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2 Behinderung, Diversität, „Förderbedürftigkeit“ oder Inklusion?

4.3 Relevante Begrifflichkeiten des soziologischen Neoinstitutionalismus

4.3.2 Drei-Säulen-Modell von Institutionen nach W.R. Scott

Wie lässt sich dieses Verständnis von Institutionen nun analytisch nutzen, um den institutio-nellen Wandel des Verständnisses von „Förderbedürftigkeit“ zu untersuchen? Eine Möglichkeit bietet das Drei-Säulen-Modell von Scott (2014), das als ein Versuch der Systematisierung des Verständnisses von Institutionen gilt.

Nach Scott bestehen Institutionen aus drei Säulen oder Dimensionen – regulative, normative und kulturell-kognitive –, die empirisch jedoch nie trennscharf zu unterscheiden sind (Koch, 2009, 115). Diese handlungsleitenden Säulen einer Institution formulierte Scott erstmals 1995 und überarbeitete sie 2001, 2008 und 2014.

Er definiert als Institution, was regelhafte Handlungsmuster hervorbringt, die das – kontroverse – Merkmal der Dauerhaftigkeit erfüllen. Umstritten ist dieses Merkmal, da der Zeitpunkt, ab wann etwas als dauerhaft gilt, nicht klar definiert ist. Die entsprechenden Handlungsmuster beschreibt Scott als kausal auf die Institution zurückführbar – sie können jedoch entsprechend der Art der Institution individuell ausfallen. Als Beispiele für Institutionen werden nach dem Verständnis von

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Relevante Begrifflichkeiten des soziologischen Neoinstitutionalismus

Scott folgende genannt: „Gesellschaft, Gesetze, Staat, Organisationen, formale Aspekte von Or-ganisationen, Werte, Rollen, Glaubenssysteme etc.“ (Senge, 2011, 86). Die Systematisierung von Institutionen durch die drei genannten Säulen in Form von drei unterscheidbaren Dimensionen zieht unterschiedliche Grundlagen, Mechanismen, Logiken und Wirkungsmodi nach sich.

Von 1995 bis 2008 veränderte Scott einige Hauptaspekte im Rahmen des institutionellen Säu-lenmodells und fügte 2001 sowohl die „Grundlage der Ordnung“ als auch die Betonung der

„gemeinsam geteilten Überzeugungen bzgl. Handlungslogiken“ als Indikatoren und „verständ-lich, erkennbar“ als Grundlage der Legitimität hinzu. Die Quellen dieser Legitimität, eine der zentralen Begrifflichkeiten im soziologischen Neoinstitutionalismus, sieht Scott grundsätz-lich – entsprechend den drei Säulen – in voneinander zu unterscheidenden, aber dennoch mit-einander verbundenen Regeln, Gesetzen, normativer Unterstützung/moralischer Angemessen-heit bzw. kultureller Unterstützung (Thornton & Ocasio, 2012, 36, 37)

Diese Säulen einer Institution, die unterschiedliche Quellen der Legitimität beinhalten und differierende Logiken, Mechanismen und Folgen nach sich ziehen, gilt es in der Folge für das Verständnis von „Förderbedürftigkeit“ auf den unterschiedlichen Ebenen des Schulsystems zu analysieren. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die einzelnen Dimensionen und Ausprägungen der Institution „Förderbedürftigkeit“, angelehnt an Scott (2014, 60).

Tab. 1: Zusammenfassende Darstellung der Institution „Förderbedürftigkeit“ als Gegenstand der Untersuchung (angelehnt an Scott 2014, 60)

Förderbedürftigkeit von Schüler*innen in der Sekundarschule

Kulturell-kognitiv Normativ Regulativ Ausprägungen von „Förderbedürftigkeit“ im Kontext der Berücksichtigung von Diversität Grundlage der

geteilt Moralische Verpflichtung Rechtlich festgelegt – national/regional

Die durch die regulative Kraft generierten Handlungsmuster von Akteur*innen z.B. in der Schule orientieren sich an formalen Regelungen, an Vorschriften und Gesetzen, um bei Nicht-Befolgung Sanktionen zu umgehen und/oder um bei Befolgung belohnt zu werden. Rationales Zweckden-ken führt zur Übernahme dieser Handlungsmuster. Grundlage der Legitimität, der Aufrechterhal-tung, ist in diesem Fall die rechtliche Sanktionierung (Koch, 2009; Powell, 2009; Merkens, 2011;

