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4.1. Methodische Grundlagen

Die Rolle von Astrozyten bei der Remyelinisierung wurde in der vorliegenden Arbeit nach deren Ablation untersucht. Die Ablation von Astrozyten erfolgte in einem transgenen Mausstamm B6.Cg-Tg(Gfap-Tk)7.1Mvs/J, bei dem in die Promoter-Region des GFAP Gens, das Gen der Thymidin-Kinase des Herpes-Simplex-Virus eingesetzt wurde (Sofroniew et al., 1999). Beim GFAP handelt es sich um ein Intermediär-Filament, welches im zentralen Nervensystem ausschließlich in Astrozyten gebildet wird (Eng, 1985). Bei GFAP Hochregulation, wie sie im Rahmen einer Aktivierung von Astrozyten entsteht, wird in den transgenen Mäusen zeitgleich die Thymidin-Kinase exprimiert. Die Expression dieses Enzyms ist für die Zellen nicht toxisch. In Anwesenheit der Substanz Ganciclovir, einem Thymidin-Analogon, phosphoryliert die Thymidinkinase das Ganciclovir in eine Form, die als Nukleotid-Analogon in die DNA eingebaut wird und zum Abbruch der Synthese führt und anschließend die Apoptose der Zelle einleitet. Mit Hilfe dieses transgenen Mausstamms lassen sich im zentralen Nervensystem selektiv reaktive Astrozyten ablatieren. Für die Versuche wurde ein Injektionsschema mit Ganciclovir eingesetzt, bei dem eine Reduktion der Astrozytenzahl von etwa 50-60% erreicht werden konnte.

Für die Untersuchungen der Remyelinisierung nach vorher stattgehabter Demyelinisierung wurde das toxische Cuprizone-Modell eingesetzt. Beim Cuprizone handelt es sich um ein Neurotoxin, das im zentralen Nervensystem selektiv Oligodendrozyten, die myelinbildenden Zellen, zerstört (Skripuletz et al., 2011). Bereits 3-7 Tage nach Beginn der Cuprizone-Gabe sterben die ersten Oligodendrozyten ab. Ein vollständiger Verlust von Oligodendrozyten wird nach 3-4 Wochen beobachtet. Als Folge der Oligodendrozytenschädigung tritt nach 4,5-5 Wochen eine nahezu vollständige Demyelinisierung des Corpus callosum auf. Nach Absetzten von Cuprizone zum Zeitpunkt Woche 5 erfolgt eine spontane Remyelinisierung. Auch unter fortlaufender Cuprizone-Fütterung wandern parallel zu dem Abbau des Myelins bereits neue Oligodendrozytenvorläuferzellen, die OPCs, in die entmarkten Areale ein. Nach 5,5-6 Wochen sind sie zu Oligodendrozyten differenziert (Gudi et al., 2009). Wird Cuprizone weiter gegeben, werden diese reifen Oligodendrozyten nach der sechsten Woche erneut zerstört (Lindner et al., 2009). Cuprizone schädigt demzufolge selektiv

37 reife Oligodendrozyten ohne die Funktion von Oligodendrozytenvorläuferzellen zu beeinträchtigen.

Das Cuprizone-Modell eignet sich insbesondere für die Untersuchungen der Remyelini-sierung, welche in anderen Modellen für die Multiple Sklerose wie dem EAE-Modell (experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis) (Batoulis et al., 2011) oder dem Thei-ler-Virus-Modell (Mecha et al., 2013) nur schwer untersucht werden kann. In diesen Modellen laufen die De- und Remyelinisierungsvorgänge teilweise parallel ab und las-sen sich nicht abgrenzen, sodass Untersuchungen der Remyelinisierung nicht verlässlich möglich sind.

Ein weiterer Vorteil des Cuprizone-Modells ist, dass während der Demyelinisierung keine Entzündungszellen aus dem peripheren Blut in die entmarkten Areale dringen (Matsushima & Morell, 2001). Dies ermöglicht die isolierte Untersuchung von Vorgängen der De- und Remyelinisierung im zentralen Nervensystem, ohne Einflüsse des peripheren Immunsystems.

