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Educational Governance – Steuerung von „Förderbedürftigkeit“ und

„Förderbedürftigkeit“ und Diversität im Schulsystem

Der Ansatz der Educational Governance hat

die Aufgabe, sowohl ausgehend vom Leistungskern des Unterrichts (analog andere Leistungsstruktu-ren) Koordinationsgeschehnisse nach oben hin zu verfolgen, ebenso wie sie untersucht, ob und wie Steuerungsmaßnahmen von oben nach unten wirksam werden können; ferner betrachtet sie seitwärti-ge Beeinflussunseitwärti-gen durch die Zivilseitwärti-gesellschaft. Gelinseitwärti-gende Koordination, Koordinationschancen und Koordinationsdefizite sind auf und zwischen allen Ebenen von Bildungssystemen zu erwarten, werden ebenso institutionell wie von Handlungslogiken der Akteur*innen geformt und rufen politische und mikropolitische Auseinandersetzungen um Verfügungsrechte hervor, sodass Regelungsstrukturen im-mer zugleich als statisch, wie auch als veränderbar erscheinen. (Kussau & Brüsemeister, 2007, 45) Die hier beschriebenen Analyserichtungen sind für die vorliegende Untersuchung – ergänzend zu jener des Neoinstitutionalismus – relevant, wenngleich es sich nicht um eine umfassende Governance-Analyse des spanischen Schulsystems handelt. Vielmehr geht es um die Verwen-dung der Governance-Perspektive als Ergänzung zum metatheoretischen Schwerpunkt des Neoinstitutionalismus. Dies ist insofern relevant für die Beantwortung der Fragestellung auf Schulebene, als dass Educational Governance erstens die Mehrebenensystematik bietet, die ana-lytisch die Ebenen des Schulsystems trennt und empirisch zugänglich macht. Zweitens lassen die analytischen Kategorien der Akteurskonstellationen und darauf aufbauend die Mechanis-men der Handlungskoordinierung – ausgehend von der Mikroebene, wie das o.g. Zitat verdeut-licht – Rückschlüsse auf die organisationale Governance-Form und gleichzeitig das organisati-onale Feld zu.

Governance stellt ein Konzept dar, das kritisch auch als „notoriously slippery“ (Pierre & Pe-ters, 2000, 7 in: Benz & Dose, 2010, 13) bezeichnet wird, was sich jedoch auch – abhängig vom Gegenstand – modifizieren und an die Komplexität und Vielschichtigkeit dessen anpassen lässt. Aus Einzelbeobachtungen und Zusammenhängen, die individuell – abhängig von der Fra-gestellung – kombiniert werden, entsteht ein komplexes Zusammenwirken unterschiedlicher Akteur*innen durch verschiedene Formen der Handlungskoordination in diversen Akteurskon-stellationen, die wiederum Struktur bildend und soziale Ordnung herstellend wirken (Benz &

Dose, 2010). Dabei bietet dieser Ansatz für die vorliegende Studie die Möglichkeit, ebendiese Handlungskoordinationen als Verbindungen zwischen unterschiedlichen Akteurskonstellatio-nen innerhalb der Schulen sowie nach außen hinsichtlich externer KooperatioAkteurskonstellatio-nen zu analysie-ren. Durch die eingehende Auswertung insbesondere des Interviewmaterials in Kombination mit der Auswertung der Schulkonzepte werden so divergierende Formen der Steuerung sicht-bar, die in den beiden Schulen eingesetzt werden, um mit „Förderbedürftigkeit“ umzugehen und die regulativen Vorgaben entsprechend oder anders umzusetzen.

Dabei ist dieses Konzept, der Forschungsansatz16 der Educational Governance, kein modernes im Sinne einer vollkommen neuen Perspektive, sondern kann als Erweiterung des Steuerungs-begriffs gesehen werden: Nach Altrichter und Maag Merki (2010) ist „Governance (…) keine begriffliche oder praktische Alternative zu Steuerung, sondern entspricht einem

Forschungs-16 Zu den Verwendungsmöglichkeiten der Educational Governance als Theorie oder als analytischer Ansatz s. u.a.

Benz et al. (2007), Parreira do Amaral (2016).

ansatz, der Steuerungsfragen im breiteren Kontext von Fragen der sozialen Gestaltung in kom-plexen Systemen thematisiert“ (ebd., 21). Dem schließen sich Benz und Dose (2010) an, wenn sie (in Bezug auf Cassen, 2002) anmerken, dass der Begriff „gouvernance“ zwar bereits im 13.