Senge, 2011). Scott integriert und definiert die Säulen mit Bezugnahme auf die Mechanismen der strukturellen Isomorphie von DiMaggio und Powell (1983): die regulative Säule mit dem „coercive isomorphism in the sense of pressures for conformity exterted on organizations stemming from government mandate and existing in a common legal environment“ (Thornton & Ocasio, 2012, 37). Die rechtliche Vorgabe zur Berücksichtigung von Diversität gilt im Rahmen der Umsetzung inklusiver Bildung als ein Baustein hin zu diesem Ziel (s. Kapitel 2), wodurch eine gemeinsame rechtliche Umgebung in den Schulen geschaffen wird, auf die die Akteur*innen in ihrem Handeln Bezug nehmen können. Diese stellt gleichzeitig eine Form des Handlungsdrucks für die Orga-nisation Schule dar, der vonseiten der Regierung auf allen Ebenen ausgeübt wird. Damit ist eine Art Isomorphie im Sinne einer Anpassung der Schulen vollzogen, wohingegen die Umsetzung der Vorgabe als Konzeptualisierung in den Händen der einzelnen Schulen liegt.

Im Rahmen der regulativen Säule von „Förderbedürftigkeit“ ist es für diese Arbeit relevant zu analysieren, inwieweit Sanktionsmechanismen für die rechtliche Vorgabe bzgl. der Berücksich-tigung von Diversität auf den Ebenen – Bezirk, autonome Region, Nationalstaat – implemen-tiert wurden, um die handlungsleitende regulative Kraft, den tatsächlichen Zwang, die Macht dieser regulativen Dimension auf das Handeln der Lehrkräfte und der Organisation Schule ein-schätzen zu können. Es geht hier um das Feststellen der Quelle des Handelns auf regulativer Ebene der Institution, bevor die Institutionalisierung dessen untersucht werden kann.

Die normative Säule stellt die handlungsleitende Kraft von Normen und Werten in den Mittel-punkt. Normen werden dabei als die Art und Weise verstanden, wie wünschenswerte Ziele in Form von Werten erreicht werden sollen. Die moralisch gesteuerte Legitimität dieser handlungs-leitenden Säule geht von einer abstrakten Autorität in Form sozialer Verpflichtung und bindender Erwartungen aus. Diese Erwartungen generieren sich zum einen durch die Internalisierung dieser Normen und Werte durch die einzelnen Akteur*innen in eigene und zum anderen durch einen rationalen Entscheidungsprozess der Akteur*innen, indem sie abschätzen, ob ihr Verhalten den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht (Senge, 2011; Koch, 2009). Hier spielt auch der Er-wartungsdruck, der durch andere Akteur*innen und deren Wertesysteme auf den/die einzelne*n Akteur*in ausgeübt wird, eine handlungsleitende Rolle. Die Verbindung zu DiMaggio und Powell (1983) sieht Scott im Mechanismus der normativen Isomorphie. Wobei hier, Thornton und Oca-sio (2012) folgend, einschränkend angemerkt wird, dass die Grundlage der Legitimität der norma-tiven Säule bei Scott (s.o.) die moralische Steuerung ist, wohingegen die Ausgangspunkt jener bei DiMaggio und Powell in der Professionalität, dem wissenschaftlichen oder Expert*innenwissen, beruflichen Werten und Normen liegt, was durch gleiche Bildung und Ausbildung bewirkt wer-den kann. Demzufolge weisen Thornton und Ocasio darauf hin, dass moralisch gesteuertes Ver-halten bei Scott etwas anderes ist als eine professionelle Ausbildung, die bei Scott jedoch nicht berücksichtigt wird (ebd., 38). Für diese Arbeit gilt es im Rahmen der normativen Säule zu unter-suchen, welche Strukturen und Maßnahmen zur Berücksichtigung von Diversität – basierend auf der regulativen Vorgabe – umgesetzt werden; wobei diese bereits institutionalisierte gesellschaftli-che und schulisgesellschaftli-che Werte und Normen darstellen.

