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Die Rolle des Gemeinwesens bei Demokratiedefi ziten

„Älteren“ in einem Gemeinwesen

1.  Die Rolle des Gemeinwesens bei Demokratiedefi ziten

Die Wahrnehmung von Demokratiedefi ziten in unserer Gesellschaft  erlangt vor allem bei singulären Ereignissen mediale Aufmerksamkeit. 

Diese Wahrnehmung macht sich fest an der Verbreitung und Veran-kerung von Einfl üssen extrem rechter Parteien oder Gruppierungen in  den demokratischen Institutionen und Gruppierungen unserer Ge-sellschaft. Hier wären zu nennen: Wahlergebnisse, bei denen extrem  rechte Parteien in Parlamente einziehen, Übergriff e auf als „ausländisch“ 

wahrgenommene, anders denkende oder aussehende Bürger̲innen, bei  der Feststellung, dass es Neonazis gelungen ist, sich in zivilgesellschaft-lichen Kreisen zu verankern, wie bei Schülernachhilfe, beim Vorsitz in  Heimatvereinen, bei der Ausrichtung dörfl icher Feste, etc. Besondere  Aufmerksamkeit erfuhr Ende des Jahres 2011 die Aufdeckung der  rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die  über Jahre mordend durch die Bundesrepublik gezogen war. Es folgen  Presseberichterstattung, Erschrecken, Bestürzung, Hilfl osigkeit und die  Frage: „Was kann man tun?“

Jedes singuläre Ereignis dieser Art hat - ehe es die Medien erreicht  - eine lange Vorgeschichte. Die Vorgeschichte ist die Missachtung von  Menschenrechten und die Infragestellung unseres demokratischen  Grundkonsenses. Es ist die Geschichte vom Wegschauen, Schweigen, 

Verdrängen und Ignorieren demokratiefeindlicher Potentiale und es ist  die Geschichte der Leugnung und Verdrängung rassistisch motivierter  Alltagsdiskriminierung und Gewalt, es ist die Geschichte der Angst und  der Vereinzelung von Demokrat̲innen in unserem Land.

Der von Politiker̲innen aller demokratischen Parteien immer wieder  zitierte Ruf nach Zivilcourage beschreibt nur das Ziel:  nicht weg zu  schauen, nicht zu schweigen, nicht zu ignorieren und nicht zu verdrän-gen. Aber er sagt nichts über den Weg, wie dieses Ziel erreicht werden  kann.

Eine mögliche Perspektive für einen gangbaren Weg vom demokra-tischen Wollen zum demokratischen Handeln ist Gegenstand dieses  Artikels. Angesichts der Gewissheit darüber, dass extrem rechte Er-scheinungen kein Problem der Jugend alleine sind und angesichts der  demographischen Zusammensetzung und der Trends der Bevölkerungs-entwicklung ist es notwendig, sich auch mit einer Gruppe von Menschen  zu beschäftigen, die man allgemein die „Älteren“ nennen könnte.

Die „Älteren“ fallen in der öff entlichen Berichterstattung über extrem  rechte Erscheinungen kaum auf. Geht es um Gewalttaten und Übergriff e,  sind es eher jüngere Menschen, die zu Täter̲innen oder Betroff enen  werden. Wir meinen mit der Gruppe der „Älteren“ alle Menschen in  einem Alter von mehr als 35 Jahren. Es sind diejenigen Menschen, die  überwiegend nicht mehr jugendkulturell organisiert oder angebunden  sind und allgemein als „Träger unserer Gesellschaft“ bezeichnet werden. 

Dabei stellen „die Älteren“ ‒ wie Einstellungsforschungen immer wieder  zeigen ‒ den Resonanzboden für aggressives Verhalten, in unserem Falle  für rechtsextrem motivierte Gewalt dar. Die Zustimmung dazu, Gewalt als  Mittel zur Konfl iktlösung zu akzeptieren, steigt diesen Studien zufolge mit  zunehmendem Alter erheblich an.1  Liest man die Berichterstattung ge-nauer, fallen zwei Dinge ins Auge: Zum einen ist die Gruppe der „Älteren“ 

präsent durch Auslassung, durch Nicht-Präsenz, durch Schweigen, durch 

Sich-Nicht-Verhalten zu der jeweiligen Situation. Einzig Amtsvertreter̲in-1  Vgl. Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt. Online einsehbar unter, http://www.uni-  bielefeld.de/ikg/Handout̲Fassung̲Montag̲1212.pdf (gefunden am 28. Januar 2012): 10.

nen äußern sich zum jeweiligen singulären Ereignis und das auch oft  nicht klar und deutlich. Es sind z.B. wenige Politiker̲innen oder Bürger-meister̲innen, die in den Medien Empathie und Solidarität für Opfer  rechtsmotivierter Übergriff e zeigen. Im Rahmen einer Diskussionsrunde  an einem Standort des Projektes Horizont 21 wurde dieser Unterschied in Horizont 21 wurde dieser Unterschied in Horizont 21 den Wahrnehmungen von jungen Menschen und „Älteren“ sehr deutlich. 

In der Diskussion forderten Schüler̲innen, die sich jugendkulturell der  Punk- und Hardcore-Szene zuordneten, einen eigenen Raum, zu dem  rechte Jugendliche keinen Zutritt haben sollten. Ein anwesender Schul-leiter zeigte sich im Rahmen der Diskussion verständnislos und meinte,  man müsse doch mal diese Streitigkeiten untereinander überwinden und  in solchen selbstbestimmten Räumen über den eigenen Schatten springen  und miteinander reden. Ein Jugendlicher verließ dann die Diskussionsrun-de. Der Schulleiter schaff te es nicht, die Perspektive der jungen Menschen  zu übernehmen, die in der Vergangenheit wiederholt Betroff ene rechts-motivierter Übergriff e geworden waren. Da die gewalttätigen Übergriff e  die Gruppe der „Älteren“ in den ländlichen Regionen weniger betreff en als  die jungen Menschen, nimmt man die Problemlage in dieser Gruppe zum  Teil nicht wahr. Doch gerade diese Nichtwahrnehmung und Nichtthemati-sierung muss aufgebrochen und verändert werden. 

Auch bei der Auswertung der Wahlergebnisse richtet sich der mediale  Fokus vornehmlich auf die Gruppe von Menschen, die als jung, männ-lich und ungebildet beschrieben werden. Es lohnt sich, den Blick auf die  Gruppe derer zu richten, die den Großteil unserer Gesellschaft ausma- chen und die eher im Hintergrund stehen, wenn es um die Wahrnehm-barkeit von Demokratiedefi ziten geht. Es ist die Gruppe derer, die wir in  diesem Text als die „Älteren“ defi niert haben. Interventionsmöglichkeiten  im Rahmen schulischer Wissensvermittlung oder schulischer Bildungs-arbeit bieten sich bei dieser Gruppe nicht mehr. Aus diesem Grund ist  nach neuen Möglichkeiten und Wegen zu suchen, wie es möglich ist,  diese Gruppe zu aktivieren, sich an der Gestaltung der sozialräumlichen  Lebenswelt aktiv zu beteiligen und sich gegen menschenverachtendes  Denken zu positionieren und zu organisieren. Ideen dafür, wie man diese  Ziele erreichen kann, bietet die Gemeinwesenarbeit. Nachfolgend soll  beispielhaft gezeigt werden, wie eine solche Aktivierung gelingen kann.