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II. Empirischer Teil

6. Diskussion und Interpretation der Ergebnisse

Nach umfangreicher Ergebnisdarstellung werden nun die vorgelegten Erkenntnisse in Diskussion gesetzt und interpretiert. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass in der pädagogischen Praxis die Begriffe Emotionen und Gefühle synonym verwendet und somit nur im wissenschaftlichen Setting differenziert werden. Im sozialpädagogischen Arbeitsalltag wird diesen Phänomenen eine sogenannte Omnipräsenz sowie eine enorme Wirkungskraft und Effektdynamik zugesprochen, wobei sich die auftretenden Emotionen je nach Situationsbezug und Tagesverfassung unterscheiden. Durch die enge Anbindung der sozialpädagogischen Fachkräfte zu den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen werden viele Emotionen häufig sekundär miterlebt beziehungsweise durch Gefühlsansteckung übertragen, wodurch die Fachkräfte im enormen Maße den Auswirkungen und Dynamiken der eigenen und fremden Gefühlswelten ausgesetzt sind.

Darüber hinaus erschließt sich aus den vorgelegten Erkenntnissen, dass die positiven und negativen Gefühle stets in einem ausgeglichenen, wechselhaften Verhältnis wahrgenommen werden und insbesondere die Einzelemotionen Freude, Liebe, Ärger und Stress im sozialpädagogischen Arbeitsalltag für die Fachkräfte präsent sind. Angst, Trauer, Hilflosigkeit, Schuld und Scham sowie auch Neid und Eifersucht werden hingegen nur vereinzelt in diesem Arbeitskontext empfunden.

Die Freude wird von den sozialpädagogischen Fachkräften mit Spaß, Humor und anderen positiven Elementen assoziiert und bildet die stärkste empfundene Emotion in Kinder- und Jugendwohngruppen. Mithilfe der Gefühlsansteckung wird vonseiten der sozialpädagogischen Fachkräfte häufig versucht, den Kindern die Freude zu übertragen, wodurch einzelne Aktivitäten geradezu ein Flow-Erlebnis initiieren. Die Gefühlsansteckung von positiven Emotionen bildet dadurch einen wesentlichen Aspekt in diesem Arbeitskontext und wird des Öfteren als zielgerichtete Methode eingesetzt.

Liebe wird von den sozialpädagogischen Fachkräften zumeist in Form von Zuneigung und Wertschätzung gegenüber den Kinder und Jugendlichen empfunden, wodurch Liebe an sich einen zu starken und zu intensiven Begriff in diesem Arbeitskontext darstellt und eher in abgeschwächter Form vorhanden ist. Bei Liebe unterscheiden die Fachkräfte zudem zwischen körperlicher Zuneigung und aufmerksamer Wertschätzung, da die

115 | S e i t e körperliche Nähe für viele zu wenig Distanz birgt und daher eine aufmerksame, verbale Wertschätzung bevorzugt wird.

Ähnlich verhält es sich bei Ärger, Wut, Zorn und Hass, wobei insbesondere Zorn und Hass als zu starke und zu intensive Begriffe deklariert werden und die sozialpädagogischen Fachkräfte lediglich eher Ärger und Wut, insbesondere bei Konfliktsituationen, Regelbrüchen und Eskalationen empfinden.

Stress wird von den sozialpädagogischen Fachkräften in Kinder- und Jugendwohngruppen als stetiger Begleiter wahrgenommen, da durch die umfangreichen Aufgaben und die enormen Anforderungen eine erheblicher Druck auf die Fachkräfte ausgeübt wird. Nicht zu selten wird dieser hohe Stresslevel daher als Dauerbelastung wahrgenommen, wodurch der Psychohygiene in diesem Arbeitskontext ein großer Stellenwert eingeräumt werden muss.

Die sozialpädagogischen Fachkräfte empfinden darüber hinaus häufig Stolz und Überraschung aufgrund unerwarteter Leistungen oder positiver Entwicklungsschritte der Kinder und Jugendlichen. Zudem lösen Stolz und Überraschung meist auch Freude bei den Fachkräften aus, wodurch sich diese Emotionen eng aufeinander beziehen. Dennoch muss darauf verwiesen werden, dass Stolz nur selten aufgrund eigens erbrachter, pädagogischer Leistungen erlebt wird und hierbei vor allem die mangelnde Anerkennung als kritischer Aspekt beachtet werden muss.