Die dritte, die kulturell-kognitive Säule der Institution spielt für den soziologischen Neoinstitu-tionalismus eine besondere Rolle. Kognitiv bedeutet in diesem Zusammenhang, gemeinsames

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geteiltes, selbstverständliches Wissen (taken-for-grantedness), „allgemeine Glaubensvorstellun-gen, Modelle und Skripte, mit denen wir die Wirklichkeit wahrnehmen“ (Senge, 2011, 87).

Sie stellt den Rahmen für die Wahrnehmung dar. Koch (2009) fasst die Definition dieser Di-mension einer Institution wie folgt zusammen: „Die kulturelle Rahmung der organisationalen Akteure [steht] im Vordergrund, wobei die Kennzeichnung als ‚kognitiv‘ aufzeigen soll, dass sie subjektive Situationsdeutungen fundiere, während die Attribuierung als ‚kulturell‘ hervorhe-be, dass situationsbezogene Handlungsskripte und -schemata gesellschaftlich konstituiert“ sind (Koch, 2009, 117). Es geht um die gemeinsame Wahrnehmung der Wirklichkeit wie „wider be-lief systems and cultural frames“, „common scripts“, „common bebe-liefs“ und „meaning systems“

(Scott, 2001, 58 in: Senge, 2011, 85), die selbstverständlich im gesellschaftlichen Denken – hier im organisationalen Denken – verankert, jedoch nicht zwingend direkt im aktiven Bewusstsein der Akteur*innen vorhanden sind. Diese gemeinsamen Überzeugungen und Handlungslogi-ken verbindet Scott mit dem Mechanismus der mimetischen Isomorphie von DiMaggio und Powell (1983), deren Antriebskraft die Ungewissheit, der Wettbewerb ist. Indem Organisatio-nen andere als legitimierter, erfolgreicher wahrnehmen, sind sie dazu geneigt, diese zu imitieren (Thornton & Ocasio, 2012). Dies lässt sich im Bildungsbereich beobachten: Indem Schulpreise vergeben oder Best-Practice-Beispiele definiert werden, wird im Diskurs deren Rolle als Vorbild entsprechend hervorgehoben und andere Schulen können sich daran orientieren. Hinsichtlich dieser Säule gilt es entsprechend zu analysieren, welche gemeinsamen Überzeugungen, welche unhinterfragten Routinen sich in den einzelnen Schulen bzgl. des Umgangs mit Diversität ma-nifestiert haben. Dabei wird nicht davon ausgegangen, dass Isomorphie, also die Anpassung der Schulen das Ziel ist, sondern es wird ergebnisoffen analysiert, welche Handlungsroutinen be-stehen und was ursächlich als kulturell bedingt herausgestellt werden kann. Für die vorliegende Studie bedeutet die kulturell-kognitive Säule (s. Tabelle 1) von „Förderbedürftigkeit“, dass das Verständnis jener untersucht wird. Dies bedeutet, dass auf den den unterschiedlichen Ebenen des Schulsystems das Bildungsverständnis, die damit verbundenen Bildungsziele und das Ver-ständnis von Behinderung im Schulsystem sowie der Umgang damit, analysiert wird. Auf der Mikroebene geht es dann um die individuellen Sinnkonstruktionen einzelner Akteur*innen, wie diese „Förderbedürftigkeit“ konstruieren und legitimieren.

