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Kapitel 2. Die Gruppe FEKS und d e r Begriff des 11 Exzentrismus"

2.2. E xze D trism u s

2.2.1 .Der Begriff "Exzentrismus"

Direkt im Anschluß an die Beschreibung der Entdeckung des Begriffes

,Exzentrismus' schreibt Kozincev: —

В искусстве тех лет п ереход от с л о в к делу б ы л мгновенным, а слова не произносились, а скорее вы•

п ал и вали сь. М о л о д е ж ь г о в о р и л а т о г д а на осо б о м ж а р г о н е , если к а к и е - т о в ы р а ж е н и я и не б ы л и понятны, то все равно п р и в л е к а л а звучность слов и агрессивность интонаций.**

"In der Kunst dieser Jahre erfolgte der Übergang von Worten zur Tat blitzschnell und Worte wurden nicht ausgesprochen, sondern vielmehr herausgeplatzt. Die Jugend sprach damals in einem besonderen Jargon; wenn irgendwelche Ausdrücke nicht verstanden wurden, so begeisterte trotzdem der Klang der Worte und die Aggressivität der Intonation."166

Diese Erklärung laßt den Schluß zu, daß sie zu diesem Zeitpunkt noch keine konkrete Vorstellung von den Inhalten des Begriffes 'Exzentrismus' hatten und erst im Laufe weiterer Überlegungen und vor allem der praktischen Arbeit Inhalt und Bedeutung dieses Begriffes für sich festlegten.

Kozincev gibt an, er habe sich von Anfang an für das äußerste Linke in der Kunst b e g e istert,167 was sein Lebenslauf bis zur Gründung der FEKS bestätigt. Die gleiche Begeisterung herrschte bei seinen Freunden und Mit- begründem.

Hierbei muß man auch die in Kapitel I. dieser Arbeit beschriebenen his- torischen und politischen Aspekte für diese Begeisterung beachten, die sich nicht auf die Kunst allein beschränkte. Sie wurde getragen vom Glauben an eine humanere und sozialere Gesellschaft, die nach der Revolution von 1917 in der jungen Sowjetunion aufgebaut werden sollte. Wie dargestellt, hatte

166 G E . S. 3 2 . 167 V g l . i b i d . . S . 10.

gerade bei den 'Linken* die uneingeschränkte Sympathie für die Revolution die ebenso uneingeschränkte Antipathie gegenüber allem, was davor von Wert gewesen war, zur Folge. So vertraten auch die Féksy die Meinung, daß die klassische Literatur und das traditionelle Theater wertlos geworden seien.

Diese Einstellung erklärt Kozincev in einem Interview mit Ulrich Gregor und Marcel Martin, bei dem er unter anderem auf den Ausdruck ,Fabrik' angesprochen w urde:

"Das richtete sich speziell gegen den Begriff des 'Schöpfe- rischen'. Unsere Generation liebte keine hochtrabenden Sätze, keine Ausdrücke wie ,Schöpfung* und 'Große Kunst' - daher nannten wir unser Ensemble ,Fabrik*. Damals wollten wir - wie immer in der Jugend und besonders in einer Revolution ־ überhaupt jegliche Kunst zerstören. Unseren Gefühlen schien cs nicht möglich, sich alter Formen zu bedienen. Wir wollten alles Alte zerstören und aus den Trümmern des Alten eine neue Kunst machen."

Und wie viele ihrer Kollegen wollten Kozincev und Trauberg ein neues, der neuen Gesellschaft entsprechendes Theater schaffen. Alle ihre Vorstellun- gen von diesem Theater sollten unter dem Begriff ,Exzentrismus' zusammen- gefaßt werden.

Während der Beschäftigung mit der Literatur zur FEKS und dem frühen sowjetischen Film wurde deutlich, daß es keine konkrete Definition für diesen Begriff gibt. Beispielsweise fuhrt Nedobrovo nur ein Hauptmerkmal des Exzentrismus an. Das Prinzip der Verfremdung (Ostranenie oder Oslrannenie.

die Schreibweise differiert bei den verschiedenen Autoren). Zuvor erklärt er, der Exzentrismus bestehe nicht einfach aus weiten, karierten Hosen, grünen Haaren, einem eingedrückten Zylinder o.a., was man aus mucic-hall oder Varieté kenne und sei auch nicht gleichzusetzen mit Marinettis Vorstellungen

\o m Varietétheater. "Der Exzentrismus der Féksy ist nicht der Exzentrismus der music-hall. Das darf man nicht verwechseln.

Dobin wiederum konzentrier! sich in seinem Buch über Kozincev und Trauberg auf den Unterschied zwischen Exzentrik und Exzentrismus. Dabei gibt er der Exzentrik eindeutig künstlerischen und ästhetischen Vorrang vor dem Exzentrismus. Der Exzentrismus kompromittiere die Wirklichkeit und schließe Ähnlichkeit mit ihr aus. Während die Exzentrik die Verbindung mit

,׳יא Grcgoi. Ulrich (Hg.): " \m c sic filmen Funl/chn Gespräche m i t Regisseuren d e r Gegenwart". Guicrsluh S. 190.