Nicht zuletzt ergeben sich konträre Ergebnisse hinsichtlich des Zweifels in diesem Arbeitskontext, da diese Emotion nur teilweise für die sozialpädagogischen Fachkräfte präsent ist. Insbesondere in der Anfangs- und Berufseinstiegsphase berichten die ExpertInnen häufig von starken Selbstzweifeln gegenüber der eigenen Qualifikation für diese Arbeit. Desweiteren ergeben sich häufig Zweifel und Sorge um individuelle Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen, wodurch die Zukunftsperspektive sowie das Potenzial einzelner, systemischer Prozessschritte thematisiert wird.

Die Erkenntnisse belegen darüber hinaus, dass Angst, Trauer, Schuld und Scham, Hilflosigkeit sowie Neid und Eifersucht nur selten bis gar nicht in diesem Arbeitskontext empfunden beziehungsweise nur passiv durch die Kinder miterlebt werden. Es lässt sich erkennen, dass die genannten Emotionen allesamt sehr bedrückende und unangenehme

116 | S e i t e Gefühle darstellen, wodurch sich die Mutmaßung ergibt, dass das Eingeständnis über das Vorhandensein dieser Emotionen für manche ExpertInnen womöglich eine heikles Thema darstellt und sich somit nur wenige Ergebnisse diesbezüglich erheben lassen konnten.

Hinsichtlich des Umgangs mit Emotionen kristallisiert sich heraus, dass Offenheit, Transparenz, Reflexion und effektives Emotionsmanagement Kernaspekte für ein professionelles und kompetentes Vorgehen darstellen. Das authentische Zeigen positiver Emotionen und das Regulieren negativer Emotionen, die offene Kommunikation vorherrschender Gefühlslagen und das Erklären der Präsenz bestimmter Emotionen fördert das kindliche Verständnis der menschlichen Gefühlswelt und schult die Kinder und Jugendlichen in ihrer emotionalen und sozialen Kompetenz.

Die Reflexion einzelner Situationen und einzelner Tagesverläufe mit ArbeitskollegInnen stellt eine Maßnahme zur Qualitätssicherung der pädagogischen Kompetenz dar, wodurch Fehler im eigenen Verhalten erkannt und das Handeln der sozialpädagogischen Fachkräfte verbessert werden. Durch andauernde Förderung des Emotionsmanagements sollen darüber hinaus impulsive, emotionsgeleitete Handlungsweisen der Fachkräfte reguliert und die Rationalität sowie Objektivität im Umgang mit den Emotionen gesteigert werden.

Zu den unterstützenden Faktoren für einen professionellen Umgang mit den Emotionen zählen kollegiale Gespräche mitsamt konstruktiven Kritikvorschlägen und Hilfestellungen, sowie auch die Zufriedenstellung persönlicher Laster, im Sinne von erholenden Rauch- und Kaffeepausen. Diese individuellen Ressourcen als Ausgleich zu extrem emotionsbehafteten Situationen erbringen für die sozialpädagogischen Fachkräfte demnach einen großen Nutzen und fördern ihre Kompetenz.

Als hindernder Faktor im professionellen Umgang mit Emotionen lässt sich hingegen ein fehlendes Nähe-Distanz-Verhältnis in einzelnen Situationsbezügen verzeichnen, wobei die persönliche Abgrenzung ohnehin einen maßgeblichen Aspekt für die pädagogisch fachliche Professionalität darstellt. Ein adäquates Nähe-Distanz-Verhalten birgt die enorme Schwierigkeit die vonseiten der Kinder geforderten Nähe und die fachlich geforderte professionelle Distanz stetig auszubalancieren, wodurch nicht immer das gewisse Maß an Ausgeglichenheit zwischen Nähe und Distanz vonseiten der Fachkräfte

117 | S e i t e gewahrt werden kann. Die persönliche Abgrenzung von belastenden Situationen dient den sozialpädagogischen Fachkräften vor allem als Schutz der eigenen Psychohygiene und kann am besten durch eine zeitliche und örtliche Distanz für stressentlastende Erholungsphasen hergestellt werden.