Deutlich wurde durch die Ausführungen, dass die Trennung in Säulen einer Institution ledig-lich heuristischer Natur ist und die Berücksichtigung von Diversität in den Schulen als Ganzes betrachtet werden muss. Der Schwerpunkt der historischen Rekonstruktion der politischen Vorgabe liegt auf der regulativen Säule, jedoch werden ebenso Mechanismen und Quellen der Legitimität der normativen und kulturell-kognitiven Säule betrachtet. Denn bzgl. des Begriffs der Institution wird davon ausgegangen, dass – angelehnt an die Kritik an Scotts Säulenmodell durch Senge (2011) – die kulturell-kognitive Säule als Grundlage für die regulative und norma-tive Säule einer Institution wirkt und sich dementsprechend auch in diesen wiederfinden lässt.

Dies beschreibt Scott (in Orr & Scott, 2008) folgendermaßen:

Many laws are sufficiently controversial or ambiguous that they do not provide clear prescriptions for conduct. In such cases, law is better conceived as an occasion for sensemaking and collective interpreta-tion, relying more on cognitive and normative elements for its effects (ebd., 54).

Gesetzgebung ist letztlich nur das Ergebnis vorangegangener Diskurse von Akteur*innen unter-schiedlicher Ebenen, die kulturell und normativ, gewiss auch kognitiv geprägt geführt wurden und sowohl einen Prozess abschließen als gleichzeitig auch anstoßen können. Wie rechtliche Vorgaben dann umgesetzt werden, hängt offensichtlich zum einen von den damit verbundenen

Sanktionsmaßnahmen ab (regulative Säule), zum anderen jedoch ebenso von normativer Steu-erung mit Betonung der professionellen Kontrolle in Form von Expert*innenwissen sowie von ihrer Erkennbarkeit und Verständlichkeit, was als Grundlage für ihre Legitimität gelten kann.

Bei diesem Konzept geht es um die analytische Trennung der drei Säulen mit ihren Dimensio-nen, aber ebenso um die Verbindung im Sinne einer allumfassenden Analyse der Situation. Je nach Untersuchungsziel können unterschiedliche Säulen jeweils in den Vordergrund treten, was die anderen jedoch nicht ausblendet.

Zusätzlich zu diesen drei Säulen entwickelte Scott (1995) unterschiedliche Ausprägungen von Institutionen (carriers, repositories). In Bezug auf Jepperson (1991) sowie in Anlehnung an Giddens’ (1984) Strukturationstheorie, der die reziproke Beziehung zwischen Struktur und Handeln in sozialem Verhalten beschrieb, entwarf Scott das Modell mit ursprünglich drei Aus-prägungen, in denen Institutionen sichtbar werden: Kulturen, soziale Strukturen und Routinen.

2001, 2008 und 2014 überarbeitete und ergänzte er dieses Modell.

Als Ausprägungen von Institutionen definiert Scott „Symbolische Systeme als Modelle, Klassifi-kationen, Repräsentationen und Logiken“ (Thornton & Ocasio, 2012, 40). Aus Perspektive des soziologischen Institutionalismus sind die interessierenden Symbole seiner Definition nach „the full range of rules, values and norms, classifications, representations, frames, schemas, prototy-pes, and scripts used to guide behavior“ (Scott, 2014, 97). Je nach Forschungsschwerpunkt auf einer der drei Säulen variieren die analysierten Symbole: Für die einzelnen Säulen benennt Scott

„Regeln und Gesetze“ auf der regulativen, „Werte und Erwartungen“ auf der normativen und

„Kategorien, Typisierungen und Schemata“ auf der kulturell-kognitiven Säule als symbolische Ausprägungen jener.