4.2. Etablierung eines geeigneten Zeitpunktes zur Untersuchung der Remyelinisierung

Um den optimalen Zeitpunkt für die Untersuchungen der Remyelinisierung zu definieren, wurde die Astrozytenablation zu 3 verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt:

1: nach 3 Wochen zum Zeitpunkt der beginnenden Demyelinisierung; 2: nach 4 Wochen zum Zeitpunkt einer starken Demyelinisierung; 3: nach 5 Wochen zum Zeitpunkt der beginnenden Remyelinisierung (Vorhandensein von ersten Oligodendrozyten und Beginn der Regeneration von Myelinproteinen). In den ersten beiden Gruppen erfolgte eine vergleichende Analyse der Gehirne im Vergleich zu Kontrolltieren zum Zeitpunkt der beginnenden Remyelinisierung (Woche 5). Die Auswertung des Myelinisierungsgrades der Gruppe 1 ergab, dass in den Astrozyten ablatierten Mäusen zum untersuchten Zeitpunkt noch eine große Menge von zerstörtem Myelin im Corpus callosum nachweisbar war. In vorherigen Versuchen der Arbeitsgruppe von Prof. Dr.

med. M. Stangel konnte bereits gezeigt werden, dass Astrozyten eine entscheidende Rolle bei der Rekrutierung von Mikroglia einnehmen (Skripuletz et al., 2013). Nach

38 deren Ablation blieb eine ausreichende Mikrogliarekrutierung aus, um das zerstörte Myelin abzuräumen. Ferner konnte gezeigt werden, dass das nicht phagozytierte Myelindebris die nachfolgende Remyelinisierung verzögerte. Kotter et al. zeigten 2006, dass Myelinfragmente die Remyelinisierung behindern. Da in der Gruppe 1 dieser Arbeit die Astrozytenablation zum Zeitpunkt der beginnenden Demyelinisierung und der beginnenden Mikrogliainfiltration durchgeführt wurde, konnte auch hier eine verringerte Rekrutierung von Mikroglia nach Funktionsverlust von Astrozyten beobachtet werden, die im Folgenden zu einem verringerten Myelinabbau geführt hat.

Aufgrund dieser Beobachtung wurde diese 1. Untersuchungsgruppe nicht für die Untersuchungen der Remyelinisierung weiter verfolgt. Bei Ablation von Astrozyten ab der Woche 4 wurde ein Einfluss auf die Mikrogliaaktivierung nicht mehr nachgewiesen.

Ab der Woche 4 war die maximale Mikrogliaaktivierung zu beobachten und der Abbau von zerstörtem Myelin war bereits so stark fortgeschritten, dass die Ablation von Astrozyten ab der Woche 4 keinen Einfluss auf die Demyelinisierungsprozesse einnahm. Für die nachfolgenden Untersuchungen der Remyelinisierung wurden die Astrozyten ab der Woche 4 und der Woche 5 der Cuprizone-Fütterung ablatiert.

4.3. Warum die Arbeit von wissenschaftlichem Interesse ist

Die Astrozyten stellen den zahlreichsten glialen Zelltyp im ZNS dar. Welche Funktio-nen Astrozyten bei demyelinisierenden Erkrankungen im ZNS und insbesondere bei der Remyelinisierung einnehmen ist weiterhin nicht bekannt (Barnett & Linington, 2013).

Es ist allgemein anerkannt, dass Astrozyten eine wichtige Rolle für die Homöostase des ZNS haben und während der Aktionspotentiale anlaufende Transmitter, wie zum Bei-spiel das neurotoxische Glutamat und Elektrolyte, v.a. Kalium, aus dem Interzellular-raum eliminieren (Wang und Bordey, 2008). Dadurch helfen sie optimale Bedingungen für die neuronale Aktivität bereitzustellen. Auch ist bekannt, dass Astrozyten Einfluss auf die Durchblutung des ZNS nehmen und an der Regulation und dem Erhalt der Blut-Hirn-Schranke beteiligt sind (ebd.). Die Fortsätze von Astrozyten liegen sowohl Neuro-nen als auch kleineren Blutgefäßen im ZNS an (Kimelberg & Nedergaard, 2010). Wenn durch neuronale Aktivität Glutamat freigesetzt wird, bindet es u.a. an mGluRs (muska-rinerge Glutamat-Rezeptoren) der Astrozyten. Dadurch kommt es zu einem Einstrom von Ca2+ in die Zellen. Die erhöhte Ca2+-Konzentration aktiviert die Phospholipase A2, die die Bildung von Arachidonsäure aus Membranphospholipiden generiert, deren

Me-39 tabolite, Prostaglandine und Epoxyeicosatriensäuren, zu einer Dilatation der anliegen-den Gefäße führen (Attwel et al., 2010).

