• Keine Ergebnisse gefunden

Neue Bilder eines alten Berufes

Dr. med. Hermann Amstad, Generalsekretär der SAMW, Basel

Bilder im Kopf

Mein Vater war ein Hausarzt alter Schule. Am Vormittag war das Wartzim-mer voll mit Patienten; Notfälle, die es regelmässig gab, brachten die Praxis-planung nicht weiter durcheinander. Am Nachmittag machte mein Vater Hausbesuche. Selbstverständlich war er auch nachts und am Wochenende für seine Patienten erreichbar. Was hat mich damals an diesem Beruf faszi-niert? Ich war beeindruckt vom Ernst und der Hingabe, mit der mein Vater arbeitete (für ihn war Arztsein eine Berufung, kein Beruf). Die Aussicht, mein eigener Chef zu sein, faszinierte mich. Ich war auch beeindruckt vom Ver-trauen, das die PatientInnen meinem Vater entgegen brachten, und vom hohen Ansehen, das er genoss.

Dass ich einmal Arzt werden wollte, wusste ich schon mit acht Jahren.

Mit elf Jahren stellte ich mir vor, wie ich die Praxis meines Vaters – eines Landarztes im Aargau – später einmal umgestalten würde. Nach der Matura begann ich in Basel Medizin zu studieren, und ohne eine Ehrenrunde einge-legt zu haben, schloss ich das Studium 1985 mit dem Staatsexamen ab. Da-nach trat ich als Lektor in einen medizinischen Verlag ein – die Erfahrungen des Wahlstudienjahres hatten mein Arztbild gründlich verändert.

Damit war meine Arztkarriere bereits beendet, und ich reihte mich ein in eine wachsende Zahl von ÄrztInnen, welche gleich nach dem Studium oder im Laufe ihrer Weiterbildung «aussteigen» und in die Verwaltung, die Indus-trie oder andere Institutionen (wie die SAMW) wechseln. Ich bin, wie viele andere, die diesen Weg gewählt haben, glücklich in meinem jetzigen Beruf.

Gleichzeitig beobachte ich, dass viele praktisch tätige Ärzte unzufrieden sind mit ihrer Situation und ihrer Enttäuschung, ihrem Ärger und ihrer Wut in aggressiven Leserbriefen in der Schweizerischen Ärztezeitung oder Primary Care Luft machen. Es ist offensichtlich, dass das Bild, das sie sich bei ihrer Berufswahl vom Arztberuf gemacht haben, mit ihren jetzigen Erfahrungen nicht mehr übereinstimmt.

Die Zeiten ändern sich

ÄrztInnen in der Praxis sind heute mehr als früher (Klein-)Unternehmer.

Dies bedeutet, dass sie Monat für Monat dafür sorgen müssen, dass genü-gend Geld in die Praxis kommt, um die Angestellten, die Miete, die Mate-rialkosten, die Sozialversicherungen und die Steuern zu bezahlen. Wie

be-ern abziehen zu können. Auch die Verpflichtung zur Fortbildung, die Quali-tätskontrollen und zahlreiche weitere Vorschriften sind Kostenfaktoren und werden als belastend erlebt.

In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als mein Vater praktizierte, waren einerseits die Ansprüche der Patienten noch nicht so hoch wie heute und gab es andererseits viel weniger (kostenintensive) diagnostische und therapeutische Möglichkeiten. Der staatliche Regelungs-bedarf hielt sich denn auch damals ziemlich in Grenzen. Dass diejenigen, die den seither zu beobachtenden massiven Kostenanstieg finanzieren müs-sen, ein Interesse daran haben, wofür und in welcher Qualität Leistungen er-bracht werden, ist – zumindest für den Aussenstehenden – nachvollziehbar.

Heutzutage spricht niemand mehr von Berufung, wenn er oder sie den Arztberuf ergreift. Die heutigen ÄrztInnen sind – zu Recht! – nicht mehr bereit, Tag und Nacht und auch am Wochenende zu arbeiten. Damit unter-scheiden sie sich allerdings auch nicht mehr von allen anderen Berufstäti-gen, und entsprechend ist auch das Ansehen des Berufes nicht mehr so hoch wie früher.