Je nach Schwerpunktlegung auf einer der drei Säulen einer Institution ergeben sich auch hier jeweils unterschiedliche Blickwinkel und Annahmen. Entscheidend sind entsprechend die Aus-prägungen der relationalen Systeme, wie sie Scott auf den unterschiedlichen Säulen benennt:

„Governance- und Machtsysteme“ auf der regulativen, „Führung (regimes), autoritäre Systeme“

auf der normativen und „strukturelle Isomorphie und Identitäten“ auf der kulturell-kognitiven Säule. Inwiefern sich institutioneller Wandel des Verständnisses von Diversität auch in Form von Verschiebungen bzgl. der Schwerpunktlegung der Säulen in Spanien im Laufe der Historie beobachten lässt, wird in Kapitel 6 vertiefend analysiert. Die rechtliche Vorgabe zum Umgang mit Diversität zeigt sich in Governance-Systemen oder -Strukturen: „Such governance systems are viewed as creating and enforcing codes, norms, and rules, and as monitoring and sanction-ing the activities of participants“ (Scott, 2014, 99). Diese Steuerungsmechanismen werden im Sinne der Educational Governance beschrieben, d.h. nicht im ursprünglichen Verständnis von Steuerung, als top-down-Prozess, sondern „als Forschungsansatz, der Steuerungsfragen im breite-ren Kontext von Fragen der sozialen Gestaltung in komplexen Systemen thematisiert“ (Schimank, 2009 in: Altrichter & Maag Merki 2010, 21; Hervorh.i.O.). Aus Einzelbeobachtungen und Zu-sammenhängen, die individuell – abhängig von der Fragestellung – kombiniert werden, entsteht ein komplexes Zusammenwirken unterschiedlicher Akteur*innen durch verschiedene Formen der Handlungskoordination in diversen Akteurskonstellationen, die wiederum Struktur bildend und soziale Ordnung herstellend wirken. Diese Konstellationen rund um die politische Vorgabe zur Berücksichtigung von Diversität gilt es als Ausprägungen im Sinne relationaler Systeme zu identifizieren. Wer bzw. welche Akteurskonstellationen sind auf nationaler Ebene daran beteiligt, Normen und Regeln zu setzen sowie die Umsetzung im Sinne eines Monitorings zu überwachen und (ggf. wie) zu sanktionieren? Auch steht die „Rekontextualisierung“ (Fend 2008b, 174–176) der internationalen Übereinkommen zum Thema Berücksichtigung von Diversität und inklusiver

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Bildung durch den spanischen Nationalstaat im Fokus, inwiefern dieser in der Rolle als internatio-naler Akteur die Vorgaben in nationale Gesetze übersetzt und damit interpretiert. Hierfür müssen die Ausprägungen der regulativen Säule in Form unterschiedlich beteiligter Akteur*innen und Akteurskonstellationen analysiert werden. Der analytische Rahmen der Educational Governance ergänzt das Konzept des organisationalen Feldes (s. Kapitel 4.3.4) der Berücksichtigung von Diversität, um Akteurskonstellationen und Interdependenzen sichtbar zu machen, die bei der Interpretation der internationalen Vorgaben eine Rolle spielen.

Wie bei den symbolischen Systemen können auch hier die relationalen Strukturen über viele Organisationen hinweg dieselben sein – im Sinne des strukturellen Isomorphismus oder sie zeigen sich in Form spezifisch lokaler „belief systems“ (Scott, 2014, 99), die eine für eine Organisation spezifische „character structure“ (Selznick, 1957 in: Scott, 2014, 99) oder „iden-tity“ (Albert & Whetten, 1985 in: Scott, 2014, 99) aufweisen.

Als eine weitere Ausprägung auf dem Säulenmodell beschreibt Scott die Aktivitäten: Auf den drei Säulen benennt er „Monitoring, Sanktionsmechanismen, Unterbrechung“ auf der regula-tiven, „Rollen, Jobs, Routinen, Habits, Repertoire kollektiver Handlungen“ auf der normativen und „Prädispositionen“ und „Scripts“ auf der kulturell-kognitiven Säule (Scott, 2014, 100–102).

Für die vorliegende Studie sind die Aktivitäten, die im Fokus des Interesses stehen regulativ Mo-nitoring bzw. die Funktion der Schulaufsicht auf provinzialer und regionaler Ebene, normativ die auf Schulebene definierten Maßnahmen zur Berücksichtigung von Diversität ebenso wie Strukturen in Form von Akteurskonstellationen schulintern und -extern (s. Kapitel 3). Als Akti-vitäten der kulturell-kognitiven Säule werden auf Mikroebene dieser Studie die Sinnstrukturen bzw. das Verständnis von „Förderbedürftigkeit“ einzelner Akteur*innen untersucht.

