• Keine Ergebnisse gefunden

Die im Kolon und Rektum lokalisierten Karzinome bilden die größte Gruppe der gastrointestinalen Tumore. Davon sind etwa 10% genetisch fixiert, wobei die vom Typ des hereditären nicht mit Polyposis assoziierten Kolonkarzinoms (HNPCC) die derzeit größte Gruppe genetisch verankerter vererbbarer Kolonkarzinome darstellen.

4.2 Mutationsanalysen

Das HNPCC Syndrom wird durch Mutationen im Mismatchrepair (MMR-) System verursacht, so daß die betroffenen Patienten früher und häufiger an Karzinomen erkranken als Patienten ohne diese Mutation. Dies zeigte auch die

Altersverteilung in unserer Studie: das mittlere Alter bei Erstmanifestation der Erkrankung betrug 46 Jahre, der jüngste Patient war 24 Jahre, der älteste 78 Jahre. In den meisten Fällen ist eine Mutation in den Genen MLH1 oder MSH2 beschrieben. Diese Mutation ist bereits durch das Genom der Patienten fixiert, durch ein molekulargenetisches Screening müsste man also bis zu 90% der Patienten identifizieren können. 10% der Patienten haben eine Mutation in anderen Genen, z.B. PMS2 oder MSH6. Wie Zilinski et al (2002) jedoch zeigen konnten, ist ein Mutationsscreening zur Detektion insbsondere von noch nicht erkrankten Mutationsträgern aufgrund unterschiedlicher Schwierigkeiten (noch) nicht zu empfehlen:

Derzeitig liegt die Nachweisrate von Keimbahnmutationen bei klinisch oder auch durch Nachweis von MSI und MMR Proteinausfall definierten HNPCC Patienten nur bei etwa 60%. Eine Ursache dafür scheint zu sein, daß verschiedene Genloci von der Mutation betroffen sein können. Bisher wurden allein 120 verschiedene Keimbahnmutationen beschrieben, den größten Teil stellen dabei die Mutation in den MSH2- und MLH1-Genen (Hahn und Schmiegel 1995). In den bislang

durchgeführten Untersuchungen zu diesen beiden Genen, konnten keine bevorzugten Loci, sog. hot spots, für eine Mutation ausgemacht werden. Daher müssen jeweils die gesamten Gene mit einer Länge von entweder 2,5Kb für das MSH2 Gen oder 2,7Kb für das MLH1 Gen sequenziert werden.

Durch ein molekulargentisches Mutationsscreening ist es somit bisher weder möglich HNPCC Patienten eindeutig zu identifizieren noch sie definitiv

auszuschließen.

4.3 Tumorentstehung unter dem Einfluss der MMR - Gene

Die Tumorentstehung wird durch verschiedene Gene begünstigt. Am besten untersucht sind die zuerst entdeckten Onkogene. Sie liegen als Protoonkogene in der Zelle vor und sind bei Aktivierung für das unkontrollierte Wachstum der Zelle verantwortlich.

Die als nächste für die Tumorentstehung verantwortlich entdeckte Gruppe von Genen sind die Tumorsupressorgene, die bei normaler Funktion die

Zellproliferattion unterdrücken. Bei einem Ausfall dieser Gene teilt sich die Zelle unkontrolliert.

Anhand von Untersuchungen von HNPCC-Patienten fand sich eine dritte Gruppe von Genen, die für eine Tumorentstehung verantwortlich sein können, die MMR-Gene. Parson et al (1993) konnten zeigen, daß Patienten einen Ausfall in diesen Genen auf einem Allel haben. Auch hier reicht jedoch der vererbte Ausfall eines Genes nicht aus, um ein Karzinom entstehen zu lassen. Es muß zu einer

erworbenen Veränderung des anderen Allels kommen, analog zu der Hypothese von Knudson ("two hit Hypothese") (Knudson AG (1971)).

Die MMR Gene haben einen Einfluß auf verschiedene Enzyme, z.B. den TGF-beta-II-Rezeptor.

Wie bei Lynch et al. (1999) und Vasen et al.(1999) beschrieben, ist HNPCC die häufigste autosomal dominant vererbte Störung. Auch die in unserer Studie gefundene nahezu gleiche Verteilung Männer zu Frauen (1:1,4) spricht für eine autosomal vererbte Störung.

