• Keine Ergebnisse gefunden

2.2 Begabtenförderung

2.2.1 Begabungsbegriff

2.2.1.2 Drei-Ringe-Konzept nach Renzulli

Im Jahr 1978 (Renzulli 2011, ursprünglich 1978) veröffentlicht Joseph S. Renzulli seine

„Three-Ring Conception of Giftedness“, in der sich einige Elemente wiederfi nden, die Wil-liam Stern, wie oben beschrieben, bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts andeutet, nämlich dass Fleiß und Ausdauer – die bei Renzulli mit dem Terminus ‚Task Commitment‘ gefasst werden – für das Vorliegen einer Begabung wesentlich mitbedeutend seien. (vgl. Renzulli, 2011)

Renzullis Modell verlässt den monokausalen Erklärungspfad, bei dem hohe Intelligenz mit Begabung gleichgesetzt wird, der bis zur Veröffentlichung seines Drei-Ringe-Konzeptes vorherrschend war (vgl. Heller & Schofi eld, 2000, S. 123; vgl. Magyar, 2005, S. 138; vgl.

Renzulli, 1999, S. 6).

Das Drei-Ringe-Konzept Renzullis sowie die weiteren, unten dargestellten Konzeptionen werden somit als multifaktorielle Begabungsmodelle bezeichnet.

Diese lassen sich wiederum nach den Beziehungen differenzieren, die sie zwischen den Voraussetzungsbedingungen annehmen, die in ihnen spezifi ziert werden. Additive Modelle postulieren die Notwendigkeit einer hohen Ausprägung aller oder zumindest der wichtigsten

Teilursachen (diese werden in Kapitel 2.2.1.2 und 2.2.1.3 beschrieben). Interaktionsmodel-len liegt die Annahme zu Grunde, dass eine komplexe Wechselwirkung zwischen den ein-zelnen Ursachen besteht, allerdings wird in diesen Modellen keine spezifi sche Angabe über die genaue Art dieser Wechselwirkung gemacht (siehe dazu Kapitel 2.2.1.4 und 2.2.1.5).

Diese Erweiterung fi ndet sich allerdings in systemischen Modellen (siehe 2.2.1.6). (vgl. A.

Ziegler, 2008, S. 48)

Renzulli beschreibt in seinem Modell Begabung nunmehr als positive Kombination von Kreativität, Motivation und überdurchschnittlichen Fähigkeiten (siehe Abbildung 1), die Drei-Ringe-Konzeption lässt sich somit den multifaktoriellen, additiven Begabungskonst-ruktionen zuordnen.

Abbildung 1: Das Drei-Ringe-Modell nach Renzulli (1978) (Abbildung nach Renzulli 2011:83)

Renzulli betont, dass nicht ein Ring allein Begabung ausmache, sondern die hohe Ausprä-gung eines jeden der drei Bereiche. Allerdings zieht er dem Begriff der Begabung den der 'Entwicklung von Begabtenverhaltensweisen' vor, womit er betont, dass Begabung nicht als etwas Statisches zu verstehen sei, sondern als eine Entwicklung, die erfolgen könne. Diese Erkenntnis leitet Renzulli aus einer sorgfältigen Literaturanalyse über Personen ab, die ein-zigartige Errungenschaften bzw. Leistungen erreichen konnten, und identifi ziert dadurch die drei im Modell dargestellten Faktoren als wesentlich. (vgl. Mönks & Mason, 2000, S. 146;

vgl. Renzulli, 2011, S. 83; vgl. Schütz, 2004, S. 9)

Obwohl die Beschriftung des linken Rings in der Literatur teilweise als „überdurchschnitt-liche Intelligenz“ übersetzt wird (z.B. Stamm, 2006a, S. 129), ist hervorzuheben, dass Ren-zulli unter 'Above Average Ability' explizit nicht nur Intelligenz versteht, die mit klassischen

Intelligenztests gemessen werden kann. Er spezifi ziert diesen Bereich seines Modells als bidimensional: Die erste Dimension stellt allgemeine Fähigkeiten dar, die in allen oder sehr breiten Domänen angewendet werden können, z.B. die überdurchschnittliche Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, oder ein überdurchschnittlich hohes Erinnerungsvermögen.

Dies ist laut Renzulli der Bereich, der mit Tests gewöhnlich gut gemessen werden kann.

Jedoch führt er aus, dass dieser Ring noch eine weitere Dimension enthalte, die sich spezifi -scher äußere als die erste. Diese Dimension könne nicht in Tests abgebildet werden sondern beziehe sich auf „real-life (i.e., nontest) situations“ (Renzulli, 2005, S. 260). Diese spezi-fi schen Fähigkeiten bestehen aus der Kapazität, Wissen oder Können in einem bestimmten Bereich zu erwerben oder in diesem Bereich Leistung zu zeigen, z.B. Fotografi e oder Bal-lett. Der linke Ring fasst dezidiert die beiden dargestellten Bereiche überdurchschnittlicher Fähigkeiten. Wenn Renzulli von überdurchschnittlich spricht, so meint er einen Bereich der Top 15% eines Jahrgangs, womit er sich auch klar von den von ihm selbst als konservativ bezeichneten Begabungsdefi nitionen abhebt, z.B. von der Defi nition Termans, der lediglich 1% eines Jahrgangs als begabt defi nierte. (vgl. Renzulli, 1999, S. 6, vgl. 2005, S. 259f.) Der zweite Ring, den Renzulli mit 'Task Commitment' beschriftet, ist in deutschen Über-setzungen des Modells oft mit 'Aufgabenengagement' benannt. Damit wird die Energie be-zeichnet, die für eine bestimmte Aufgabe oder einen Bereich aufgewendet wird. Andere Konnotationen dieser Bezeichnung sind laut Renzulli Durchhaltevermögen, Ausdauer, harte Arbeit, Selbstbewusstsein oder auch die Überzeugung, wichtige Arbeit für den jeweils vor-liegenden Interessenbereich leisten zu können. Renzulli beschreibt den Bereich 'Aufgabe-nengagement' als schwer objektiv zu messen, dessen ungeachtet hebt er diesen Bereich als relevant für das Vorliegen einer Begabung hervor. (vgl. Renzulli, 2005, S. 263ff.)