Die Funktion von Astrozyten für die Remyelinisierung ist weitgehend unbekannt und es werden sowohl negative als auch positive Einflüsse diskutiert. Einerseits wird ange-nommen, dass Astrozyten die Regeneration durch die Ausbildung einer glialen Narbe hemmen. Diese Annahme erfolgte nachdem in den sklerotischen Plaques im ZNS von MS Erkrankten, die als histopathologisches Korrelat der MS gelten (Lassmann, 2013), viele sogenannte reaktive Astrozyten beobachtet wurden. Es wurde angenommen, dass Astrozyten in geschädigten Arealen eine gliale Narbe ausbilden, die zwar den Ort der Schädigung begrenzen und so eine Ausbreitung der Entzündung verhindern, jedoch zugleich die Einwanderung von Oligodendrozytenvorläuferzellen hemmen kann, wodurch eine Regeneration des geschädigten Areals ausbliebe (Pekny & Nilsson, 2005).

Neuerdings wird die gliale Narbe eher als Endstadium einer nicht erfolgreichen Regene-ration angesehen (Barnett & Linington 2012).

Aus in vitro Versuchen weisen viele Ergebnisse darauf hin, dass Astrozyten die Remyelinisierung eher begünstigten. Astrozyten produzieren in vitro mehrere Chemo-kine und Wachstumsfaktoren, die die Regeneration von Oligodendrozyten und Myelin fördern könnten. Für die Faktoren PDGFα (platelet-derived growth factor) und FGF2 (fibroblast growth factor) konnte bereits vor Jahren gezeigt werden, dass diese in Kom-bination die Proliferation von Oligodendrozytenvorläuferzellen beschleunigen, jedoch deren weitere Differenzierung hemmen (Bögler at al., 1990; Richardson et al., 1988).

Ein weiterer Wachstumsfaktor, der IGF-1 (insulin-like growth factor), der im ZNS unter anderem ebenfalls von Astrozyten sezerniert wird, unterstützt die Entwicklung von Oli-godendrozyten und deren Überleben (Chesik et al., 2008). Dem zu Grunde liegt zum einen die Hemmung der Apoptose und zum anderen die Förderung des Zellwachstums und der Zellteilung (Aberg et al., 2006; Cui & Almazan, 2009). Bei diesen Arbeiten handelt es sich um in vitro Versuche und entsprechende in vivo Experimente, die die Funktion von Astrozyten untersucht hätten, fehlen.

Talbott et al. (2005) fanden in tierexperimentellen Versuchen Hinweise dafür, dass Ast-rozyten bei der Regeneration von Myelin eine Einfluss nehmende Rolle spielen könnten.

40 In demyelinisierten Arealen im Rückenmark erwachsener Ratten, die durch Injektion von Ethidium-Bromid induziert wurden, wurde nur in Zonen mit reaktiver Astrogliose eine spontane Regeneration gefunden als Hinweis dafür, dass reaktive Astrozyten diese begünstigt haben könnten.

4.4. Astrozytenablation hindert die Remyelinisierung durch Mangel an Oligodendrozytenvorläuferzellen am Ort der Schädigung