4.4 Adenome und HNPCC

Bisherige Untersuchungen zu HNPCC richten sich vor allem auf die

Karzinogenese und somit auf die Untersuchung der Karzinome. Erst in letzter Zeit finden zunehmend auch die Adenome Beachtung. Wie beim sporadischen Karzinom sind auch beim HNPCC auftretende Adenome Vorläufer der sich daraus entwickelnden Karzinome. Daher wird HNPCC Patienten auch ein enger Vorsorgeplan mit regelmäßig stattfindenden Koloskopien zur frühzeitigen

Entdeckung und Entfernung der Adenome angeraten. Hiermit erhofft man sich ein Ausbrechen der Tumorart frühzeitig verhindern zu können.

Ein weiterer Vorteil der frühzeitigen Diagnose einer HNPCC – Erkrankung vor Auftreten des Tumors ist die Möglichkeit einer primären Prävention. Wie Arbeiten von Jarvinen et al gezeigt haben kann so die Entstehung von Karzinomen beim HNPCC – Syndrom bis zu 62% gesenkt werden (Jarvinen et al, 2000). Zusätzlich konnten Bliss et al. zeigen, daß diese Untersuchungsmethode im frühzeitigen Krankheitsverlauf nicht nur positiv für den Krankheitsverlauf, sondern auch kosteneffektiv ist (Bliss et al., 2004)

4.5 Immunhistochemische Untersuchungen des Mikrosatellitenstatus 4.5.1 Aufbau von Mikrosatelliten

Mikrosatelliten sind kurze sich wiederholende Sequenzen, vorwiegend der Basen Adenosin und Tyrosin. Diese Basen sind in kurzen Gruppen von drei bis fünf Basen angeordnet. Ihre Funktion ist bisher noch nicht geklärt, beim HNPCC Syndrom scheinen sie eine wichtige Rolle bei der Genomstabilisierung zu spielen.

Akiyama et al konnten in 57% der untersuchten Adenome bei HNPCC-Patienten eine Veränderung des Poly-A-Repeats zeigen (Akiyama et al 1996).

4.5.2 Mikrosatelliten(in)stabilität bei HNPCC-Patienten

HNPCC Karzinome können sowohl immunhistochemisch auf Expression der MMR Proteine MSH2, MSH6, MLH1 und PMS2 als auch auf

Mikrosatellitenstabilität hin untersucht werden. Die alleinige Bestimmung der

Immunhistochemie schließt die Tumore aus der Erfassung aus, die einen Aktivitätsverlust, jedoch kein Expressionsverlust haben. Dies führte zu den allgemeinen Empfehlungen, bei hochgradig HNPCC verdächtigen Patienten bei Erkrankungsverdacht und/oder immunhistochemisch festgestelltem Ausfall einer Komponente des MMR Systems den Mikrosatellitenstatus zu bestimmen.

Folgerichtig wurde bei den uns zugänglichen Patienten zusätzlich im Rahmen des molekulargenetischen Screenings der Mikrosatelliten-Status bestimmt. Eine hohe Mikrosatelliteninstabilität wurde dabei durch einen Ausfall von mindestens zwei der untersuchten Sequenzabschnitte definiert. Untersucht wurden

insgesamt fünf Sequenzabschnitte, welche als Referenzpanel vom National Cancer Institute empfohlen wurden (Dietmaier Cancer Res; Umar JNCI 2004).

HNPCC-Erkrankte haben in bis zu 90% einen Störung im Mikrosatelliten-System, im Umkehrschluß heißt das jedoch auch, das 10% der HNPCC-Erkrankten einen unauffälligen Mikrosatelliten-Status an den untersuchten Loci haben (Aaltonen et al 1994). Im Gegensatz dazu haben Patienten mit sporadischen Karzinomen nur in 15% eine Mikrosatelliteninstabilität (Peltomäki et al 1993).

In der anfänglichen Bestimmung von Mikrosatelliteninstabilitäten gab es große Unterschiede in der Inzidenz, was sich durch einen Uneingikeit in der Anzahl der analysierten Mikrosatellitenmarker, der unterschiedlichen Repeattypen und der Uneinigkeit, ab welcher Anzahl von positiven Markern ein Tumor als instabil zuwerten war, erklärte. Diese Uneinigkeiten führten 1998 zu den allgemein gültigen Kriterien, die auch in unserer Studie berücksichtigt wurden (Boland et al 1998).