Jahrhundert in Frankreich und schließlich auch in England unter „government“ auftauchte, dieser jedoch damals – im Gegensatz zu heute – „die Art und Weise des Regierens“ (ebd., 17;

Hervorh.i.O.) bezeichnete. Ebenso wie Schimank (2007b) grenzen sie die damalige Definition nachdrücklich vom heutigen Verständnis des Terminus ab, da „der Begriff neben prozessualen auch (…) strukturelle, funktionale und instrumentelle Aspekte des Regierens, Steuerns und Ko-ordinierens“ (Benz & Dose, 2010, 17) umfasst. Wie kam es zu diesem veränderten Verständnis von Governance?

Insgesamt ermöglicht der Blick in die alltagssprachliche Herkunft und Bedeutung des Wortes im 13.  Jahrhundert jedoch keine differenziertere Interpretation der Bedeutung des Begriffs (ebd.). Von Relevanz für die Einordnung und Begriffsbestimmung ist vielmehr, die Wurzeln des Konzepts sowie die Begriffsveränderung und damit gleichzeitig die Veränderung der Realität des Untersuchungsgegenstands der Organisation Schule in den vergangenen Jahren zu betrach-ten, um ein dezidiertes Begriffsverständnis von Governance im Bildungssystem, Educational Governance, für diese Arbeit festlegen zu können.

Benz, Lütz, Schimank und Simonis (2007) beschreiben zwei Wurzeln der Governance-Pers-pektive: zum einen die wirtschaftswissenschaftliche Wurzel der Institutionenökonomie ab 1937 durch Ronald Coase, weitergeführt und ausgearbeitet durch Oliver Williamson 1985 mit ei-nem „institutionenökonomischen Forschungsprogramm“ (ebd., 11; Benz & Dose, 2010, 17).

Die „Institutionenökonomik setzt mit der Governance-Perspektive also den Akzent auf solche Modi der Handlungskoordination, die nicht-marktförmig sind“ (Benz et al., 2007, 11). In die-ser Perspektive liegt der Fokus insbesondere auf dem Koordinationsmechanismus, der den Situ-ationen entsprechend angepasst ist (Benz & Dose, 2010).

Zum anderen wird die politikwissenschaftliche Wurzel beschrieben, die auf das Thema der

„internationalen Beziehungen“ und auf die Policy-Forschung zurückgeht. Hier interessieren nun „Verbände und Netzwerke“ und nicht mehr vorwiegend Transaktionskosten, wie bei dem Verständnis von Governance im Sinne der Ökonomie (ebd., 18). Für die Notwendigkeit eines neuen Verständnisses der Realitätsbeschreibung von „Staat, Regieren, Verwalten, Politik“ (ebd., 14) spielten drei Entwicklungen eine Rolle: „die zunehmende Denationalisierung, die Mehr- ebenenverflechtung und die zunehmende Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft“

(ebd., 15). Dies wird sich im Folgenden für den Gegenstand der „Förderbedürftigkeit“ im Rah-men dieser Arbeit bestätigen.

Zusammenfassend geht es bei der Verwendung des Ansatzes der Educational Governance so-wohl um die Analyse koordinierten kollektiven Handelns im Kontext des Bildungssystems, um die Formen im Sinne von dauerhaften „Strukturen der Interaktion“ sowie im Sinne der Institu-tionalisierung durch formale Regeln beinhaltet, als auch um Mechanismen, die den Prozess des Zustandekommens der Strukturen beschreiben (Benz et al., 2007, 14).

Diese allgemein gehaltene Definition des Ziels der Educational-Governance-Perspektive kon-kretisieren sowohl Benz et al. (2007) als auch Parreira do Amaral (2017). Beide Differenzierun-gen beschreiben drei Möglichkeiten, wie Governance eingesetzt wird.

Governance als „deskriptiver Begriff “ (Benz et al., 2007, 14) bzw. als „analytischer Begriff “ (Parreira do Amaral, 2017, 14), „Governance als Theorie“ (ebd., 15) beschreibt eine mögliche Verwendung des Governance-Begriffs. Dieser geht von einer veränderten Perspektive aus, die

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Educational Governance – Steuerung von „Förderbedürftigkeit“ und Diversität eine (Neu-)Konzeptualisierung des Gegenstands erfordert. Vor dem Hintergrund veränderter Globalisierungsprozesse spielen insbesondere Demokratisierungsprozesse bzgl. der Notwen-digkeit eines neuen Verständnisses von Governance eine entscheidende Rolle. Es geht hier um Steuerungsprozesse, um Politik durch Interdependenzbeziehungen, basierend auf unterschied-lichen Akteurskonstellationen. Um spezifische Strukturen und Mechanismen rekonstruieren zu können, bietet sich diese Auslegung von Governance an, der „Governance als Realität nicht-hierarchischer, netzwerkförmiger oder kooperativer Politik“ (ebd., 15) zugrunde liegt.

