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Ein exemplarischer Pfad für eine nachhaltige Transformation der

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Energiesysteme

3. Dann werden die Leitplanken vorgestellt und das ausgewählte Szenario einer Leitplankenprüfung unterzogen (Kap. 4.3). Dabei zeigen sich bestimmte Probleme dieses Szenarios. Insbeson-dere verletzt es die Klimaleitplanke (Kap. 4.3.1.2), ebenso wie alle anderen im ersten Schritt unter-suchten Grundszenarien.

4. Daraufhin wird das ausgewählte Szenario so modifiziert, dass es die Leitplanken einhält. Das Ergebnis ist ein exemplarischer Transformations-pfad (Kap. 4.4).

5. Schließlich erfolgen Simulationen mit einem anderen, neu entwickelten Modellkonzept, um den exemplarischen Pfad zu untermauern. Dazu werden unter Vorgabe der Klimaleitplanke kos-teneffektive Pfade bestimmt und Handlungsspiel-räume bei Vorgabe verschiedener Leitplanken ausgelotet. Anhand dieser zusätzlichen Analysen werden die Eigenschaften des exemplarischen Transformationspfads diskutiert (Kap. 4.5).

4.2

Energieszenarien für das 21. Jahrhundert

Aus den vielen verfügbaren Energieszenarien wählt der WBGU die IPCC-Szenarien als Grundlage für

seine Analyse aus. Der Fokus auf das Klimaproblem entspricht den Prioritäten des Beirats. Die IPCC-Szenarien zeichnen sich dadurch aus, dass sie von der internationalen Wissenschaftlergemeinschaft aner-kannt sind und auf konsistenten Annahmen über die Antriebskräfte von Treibhausgasemissionen beru-hen.

4.2.1

SRES-Szenarien als Ausgangsbasis

Die Analyse möglicher langfristiger Entwicklungen des Energiesystems stützt sich auf verschiedene vom IPCC (2000b, 2001c) entwickelte Szenariogruppen:

Die im IPCC-Sonderbericht entwickelten Emis-sionsszenarien ohne klimapolitische Maßnahmen (im Folgenden „SRES-Szenarien“ genannt; Special Report on Emission Scenarios, SRES; IPCC, 2000b) dienen als Referenzszenarien für die darauf aufbau-enden IPCC-Klimaschutzszenarien („Post-SRES-Szenarien“; IPCC, 2001c). Die SRES-Szenarien zeigen die große Bandbreite plausibler zukünftiger Entwicklungen, die verursacht wird durch die Unsi-cherheit über die Antriebskräfte, ihrer Wechselwir-kungen sowie der Mechanismen, die in verschiede-nen Modellen nachgebildet werden (IPCC, 2000b).

nicht nachhaltiger Bereich Leitplanke

Ist-Zustand

Ist-Zustand

Maßnahme

Ziel: Vermeidung nicht nachhaltiger Entwicklungen

Ziel: Herausführen aus dem nicht nachhaltigen Bereich Maßnahme Maßnahme

Grenzbereich

Maßnahme

Abbildung 4.1-1 Zusammenhang von Leitplanken, Maßnahmen und zukünftiger

Systementwicklung.

Die Abbildung zeigt mögliche Zustände eines Systems bezüglich seiner Nachhaltigkeit, aufgetragen über der Zeit. Der momentane Zustand eines Systems relativ zur Leitplanke (Ist-Zustand) kann im grünen Bereich liegen („nachhaltiger Bereich“ nach bestem derzeitigen Kenntnisstand), oder im roten „nicht nachhaltiger Bereich“. Wenn sich ein System im nicht nachhaltigen Bereich befindet, muss es durch geeignete Maßnahmen so gesteuert werden, dass es

„durch“ die Leitplanke in den nachhaltigen Bereich hinein kommt. Von dieser Seite aus ist die Leitplanke also durchlässig. Befindet sich ein System im nachhaltigen Bereich, gibt es zunächst keine weiteren Vorgaben. Das System kann sich im freien Spiel der Kräfte entwickeln. Erst wenn das System sich von der nachhaltigen Seite aus auf Kollisionskurs mit einer Leitplanke befindet, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Verletzung der Leitplanke zu verhindern. Von dieser Seite aus ist die Leitplanke also undurchlässig. Da die Leitplanken sich durch künftigen Wissensfortschritt verändern können, ist das Einhalten der derzeitigen Leitplanken kein hinreichendes, sondern nur ein notwendiges Kriterium für Nachhaltigkeit.