Grundsätzlich stellt die Berücksichtigung von Diversität im Schulsystem als Ganzes eine komple-xe Entwicklung dar, deren Institutionalisierung zwar in Gesetzestexten, Verordnungen, Dekreten und Vorgaben mündet. Diese sind jedoch nur das Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses, den es zu untersuchen gilt – entsprechend dem Verständnis des Säulenmodells dieser Arbeit, dass die kulturell-kognitive Säule wie eine Schablone hinter den anderen beiden liegt. Aktivitäten als ins-titutionelle Ausprägungen lassen sich sowohl vertikal in den drei Säulen als auch in dieser Studie auf allen Ebenen der Untersuchung finden. Sie stellen das Ergebnis von Institutionalisierung in Scotts Verständnis von Institutionen dar. Aktivitäten fungieren auf der normativen Säule mehr oder weniger als generalisierte Handlungsmuster innerhalb einer Organisation, wie der der Schu-le, hier in Form von Maßnahmen zur Berücksichtigung von Diversität. Die Erwartungsmuster der institutionellen Umwelt – verbunden mit bestimmten Rollen und Positionen, mit denen z.B.

politische Akteur*innen und auch Schulleitungen oder Lehrkräfte auf Mikroebene konfrontiert werden – sind in Bezug auf den Umgang mit Diversität sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Mikroebene zu betrachten. Dabei geht es bei Aktivitäten als Ausprägung institutioneller Säulen auf Schulebene um die Bedeutung der Erwartungserfüllung, die an die Schule als Organisation, die Schulleitung als Akteur bzw. die einzelnen Koordinator*innen als Expert*innen bzgl. der Be-rücksichtigung von Diversität aus der Umwelt herangetragen wird. Dies sind Erwartungen ande-rer Akteur*innen auf Schulebene, aber auch auf übergeordneter Ebene in Form von Vorgaben, wie mit Diversität in Schulen umgegangen werden soll.

Mit Fokus auf die regulative Säule hält Scott (2014) fest:

Attention must be focused on the monitoring and sanctioning behavior of „principals“, on the one hand, and on compliance/deviance responses of „agents“ on the other. (…) But it also happens that the agents can have their own agenda and can seek to evade or even disrupt the rule systems and authorities in place. (ebd., 101)

Institutionalisierung

Neben den drei Säulen einer Institution und deren Ausprägungen spielen insbesondere für die Mikroebene der einzelnen Akteur*innen und für die Wahrscheinlichkeit des institutionellen Wandels (s. Kapitel 4.4) Mechanismen eine Rolle, die zur Institutionalisierung des Verständnis-ses und des Umgangs mit Diversität beitragen.

Die Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (1969, in Schiller-Merkens, 2008) als eine we-sentliche Grundlage des organisationssoziologischen Institutionalismus bietet – in Rückgriff auf die Phänomenologie von Alfred Schütz (ebd.) – mit ihrem Begriff der Institutionalisierung durch Objektivierung ein Erklärungsmuster an, das, ausgehend von der Annahme der sozialen Konst-ruktion der Vorstellungen der Welt, den Prozess der Institutionalisierung von Institutionen in Or-ganisationen erklären kann. Wie kommt es dazu, dass das Spezialwissen Einzelner zum allgemein vorhandenen Wissen wird? „Es ist ein Wissen um allgemein anerkannte, gesellschaftlich erwartete Verhaltensweisen, um die Regeln angemessenen und sinnhaften Handelns in Momenten der Inter-aktion“ (ebd., 36). Bei diesem allgemeingültigen Wissen geht es um die Möglichkeit des routinier-ten Handelns durch die blinde Übereinstimmung mit anderen Akteur*innen10 einerseits – ande-rerseits wird dieses institutionalisierte Wissen jedoch zur objektiven Realität Einzelner, die als nur schwer veränderbar wahrgenommen wird11. Im Zuge dessen gilt es, den Prozess der Institutionali-sierung bei Berger und Luckmann (1969) näher zu betrachten.