Dabei wird von vier Kernaspekten des Governance-Begriffs ausgegangen, die auch für die vor-liegende Arbeit relevant sind (s. Abbildung 2):

Abb. 2: Kernaspekte des Governance-Begriffs (nach Benz, 2004, 25)

Diese Darstellung expliziert an dieser Stelle, dass durch die Rekonstruktion der Interaktions-muster kollektiven Handelns auf institutionalisierte Regelsysteme und schließlich auf zugrunde liegende Mechanismen geschlossen werden kann.

Davon abgrenzend wird von der Verwendung von Governance als „Dilemma“ (Parreira do Amaral, 2017, 15) bzw. von Governance als „normativer Begriff “ (Benz et al., 2007, 15) gespro-chen. Beides bezieht sich auf die Beschreibung eines möglichst guten Modells des Regierens (ebd.), wobei damit Fragen nach „Legitimität und Effizienz, ihre[m] Beitrag zu sozialer Ge-rechtigkeit (…)“ (Parreira do Amaral, 2017, 15) und darüberhinausgehend gleichzeitig Fragen nach nicht-intendierten Folgen, nach Nebenfolgen z.B. politischer Entscheidungen verbunden werden (Altrichter & Maag Merki, 2010, 30; Bellmann & Weiß, 2009).

Schließlich wird Governance als „praktisches Konzept“, als „Regierungstechnik“, wie bei good governance eingesetzt (Benz et al., 2007, 15).

Für die folgende Analyse des Verständnisses von „Förderbedürftigkeit“ auf der Mesoebene der einzelnen Schulen spielt Governance im Sinne eines analytischen Begriffs eine Rolle, indem ausgehend von den Aussagen der Lehrkräfte und Schulleitungen Akteurskonstellationen und Interdependenzen rekonstruiert werden. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der zugrunde liegenden Governance-Mechanismen, die es auf einer abstrakteren Ebene ermöglichen, Ursa-chen und Gründe für bestimmte Verständnisse zu erklären.

Je nach Erkenntnisinteresse bietet die Tatsache, dass keine disziplinenübergreifende, analytische Definition von Governance vorliegt, die Möglichkeit, deren Bedeutung an das Untersuchungs-feld anzupassen (Benz & Dose, 2010, 17), was bis hierhin bereits umgesetzt wurde. Trotz dieser Flexibilität und Offenheit dieses Begriffs, die auch häufig kritisiert wurden, besteht nach Benz

1. Steuern/Koordinieren

Ziel ist das Management von Interpedenzen zwischen Akteur*innen

3. Interaktionsmuster/Modi kollektiven Handelns,

wie Netzwerke, Koalitionen, Vertragsbeziehung oder Anpassung im Wettbewerb 2. Institutionalisierte Regelsysteme

Kombination aus: Markt, Hierarchie, Mehrheitsregel, Verhandlung

4. 1. und 3. überschreiten in der Regel Organisationsgrenzen (auch: Staat – Gesellschaft)

und Dose (2010) ein „konstante[r] Begriffskern“ (ebd., 25–26), der für die konkrete Analyse bestimmt werden muss.

Kussau und Brüsemeister (2007) definieren darauf aufbauend analytische Kategorien, die ins-besondere Educational-Governance-Untersuchungen auszeichnen. Auf einige, die für diese Un-tersuchung besonders relevant sind, soll eingegangen werden:

In der Educational-Governance-Forschung geht es zunächst um einzelne Akteur*innen und

„Akteurskonstellationen“ (ebd., 26). Dabei handelt es sich um individuelle Akteur*innen, Einzelpersonen in der Schule, die die „Erhebungseinheiten“ (ebd.) darstellen. Sie können bei-spielsweise befragt werden, um an bestimmte – empirisch erhobene – Informationen auf un-terschiedlichen Ebenen zu gelangen. Die „Analyseeinheiten“ (ebd.) bilden wiederum die Ak-teurskonstellationen, d.h. „das handelnde Zusammenwirken der Akteure“ (ebd.), was Probleme in Form von Kommunikationsschwierigkeiten zwischen einzelnen Personen oder Systemebe-nen auslösen kann und somit – durch eiSystemebe-nen endogeSystemebe-nen Auslöser – eiSystemebe-nen institutionellen Wan-del ermöglicht.

