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Ebenenmodell früher Mengen-Zahlen-Kompetenzen nach Krajewski

3 M ATHEMATISCHE B ASISKOMPETENZEN

3.2 Ebenenmodell früher Mengen-Zahlen-Kompetenzen nach Krajewski

Ebene I

Auf der ersten Kompetenzebene steht zunächst die Ausbildung des unpräzisen Mengenbegriffs im Vordergrund. Bereits Säuglinge verfügen über ein grundlegendes quantitatives Wissen. Auch wenn noch nicht endgültig geklärt ist, ob sie schon präzise Anzahlen wahrnehmen können, so kann zumindest als gesichert gelten, dass Säuglinge die Fähigkeit haben, numerisch unbestimmte Mengen zu unterscheiden und zu vergleichen, indem sie physikalische Eigenschaften wie die Ausdehnung oder den Umfang der Mengen betrachten (Clearfield & Mix, 1999; Feigenson, Carey & Spelke, 2002). Für Resnick (1989) basieren diese Vergleiche auf dem protoquantitativen Vergleichsschema, das auf basalen perzeptuellen Prozessen beruht, nicht auf konkreten (Ab-)Messungen. Ein nächster Entwicklungsschritt wird vollzogen nachdem sich die Kinder sprachlich ausdrücken können.

Sie entwickeln nun ein großes Repertoire an nichtnumerischen Mengenbegriffen wie groß, klein, viel und wenig. So können sie Mengenvergleiche jetzt auch durch Begriffe wie mehr und weniger sprachlich durchführen (ebenda). Die Unterscheidung diskreter Mengen gelingt ihnen zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Die Kinder sind also noch nicht in der Lage zwischen einzelnen Stückzahlen zu differenzieren.

Parallel zu diesem protoquantitativen Vergleichsschema, aber völlig isoliert und unabhängig davon, entwickelt sich ab dem Alter von zwei Jahren der Erwerb der Zahlwortfolge. Dabei lernen Kinder zunächst die Zahlwortfolge, die, wie später die Buchstabenfolge, auswendig aufgesagt werden kann, ohne dass den einzelnen Wörtern eine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. Fuson, 1988). Zu diesem Zeitpunkt sehen die Kinder die Zahlwort-folge jedoch nur in ihrer Ordnungsfunktion (ordinaler Zahlaspekt), mithilfe derer die Zahlen in eine feste Reihenfolge gebracht werden. Der Mengenbezug wird hier noch nicht erkannt, es liegt also noch kein kardinales Verständnis der Zahl vor.

Ebene II

Die Mengenbewusstheit von Zahlen erwerben die Kinder auf der zweiten Kompetenzebene.

Sie verstehen also, dass jede Zahl mit einer bestimmten Menge verknüpft ist und folglich Mengen durch Zahlen quantifiziert werden können (Anzahlkonzept). Krajewski nimmt an, dass die Kinder in zwei Phasen zu diesem Anzahlkonzept gelangen.

Mathematische Basiskompetenzen 21 Zunächst erwerben sie ein unpräzises Anzahlkonzept (Ebene IIa). Hier funktioniert die Mengen-Zahlen-Zuordnung nur bei der Zuordnung von Zahlen zu groben, verbalen Mengenkategorien (wenig, viel, sehr viel). Kinder ordnen so z.B. Zahlwörter, wie drei oder fünf, in die Kategorie wenig ein, 20 oder 36 in die Kategorie viel und 100 oder 1000 in die Kategorie sehr viel, ohne dass sie in der Lage sind, bis zu diesen Zahlen zu zählen. Diese Zuordnungen resultieren zum Beispiel aus der Erfahrung, dass zum Erreichen großer Zahlen viel länger gezählt werden muss als bei kleinen Zahlen. Die Dauer des Zählens korrespondiert also mit der Größe der Zahl. Die Kinder sind zu diesem Zeitpunkt in der Lage zwischen Anzahlen, die verschiedenen Mengenkategorien zugeordnet sind, zu unterscheiden (unpräzises Anzahlkonzept). So können sie folgenden Gedankengang führen: Fünf gehört zur Kategorie wenig, da man bis fünf nur ganz kurz zählen muss. 20 gehört zur Kategorie viel, da man bis 20 sehr lange zählen muss. Also ist fünf weniger als 20. Die Unterscheidung exakter Anzahlen, die sich in derselben Mengenkategorie befinden, funktioniert allerdings noch nicht.