Quelle: WBGU

105 Energieszenarien für das 21. Jahrhundert 4.2

Treibhausgas- konzentrationen in der Atmosphäre

KlimafolgenEnergieextraktion und -konversionEndenergie- nutzung Nachfrage nach Energiedienst- leistungen Entwicklung (Wirtschaft und Bevölkerung)

Leitplanken Systemverhalten Maßnahmen

Einhalten des KlimaschutzfenstersSchutz der Meeresöko- systeme (Sequestrierung) Nachhaltige Flächennutzung ("Kioto"- Wälder, Bioenergie) Schutz von Flüssen und Ein- zugsgebieten (Wasserkraft)

Risiken im Normalbereich halten (Kernkraft) Schutz der Atmosphäre vor Verschmutzung Vermeidung von Erkrankun- gen durch Energienutzung

Anteil der Energieausgaben am Einkommen begrenzen Zugang zu moderner Energie Deckung des Mindest- bedarfs an EnergieGesamtwirtschaftlicher Mindestentwicklungsbedarf Anpassungsmaßnahmen (z.B. Deiche)Geologische Kohlenstoffspeicherung Schutz der Kohlenstoff- speicher (z.B. Wald) Internationale Standards für Kraftwerke

Förderinstrumente für erneuerbare Energien und effiziente Energienutzung Auflagen für Exportkreditförderung

Ökologische Finanzreform

Anreize für energiearme Geräte und Häuser Anreize für energiearme Produkte und DienstleistungenAnreize für energiearme Ver- kehrs- und Siedlungsstrukturen Ausbau der Energieinfrastruktur Lebensstildiskussion Erhöhung der Kaufkraft armer Haushalte Umweltbildung Vereinbarung globaler Emissionsreduktionsziele

Entwicklungspolitik

Technologietransfer

Gesundheitsförderung und Familienplanung

Innovative Finanzierungsinstrumente Steigerung von Forschung und Entwicklung

Ökologische Leitplanken Sozioökonomische Leitplanken Ökonomische Instrumente Gesellschaftspolitische MaßnahmenSystemstufen Physikalisch- ökologische Maßnahmen Abbildung 4.1-2 Anwendung des Leitplankenkonzepts am Beispiel des gekoppelten Systems Energie/Klima und einige daraus abgeleitete Maßnahmen für einen nachhaltigen Umbau der Energiesysteme.Die oberste Zeile enthält die ökologischen und sozioökonomischen Leitplanken,die der WBGU normativ für das Klima-Energie-System vorgibt (Kap.4.3).Die mittlere Zeile stellt das Systemverhalten des gekoppelten Systems Energie/Klima dar.Relevante Kausalwirkungen sind durch Pfeilewiedergegeben.Durch den Bedarf nach wirtschaftlicher Entwicklung und wegen des Bevölkerungswachstums steigt die Nachfrage nach Energiedienstleistungen,was vermittelt über die Energienutzung und die notwendige Ressourcenförderung und -konversion zu erhöhten Konzentrationen von Treibhausgasen in der Atmosphäre führt.Die Klimafolgen wirken über Rückkopplungen auf die globale Entwicklung und andere Stationen in der Kette zurück.So kann die globale Erwärmung zusätzliche Treibhausgasemissionen verursachen,z.B.durch das Auftauen von Permafrostböden oder zunehmende Waldbrände,oder die Nachfrage nach Energiedienstleistungen beeinflussen (z.B.mehr Heizung oder Kühlung).Um die Leitplanken einhalten zu können,müssen verschiedene Zielgrößen durch Maßnahmen umgesteuert werden (Abb.4.1-1).So wirken sich beispielsweise Technologietransfer,Anreizpolitiken oder internationale Standards für Kraftwerke und geologische Kohlenstoffsequestrierung auf die verschiedenen Stationen in der Kette zwischen Menschen und Klimafolgen aus. Quelle:WBGU

