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Das Problem des „Extremismus“

In den Ergebnissen der benannten wissenschaftlichen Studien wie  auch in der praktischen Arbeit vor Ort werden die Schwierigkeiten des  Rechtsextremismus-Begriff s off ensichtlich. Der Begriff  selbst wird seit  1974 in den Berichten des Verfassungsschutzes verwendet und hat  sich zu einem zentralen Begriff  gesellschaftspolitischer Debatten, aber  auch wissenschaftlicher Publikationen etabliert. Als Pendant zum Begriff   des Rechtsextremismus gilt der des Linksextremismus. Extremismus  fungiert hierbei als ein Oberbegriff  für demokratiefeindliche Bestrebun-gen und als Gegenpol zu einer angenommenen demokratischen Mitte. 

Wissenschaftliche Untermauerung hat der Begriff  in den Ansätzen der  sogenannten Extremismustheorie erfahren, deren Vertreter̲innen beide 

20  Vgl. Dokumentation der Veranstaltung „Man steht auch oft alleine da…“ ‒ Jugendbeteiligung    in Salzwedel: Miteinander e.V. (2011): 4.

21  Vgl. Gemeindeporträt Borna: 18.

„Extreme“ modellhaft in Form eines Hufeisens, als Ränder der demokra-tischen Mitte und als Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat  darstellen.22  Die hinter dem Extremismus-Ansatz stehende Rechts/Links-Dichotomie widerspricht jedoch den tatsächlichen gesellschaftlichen  Realitäten. Es fi ndet die Konstruktion einer politischen Mitte statt, die  von ihren rechten und linken Rändern gleichermaßen gefährdet sei. 

Innerhalb des Extremismus-Ansatzes gilt diese konstruierte politische  Mitte - ebenso wie der demokratische Rechtsstaat selbst - als frei von  Ideologien, Dogmen und Ausgrenzungs mechanismen. Die benannten  Studien zur Verbreitung menschenverachtender und antidemokratischer  Einstellungsmuster widerlegen jedoch diese Annahme empirisch. Das  Extremismus-Konzept erfüllt somit eine klare politische Funktion, indem  es dazu dient, die bestehende politische Ordnung zu sichern, eine „politi-sche Normalität“ zu konstruieren und gleichzeitig abweichende politische  Kräfte zu delegitimieren.23

Die Schwierigkeiten dieses Modells werden in der weiten Verbreitung  einzelner Einstellungsmuster eines sogenannten rechtsextremen Weltbil-des off ensichtlich. Da rassistische, sexistische, antisemitische und andere  menschenverachtende und antidemokratische Einstellungen hohe Zu- stimmungswerte innerhalb der sich selbst als demokratische Mitte ver-stehenden Bevölkerung zeigen, greift der Begriff  des Rechtsextremismus  deutlich zu kurz, der diese Einstellungsmuster ausschließlich an einem  gesellschaftlichen rechten Rand verortet. RechtsextremismusRechtsextremismusRechtsextremismus in der  in der Mitte der Gesellschaft ist ein scheinbares Paradox, aber gleichzeitig eine ge-sellschaftliche Realität, die begriffl  ich und auch politisch in Frage gestellt  bzw. geleugnet wird. Der Begriff  des Rechtsextremismus verschleiert die  hohen Zustimmungswerte weiter Teile der sogenannten Mitte der Gesell-schaft zu menschenverachtenden und antidemokratischen Einstellungen. 

Auf politischer Ebene zeigt sich, dass die Auseinandersetzung mit dem  Phänomen Rechtsextremismus dabei häufi g auf neonazistische Struktu- ren und Organisationen begrenzt bzw. deren Akzeptanz und Anschlussfä-higkeit an gesamtgesellschaftliche Diskurse unbeachtet bleibt. 

22  Vgl. u.a. Backes/Jesse (1996).

23  Vgl. Oppenhäuser (2011).

Auch die begriffl  iche Dichotomie von Rechts- und Linksextremismus  ist sehr problematisch. Bereits eine begriffl  iche Bestimmung des  Linksextremismus bleibt ‒ im Gegensatz zum Rechtsextremismus  und dessen zentralen Ideologieelementen ‒ inhaltlich weitgehend  unbestimmt bzw. unscharf. Jesse und Co. erfassen mit ihrem Begriff   des Linksextremismus verschiedene Tendenzen und Strömungen, als  deren gemeinsames Merkmal ein extremer Egalitarismus und eine  daran gebundene Demokratiefeindlichkeit ausgemacht werden.24 Die  bekannten Studien zu politischen Einstellungsmustern beschränken  sich jedoch auf den Bereich demokratischer respektive antidemokrati-scher/rechtsextremer Einstellungen. Unterschiedliche Analysen geben  zwar vor, ̀linksextremè oder ̀extremistischè Einstellungen zu eruie-ren, kommen in der Regel jedoch zu sehr fragwürdigen Ergebnissen.25 Mit dem Begriff  des „Extremismus“ wird versucht, antidemokratische  Einstellungen zu erfassen, wobei jedoch auf inhaltlicher Ebene eine  Unterscheidung grundlegend ist: während mit dem Begriff  des Rechts- extremismus verschiedene menschenverachtende und antidemokra-tische Einstellungsmuster zusammen gefasst und bezeichnet werden,  bleibt der Begriff  des Linksextremismus in seiner Verwendung häufi g  diff us auf die Ausdrucksformen von Gewalt beschränkt. 