4.6 Grundlage jeder HNPCC – Diagnostik: Die Anamnese

Der Beginn jeder Diagnosestellung eines HNPCC-Syndroms ist jedoch neben dem molekulargenetischen Screening die genaue Anamneseerhebung, die spätestens bei der Verdachtsdiagnose nachgeholt werden muß, da die typische klinische Symptomatik, wie z.B. die Polyposis oder

Augenhintergrundveränderung bei der FAP, fehlt, noch das es typische Laborbefunde wie z.B. das erhöhte PSA (prostataspezifisches Antigen) beim Prostatakarzinom gibt. Der entscheidende Nachteil der bisherigen

Diagnosestellung ist, daß zur Diagnose bereits ein Tumor vorliegen muß. Daher wurde, auch in der Klinik, in letzter Zeit immer mehr Augenmerk auf die

präkanzerösen Adenome gelegt. Das, soweit es in das allgemeine Screening Einzug halten sollte, hat eine wichtige Folge: Die Diagnose HNPCC kann bei durch die Familienanamnese vorbelasteten Patienten früher gestellt werden und mögliche Karzinomentstehung gegebenenfalls verhindert werden. Die

Voraussetzung für alle Screening – Überlegungen ist aber, dass immer alle Adenome bei HNPCC – Patienten den genetischen Defekt aufweisen.

4.7 Ziele der Arbeit

Die hier vorliegende Arbeit widmet sich insbesondere der genauen Beschreibung der Adenome im zeitlichen, histologischen und genetischen Zusammenhang unter verstärktem Augenmerk auf die klinische Relevanz und die möglichen praktischen Konsequenzen.

Um eine wirkungsvolle Prävention zu erreichen muß der Patient einen

Arztkontakt vor Auftreten der Krankheit (in diesem Fall vor Karzinomentstehung) haben.

4.8 Zeitliche Zusammenhänge zwischen Adenomen und Karzinomen In unseren Daten sind zumeist die Adenome zeitgleich mit dem Karzinom entfernt worden (78%). In 14% der Fälle wurde zuerst das Karzinom entfernt und erst im weiteren Krankheitsverlauf die Adenome diagnostiziert. Insgesamt ergibt dies eine Patientengruppe von immerhin 92%. Diese Patienten hatten keine Möglichkeit einer früheren Diagnosestellung über die Untersuchung ihrer bereits bestehenden Adenome.

Lediglich bei 8% der Patienten wurde zuerst eine Adenomentfernung vor Diagnose der Karzinomerkrankung durchgeführt. Diese Patienten haben eine effektive Vorsorge erfahren. Für die zukünftige Versorgung der HNPCC- Patienten wäre es wünschenswert, wenn noch mehr HNPCC vorbelastete Patienten in die engmaschige Vorsorge einbezogen werden könnten.

4.9 Mikrosatellitenstabilität in Adenomen und Karzinomen

Bei der Bestimmung der Mikrosatellitenstabilität ergaben sich teilweise große Ähnlichkeiten zwischen Adenomen und Karzinomen der jeweiligen Patienten. Die Mehrzahl der Adenome entsprach in der Mikrosatellitenstabilität den

Karzinomen. Jedoch waren auch hier komplett mikrosatellitenstabile Adenome zu finden.

Dies ist umso mehr von Bedeutung, als dass bisher eine

Mikrosatelliteninstabilität als Kriterium für eine HNPCC-Diagnose unumgänglich war, wie auch Untersuchungen von Rüschoff et al. (1995), Boland et al. (1998), Lamberti et al und Loukola et al zeigen konnten (Rüschoff et al, 1995, Boland et al,1998, Lamberti et al, 1994, Loukola et al, 2001). Dem schließt sich auch die Untersuchung Iino et al und Peroni et al an, die die Hypothese vertreten, daß MSI eine frühe Stufe der Karzinogenese in HNPCC ist (IIno et al, 2000, Pedroni et al, 2001).

Wie bisher dargestellt wurde, sind die Adenome bei HNPCC zuerst

mikro-satelliteninstabil und dann genetisch verändert. Daher ist es wahrscheinlich, daß wir "echte" sporadische Adenome erfaßt haben und nicht, wie es ebenfalls möglich wäre, Adenome vor dem second hit.

Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, daß in beiden Gruppen die Adenome sowohl zeitgleich mit dem Karzinom (synchron), als auch

unabhängig von der Karzinomentfernung (metachron) aufgetreten waren.

4.10 Immunhistochemische Zusammenhänge zwischen Adenomen und Karzinomen

Die meisten der entfernten Adenome, gleich welcher genauen histologischen Kategorisierung, entsprachen in ihrer immunhistochemischen Färbung den Karzinomen entweder genau oder wiesen Ausfälle im entsprechenden Gegenpartner der Reparaturgene (MSH2/MSH6, PMS2/MLH1) auf. Die

Karzinome sind in unserer Studie durchweg MSI-H gewesen, was den Daten von

Peltomäki et al. (Peltomäki, 2001) entspricht, in deren Untersuchung 90% der HNPCC-Karzinome MSI-H waren, wohingegen dies nur bei 15 % der

sporadischen Karzinome der Fall war.