Viele der Szenarien gehen von sehr starken umwelt-oder sozialpolitischen Eingriffen aus, was sie von her-kömmlichen Business-as-usual-Szenarien unter-scheidet.

Die insgesamt 40 Szenarien wurden in vier Fami-lien gruppiert. Alle Szenarien einer Familie haben eine charakteristische „Geschichte“ (storyline), also eine Beschreibung der Beziehungen zwischen Einflussfaktoren und ihrer Entwicklung. Die vier Familien lassen sich vereinfacht in zwei Dimensionen unterscheiden: Die erste Dimension unterscheidet eine Welt mit starker Ausrichtung auf Wirtschafts-wachstum (A) von einer Welt, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist (B). In der B-Welt werden umwelt-politische Maßnahmen etwa zur Luftreinhaltung berücksichtigt, nicht jedoch Maßnahmen, die spezi-fisch auf den Klimaschutz ausgerichtet sind (bei-spielsweise CO2-Steuern). Die zweite Dimension erlaubt die Unterscheidung zwischen einer Welt zunehmender ökonomischer Konvergenz und sozia-ler und kulturelsozia-ler Interaktion zwischen den Regio-nen (Globalisierung, 1) von einer Welt mit stärkerer Betonung regionaler Unterschiede und lokaler Lösungen (Regionalisierung, 2).

Es ergeben sich vier Szenariofamilien: A1 (Hohes Wachstum), B1 (Globale Nachhaltigkeit), A2 (Re-gionalisierte Wirtschaftsentwicklung), B2 (Regionale Nachhaltigkeit).

4.2.2

Grundannahmen der SRES-Szenarien A1-Welt: Hohes Wachstum

Die A1-Storyline weist folgende Charakteristika auf:

starke Marktorientierung, anhaltendes Wirtschafts-wachstum (weltweit etwa 3% jährlich, entsprechend dem Wachstum der letzten 100 Jahre), starke Beto-nung von Investition und Innovation in Bildung, Technologie und Institutionen, rasche Einführung neuer, effizienter Technologien, zunehmende Mobi-lität und zunehmende soziale und kulturelle Interak-tionen sowie Konvergenz zwischen Regionen (etwa in Bezug auf das Pro-Kopf-Einkommen). Die heute in Industriestaaten beobachteten demographischen Entwicklungen (sehr niedrige Fertilitätsraten, hohe Alterung) werden wegen der in der A1-Welt ange-nommenen globalen Konvergenz langfristig auch auf die Entwicklungsländer übertragen. Dies führt nach einem Anstieg der Bevölkerung auf etwa 9 Mrd.

Menschen ab 2050 zu einer Abnahme auf etwa 7 Mrd. in 2100. Diese Bevölkerungsentwicklung liegt im unteren Bereich der existierenden Projektionen, aber noch über der niedrigsten UN-Projektion (IPCC, 2000b).

Die Energieproduktivität steigt jährlich um etwa 1,3% – schneller als im Mittel der letzten 100 Jahre.

Allerdings gibt es wegen der niedrigen Energiepreise wenig Anreize für eine effiziente Endenergienut-zung, so dass der Primärenergieeinsatz sehr hoch ist und Motorisierung und Zersiedelung weltweit stark ansteigen. Die Szenarien übertragen quasi die öko-nomische Entwicklung Japans und Südkoreas nach dem 2. Weltkrieg bzw. Chinas in den letzten Jahren auf alle Entwicklungsländer (Roehrl und Riahi, 2000). Insofern sind sie in Bezug auf das Wirtschafts-wachstum und die globale Konvergenz der Pro-Kopf-Einkommen sehr optimistische Szenarien.

