetenz, z.B. bei der Bewertung und Auswahl von Lernsoftware, werden erwartbare Dienstleistungen von Bildungsagenturen sein. Dies bedeutet, daß handlungsorientierende und vor allem auch verstärkt mediale Angebotsformen existieren müssen. Dabei gilt es, den Stellenwert von Wissensvermittlung und Informationsweitergabe zeitgemäß einzu-schätzen und in Bildungsprozessen auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt zum Navigator und Organisator der Informationsflut zu werden. Über diese Consulting-Funktion hinaus ist zu erwarten, daß der Forumscharakter öffentlicher Weiterbildungs-organisationen dazu führt, daß sie als Resonanzkörper für gesellschaftliche Ent-wicklungen und damit auch für die Medienentwicklung fungieren und Möglichkeiten zur Verfügung stellen, einen gesellschaftlichen Diskurs darüber zu führen. Dies be-deutet, den Betroffenen Raum zur Selbstvergewisserung und zum Austausch von Erfahrungen, Einschätzungen und Experimenten zur Verfügung zu stellen. Unter Organisationsgesichtspunkten wird es für Weiterbildungseinrichtungen selber wich-tig, die eigene Lernfähigkeit bezogen auf neue mediale Möglichkeiten unter Beweis zu stellen und beispielhaft bzw. glaubwürdig zu begründen. Dazu gehört die Nut-zung modernen Technologie für die eigenen Zwecke, z.B. computergestützte Ver-waltung, Anmeldung und Programmerstellung (unter Bezug auf aktuelle ästhetische Standards), ebenso wie die Präsenz in den Medien selber (Homepage, Internetdar-stellung in Wissensnetzwerken, im städtischen Serviceverbund oder in der regiona-len Weiterbildungslandschaft) und die Ausstattung mit mediaregiona-len Möglichkeiten zum Lernen, zur Orientierung (Suchmaschine für alle weiterbildungsrelevanten Angebo-te), zum Recherchieren, aber auch zum Kennenlernen (z.B. im Internet-Café). Das Prinzip der Teilnehmerorientierung muß in diesem Zusammenhang dazu führen, sowohl benutzerfreundlich zu agieren als auch gleichermaßen für eine mediale Ori-entierung zu sorgen.

d) Das Lernen

Nicht zuletzt für die Lernenden selber verändert sich die Erfahrung des Lernens.

Nicht nur, weil die unterschiedlichen Medien unterschiedliche Anpassungen an ihre Lernfunktionen verlangen, bevor sie individuell nutzbar werden, sondern auch, weil die mit dem Mediengebrauch einhergehende Individualisierung andere Strukturen für Lernprozesse schafft. Die Möglichkeit der eigenen Entscheidung über Lerntempo (Wiederholungen, Pausen), Lerninhalte (Lernsoftware, Kombinationen zwischen medialen und persönlich vermittelten Formen der Präsentation von Lerninhalten) und Lernorte (Feststation zu Hause, Laptop am Strand) läßt selbstbestimmtes orts-und zeitunabhängiges Lernen zu; es steht damit in Sinn- orts-und Zeitkonkurrenz zu sozial zentrierten, organisierten Lehrveranstaltungen. Selbstbestimmtes Lernen

be-zieht sich dabei nicht nur auf die Lernorganisation, sondern auch auf Fragen der Lernzielbestimmung und Erfolgskontrolle. Das bedeutet eine Ausweitung subjekti-ver Interpretationen und Kriterien für Lernsituationen und Lernzufriedenheit. Diese Bereiche müssen erforscht und als Lernmotivation und -voraussetzung berücksich-tigt werden, wenn Weiterbildungsanbieter auch weiterhin als Partner in Lehr-/Lern-prozessen ernst genommen werden wollen.

Die zukünftige Bildungsfunktion der Medien hängt also sicherlich davon ab, welche Funktion ihnen die Menschen in Lehr- und Lernprozessen bereits heute zuweisen.

Der Weg dazu fängt bei den professionellen Weiterbildenden selber an. Wird er mit der oben skizzierten Zielrichtung beschritten, dann werden auch Utopia Legrand und Chris Reuter im Jahre 2016 ihr „lll-center“ als kompetenten Weiterbildungspart-ner für die Zukunft zu schätzen wissen.

Literatur

Baacke, Dieter: Medienkompetenz – Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In: von Rein, Antje (Hrsg.): Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn 1996

Bell, Art: The quickening. Today‘s trends,tomorrow‘s world. New Orleans, Lousiana 1997 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Hrsg.):

Informati-onsgesellschaft. Chancen, Innovationen und Herausforderungen. Feststellungen und Emp-fehlungen. Bonn 1995

Höhn, Hilmar; Firmen ohne Heimat. In: Die Woche v. 14.11.1997

von Rein, Antje: Volkshochschule als Kulturinstitution zwischen Medien und Markt. In: Hessi-sche Blätter für Volksbildung 3/1994

von Rein, Antje (Hrsg.): Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn 1996 Wolsing, Theo: Medienkompetenz in einer konsumorientierten Medienwelt. In: von Rein, Antje

(Hrsg.): Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn 1996

Marianne Friese

„Zentrum für feministische Studien“ als Zukunftsmodell