In den immunhistochemischen Färbungen ergaben sich zwei Konstellationen von Enzymausfällen. In dem einen Fall war der Komplex MSH2 / MSH6 ganz oder teilweise betroffen, der andere Teil wurde von dem Paar MLH1 und PMS2 gestellt. So war in der immunhistochemischen Färbung immer festzustellen, daß bei Adenomen mit einem Ausfall in der MSH2 und/oder MSH6 Expression auch die Karzinome entsprechende Defizite vorwiesen. Analog dazu hatten die MLH1 defizitären Adenome auch MLH1 negative Karzinome. Interessanterweise hatten wir in der uns zugänglichen Patientengruppe kein Adenom, welches alleinig einen Ausfall in der Expression von PMS2 gezeigt hat.

Besondere Aufmerksamkeit soll hier auf den Punkt gelenkt werden, daß es in allen Subklassen der Adenome Adenome mit positiver MMR Genexpression gab.

Dies hat große Konsequenzen für den möglichen Ausschluß für Patienten aus Vorsorgeprogrammen, bei nachgewiesenen positiven Adenomen und somit falsch negativer HNPCC - Ausschlußdiagnose.

4.11 Lokalisationen von Adenomen und Karzinomen

Die klassische Lokalisation für das HNPCC – Karzinom ist das Kolon und das Rektum. In der Mehrzahl der Fälle waren sie nach der linken Flexur lokalisiert, also im Kolon descendes, Sigma oder Rektum. An dieser anatomischen Lokalisation ist auch eine sporadische Adenomentstehung am

wahrscheinlichsten.

Nicht unerwähnt bleiben darf die zweithäufigste Lokalisation, das Endometrium.

Im Gegensatz zum Kolon ist die Möglichkeit der Früherkennung durch Adenome hier jedoch deutlich schlechter. Eine Nichtbeachtung dieser Lokalisation hätte aber eine deutliche Unterdiagnostik der Erkrankung zur Folge.

Ebenso diskutiert werden müssen die anderen möglichen Lokalisationen, wie z.B. Karzinome des Urogenitaltraktes, des Dünndarms oder des Ovars, die in deutlich kleinerer Fallzahl vorliegen, jedoch unzweifelhaft mit zum HNPCC Syndrom gezählt werden müssen (Jarvinen et al 1995, Menko et al 1993,

Toribara und Schleisinger 1995). So fanden sich bei Untersuchungen von Vasen et al 1990 an HNPCC Familien 104 Kolonkarzinome und 65 extrakolische

Karzinome (62,5%).

Eine früher häufig aufgetretene Lokalisation des HNPCC, das Magenkarzinom, spielt heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Dies scheint die Hypothese von Knudson et al. zu bestätigen, daß zur Karzinogenese ein Mutation im zweiten DNA – Strang eintreffen muß. Dieser "zweite Schlag" (two hit Hypothese) ist durch Umweltfaktoren beeinflußbar und tritt demzufolge auch an den

Lokalisationen auf, die auch von sporadischen Karzinomen, oft ebenfalls mit Umweg über ein entsprechend sporadisches Adenom, am häufigsten betroffen sind.

Besonderes Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang auf die Adenome, die mehr als 5 cm entfernt vom Karzinom lokalisiert sind, gerichtet werden. Sie sind meist jenseits der linken Flexur, alle jedoch jenseits der rechten Flexur gelegen.

Dies spricht, abgesehen von den häufigeren Unterschieden in der

Genexpression und dem MSI-Status, für eine sporadische Entstehung dieser Adenome. Interessanterweise sind alle Patienten mit diesen Adenomen eindeutig HNPCC-Patienten, die auch „HNPCC-typische“ Adenome haben.

Abb. 1 Vergleich zweier räumlich entfernter, synchroner Adenome desselben Patienten

4.12 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

All diese Fakten sprechen für eine zusätzliche eigenständige Adenomentstehung bei HNPCC- Patienten, also eine sporadische Adenomentstehung zusätzlich zur HNPCC- assoziierten Adenomentstehung.

Da bei Patienten mit einer entsprechenden Vorgeschichte ein engeres Screening dringend empfohlen wird, liegt in der Entfernung von sporadischen Adenomen eine mögliche Fehlerquelle für eine falsch negative Diagnose, sollte diese als beweisend für einen Ausschluss einer HNPCC-Erkrankung gelten.