Die Erkenntnisse belegen darüber hinaus, dass sich die sozialpädagogischen Fachkräfte den enormen, emotionalen Auswirkungen auf das pädagogische Verhalten sehr wohl bewusst sind und anhand von Emotionsregulation versucht wird, die negativen Auswirkungen zu vermindern. Die emotionale Grundstimmung der Fachkräfte bildet hierbei einen entscheidenden Faktor für den Einfluss der Emotionen auf das professionell pädagogische Handeln und den emotionalen Ausdruck von Gefühlen.

Die sozialpädagogischen Fachkräfte in Kinder- und Jugendwohngruppen sind zudem vielseitigen, emotionalen Herausforderungen ausgesetzt, welche sich wiederum auf die Emotionsregulation in Konfliktsituationen und Eskalationen, die Wahrung des persönlichen Nähe-Distanz-Verhältnisses und Abgrenzung belastender Situationen, die Verhinderung negativer Gefühlsübertragung beziehungsweise die Eindämmung verhaltensspezifischer Auswirkungen negativer Emotionen beziehen.

Auch umfangreiche, emotionale Belastungen stellen in diesem Arbeitskontext keine Seltenheit dar, wobei insbesondere das stetig hohe Stresslevel, das enorme Aggressionsniveau der Kinder und Jugendlichen, fehlender Ausgleich und mangelnde Regenerationsmöglichkeiten sowie die Konfrontation und Auseinandersetzung mit den schwerwiegenden familiären Backgrounds und den häufig extrem intensiven Emotionen der Kinder hervorgehoben werden muss.

Aufgrund der vorangegangenen Schwierigkeiten kommt es häufig vor, dass die sozialpädagogischen Fachkräfte ihre vorherrschenden Emotionen und Gefühle häufig in ihr Privatleben mitnehmen beziehungsweise auf ihr soziales Umfeld übertragen.

Insbesondere bei negativ empfundenen Emotionen sind die Folgen im privaten Bereich deutlich spürbar, wobei sich insbesondere zu Berufseinstieg die persönliche Trennung von Privat- und Berufsleben sehr komplex gestaltet und nur mäßig gelingt. Es kommt daher häufig zu negativen Auswirkungen auf das persönliche, soziale Umfeld, wodurch im besonderen Maße auf eine effektive, persönliche Abgrenzung geachtet werden muss.

118 | S e i t e Abschließend wird auch auf die Entwicklungschancen und individuellen Lernprozesse der sozialpädagogischen Fachkräfte hingewiesen, welche in diesem Arbeitskontext zustande kommen. Die Entwicklungsprozesse der fachlichen Kompetenz werden insbesondere in den ersten Berufsjahren initiiert und umfassen die Steigerung des persönlichen Verantwortungsbewusstseins sowie eine zunehmende persönliche Reife.

Darüber hinaus werden individuelle Charaktereigenschaften im positiven Sinne abgeändert sowie bestehende Denk- und Handlungsmuster modifiziert. Nicht zuletzt erfolgt nach einiger Zeit die persönliche Abgrenzung und Wahrung eines professionellen Nähe-Distanz-Verhältnisses durch Erfahrung und Praxis müheloser und die Emotionsregulation wird ausgereift. Die sozialpädagogischen Fachkräfte entwickeln sich auf persönlicher und fachlicher Kompetenzebene somit stetig weiter, wodurch auf ein hohes Potenzial der professionellen Qualifikation geschlossen werden kann.

Die vorgelegten Forschungsergebnisse lassen umfangreiche Erkenntnisse feststellen, welche im anschließenden Resümee mit den theoretischen Aspekten abgeglichen, verschränkt und in Bezug zueinander gesetzt werden. Darüber hinaus sollen insbesondere die leitenden Forschungsfragen beantwortet und ein prägnanter Ausblick erschlossen werden.

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