So gehören 23 und 24 beide in die Kategorie viel, da man aber zu beiden ungefähr genauso lange zählen muss, kann ein Kind noch nicht entscheiden, welche Zahl mehr ist.

Dazu müssen die Kinder erst das präzise Anzahlkonzept (Ebene IIb) erwerben. Dies geschieht dadurch, dass die auf Ebene I gelernte exakte Zahlwortfolge mit der Fähigkeit zur Seriation von numerisch unbestimmten Mengen gekoppelt wird. Dadurch können die Kinder verstehen, dass die Zahlenfolge exakte, aufsteigende Quantitäten repräsentiert. Nun erkennen sie, dass beim Abzählen verschiedener Mengen einerseits die letzte Zählzahl die Mächtigkeit der Menge angibt und andererseits, dass die Dauer des Auszählens exakt mit der Mächtigkeit der zu zählenden Menge übereinstimmt. Erst jetzt sind sie in der Lage, Zahlen, die eng beieinander liegen oder zunächst in einer der groben Mengenkategorien zusammengefasst waren, der Größe nach zu ordnen und zu entscheiden, welche Zahl größer oder kleiner ist.

Diese Fülle an Erkenntnissen führt zu einem präzisen Anzahlkonzept bzw. dem Kardinal-verständnis der Zahlen und befähigt zur Anzahlseriation und Anzahlvergleichen.

Unabhängig vom Anzahlkonzept entwickelt sich das Verständnis für unbestimmte Mengen (ohne Zahlbezug) im Alter von drei bis fünf Jahren weiter fort. So begreifen die Kinder, dass durch die Zu- bzw. Abnahme von gleichartigen Elementen aus einer Menge die Menge größer bzw. kleiner wird als zuvor. Die Kinder beherrschen also das protoquantitative Zunahme-Abnahme-Schema (vgl. Resnick, 1989). Sie wissen damit, dass Mengen sich nur dann verändern, wenn man etwas hinzufügt oder wegnimmt, nicht jedoch durch Manipulation der räumlichen Ausdehnung (vgl. Piaget & Szeminska, 1975: Zahlinvarianz). In dieser Phase festigt sich ein erstes grundlegendes Verständnis für die Addition und Subtraktion. Ebenso

Mathematische Basiskompetenzen 22 kommen die Kinder zu der Erkenntnis, dass sich Mengen in einzelne Teilmengen zerlegen lassen und dass man diese wieder zusammensetzen kann (vgl. Resnick, 1989:

protoquantitatives Teil-Ganzes-Schema). Sie können nun also Vergleiche zwischen Mengen und Teilmengen anstellen. Sie wissen beispielsweise, dass eine ganze Tafel Schokolade mehr ist, als jedes ihrer Teile.

Ebene III

Auf der dritten Entwicklungsebene werden nun die Kompetenzen, die auf der zweiten Ebene erworben wurden, miteinander verknüpft. So führt die Integration des präzisen Anzahlkonzepts in das aufgebaute Verständnis für unbestimmte Mengen dazu, dass Mengen nicht nur in numerisch unbestimmte Mengen zerlegt werden können, sondern dass diese Mengen auch mit Zahlen und somit durch eine diskrete Anzahl darstellbar sind („fünf Elemente lassen sich in drei und zwei Elemente aufteilen“; Anzahlzerlegung). Außerdem sind die Kinder nun in der Lage, den Unterschied zweier Mengen, welcher wiederum durch eine dritte Menge dargestellt wird, mit einer genauen Zahl zu bestimmen („fünf Elemente sind zwei mehr als drei Elemente“; Anzahldifferenzen). Das erworbene relationale Zahlkonzept erlaubt nun erste einfache Rechenoperationen, wie beispielsweise das Zusammenzählen zweier Mengen nicht nur durchzuführen, sondern auch die zugrundeliegende mathematische Bedeutung zu verstehen.