In der vorliegenden Arbeit wurde die Bedeutung der Astrozyten für die Remyelinisie-rung untersucht, indem die Auswirkung der isolierten Ablation dieser Zellen auf die Remyelinisierung analysiert wurde. In den Untersuchungsgruppen, in denen die Astro-zytenablation in der vierten bzw. fünften Woche induziert wurde, wurden 4 verschiede-ne Zeitpunkte untersucht: unmittelbar nach Absetzen der Cuprizoverschiede-ne-Fütterung und eiverschiede-ne halbe Woche, 1 Woche und 2 Wochen danach. Der erste Zeitpunkt entspricht der voll-ständigen Demyelinisierung mit beginnender Remyelinisierung, die Zeitpunkte danach spiegeln die fortschreitende Regeneration wider. Entsprechend der beschriebenen Ab-läufe im Cuprizone-Modell wiesen zu Beginn sowohl Versuchs- als auch Kontrolltiere eine maximale Entmarkung im Corpus callosum auf. Im weiteren Verlauf zeigte sich in allen 3 Kontrollgruppen erwartungsgemäß eine stetige Zunahme des Myelinisierungs-grades. In der Versuchsgruppe, in der Astrozyten ab der Woche 4 ablatiert wurden, blieb eine Regeneration von Myelinproteinen aus. Zur besseren Reproduzierbarkeit der Ergebnisse wurde der Remyelinisierungsgrad mittels verschiedener Myelinproteine (MBP, PLP, CNPase, MOG, MAG) und der histochemischen LFB Färbung beurteilt und in allen zeigte sich bei den Astrozyten ablatierten Tieren ein Ausbleiben der Remyelinisierung.

Parallel zur Myelinisierung wurde die Regeneration von Oligodendrozyten mittels im-munhistochemischer Färbungen gegen Nogo-A und APC untersucht. In den Astrozyten ablatierten Mäusen wurde eine deutlich verminderte Regeneration dieser Myelin bil-denden Zellen nachgewiesen, passend zu dem niedrigen Myelinisierungsgrad in diesen Tieren. Da reife myelinbildende Oligodendrozyten aus Oligodendrozytenvorläuferzellen entstehen, wurden auch diese in der vorliegenden Arbeit untersucht. Es wurde nachge-wiesen, dass in Astrozyten ablatierten Tieren im Vergleich zu den Kontrolltieren die Anzahl an Oligodendrozytenvorläuferzellen deutlich reduziert war. Sowohl die Anzahl

41 von proliferierenden Oligodendrozytenvorläuferzellen als auch die Gesamtmenge von Oligodendrozytenvorläuferzellen zeigte sich deutlich vermindert nach Astrozytenverlust.

Die Ergebnisse zeigen somit, dass nach Ablation von Astrozyten eine ausreichende Proliferation von Oligodendrozytenvorläuferzellen ausbleibt. In der Literatur sind zahl-reiche von Astrozyten sezernierte Faktoren beschrieben, die eine solche Wirkung auf-weisen könnten. Vana et al. zeigten 2007 eine gesteigerte Proliferation von Oli-godendrozytenvorläuferzellen durch von Astrozyten gebildetes PDGF-A im Anschluss an eine toxische Demyelinisierung. Ferner wurde gezeigt, dass eine vermehrte Bildung von PDGF-A in Astrozyten die Apoptose von reifen Oligodendrozyten verhinderte. In einer weiteren Arbeit von Allamargot et al. (2001) im Lysolecithin-Modell wurde beo-bachtet, dass eine einzige intrazerebrale Injektion vom PDGF zu einer höheren Anzahl reifer Oligodendrozyten mit gesteigerter Remyelinisierung führte. Der Nachweis von PDGF-Rezeptoren auf Oligodendrozyten in demyelinisierten Arealen der weißen Sub-stanz bei MS-Patienten deutet darauf hin, dass dieser Wachstumsfaktor eine Rolle in der Remyelinisierung bei MS spielen könnte (Wilson et al., 2006). IGF-1 (insulin-like growth factor-1) ist ein weiterer Wachstumsfaktor, der bei der Proliferation von Oli-godendrozytenvorläuferzellen im Rahmen von Remyelinisierungsprozessen dafür in Betracht kommt. IGF-1 ist ein Polypeptid-Hormon, das im zentralen Nervensystem von Astrozyten exprimiert wird (Moore et al., 2011). Im Tiermodell mit Mäusen, bei denen in Oligodendrozyten als auch Oligodendrozytenvorläuferzellen der IGF-I-Rezeptor Typ I fehlte, konnte gezeigt werden, dass IGF-1 über diesen Rezeptor direkt die Reifung und Myelinisierung der Oligodendrozytenzellreihe bewirkte (Zeger et al., 2007). IGF-1 er-höht in vitro und in vivo die Proliferation von Oligodendrozytenvorläuferzellen und fördert deren Differenzierung zu reifen Oligodendrozyten und die Myelin-Bildung (McMorris et al., 1993). Welche Faktoren entscheidende Einflüsse auf die Regeneration von Oligodendrozytenvorläuferzellen und Myelin in Tiermodellen für Remyelinisierung einnehmen, muss in weiteren Arbeiten untersucht werden.