Innerhalb der A1-Szenariofamilie wurden je nach angenommener Technologieentwicklung vier ver-schiedene Pfade unterschieden: Der kohleintensive Pfad A1C, der öl- und gasintensive Pfad A1G, der Pfad A1T mit einem hohem Anteil nicht fossiler Energieträger und schließlich der mittlere Pfad A1B, für den ähnlich schnelle Fortschritte für alle Energie-träger bzw. Technologien angenommen werden.

Anhand dieser Unterscheidung wird der Einfluss der Technologieentwicklung bei sonst gleichen Antriebs-kräften (insbesondere gleicher wirtschaftlicher Ent-wicklung) sichtbar (Kap. 4.2.5).

B1-Welt: Globale Nachhaltigkeit

Die B1-Szenarien gehen von der gleichen Bevölke-rungsentwicklung und einem ähnlich starken Wirt-schaftswachstum wie die A1-Szenarien aus. Auch hier wird eine Konvergenz der Entwicklungen in den verschiedenen Regionen angenommen („Globalisie-rung“). Einkommensdisparitäten schließen sich ebenso rasch wie in den A1-Szenarien.

Die B1-Welt unterscheidet sich jedoch von der A1-Welt durch ein starkes soziales und Umwelt-bewusstsein – sie wird von de Vries et al. (2000) als

„wohlhabend, gerecht und grün“ charakterisiert. Die Welt ist durch hohe Effizienzsteigerungen auch im Energiebereich gekennzeichnet. Produktions- und Einkommenszuwächse werden in hohem Maß für den Ausbau sozialer Institutionen, Umverteilungs-maßnahmen und Umweltschutz verwendet. Wirt-schaftsstrukturen verändern sich zügig in Richtung auf eine Dienstleistungs- und Informations-gesellschaft, in der Materialien sparsam eingesetzt werden. Saubere und effiziente Technologien werden rasch eingeführt. Auch vollzieht sich ein Wertewan-del in Richtung auf nicht materielle Einstellungen.

Die Energienachfrage ist somit – trotz starken Wirtschaftswachstums – niedrig und beträgt im Jahr 2100 nur etwa ein Viertel derjenigen in den A1-Sze-narien. Die Energieintensität nimmt im Mittel um etwa 2% jährlich über die nächsten 100 Jahre ab, was im Vergleich zur historische Rate von 1% jährlich eine sehr schnelle Steigerung ist, die insbesondere

107 Energieszenarien für das 21. Jahrhundert 4.2

durch hohe Energiepreise erzielt wird. Ein hoher Einkommenstransfer und hohe Steuern prägen diese Welt. Globalisierung und Liberalisierung sind mit einer starken internationalen Nachhaltigkeitspolitik verbunden. Forschung und Entwicklung werden intensiv gefördert. Städte entwickeln sich kompakt und mit hohem Anteil an nicht motorisiertem Ver-kehr. Zusätzlich wird der Urbanisierungstrend gebremst. Selbst ohne klimapolitische Maßnahmen führen diese Entwicklungen zu geringen Treibhaus-gasemissionen, weil sie bezüglich des Klimaschutzes bereits sehr effektiv sind.

A2-Welt: Regionalisierte Wirtschaftsentwicklung

Die A2-Welt ist heterogen, da die Regionen ihre nationalen, kulturellen und religiösen Identitäten bewahren wollen und unterschiedliche Entwick-lungspfade einschlagen (Sankovski et al., 2000). Es bilden sich getrennte wirtschaftliche Regionen aus.

