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Ein Menschenrecht auf assistierten Suizid?

Prof. Johannes Fischer,

Professor für theologische Ethik, Universität Zürich, Zürich

Wenn Menschen an Suizid denken, dann hat dies Gründe, die in tiefe exi-stentielle Dimensionen reichen. Das können akute Leiderfahrungen sein, wie sie mit einer schweren Krankheit verbunden sind. Es kann die Erschüt-terung durch eine persönliche Krise sein, aus der jemand keinen Ausweg sieht. Oder es kann die Angst sein, einmal in eine Situation schweren Lei-dens zu geraten, für die ein Suizid als ein möglicher Ausweg erscheint. Für viele Menschen, die ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben führen, ist die Vorstellung schwer erträglich, einmal in einen Zustand zu geraten, der mit dem Verlust jeglicher Selbstkontrolle verbunden ist und sie vollkommen von anderen abhängig macht.

Solche existentiellen Erschütterungen und Ängste entziehen sich mora-lischen Kategorien. Sie führen in Fragen, bei denen es darum geht, wie ein Mensch sein Leben verstehen kann und will. Daher ist es bedauerlich, dass dieses sensible Thema derzeit vor allem für moralische Aufregung und Entrü-stung sorgt. So machte eine Freitodbegleitung auf einem Parkplatz bei Zürich Schlagzeilen, die durch Dignitas durchgeführt wurde. Nun hat Dignitas an-gekündigt, dass es die Anerkennung eines «Menschenrechts» auf assistierten Suizid juristisch durchfechten will. Dazu soll in Deutschland eine Freitodbe-gleitung zu dem Zweck durchgeführt werden, einen Präzedenzfall zu schaf-fen, der gegebenenfalls bis nach Strassburg durchgezogen werden soll.

Gibt es ein Menschenrecht auf assistierten Suizid? Unklar ist hier zunächst, ob es sich dabei um ein Anspruchsrecht oder um ein Abwehrrecht handeln soll. Die Adressaten von Menschenrechten sind in erster Linie Staaten, die auf ihrem Territorium die Gewährleistung der Menschenrechte zu garantie-ren haben. Wenn es sich um ein Anspruchsrecht handeln soll, dann ist der Staat dazu verpflichtet, auf seinem Territorium die Möglichkeit der Suizid-beihilfe sicherzustellen, damit jeder sie in Anspruch nehmen kann, der dies möchte. Die Aufgabe, die heute private Suizidbeihilfeorganisationen bean-spruchen, würde solchermassen zu einer staatlichen Aufgabe. Das geht weit über die Rechtslage hinaus, wie sie heute in der Schweiz besteht.

Wird das postulierte Menschenrecht auf assistierten Suizid im Sinne eines Abwehrrechts verstanden, dann beschränkt sich die Aufgabe des Staates da-rauf sicherzustellen, dass niemand daran gehindert wird, Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen oder zu leisten. Freilich hat auch in diesem Fall die Rede von einem «Menschenrecht» einen unguten Beigeschmack. Was ist

Vielleicht wird man hier argumentieren, dass es ein Menschenrecht darauf gibt, selbst zu bestimmen, wie man leben und sterben möchte. Aber folgt aus einem Recht auf Selbstbestimmung ein Recht auf all das, wozu Men-schen sich selbst bestimmen können, also zum Beispiel darauf, die Bildung zu verweigern, sich zu Tode zu hungern usw.?

Einem Recht, das ein anderer hat, korrespondiert eine Pflicht, dieses Recht zu respektieren. Es zu respektieren heisst: nicht zu versuchen, ihn an dem zu hindern, worauf er ein Recht hat. In diesem Sinne ist das Recht auf Selbst-bestimmung zu respektieren. Aber ist es in diesem Sinne auch zu respektie-ren, wenn jemand, der urteilsfähig und bei bester Gesundheit ist, sich zu Tode hungern will? Erachten wir es nicht als eine moralische Pflicht, seinen Hungertod nach Möglichkeit zu verhindern, indem wir ihn dahingehend umzustimmen suchen, dass er von seiner Selbstbestimmung einen anderen Gebrauch macht? Gäbe es ein Menschenrecht auf Verhungern, dann hätten wir seinen Hungertod achselzuckend hinzunehmen. Dasselbe müsste für die Verweigerung von Bildung und für Vieles andere gelten. Vielleicht gelingt es uns nicht, den zum Verhungern Entschlossenen umzustimmen. Dann ha-ben wir, betroffen, seine Selbstbestimmung zu respektieren.

Es gibt kein Menschenrecht auf assistierten Suizid, nicht einmal als ein Abwehrrecht. Ein solches Recht würde bedeuten, dass wir die Entscheidung eines Menschen zum Suizid als solche zu respektieren hätten und nichts un-ternehmen dürften, um seine Selbsttötung zu verhindern. Denn dies käme einem Eingriff in seine Rechte gleich. Dagegen steht ein breiter gesellschaft-licher Konsens. Wir betrachten es als eine gesellschaftliche Aufgabe, Suizide nach Möglichkeit zu verhindern und Menschen zum Leben zu helfen. Es werden erhebliche Anstrengungen zur Suizidprävention und auf dem Ge-biet der Palliativbetreuung unternommen. Und wir betrachten es im Blick auf Menschen, die zu einem assistierten Suizid entschlossen sind, als eine Pflicht, dass die Konstanz ihres Suizidwunsches abgeklärt wird und alterna-tive Möglichkeiten mit ihnen besprochen werden. Wie man aus der Suizid-forschung weiss, sind viele Suizidversuche einmalige Ereignisse im Leben der Betroffenen geblieben, denen keine weiteren Versuche gefolgt sind. Diese haben danach ein Leben geführt, das sie offenbar selbst als wertvoll erach-tet haben. Wie gemeldet wurde, sperrt sich Dignitas gegen einen Entwurf von Standesregeln seitens des Zürcher Oberstaatsanwalts, der vorsieht, dass vor einer Suizidbegleitung mehrmalige persönliche Gespräche geführt wden müssen. Das würde die Freitodbegleitung von Ausländern erheblich er-schweren, auf die sich Dignitas spezialisiert hat.

Die ethische Problematik, die der assistierte Suizid aufwirft, resultiert aus diesem Spannungsverhältnis zwischen gebotener Fürsorge und dem Re-spekt vor der Selbstbestimmung eines Suizidwilligen. Alles kommt darauf an, dass dieses Spannungsverhältnis nicht einseitig nach dem zweiten Pol hin aufgelöst wird, so als ginge ein Suizid gewissermassen «in Ordnung», wenn er selbstbestimmt ist. Dies würde eine erhebliche Verschiebung in den gesellschaftlichen Wertvorstellungen bedeuten. Mit der Rede von einem

aufgelöst. Dazu passt, dass Dignitas die Freitodbegleitung als eine «Dienstlei-stung» versteht. Dienstleistungen werden auf dem Markt erbracht, und dazu genügt, dass sie nachgefragt werden. Es widerspricht dem Dienstleistungs-denken, alles zu unternehmen, um den Nachfrager von seiner Nachfrage abzubringen. Wie sich abzeichnet, wird Dignitas seine «Dienstleistungen»

künftig in einem Gewerbegebiet erbringen.