4.5. Astrozytenablation während der Remyelinisierung hat keinen Einfluss auf die Anzahl von Mikroglia

Kürzlich wurde von der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. med. Stangel eine Arbeit veröf-fentlicht, die die Rolle der Astrozyten während der Demyelinisierung untersuchte. Sie

42 zeigte, dass die Astrozyten für die Rekrutierung von Mikroglia verantwortlich sind und dadurch die Elimination des Myelindebris einleiten (Skripuletz et al. 2013). Dies ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Remyelinisierung.

In der vorliegenden Arbeit wurden Mikroglia mittels immunhistochemischer Färbungen gegen RCA-1 und IBA-1 dargestellt. In beiden Färbungen zeigte sich eine hohe Anzahl an Mikroglia zu Beginn des Untersuchungszeitraums mit einem stetigen Abfall bei Fortschreiten der Regeneration. Dieses Muster wiesen sowohl die drei Kontrollgruppen als auch die Untersuchungsgruppe nach Astrozytenverlust auf. Diese Beobachtungen stimmen mit denen von Hibbits et al. (2012) überein. Sie verglichen die regenerativen Abläufe nach akuter (Cuprizone-Fütterung über 6 Wochen) und chronischer Demyelini-sierung (Cuprizone-Fütterung über 12 Wochen) (ebd.). Es zeigte sich, dass im Gegen-satz zur reaktiven Astrogliose, die in beiden Fällen über 6 Wochen nach Umstellung auf normales Futter persistierte, die Anzahl der Mikroglia permanent abnahm. Mikroglia sind in hoher Anzahl um die dritte Woche der Cuprizone-Gabe vorhanden und nehmen bereits zur sechsten Woche ab. Eine ältere Arbeit von Morell et al. 1998 fand heraus, dass die Mikroglia-Akkumulation mit erhöhter Expression von mRNA myelin-typischer Gene aus den Oligodendrozyten korrelierte, was die Überlegung herleitete, ob Mikrog-lia nicht myelin-trophische Faktoren sezernierten. In Anbetracht unserer Beobachtungen und denen von der Arbeitsgruppe Armstrong (Hibbits et al., 2012) stellt sich die Frage, ob dies nicht durch eine Wechselwirkung von Mikroglia mit den Astrozyten erklärt werden kann. In Frage kommen Faktoren wie das IGF-1 (Insulin-like-growth factor) oder der FGF-2 (fibroblast growth factor), deren Expression in Astrozyten durch das TNF-α (tumor necrosis factor α) aus den Mikroglia angeregt werden kann (Skripuletz et al., 2011) aber auch direkt in den Mikroglia gebildet wird (Voss et al., 2012). Es unter-stützt während der Entwicklung die Oligodendrozyten-Differenzierung und deren Über-leben (Chesik et al., 2008). Hierbei kommen zwei mögliche Mechanismen in Frage (Moore et al., 2011): der PI3K (phosphoinositide-3 kinase)/Akt Signalweg, der die Apoptose verhindert und der MAPK/Erk (extrazelulläre Signal-regulierte Kinase) Sig-nalweg, der das Zellwachstum und die Proliferation fördert (ebd.). In einem Cuprizone-Experiment, bei dem die Versuchstiere kontinuierlich IGF-1 sezernierten kam es im Gegensatz zu den Kontrolltieren zu einer nahezu vollständigen Remyelinisierung (Ma-son et al., 2000). McKinnon et al. beobachteten, dass FGF-2 in vitro die Proliferation

43 von Oligodendrozytenvorläuferzellen stimulierte (1990). Außerdem beschrieben Ruffini et al. 2001, dass eine intrathekale Applikation eines viralen Vektors, der FGF-2 produ-zierte, den klinischen Verlauf der EAE (experimentelle Autoimmun-Enzephalitis) lin-derte.