Das Wirtschaftswachstum ist deshalb geringer als in anderen Szenariofamilien, ebenso die Geschwindig-keit technologischer Entwicklungen. Technologien verbreiten sich zögerlicher, Handelsströme sind nie-driger als in A1-Szenarien. Auch das Pro-Kopf-Ein-kommen konvergiert nicht so stark wie in den A1-oder B1-Szenarien. Es wird ein sehr hohes Bevölke-rungswachstum (15 Mrd. Menschen in 2100) zugrunde gelegt, da im Unterschied zu A1- und B1-Szenarien die Fertilitätsmuster nicht konvergieren.

Die Energieproduktivität steigt nur um 0,5–0,7%

jährlich, die Energienachfrage ist hoch, wenn auch nicht so hoch wie in den A1-Szenarien. Die Energie-systeme der A2-Welt sind sehr heterogen. Der Ener-gieträgermix in den einzelnen Regionen hängt stark von der Ressourcenverfügbarkeit ab.

B2-Welt: Regionale Nachhaltigkeit

Die B2-Storyline beschreibt eine Zukunft, in der lokalen und regionalen Lösungen für eine nachhal-tige Entwicklung eine große Rolle zukommt. Inter-nationale Institutionen und Strukturen nehmen dagegen an Bedeutung ab. Umweltschutz wird betont, allerdings nur auf nationaler und regionaler Ebene. Das Bevölkerungswachstum ist geringer als in A2-Szenarien (etwa 10 Mrd. Menschen im Jahr 2100). Das Wirtschaftswachstum ist moderat, die Technologieentwicklung weniger ausgeprägt als in der B1- oder A1-Welt. Viele Projektionen entspre-chen den heutigen Trends, etwa in Bezug auf das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum oder die Steigerung der Energieproduktivität. Die Energie-nachfrage ist niedriger als in den A1- und A2-Szena-rien, aber höher als in der B1-Szenarien. Auch der derzeitige Trend abnehmender Forschungs- und Ent-wicklungsinvestitionen setzt sich fort.

4.2.3

Emissionen in den SRES-Szenarien

Die Emissionen von Treibhausgasen und Schadstof-fen variiert stark zwischen und innerhalb der Szena-riofamilien. Die höchsten CO2-Emissionen weisen die fossilintensiven Wachstumsszenarien A1C und A1G auf. Aber auch A2-Szenarien haben sehr hohe Emissionen: Zwar ist das Wirtschaftswachstum weni-ger stark, aber die langsamere Technologieentwick-lung führt zu einer geringeren Minderung der Koh-lenstoff- und Energieintensität. A1B- und auch B1-Szenarien weisen dagegen etwa ab 2050 eine Wende in Richtung Emissionsminderung auf. Dies ist zum einen auf die Trendwende in der Bevölkerungs-entwicklung zurückzuführen, zum anderen auf die Verbesserung der Produktivität. Diese Trends glei-chen das Wirtschaftswachstum mehr als aus. Die A2-und B2-Szenarien zeigen dagegen stetig wachsende CO2-Emissionen. Die geringsten CO2-Emissionen aller Szenarien weisen B1- sowie A1T-Szenarien auf.

Beiden gemeinsam ist eine schnelle Entwicklung nicht fossiler Technologien, sie unterscheiden sich aber stark im Energieeinsatz.

Die Szenarien variieren auch in Bezug auf die Landnutzung und ihre Änderung: Der Trend zur Abnahme der globalen Waldflächen wird in den meisten Szenarien umgekehrt, besonders in B1- und B2-Szenarien. Methan- und Lachgasemissionen sind in A1- und B1-Szenarien wegen des angenommenen geringeren Bevölkerungswachstums und der Bevöl-kerungsabnahme nach 2050 sowie der gesteigerten Produktivität in der Landwirtschaft weit geringer als in den A2- und B2-Szenarien. Schwefelemissionen sind generell niedriger als in früheren Projektionen, weil angenommen wird, dass die Belastung durch lokale und regionale Luftverschmutzung weit früher zu einer Emissionsminderung führen wird.