Das Begriff spaar Rechts- und Linksextremismus hat innerhalb gesell- schaftspolitischer und medialer Debatten eine weitgehende Deutungs- hoheit erfahren. Sprache macht Wirklichkeit ‒ mithilfe des Diskurs-Be-griff s nach Foucault können die wirklichkeitskonstituierenden Eff ekte  von Sprache und Begriffl  ichkeiten aufgezeigt werden. Nach Foucault  bezeichnet Diskurs dabei „eine Praxis des Denkens, Schreibens,  Sprechens und Handelns, die diejenigen Gegenstände, von denen sie  handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt.“26 Das politische  und mediale Sprechen über Extremismus und der Versuch einer wis-senschaftlichen Fundierung des Begriff s erzeugen jedoch erst dessen  (scheinbare) alltagspolitische Realität und damit auch Legitimität.

24  Vgl. u.a. Backes/Mletzko/Stoye (2010):  4.

25  Vgl. u.a. Kiess (2011).

26  Kammler/Parr/Schneider (2008):  234.

Diese theoretischen Überlegungen lassen sich mit Beispielen aus der  zivilgesellschaftlichen Praxis verdeutlichen. In den Diskussionen um  die Ergebnisse des Gemeindeporträts in Borna wurde off ensichtlich,  wie eine gleichzeitige Nennung von Rechts- und Linksextremismus  von einer Relativierung bzw. Verharmlosung von Neonazi-Gewalt  begleitet ist.27  Die alltägliche Präsenz von Neonazis bzw. die Auswir-kungen menschenverachtender Einstellungsmuster werden relativiert  oder aber mit „linksextremistischen“ Ausdrucksformen wie beispiels-weise Graffi  ti kontrastiert. Die politische Funktion des Begriff s lässt  sich zudem beispielhaft an den Diskussionen um Bon Courage, ein Bon Courage, ein Bon Courage zivilgesellschaftlicher Verein, der insbesondere beim Thema Asyl  und der Unterstützung von Asylbewerber̲innen im Landkreis sehr  engagiert ist, innerhalb der lokalen Presse aufzeigen. Anlässlich eines  Workshops zum Thema „Verhalten auf Demonstrationen“ auf dem  Sommerfest des Vereins wurde von Seiten konservativer Politiker̲in-nen Kritik laut, Bon Courage rufe damit zu Gewalt gegen Polizeibeam-Bon Courage rufe damit zu Gewalt gegen Polizeibeam-Bon Courage te auf und wende sich gegen die demokratische Grundordnung. Darin  zeigt sich, wie im Kontext tagespolitischer Auseinandersetzungen  der Linksextremismus als Deutungsmuster benutzt wird, unliebsame  Positionen zu verunglimpfen und zu kriminalisieren. 

Die Ausführungen machen deutlich: In der politischen Praxis und  der Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Einstellungen  greift der Begriff  des Rechtsextremismus zu kurz und hat darüber  hinaus sehr problematische Implikationen. Im Sprechen von Rechts-extremismus ist das begriffl  iche Pendant des Linksextremismus  angelegt und wird diesem häufi g nahezu refl exhaft entgegengesetzt. 

Die Beispiele aus der Praxis im Projekt Horizont 21 bestärken dies  Horizont 21 bestärken dies  Horizont 21 und verdeutlichen, wie das Benennen von Linksextremismus häufi g  von einer Verharmlosung bzw. Relativierung sogenannter rechtsext-remer Einstellungen und Neonazi-Strukturen begleitet sein kann. In 

27  In einer Pressemitteilung anschließend an die Präsentation des Gemeindeporträts kommen-  tierte ein Jugendlicher: „Wir leben in einer Stadt, wo Rechtsextremismus nicht vorherrschend    ist, wo die Bürger nicht rassistisch und nicht  menschenfeindlich sind [...]. Wir leben aber    auch nicht in einer Stadt, wo es keinen Linksextremismus gibt.“ Vgl. Barth (2011).

der zivilgesellschaftlichen Praxis und insbesondere im Rahmen der  politischen Bildung ist es aus diesen Gründen ratsam, den Begriff  des  Rechtsextremismus vor dem Hintergrund der formulierten Kritik an  extremismustheoretischen Ansätzen zu vermeiden und stattdessen  konkreter von einzelnen menschenverachtenden und antidemokrati-schen Einstellungen zu sprechen. 

Mit der Verbreitung menschenverachtender und antidemokratischer  Einstellungen wie auch neonazistischer Strukturen sind zentrale The- menfelder benannt worden, die im Bereich Prävention und Interventi-on gegen Rechtsextremismus einen zentralen Bestandteil des Projekts  Horizont 21 darstellten. Die Projektziele waren eine Demokratisierung  Horizont 21 darstellten. Die Projektziele waren eine Demokratisierung  Horizont 21

von Schule und Gemeinwesen und die Schaff ung einer demokrati-schen und nicht-diskriminierenden Kultur des Miteinanders, was von  einer Thematisierung diskriminierenden und menschenverachtenden  Denkens und einer Auseinandersetzung damit nicht zu trennen ist. 

Im Folgenden sollen dafür einige konkrete Projektansätze aus dem  Bereich der Demokratieentwicklung in Schule und Gemeinwesen  genauer beleuchtet werden.

Demokratieentwicklung in Schule und Gemeinwesen als