«Nur wer sich ändert, bleibt sich treu»

Der Bericht «Ziele und Aufgaben der Medizin zu Beginn des 21. Jahrhun-derts», den die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften 2004 veröffentlicht hat, weist darauf hin, dass das gesellschaftliche Umfeld im Wandel begriffen ist und dass sich das Berufsbild des Arztes und der Pfle-gefachpersonen in den vergangenen Jahrzehnten radikal gewandelt hat; dies habe gleichzeitig auch dazu geführt, dass sich Ärzte und Pflegende in ihrer Berufsidentität verunsichert fühlen. Der Bericht geht davon aus, dass es in Zukunft zu weitgehenden Veränderungen der Rollendefinitionen unter den Berufen im Gesundheitswesen kommen wird.

Die Steuerungsgruppe des Projektes «Zukunft Medizin Schweiz» hat die-sem Thema eine hohe Bedeutung beigemessen und eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Werner Bauer aus Küsnacht / ZH beauftragt, die aktuellen Rol-lendefinitionen der verschiedenen Berufe im Gesundheitswesen zu beschrei-ben, die wahrscheinlichen Entwicklungslinien zu skizzieren, die möglichen Konfliktfelder zu benennen und zu versuchen, einen sinnvollen Soll-Zustand zu definieren.

Ist der Arztberuf heute ein anderer als vor vierzig Jahren? Die Arbeits-gruppe beantwortet diese Frage sowohl mit Ja als auch mit Nein. Ja, weil sich viele Rahmenbedingungen geändert haben: Die PatientInnen sind selbstbe-wusster geworden, wissen mehr und haben gestiegene Ansprüche; der Frau-enanteil unter den ÄrztInnen ist markant gestiegen; und die Balance» bestimmt häufig die Intensität des beruflichen Engagements. Nein, weil der Kern des ärztlichen Handelns unverändert geblieben ist.

Die Arbeitsgruppe beschreibt diesen Kern wie folgt: «Der Arztberuf ist ein zentraler Beruf im schweizerischen Gesundheitswesen mit dem Auftrag der Prävention, der Diagnostik und der Therapie akuter Gesundheitsstörungen, der Palliation und der Rehabilitation sowie der Langzeit-Betreuung bei chro-nischen Leiden im Verbund mit anderen Berufsgruppen. Grundelement bleibt die persönliche, oft langfristige zwischenmenschliche Beziehung von Arzt und Patient.»

Der Bericht, den die Arbeitsgruppe Ende 2007 veröffentlicht hat, hält aber auch fest, dass sich der Bereich um diesen Kern an die geänderten Rahmen-bedingungen anpassen muss. Namentlich bedeutet dies, dass in Zukunft – die ÄrztInnen zusammen mit anderen Gesundheitsfachleuten in einem

Netzwerk arbeiten;

– die Zusammenarbeit mit den Pflegenden nicht durch ein formell hierar-chisches Verhältnis geprägt ist, sondern von der Fragestellung ausgeht, wer für welche Funktion kompetent ist und sie optimal erfüllen kann;

– die Integration der ärztlichen Tätigkeit in Teamarbeit zu einer Entlastung von administrativer Tätigkeit führen muss und damit die Konzentration auf das Wesentliche des Arztberufes erlaubt.

Von Wolf Biermann stammt der Ausspruch: «Nur wer sich ändert, bleibt sich treu». Das gilt nicht zuletzt auch für die heutigen Ärztinnen und Ärzte: Wenn sie bereit sind, die notwendigen Änderungen aktiv und mit Überzeugung mitzugestalten, wird es ihnen gelingen, die Freude an diesem attraktiven und spannenden Beruf zu behalten oder wiederzugewinnen.

Comment préparer les jeunes médecins