Die global gemittelte bodennahe Temperatur steigt nach diesen Modellrechnungen von 1990 bis 2100 um 1,4–5,8 °C (IPCC, 2001a). Die Schwan-kungsbreite ergibt sich aus den Unsicherheiten sowohl über das Klimasystem als auch die sozioöko-nomischen Antriebskräfte. Selbst die B1- und A1T-Szenarien mit den geringsten Emissionen verletzten die Leitplanke des WBGU-Klimafensters (Kap. 4.3).

Im Folgenden werden deshalb die IPCC-Klima-schutzszenarien dargestellt, die auf diesen SRES-Szenarien aufbauen.

4.2.4

IPCC-Klimaschutzszenarien („Post-SRES“-Szenarien)

Im 3. IPCC-Sachstandsbericht wurden mögliche Pfade zum Erreichen verschiedener Stabilisierungs-ziele für die CO2-Konzentration der Atmosphäre (zwischen 450 ppm und 750 ppm CO2 -Konzentra-tion) auf der Basis der SRES-Szenarien als Refe-renzszenarien entwickelt (IPCC, 2001c). Die Annah-men zu den wesentlichen Antriebskräften (Bevölke-rung, Wirtschaftswachstum, Nachfrage nach Energiedienstleistungen) entsprechen den jeweili-gen SRES-Szenarien. Zusätzlich wurde als Bedin-gung die Stabilisierung der CO2-Konzentration bis spätestens 2150 vorgegeben. Allerdings werden nur die energiebedingten Treibhausgasemissionen redu-ziert: CO2-Emissionen aus Landnutzungsänderung sowie die Emission anderer Treibhausgase (soweit nicht energiebedingt) bleiben die gleichen wie im Referenzszenario.

Selbst für ein Stabilisierungsniveau von 450 ppm bleibt die erwartete globale Erwärmung im 21. Jahr-hundert nur für mittlere bis niedrige Werte der Kli-masensitivität unterhalb der WBGU-Leitplanke (globale Erwärmung von weniger als 2 °C verglichen mit vorindustriellen Werten; Kap. 4.3.1.2). Im lang-fristigen Gleichgewicht ist selbst bei schwacher Kli-masensitivität mit einer globalen Erwärmung zu rechnen, die über die vom WBGU-Klimafenster gesetzten Grenzen hinausgeht (IPCC, 2001d). Soll die WBGU-Leitplanke des Klimafensters eingehal-ten werden, kommen deshalb nur Stabilisierungsni-veaus von 450 ppm oder niedriger in Betracht. Es lie-gen allerdings keine Post-SRES-Stabilisierungs-szenarien mit niedrigeren Zielniveaus vor. Andere Szenarien (z. B. Azar et al., 2001) zeigen jedoch, dass etwa durch starken Einsatz von Biomasse in Verbin-dung mit Kohlenstoffspeicherung Stabilisierungsni-veaus von 350 ppm erreicht werden können. Der WBGU will mit der Auswahl eines 450 ppm-Szena-rios nicht die Aussage treffen, dass dies ein sicheres Niveau der Konzentration von Treibhausgasen im Sinn von Artikel 2 UNFCCC sei. Für die Einhaltung des WBGU-Klimafensters ist vielmehr eine Analyse integrierter Klimaschutzstrategien (nicht nur der Energiepolitik) und die Entwicklung damit konsis-tenter Szenarien notwendig.

Vorhandene Szenarien machen aber deutlich (IPCC, 2001d): Um Stabilisierungsniveaus von 450 ppm CO2 oder darunter zu erreichen, muss der ansteigende Trend der globalen Emissionen sehr schnell – innerhalb von 10–20 Jahren – umgekehrt werden, danach ist eine zügige Minderung auch über die folgenden Jahrzehnte notwendig. Berücksichtigt

man zusätzlich die langen Investitionszyklen etwa von Kraftwerken und Transportnetzen, so folgt dar-aus, dass die nächsten 10–20 Jahre das entscheidende Zeitfenster für die Transformation der Energiesys-teme bilden.

