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6.1 S TUDIE I: U NTERSUCHUNG DER KORTIKALEN P LASTIZITÄT IM M OTORKORTEX MITTELS

6.1.9 Diskussion der Ergebnisse

6.1.9.1 Interpretation

Die Ergebnisse zu den einzelnen Korrelaten der motorischen Reorganisation, wie sie mittels TMS operationalisiert wurden, indizieren, daß sich Patienten mit und ohne Phantomschmerz im Ausmaß ihrer motorischen Reorganisation signifikant voneinander unterscheiden. Solche Unterschiede betrafen vor allem eine Erhöhung der MEP-Amplituden des Bizeps am Stumpf, eine Vergrößerung der kortikalen Repräsentation von Muskeln benachbart zur Amputation und Verschiebungen der kortikalen Repräsentation des Gesichtsmuskels in das deafferenzierte Areal. Höhere MEPs am Bizeps der amputierten Seite korrespondieren mit Befunden aus der Literatur zur motorischen Reorganisation nach Amputation (Cohen et al., 1991; Fuhr et al., 1992; Kew et al., 1994;

Ridding & Rothwell, 1995; Chen et al., 1998), vorübergehender Deafferenzierung (Brasil-Neto et al., 1992, 1993; Ziemann et al., 1998) und Immobilisierung (Liepert et al., 1995;

Zanette et al., 1997). Veränderungen in den MEPs reflektieren Veränderungen in der Erregbarkeit oder der Repräsentation der Muskeln auf der Ebene des Motorkortex und werden in der Literatur vor allem auf GABAerge Mechanismen zurückgeführt (Brasil-Neto et al., 1992, 1993; Ridding & Rothwell, 1995; Ziemann et al., 1998). In dieser Studie wurden die obengenannten Befunde zu den MEPs aus der Literatur repliziert und dahingehend erweitert, daß signifikant erhöhte MEPs nur bei Patienten mit Phantomschmerz zu finden waren, was eine erhöhte motorkortikale Erregbarkeit neben einer erhöhten somatosensorischen kortikalen Erregbarkeit bei diesen Patienten indiziert.

Anders als erwartet, waren die Motorschwellen auf der amputierten Seite bei Patienten mit Phantomschmerz nicht signifikant niedriger. In der Literatur geht man davon aus, daß die Motorschwellen hauptsächlich eine postsynaptische neuronale Membranerregbarkeit reflektieren, die auf der Basis langandauernder funktioneller und struktureller Reorganisationsprozesse, wie sie nach einer Amputation mit Phantomschmerz einhergehen könnten, entsteht und von GABAergen und glutamatergen Mechanismen unebeeinflußt zu sein scheint. In der Regel werden Verringerungen der Motorschwellen nicht gefunden nach vorübergehender Deafferenzierung (Brasil-Neto et al., 1992, 1993; Ziemann et al., 1998) oder Immobilisierung (Liepert et al., 1995; Zanette et al., 1997). Aufgrund des fehlenden Zusammenhangs mit dem Phantomschmerz in dieser Untersuchung muß angenommen werden, daß Veränderungen der Motorschwelle, wie sie z.B. von Cohen et al. (1991) nach einer Amputation gefunden wurden, auf andere Einflußfaktoren zurückgeführt werden müssen. Eine explorative Analyse ergab einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen der Schwellendifferenz des Bizeps brachii der inakten und der amputierten Seite und der Dauer des Zurückliegens der Amputation.

Die topographischen Veränderungen der Gesichtsmuskeln entsprechen ebenfalls Befunden aus der Literatur zur somatosensorischen (z.B. Pons et al., 1991; Flor et al., 1995) und motorischen Reorganisation (Pascual-Leone et al., 1996), wonach bei einer Deafferenzierung die Gesichtsrepräsentation Funktionen des deafferenzierten Areals übernimmt. Als Erweiterung zu Befunden zur motorischen Reorganisation nach einer Amputation indizieren die Ergebnisse dieser Studie, daß eine solche topographische Verschiebung der motorkortikalen Gesichtsrepräsentation bei Patienten mit Phantomschmerz signifikant größer ist als bei Patienten ohne Phantomschmerz. Dieses Ergebnis ging einher mit einer stärkeren Invasion der Lippe im deafferenzierten somatosensorischen Kortex bei diesen Patienten. Für den Bizeps wurde eine mehr laterale Verschiebung erwartet, jedoch war der Schwerpunkt der Bizepsrepräsenation für die

Amputationsseite signifikant medialer repräsentiert, jedoch breitete sich die Repräsentation lateral und medial (siehe Abb. 6) aus.