In seinem Modell stellt Renzulli einen dritten Bereich dar, der vorliegen müsse, damit von Begabung gesprochen werden könne, nämlich die Kreativität. Er merkt an, dass in der Li-teratur die Wörter begabt, genial und hoch kreativ oft synonym verwendet werden. Häufi g würden Personen, die als begabt identifi ziert werden, gerade deshalb als solche erkannt, weil sie sich durch besondere Kreativität hervortun. Renzulli merkt an, dass Kreativität in Tests meist anhand des vorliegenden Maßes an divergentem Denken abgebildet werde, fügt jedoch kritisch an, dass divergentes Denken zwar ein Bereich von Kreativität sei, sich da-rauf allerdings nicht beschränkt werden sollte. Er regt an, im pädagogischen Bereich den Fokus nicht nur auf divergentes Denken als Ausdruck von Kreativität zu richten, spezifi ziert allerdings nicht, welche anderen Arten von Kreativität er als relevant ansieht. Auch wenn die Möglichkeiten, Kreativität objektiv zu messen, laut Renzulli sehr beschränkt sind, hebt er die Wichtigkeit dieses Elementes für das Vorliegen einer Begabung hervor. (vgl. Renzulli, 2005, S. 265f.)

Renzulli unterscheidet zwei Arten von Begabung, erstens die von ihm als ‚Schoolhouse Giftedness‘ bezeichnete und zweitens die ‚Creative-Productive Giftedness‘ genannte. Er betont, dass beide Arten der Begabung bedeutend seien, interagieren würden und in päda-gogischen Kontexten gefördert werden sollten. Jedoch hebt Renzulli hervor, dass der Fokus der Begabtenförderung oft auf die Schulhaus-Begabung gelegt werde, was in seinen Augen zu kurz greift. Die Schulhaus-Begabung kann laut Renzulli auch als Prüfungsbegabung oder Begabung, Lektionen zu lernen, bezeichnet werden. Die kreativ-produktive Begabung hin-gegen meint die überdurchschnittliche Fähigkeit, innovatives Gedankengut, Lösungen, Ma-terial oder Produkte zu entwickeln, die dezidiert dafür konzipiert wurden, eine wesentliche Bedeutung für die fokussierte Zielgruppe zu haben. Es ist anzumerken, dass Renzulli sein Modell dezidiert nicht für die von ihm als 'schoolhouse giftedness' bezeichnete Begabung konzipiert hat, denn sein Hauptinteresse und auch das Drei-Ringe Modell richten sich auf die kreativ-produktive Begabung, also darauf, die drei wesentlichen Merkmale menschli-chen Potentials für kreative Produktivität darzustellen. (vgl. Renzulli, 2005, S. 252ff.; vgl.

Renzulli & Reis, 2000, S. 369f.)

Das Modell wurde von einigen AutorInnen auch heftig kritisiert. Insbesondere von Forsche-rInnen aus dem Bereich der Psychologie wird beanstandet, dass Renzulli nicht explizit ma-che, wie genau die Interaktion zwischen den drei Ringen erfolgen müsse, damit Begabung sich entfalten könne. Ebenso kritisieren VertreterInnen dieses Fachs, dass die Konstrukte Kreativität und Arbeitshaltung kaum zu operationalisieren seien, was wiederum eine psy-chologische Messung und Diagnostik verhindere (vgl. B. Harder, Vialle & Ziegler, 2014, S. 86; vgl. Rost, 2008, S. 64f.). In der schwierigen Operationalisierbarkeit und exakten Messbarkeit von Konstrukten wie Kreativität oder Motivation ist wohl auch der Grund zu sehen, warum sich in der Psychologie Begabungsdefi nitionen, die lediglich auf die allgemei-ne Intelligenz fokussiert sind, nach wie vor einiger Beliebtheit erfreuen (z.B. Rost, 2008).

Als weiterer Kritikpunkt an Renzullis Modell ist anzuführen, dass die Umwelt, in der Be-gabte leben, nicht berücksichtigt wird. Dieser wird nämlich für die Entwicklung und das Florieren von Begabungen ein hoher Stellenwert zugeschrieben. (vgl. Fischer, 2008, S. 67;

vgl. Mönks & Mason, 2000, S. 146)

Dies führt in weiterer Folge dazu, dass das Drei-Ringe-Konzept Renzullis weiterentwickelt und um die Umweltbedingungen ergänzt wird (siehe nächstes Kapitel).