I(,,> Ncd«tbro\o * IM2K1. S. א

67

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der Wirklichkeit suche, begnüge sich der Exzentrismus mit der Verfremdung.

"Exzentrismus - das ist die falsche künstlerische Weltanschauung. Exzentrik - das ist eine rechtmäßige und reiche Form der K u n s t / 170 Als Beispiel für gelungene Exzentrik im R im nennt er die Stummfilme von Charlie Chaplin, an denen sich allerdings auch Kozincev und Trauberg orientierten. Laut Dobin fanden die Féksy erst im Verlauf ihrer praktischen Filmarbeit zu einer bedingten Exzentrik und in der Folge zum Realismus, der die Maxim-Trilogie kennzeichnet.

Wieder ein anderer Filmwissenschaftler. I.Vajsfel’d, kritisiert an den frühen Arbeiten der FEKS, sie seien auf die Imitation des amerikanischen Filmes fixiert gewesen. Auch er stellt die Exzentrik der Chaplin-Filme den ersten praktischen Werken der Féksy gegenüber, wobei er den grundlegenden Unterschied darin sieht, daß Chaplin "vor allem ein feiner Beobachter des Lebens [ w a r ] , der das Komische im Menschen bemerken konnt e, 171". ״ , während die Inszenierungen der FEKS zu formalistisch und publikumsfem gewesen seien. Bei diesem Vorwurf muß man jedoch berücksichtigen, daß Begriffe wie "Formalismus" oder "formalistisch" nach der Unterdrückung der literaturtheoretischen Bewegung des Formalismus zu Beginn der dreißiger Jahre, zu allgemeingültigen Vokabeln negativer Kritik verkamen, die immer dann benutzt wurden, wenn in Kultur oder auch Politik jemand von deroffi- ziellen Doktrin abwich.

Kozincev und Trauberg selbst geben in ihren Artikeln bzw. Aufsätzen zum Thema Exzentrismus auch keine klare Definition des Begriffes, sondern um- schreiben ihn anhand zahlreicher Beispiele und stilistischer Merkmale aus Literatur und Film.

Die verschiedenen Perspektiven, von denen hier nur einige als Beispiele herausgegriffen wurden, zeigen also, daß der Begriff mit einer konkreten Definition nicht zu erfassen ist. Da die angeführten Erklärungen verschie- denste Schwerpunkte setzen, wird deutlich, daß der Exzentrismus nicht als Kunstströmung wie etwa Symbolismus oder Futurismus anzusehen ist, sondern als Definition von Kunst, die sich aus verschiedenen Gesichts- punkten zusammensetzt, wobei der Ausdruck 'Exzentrismus' als iiberge- ordneter Arbeitsbegriff zu verstehen ist, den die Féksy für ihre Arbeit

auf-170Dob1n<!963), S. 30.

171 VujsfcrU ( 1У40). S. 9.

stellten. Aus diesem Grunde soll im Folgenden anhand von Vergleichen mit u n tersc h ie d lich en K u n stfo rm en . -Strömungen, -theorien und -m erk m a len untersucht werden, aus welchen Gesichtspunkten sich der Begriff ,Ex7.cn־

trismus' zusammensetzt. Besonders konzentriert sind seine verschiedenen Merkmale und die Einflüsse, denen die Féksy unterlagen in dem Manifest172

"Ekscentrizm" von 1922 zu finden, das auf den nächsten Seiten angeführt ist und als Untcrsuchungsbasis im oben erwähnten Vergleich dienen soll.

,7 “ In der Literatur /u i FEKS u n d dieses M anilcsl *Eksccntri/m" auch als *Sbornik*

(Sammelbund) bc/cichncl. Das ursprüngliche *Manifest des exzentrischen Theaters" war \ <41 K o/jnce\. K nżitskij und Trauberg geschrieben worden für den 'Disput über das cwcntnschc Theater*, den ersten (öffentlichen Auftritt der Fcks\ am 5. De/embci 1921 Dieses Manifest wurde me veröffentlicht. Aus/uge daraus sind jed tv h tn der w ie g e n d e n Schrill mit dem Titel *Eksccntn/m * enthalten. W ahrigs Deutsches W örterbuch (völlig überarbeitete Ncuausgabc. bearb. \ . Ursula Hermann. Ф Verlagsgruppc Bertelsmann G M B H 19־K 0/|98l, S. 3161) delim en den Begnff 'SammclbanJ' als *Buch, das eine Sammlung verschiedener Тем е eines »41. mehrerer Auitncn enthalt*, was auf die Schrift "Eksccntn/m* /utnfft. Den Begriff 'Manifest' definiert W ahng (ibid., S. 2455) als "offentl. Erklärung. Rcchilemgung.

Darlegung eines Programms. | . . . | \ was den Т ем *Eksccntii/m* кіиікгеіег trifft als die Bc/cichnung ,Sammelband'. Es handelt sich hier durchaus um eine "öffcntl. Erklärung* und die *Dailcgung eines * P r o g i a i n m c s " . Da auch die Sekundärliteratur /иг FEKS in der Mehrheit die Bc/cichnung ,Manifest' fur den Т ем "E ksccnin/m “ verwendet. schließe ich mich d1c4.*1 fkvc'vhming an und werde s ic im Folgenden chenlalls verwenden.