4.2.5

Technologiepfade in der A1-Welt

Die A1-Szenarien zeigen die unterschiedlichen tech-nologischen Pfade, die bei gleichen ökonomischen, sozialen, politischen und demographischen Antriebs-kräften denkbar sind. Für alle kann eine Stabilisie-rung auf 450 ppm erreicht werden, was allerdings mit sehr unterschiedlichen Energiestrategien sowie Kos-ten und Risiken verbunden ist.

4.2.5.1

Vergleich der Energiestrukturen und Klimaschutzstrategien

Im Folgenden werden die A1-450-Stabilisierungssze-narien und ihre jeweiligen Referenzpfade innerhalb der A1-Szenariogruppe genauer untersucht. Dabei wird auf die Quantifizierung durch das dynamische Optimierungsmodell MESSAGE, gekoppelt mit dem makroökonomischen Modell MACRO zurück-gegriffen (Messner und Schrattenholzer, 2000).

MESSAGE minimiert die aggregierten Kosten der Energieproduktion bei gegebener Nachfrage nach Energiedienstleistungen (die vom makroökonomi-schen Modell vorgegeben wird) und berechnet auf dieser Basis einen kostenoptimalen Energieträger-mix. Dabei wird in den hier analysierten Szenarien die Veränderung der Nachfrage, die sich aus Maß-nahmen zur Begrenzung der CO2-Emissionen erge-ben (beispielsweise durch eine CO2-Steuer), nicht berücksichtigt. Der Primärenergieeinsatz nimmt des-halb in den Stabilisierungsszenarios bezogen auf das jeweilige Referenzszenario nicht ab. In den Stabili-sierungsszenarien mit starkem Einsatz fossiler Ener-gieträger steigt der Primärenergiebedarf sogar stark an. Dies ist auf den Einsatz der energieintensiven Kohlendioxidabtrennung für die Kohlenstoffspei-cherung zurückzuführen (Kap. 3.6.1; Tab. 3.6-1).

Abhängig von den Annahmen über die technolo-gischen Pfade in den Referenzszenarien unterschei-den sich die Entwicklungspfade für die Energiesys-teme in den A1-Szenarien bei gleichem Stabilisie-rungsziel. Dies verdeutlicht die Pfadabhängigkeit, die mit der Bevorzugung bestimmter Technologien in den einzelnen Referenzszenarios verbunden ist.

So nimmt im A1T-Pfad der Anteil der Solarenergie aufgrund klimapolitischer Maßnahmen zu, während im „ausgewogenen“ A1B-Szenario sowie im

kohle-109 Energieszenarien für das 21. Jahrhundert 4.2

intensiven A1C-Szenario der Anteil der Kernenergie stark zunimmt (Roehrl und Riahi, 2000).

Kohle und Kernenergie intensiver Pfad:

A1C

Die A1C-Szenarien sind durch die Nutzung Schad-stoff reduzierter Kohletechnologien charakterisiert, die ohne zusätzliche klimapolitische Maßnahmen zu sehr hohen Treibhausgasemissionen führen, aber – vom Problem der Klimaänderung abgesehen – umweltfreundlich sind. Sie beruhen auf der Annahme, dass die konventionellen Öl- und Gas-reserven schnell abnehmen, so dass stark in kosten-intensive neue Kohletechnologien investiert wird (Kohlevergasung und -verflüssigung, Hochtempera-tur-Brennstoffzellen). Aber auch die Kernenergie wird weiterentwickelt (etwa die Uran-Extraktions-technologien), da insbesondere in Regionen mit geringen Kohlevorkommen intensiv auf Kernenergie gesetzt wird. Im Jahre 2100 ist Kohle im A1C-Refe-renzpfad mit einem Anteil von 47% an der Primär-energie der HauptPrimär-energieträger. Der KernPrimär-energie- Kernenergie-anteil beträgt 18%. Wegen der hohen Nachfrage nach Kohle, die nicht in allen Regionen mit heim-ischer Kohle befriedigt werden kann, entwickelt sich ein intensiver globaler Methanolhandel, da Metha-nol (aus Kohle gewonnen) insbesondere im Trans-portsektor benötigt wird. Wichtigste Klimaschutz-maßnahmen zum Erreichen des 450-ppm-Stabilisie-rungsziels sind Kohlenstoffspeicherung und erhöhte Effizienz. Aber auch die Kernenergie muss bei die-sen Szenarien stark ausgebaut werden.