Die Interaktion zwischen Mikroglia und Astrozyten ist bis jetzt nicht ausreichend ge-klärt. Unter anderem wird die Erforschung dadurch erschwert, da einige Mediatoren und Faktoren sowohl von Astrozyten und Mikroglia produziert werden können, wie zum Beispiel IGF-1, sodass ein Knock-out des einen oder anderen Gens nicht auf dessen Herkunft schließen lässt. Es wurde kürzlich gezeigt, dass Astrozyten Mikroglia aktivie-ren (Skripuletz et al. 2013). Ob Mikroglia wähaktivie-rend der Remyelinisierung Astrozyten zur Produktion von Wachstumsfaktoren anregen, ist bisher tierexperimentell nicht ge-zeigt worden.

4.6. Astrozytenablation ab der fünften Woche der Cuprizone-Fütterung hat keinen Einfluss auf die Remyelinisierung

In der Versuchsgruppe, bei der die Astrozytenablation nach 5 Wochen Cuprizone-Fütterung eingeleitet wurde, war die Remyelinisierung sowohl in den Astrozyten abla-tierten Tieren als auch in den Wildtyp-Mäusen zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt.

Nach 5 Wochen Cuprizone-Fütterung war in allen Gruppen das maximale Ausmaß der Demyelinisierung erreicht und erste reife Oligodendrozyten waren in den entmarkten Arealen anwesend. Da die Regeneration bereits eingesetzt hat, resultierte die Astrozy-tenablation zu diesem Zeitpunkt nicht in einer Reduktion der Remyelinisierung. Oli-godendrozytenvorläuferzellen proliferieren überwiegend zwischen den Wochen 4 und 5 im Cuprizone-Modell (Skripuletz et al., 2011). Die maximale Proliferationsrate liegt bei Woche 4,5 und ab Woche 4,5 nimmt die Proliferationsrate ab. Nach abgeschlossener Proliferation differenzieren Oligodendrozytenvorläuferzellen in reife myelinbildende Oligodendrozyten. Ab Woche 4,5 reifen die Oligodendrozytenvorläuferzellen zu Oli-godendrozyten, so dass erste reife Oligodendrozyten ab Woche 5 nachgewiesen werden können. Die überwiegende Differenzierung erfolgt dann zwischen den Wochen 5 und 7.

Unsere Ergebnisse mit Ablation der Astrozyten ab Woche 5 zeigen keinen Effekt auf die Oligodendrozytenzahl und die Remyelinisierung. Diese Beobachtung weist darauf

44 hin, dass Astrozyten die Differenzierung von Oligodendrozytenvorläuferzellen zu Oli-godendrozyten nicht beeinflussen. Ein ähnliches Ergebnis fanden Raff et al. (1985, 1988), die zeigten, dass Oligodendrozytenvorläuferzellen in Zellkulturen, die aus dem N.

opticus generiert wurden, spontan, ohne Zugabe von Wachstumsfaktoren, zu Oli-godendrozyten differenzierten. Sie nahmen an, dass die Reifung von Oligodendrozy-tenvorläuferzellen zu Oligodendrozyten einer „inneren Uhr“ folgt, sobald ein bestim m-ter Reifegrad erreicht ist.

4.7. Weiterführende Überlegungen

Die Ergebnisse unserer Arbeit zeigen, dass der Einfluss von Astrozyten auf die Remyelinisierung zeitlich begrenzt ist. Sobald die Differenzierung der OPCs begonnen hat entfaltet die Depletion von Astrozyten keine Wirkung mehr auf die Remyelinisie-rung. Zusammen mit den Ergebnissen von Skripuletz et al. (2013), dass eine Aktivie-rung von Mikroglia zur Elimination von Zelldebris für eine suffiziente Demyelinisie-rung notwendig ist, die wiederum eine Voraussetzung für die RemyelinisieDemyelinisie-rung ist, und mit unseren Ergebnissen, dass Astrozyten für die Proliferation von OPCs essentiell sind, lässt sich festhalten, dass die Astrozyten vor allem bei der Initiierung der regenerativen Prozesse eine wichtige Rolle spielen

Zu den Faktoren, die von Astrozyten gebildet werden und die Proliferation von OPCs fördern, gehören PDGF, IGF-1, Neuregulin und CNTF (Talbott et al., 2005). Dabei för-dert PDGF vor allem die Teilung der OPCs, hemmt jedoch bei erhöhter Konzentration die Myelinisierung (Woodruff et al., 2004). PDGF wird bei erhöhter Entzündungsaktivi-tät durch TNFα und TGFβ aus den Astrozyten vermehrt sezerniert (Moore et al., 2011).