Abb. 3: Prozess der Institutionalisierung nach Berger und Luckmann (1969 in Schiller-Merkens, 2008, 39)

Der oben schematisch abgebildete Prozess der Institutionalisierung (s. Abbildung 3) setzt vo-raus, dass das Handeln Einzelner, individueller Akteur*innen – in einer ersten Phase – habitu-alisiert wird. Dies bedeutet, dass sich eine Routinisierung ihrer Handlungen einstellt; Hand-lungsmuster, Handlungsakte bilden sich aus, die dauerhaft Anwendung finden. Durch die Dauerhaftigkeit der Handlungen entsteht eine wechselseitige Typisierung, indem typisierte Handlungsverläufe in Interaktion an andere Akteur*innen weitergegeben werden. Durch diese Übernahme wiederum verstärkt sich die Typisierung dieser Verläufe gleichzeitig (Senge, 2011;

Schiller-Merkens, 2008; Schimank, 2007a).

Im nächsten Schritt finden sich die Handlungsmuster losgelöst von individuellen Interaktions-partner*innen wieder – sie werden angebunden an Rollen, die es in einem bestimmten Kon-text zu erfüllen gilt (Schiller-Merkens, 2008). Hier wird die Wechselseitigkeit der Typisierung

10 Berger und Luckmann beziehen sich hier auf Max Weber, der darauf verwiesen hat, dass „die soziale Wirklichkeit immer auch durch den subjektiv gemeinten Sinn der in ihr agierenden Personen konstruiert wird“ (Schiller-Mer-kens, 2008, 36).

11 Berger und Luckmann nehmen hier Bezug auf die Durkheimsche Gesellschaftstheorie, die u.a. besagt, dass auch der Einfluss sozialer Phänomene auf das Handeln dinghaft geschehen kann (Schiller-Merkens, 2008).

Habitualisierung Externalisierung Institutionalisierung Übergang auf eine

neue Generation

Legitimierung Typisierung von

Akteur*innen

Objektivierung Typisierung von

Handlungsakten

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erneut deutlich, die nun auch auf die Akteur*innen übergeht, indem diese insofern typisiert werden, als dass sie, wenn sie z.B. in eine Schule kommen, eine bestimmte Rolle zu erfüllen haben, die für Lehrkräfte konsensuell gültig ist. Die Handlung wurde also externalisiert, indem eine Generalisierung der Verhaltenserwartungen stattfand. Dieser Prozess der „Objektivierung“, wie ihn Schiller-Merkens (2008, 37) in Bezug auf Berger und Luckmann (1969) nennt, oder der „Objektivation“ (Walgenbach & Meyer, 2008, 91) beinhaltet „die Verbreitung der neuen Formen und Praktiken. Dazu ist die Herausbildung von sozialem Konsens über ihren Nutzen und Wert als Problemlösungsinstrument erforderlich“ (ebd.). Dies bedeutet, dass nicht nur die

erneut deutlich, die nun auch auf die Akteur*innen übergeht, indem diese insofern typisiert werden, als dass sie, wenn sie z.B. in eine Schule kommen, eine bestimmte Rolle zu erfüllen haben, die für Lehrkräfte konsensuell gültig ist. Die Handlung wurde also externalisiert, indem eine Generalisierung der Verhaltenserwartungen stattfand. Dieser Prozess der „Objektivierung“, wie ihn Schiller-Merkens (2008, 37) in Bezug auf Berger und Luckmann (1969) nennt, oder der „Objektivation“ (Walgenbach & Meyer, 2008, 91) beinhaltet „die Verbreitung der neuen Formen und Praktiken. Dazu ist die Herausbildung von sozialem Konsens über ihren Nutzen und Wert als Problemlösungsinstrument erforderlich“ (ebd.). Dies bedeutet, dass nicht nur die