Öl- und gasintensiver Pfad: A1G

Charakteristisch für die A1G-Szenarien ist die Nut-zung der unkonventionellen Öl- und Gasressourcen, inklusive der Ölschiefer und Ölsande sowie der Methanhydrate (Kap. 3.2). Es wird ein rascher tech-nologischer Fortschritt bei den Extraktions- und Konversionstechnologien für Öl und Gas angenom-men. Der globale Handel mit Öl und Gas nimmt stark zu; neue Gaspipelines werden ab 2010 bzw.

2020 gebaut. Der Primärenergiebedarf ist wegen des Energiebedarfs für Extraktion und Gastransport besonders hoch. Im Jahre 2100 ist im A1G-Referenz-pfad Gas der Hauptenergieträger (Anteil von 45%

an der Primärenergie), gefolgt von erneuerbaren Energieträgern (25%) und Öl (14%). Aber auch die Kernenergie hat einen hohen Anteil (12%). Selbst diese öl- und gasintensiven Szenarien nutzen im 21.

Jahrhundert mit einem kumulierten Verbrauch von etwa 34.000 EJ Öl und 59.000 EJ Gas nur einen Bruchteil der fossilen Vorkommen aus (Nakicenovic und Riahi, 2001). Es wird angenommen, dass ein klei-ner Teil der heute als zusätzliche Vorkommen

bewer-teten Vorkommen bereits im 21. Jahrhundert förder-bar ist (Tab. 3.2-1).

Auch hier sind Kohlenstoffspeicherung und erhöhte Effizienz die wichtigsten Klimaschutz-maßnahmen zum Erreichen des Stabilisierungsziels von 450 ppm CO2. Dabei spielt die Reinjektion von CO2in Öl- und Gasfelder eine wichtige Rolle. Aller-dings wird deutlich, dass im 22. Jahrhundert drasti-sche Strukturveränderungen notwendig würden, da die Kapazitätsgrenzen für die Reinjektion in Gasfel-der erreicht werden.

Gemischter Pfad: A1B

Die A1B-Szenarien („balanced technology“) gehen von der Annahme aus, dass sich alle Technologien gleichmäßig entwickeln. Es wird somit keine so starke Pfadabhängigkeit angenommen wie in den anderen A1-Szenarien: Eine koordinierte globale Strategie der Forschung, Entwicklung und Anwen-dung von Technologien führt zur regional differen-zierten Spezialisierung auf verschiedene Technolo-gien. In A1B-Szenarien wird zur Kohlendioxidstabi-lisierung sowohl auf Kohlenstoffspeicherung als auch auf eine verstärkte Entwicklung nicht fossiler

Die A1B-Szenarien („balanced technology“) gehen von der Annahme aus, dass sich alle Technologien gleichmäßig entwickeln. Es wird somit keine so starke Pfadabhängigkeit angenommen wie in den anderen A1-Szenarien: Eine koordinierte globale Strategie der Forschung, Entwicklung und Anwen-dung von Technologien führt zur regional differen-zierten Spezialisierung auf verschiedene Technolo-gien. In A1B-Szenarien wird zur Kohlendioxidstabi-lisierung sowohl auf Kohlenstoffspeicherung als auch auf eine verstärkte Entwicklung nicht fossiler

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