In der vorliegenden Untersuchung konnte eine zentrale Hypothese dieser Arbeit, die einen engen Zusammenhang zwischen der motorischen Reorganisation und dem Phantomschmerz annimmt, bestätigt werden. Des weiteren wurde ein enger Zusammenhang zwischen der motorischen und der somatosensorischen Reorganisation nachgewiesen. Die motorische Reorganisation war außerdem signifikant positiv korreliert zur Stärke des Teleskopphänomens und korrespondiert damit mit Befunden von Pascual-Leone et al. (1996), der fand, daß eine komplette motorische Reorganisation mit einem kompletten Hineinwandern des Phantomgliedes in den Stumpf einherging. Jedoch hatten in seiner Untersuchung Phantomschmerz und motorische Reorganisation und Phantomschmerz und das Teleskopphänomen eine inverse Beziehung. Damit wird die Frage nach der Bedeutung der motorischen Reorganisation nach einer Amputation erneut aufgeworfen – während die Befunde von Pascual-Leone et al. (1996) eine eher kompensatorische Bedeutung indizieren, sprechen die hier vorhelegten Befunde eher für eine maladaptive Rolle von spontanen Reorganisationsprozessen nach einer Amputation.

Dies wird noch untermauert durch den Fakt, daß auch der Stumpfschmerz tendenziell signifikant positiv mit der motorischen Reorganisation korrelierte.

Eine weitere wichtige Hypothese dieser Arbeit war die des negativen Zusammenhangs zwischen der motorischen Reorganisation und dem Ausmaß des täglichen Prothesegebrauchs, die bestätigt werden konnte. Damit könnte die Prothese verhaltensrelevante Eingänge in den somatosensorischen und motorischen Kortex bedeuten, die einer Reorganisation, d.h. Funktionsübernahme des deafferenzierten Areals durch benachbarte Repräsentationen, entgegenwirken könnten durch Ersetzen des ungeordneten Einstroms (neuronales Rauschen, Spitzer et al., 1995). Damit könnten Mechanismen der nutzungsabhängigen Plastizität (siehe Kapitel 2.4.3.) im motorischen und somatosensorischen Kortex eine nützliche Rolle nach einer Amputation spielen.

6.1.9.2 Methodenkritische Diskussion

Methodenkritisch ist zu dieser Studie anzumerken, daß aufgrund der nichtgenügenden Fokalität der Dantec-Spule und dem zu kleinen applizierten Gitter entsprechend dem

stimuliert wurde, für die Repräsentation des Zygomaticusmuskels nicht alle Analysen (z.B.

Bestimmung des COG) durchgeführt werden konnten. Generell diente die Dantec-Spule eher zur Messung der motorkortikalen Erregbarkeit und der groben Positionsbestimmung der Muskelrepräsentationen. Zum Erhalt validerer Ergebnisse über die exakte Größe und Ausbreitung der Muskelrepräsentationen wurde eine Nachuntersuchung an zwei Patienten mit einigen Modifikationen durchgeführt. In dieser Nachuntersuchung wurde die Anzahl von Stimulationen pro Ort auf 10 erhöht, das applizierte Netz, entsprechend dem stimuliert wurde, wurde vergrößert, um auch für die Größe der Gesichtsmuskelrepräsentation optimale Ergebnisse zu erzielen. Geplant war die Nachuntersuchung von 6 Patienten, jedoch fiel in der Mitte der Messungen der Cadwell-Stimulator aus, der in Deutschland nicht mehr vertrieben wird, und somit mußte die Nachuntersuchung aus logistischen Gründen abgebrochen werden. Ein generelles Problem bei der TMS ist es, sicherzustellen, daß auch die gleichen physiologischen Reizbedingungen auf beiden Seiten vorliegen. Dies ist schwierig, da auch die Fläche, die erregt wird, von der Reizstärke abhängt. Generell ist aber bekannt, daß die TMS ein valides und reliables Instrument zur Messung topographischer Muskelrepräsentationen ist (siehe Kapitel 3.3.1.3.), das in dieser Studie die Messung der kortikalen Reorganisation nach einer Amputation erlaubte und den Erhalt signifikanter Ergebnisse ermöglichte.

6.2 Studie II: Untersuchung der Plastizität in den motorischen Kortexarealen