Die Betrachtung von „Interdependenz“ (ebd., 27) bedeutet, dass die Akteur*innen voneinander abhängig sind und somit eine institutionalisierte Zusammenarbeit, Kooperation nötig ist, um schulische Entwicklungsprozesse abzustimmen und umsetzen zu können. „In politischen und so-zialen Zusammenhängen ist jedoch völlige Autonomie ebenso ein Ausnahmefall wie das Gegen-stück am anderen Pol eines Kontinuums, vollkommene Abhängigkeit. Der Regelfall ist vielmehr Interdependenz“ (ebd., 27). Im Zusammenhang mit Interdependenz ist zu berücksichtigen, dass heutzutage diese „wechselseitigen Abhängigkeiten“ in „rechtlich normierte, organisatorische und kulturelle Bedingungen eingebettet“ (ebd., 28) sind und Akteur*innen auf verschiedene Art und Weise versuchen, diese „Interdependenzbeziehungen“ (ebd.) zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Auch hierdurch entsteht ein Handlungsspielraum der einzelnen Akteur*innen – auch Organisa-tionen als Akteure –, wodurch Wandel möglich ist. Benz et al. (2007) verstehen dabei Handlung als Strukturnutzung und Strukturbildung, d.h. ein*e Akteur*in handelt immer im Kontext von Strukturen, er/sie bezieht das eigene Handeln auf die vorherrschenden Regeln der strukturellen Umgebung, z.B. der Schule. Gleichzeitig ist das Handeln nur mit materiellen und immateriellen Ressourcen möglich (Giddens, 1992 in: Altrichter & Feyerer, 2011).

Handlungskoordination, ein weiterer zentraler Begriff der Educational Governance, nimmt Be-zug auf die übergeordnete Struktur, die Interdependenz erst ermöglicht. Dabei bezeichnen die Begriffe „Beobachtung, Beeinflussung und Verhandlung (…) Formen der Handlungskoordina-tion“ (Kussau & Brüsemeister, 2007, 36) bzw. der „Interdependenzbewältigung“ (Schimank, 2007b, 35), die aufeinander aufbauen und ohne die Erfüllung der vorherigen nicht existieren können. So gilt es zu untersuchen, inwiefern „symmetrische“ oder „asymmetrische“ (ebd.) For-men der Akteurskonstellationen institutionalisiert sind, d.h. der empirische Fokus wird auf die Formen der Koordination gelegt. Daraus ergeben sich folgende Fragestellungen: Wer hat auf-grund welcher Ressourcen oder Verfügungsrechte Einfluss auf die andere Person? Inwiefern hat diese wiederum Zugang zu Verhandlungen, wird z.B. in einen Entscheidungsprozess mitein-bezogen? Dieser Aspekt ist für diese Untersuchung außerordentlich relevant, da mit den In-terviews der Akteur*innen in unterschiedlichen Positionen genau diese Akteurskonstellationen beobachtet werden können. Inwiefern hat die Gestaltung des strukturellen Kontextes der Schu-len und der in ihr agierenden Akteur*innen durch die Regelung der Maßnahmen zum Umgang mit Diversität tatsächlich ihr Handeln beeinflusst?

Der Begriff des „Mehrebenensystems ist als begriffliche Zuspitzung und zusammenfassender analytischer Bezugspunkt institutionalisierter Interdependenzbeziehungen zwischen Akteuren

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Educational Governance – Steuerung von „Förderbedürftigkeit“ und Diversität zu verstehen“ (Kussau & Brüsemeister, 2007, 3117; Hervorh.i.O.) „Für den Bildungsbereich ist das Wissen zu Mehrebenensystemen derzeit noch nicht hinreichend“ (ebd.). Das Konzept er-laubt es jedoch, „einen auf Akteure und Institutionen bezogenen Analyserahmen zu entwerfen, mit dem sich die Interdependenz, die Interdependenzbewältigung und das Interdependenzma-nagement der Akteure studieren lassen“ (ebd., 32). Die konkrete Ebenenausdifferenzierung für diese Studie wurde bereits in der Einleitung definiert, weshalb an dieser Stelle von einer Wieder-holung der Ebenen abgesehen wird.