Es ist anzunehmen, dass im Rahmen der entzündlichen Genese bei der MS hierdurch eine Überexpression entsteht und dadurch die Remyelinisierung misslingt. Interessant wäre herauszufinden, ob unter Ausschaltung dieses Mediators eine Remyelinisierung ablaufen kann und eventuell sogar in ihrem Verlauf gefördert wird. In der Arbeit von Chang et al. (2012), wurden menschliche Gehirne post mortem pathologisch untersucht.

Es konnte gezeigt werden, dass reaktive Astrozyten in chronisch-demyelinisierten Läsi-onen vermehrt CD 44 exprimieren, ein Oberflächenprotein der Astrozyten, welches Glykosaminoglykane, insbesondere Hyaluron, bindet. Hyaluron hindert die Differenzie-rung von OPC zu Myelin produzierenden Oligodendrozyten. Es wurde zudem gezeigt,

45 dass eine reaktive Astrozytose mit vermehrter Bildung der extrazellulären Matrix fast nur in Läsionen der weißen Substanz im ZNS zu finden war. Die Remyelinisierung war in der grauen Substanz geringer beeinträchtigt (ebd.). Es ist noch unklar welche Fakto-ren zur Ausbildung einer reaktiven Astrogliose mit hemmenden Einflüssen auf die Remyelinisierung v.a. in der weißen Substanz führen. Eine Dysbalance bei den Wech-selwirkungen zwischen Wachstumsfaktoren wäre eine mögliche Ursache.

Es ist noch nicht vollständig geklärt, welche Faktoren bei der Remyelinisierung die ent-scheidende Rolle einnehmen. Es konnte gezeigt werden, dass IGF-1 die Myelinisierung positiv beeinflusst. Mikroglia fördern die Ausschüttung dieses Mediators aus den Astro-zyten mittels IL-1β (Mason et al., 2001), sezernieren ihn aber auch selbst (Voss et al., 2012). Mason et al. (2000) zeigten im Cuprizone-Versuch mit Hilfe eines Mausstamms, der permanent IGF-1 sezernierte, einen positiven Effekt auf die Regeneration im Ver-gleich zu Kontrolltieren.

Viele Faktoren, die von Astrozyten sezerniert werden, haben sowohl fördernde als auch hemmende Wirkungen auf die Regeneration, in Abhängigkeit davon, wann sie expri-miert werden oder von deren Umgebung. Zamanian et al. fanden 2012 heraus, dass der Phänotyp der Astrozyten von der Ursache ihrer Aktivierung abhängig ist. Die reaktiven Astrozyten, die nach Ischämie in das geschädigte Areal einwandern, sezernieren neuro-trophe Mediatoren wie LIF (leukemia inhibiting factor) oder IL-6 (interleukin 6) und scheinen damit protektive Eigenschaften zu entfalten (Nair et al., 2008). Reaktive Ast-rozyten sezernieren aber auch Mediatoren der Komplement-Kaskade und unterhalten dadurch den entzündlichen Prozess in dem vulnerablen Areal (ebd.). Ein weiterer thera-peutischer Ansatz wäre es Faktoren einzusetzen, die das Sekretionsschema der Astrozy-ten zu GunsAstrozy-ten der remyelinisierungsfördernden Mediatoren verändern könnAstrozy-ten.

Die Ergebnisse unserer Arbeit legen die Überlegung nahe, dass die unzureichende Proliferation von Oligodendrozytenvorläuferzellen am Ort der Schädigung ein limitie-render Faktor der Regeneration ist. Obgleich diese Arbeit noch viele Fragen offen lässt,

Die Ergebnisse unserer Arbeit legen die Überlegung nahe, dass die unzureichende Proliferation von Oligodendrozytenvorläuferzellen am Ort der Schädigung ein limitie-render Faktor der Regeneration ist. Obgleich diese Arbeit noch viele Fragen offen lässt,