Während die Kompetenzen der ersten beiden Ebenen als mathematische Vorläufer-kompetenzen anzusehen sind, spiegelt sich damit beim Übergang auf die dritte Ebene bereits ein erstes arithmetisches Verständnis wieder.

Mathematische Basiskompetenzen 23

Abbildung 2: Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen (nach Krajewski, 2008a)

Auch wenn das hier aufgezeigte Modell einen immer gleichen Entwicklungsablauf suggeriert, finden sich nach Angaben der Autorin in der interindividuellen und sogar in der intraindividuellen Entwicklung jedes Kindes Verschiebungen und Abweichungen davon.

Beispielsweise werden die Kompetenzebenen für die verbalen Zählzahlen und die arabischen Ziffern nicht zwangsläufig gleichzeitig durchlaufen. Kinder können sich so mit den verbalen

Mathematische Basiskompetenzen 24 Zählzahlen auf einer höheren Kompetenzebene befinden, während sie mit den visuellen Ziffernzahlen noch nicht so vertraut sind und sich auf einer niedrigeren Stufe bewegen (zu den verschiedenen internalen Repräsentationsmodi von Zahlen siehe Dehaene, 1992). Zudem werden die höheren Ebenen mit kleineren Zahlen früher erreicht als mit größeren. Ein Kind kann sich demnach für verschiedene Teile der Zahlwortreihe gleichzeitig in verschiedenen Entwicklungsphasen befinden. Außerdem können Zahlen bei der Zuordnung zu den groben Mengenkategorien auf der Ebene IIa mit der Zeit die Kategorie wechseln. So wird 20 anfangs als viel wahrgenommen, nach der Erweiterung des Anzahlkonzepts auf größere Zahlenräume aber vielleicht als wenig. Diese Verschiebungen der Kompetenzen innerhalb einer und zwischen den Kompetenzebenen machen es nach Krajewski schwierig, einem Kind einen genauen Standort auf nur einer Kompetenzebene zuzuweisen.

Ein weiterer Punkt, der gegen eine genaue Verortung eines Kindes auf einer Kompetenzebene spricht, ist, dass die Beherrschung verschiedener Kompetenzen von der jeweiligen dargebotenen Repräsentationsform abhängen kann (vgl. Aebli, 1976; Kutzer, 1999). So kann es sein, dass Kinder in der Lage sind Aufgaben zu lösen, für die Kompetenzen der Ebene III benötigt werden, wenn diese an konkreten Darstellungsmitteln veranschaulicht werden, aber an den gleichen Aufgaben scheitern, wenn diese bildlich oder symbolisch gestellt werden.

Beispielsweise könnte eine Aufgabe zum Teil-Ganzes-Verständnis mit Zahlbezug lauten: „Du hast 5 Murmeln. Ich nehme dir 3 davon weg. Wie viele Murmeln hast du übrig?“. Ein Kind, dass noch sehr auf Darstellungsmittel angewiesen ist, kann diese Aufgabe lösen, wenn es die Murmeln direkt vor sich liegen hat (Aebli, 1976: konkrete Handlung). Es kommt aber zu keinem oder einem falschen Ergebnis, wenn die Aufgabe bildlich, symbolisch oder nur verbal gestellt wird. Es kann nach Krajewski sogar vorkommen, dass Aufgaben einer höheren Modellebene mit Hilfe von konkreten Veranschaulichungsmaterialien gelöst werden, Aufgaben einer darunterliegenden Ebene auf bildlicher oder symbolisch-abstrakter Zeichen-ebene jedoch noch nicht. Ein Beispiel: Das Kind löst obige Murmelaufgabe mit konkreten Materialien (Ebene III), scheitert aber an einer Aufgabe zur Invarianz (Ebene II), die bildlich dargeboten wird.