Darüber hinaus sind im Rahmen des Ansatzes der Educational Governance Regelungs- und Leistungsstrukturen von Bedeutung. Diese bezeichnen einerseits die rechtlichen Vorgaben, die administrativen Regelungen z.B. auf Ebene der Regionalregierung und andererseits – in Form der Leistungsstrukturen – die Auswirkungen z.B. einer Veränderung der rechtlichen Vorgaben auf die schulische Praxis und ihre Akteur*innen. Dies stellt – nach Kussau und Brüsemeister (in Bezug auf Schimank, 2007b) – für das Schulsystem ein Forschungsdesiderat dar (ebd., 36).

„Es wird davon ausgegangen, dass Mehrebenensysteme an jeder Stelle, an der Akteure interde-pendent zusammenwirken, Koordinationsprobleme hervorbringen – auf die Akteure wiederum gestaltend reagieren“ (Schimank, 2007a, 45) Bei der Educational-Governance-Forschung geht es des Weiteren darum, diese Koordinationsprobleme und deren Lösungen aufzuzeigen. Erst durch das Aufdecken der Auswirkungen und Konsequenzen des Handelns der Akteur*innen auf Makro- und Mesoebene für die Akteur*innen auf der Mikroebene, durch den „Praxisbe-zug“, kann die Educational-Governance-Forschung ihre praktische Relevanz unterstreichen (Schimank, 2007b, 254). Dabei geht es in dieser Studie nicht um das Handeln der Lehrkräfte im Unterricht, sondern erstens um die Rekontextualisierung in Schulkonzepten, die Formal-struktur des Verständnisses von „Förderbedürftigkeit“ im Rahmen der rechtlichen Vorgabe zur Berücksichtigung von Diversität der Schülerschaft auf Ebene der Schule und zweitens um die Aktivitätsstruktur in Form von struktureller Umsetzung der formalen Vorgaben im Unterricht nach Aussagen der Schulleitung und schließlich um das Wissen sowie das individuelle professio-nelle Wissen zu Diversität und „Förderbedürftigkeit“ der in der Schule tätigen Lehrkräfte unter-schiedlicher Professionen. Erst in der Analyse auf Mikroebene können dabei das organisationale Feld, Akteur*innen und Interdependenzen bestimmt werden.

Einen weiteren wichtigen Aspekt für die Entwicklung der Governance-Perspektive betonen außerdem Altrichter und Feyerer (2011): Die Betrachtung nationalstaatlicher Regelungen – gerade vor dem Hintergrund zunehmender Internationalisierung auch des Bildungssystems – greift zu kurz und der Einbezug internationaler Übereinkommen und deren Implementierung bzw. „Rekontextualisierung“ der Vorgaben in Governance-Analysen muss mitberücksichtigt werden (ebd., 4). Dementsprechend ist für die Definition des Feldes von „Förderbedürftigkeit“

in Spanien nicht allein der Nationalstaat auf Makroebene der Akteur, der die Grundlagen für das Bildungssystem definiert, sondern ebenso die Ebene internationaler Organisationen und ihrer Akteur*innen. Zudem ist das organisationale Feld dieser Arbeit – ganz im Sinne des Drei-Säulen-Modells von Scott (s. Kapitel 4.3.2) – zwar in analytisch getrennte Ebenen aufgeteilt, ebenso wie in die institutionellen Säulen, die gleichzeitig unterschiedliche Abstraktionsebenen darstellen. Diese können jedoch nie losgelöst betrachtet werden, sondern müssen insbesondere an ihren Verflechtungspunkten in Form von Interdependenzen analysiert werden.

Ein Kritikpunkt dieses Ansatzes – da er „vorrangig empirisch-fallorientiert“ (Rürup, 2011, 8) ist – bleibt jedoch, dass er mit einem Verzicht auf die „Universalität der Aussagesysteme“ (ebd.)

17 Zum Mehrebenensystem bezogen auf die Schule s. auch Fend (2008a, 17).

einhergeht, wie Rürup (2011) dies auch in Bezug auf die Educational-Governance-Forschung im Bereich Inklusion in Deutschland feststellte.

Bevor die historische Analyse jedoch durchgeführt werden kann, folgt im nächsten Kapitel 6 die Einordnung und Anlage der Untersuchung, die die einzelnen Schritte des methodischen Vorgehens für alle vorgenommenen Analyseschritte beinhaltet.