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1.1. Embryologie

1.1.1. Die Entwicklung des inneren Genitale und der Harnwege

In der sechsten Entwicklungswoche haben sowohl die weiblichen als auch die männlichen Embryonen zwei Paare genitaler Gangsysteme. Zum einen das mesonephrische oder Wolff-Gangsystem, das sich vom Mesonephros bis zur Kloake (Sinus urogenitalis) erstreckt, und zum zweiten das paramesonephrische oder Müller-Gangsystem, welches als lineare Invagination des Zöloms an der anterolateralen Oberfläche der Urogenitalleiste entsteht und parallel zu den Wolff-Gängen verläuft. Spezieller verlaufen die Müller-Gänge zunächst parallel und lateral der Wolff-Gänge, kreuzen sich anschließend ventral mit Letzteren und bewegen sich weiter in mediokaudaler Richtung (Abbildung 1).

Abbildung 1. Darstellung des Müller- und Wolff-Gangssystems vor der sexuellen Differenzierung, 6. Embryonalwoche

Median vereinigen sich die beiden Müller-Gänge und bilden die Y- förmige primäre Uterusanlage. Die Wolff-Gänge münden lateral und kaudal davon in den Sinus urogenitalis.

An dieser Stelle erscheinen auch die Knospen der Ureteren, die sich nach lateral, anterior und kranial entwickeln und in den Metanephros münden, um endgültig die Nieren zu bilden

Abbildung 2. Entwicklung des Müller- und Wolff-Gangsystems während der sexuellen Differenzierung

Die Keimdrüsen entstehen aus der Gonadenleiste, dem internen Part der Urogenitalleiste, und bilden abhängig von der Anwesenheit oder Abwesenheit eines Y-Chromosomes entsprechend Testes oder Ovarien.

Die regelrechte Weiterentwicklung der Gangsysteme hängt entscheidend von der Differenzierung der Gonaden ab. Beim XY-Embryo, in Präsenz eines Testis, wird das in den Leydig-Zellen produzierte Testosteron die mesonephrischen Gänge stimulieren, um den Ductus deferens und die Epidydimis des männlichen Genitaltraktes zu bilden. Das von den Sertoli-Zellen sezernierte Anti-Müller-Hormon (AMH) soll gleichzeitig zur Degeneration der paramesonephrischen Gänge führen. Beim XX-Embryo in Anwesenheit von Ovarien oder bei Abwesenheit von Gonaden bzw. Vorliegen dysgenetischer Keimanlagen soll das fehlende Testosteron die Weiterentwicklung der Wolff-Gänge hemmen, das fehlende AMH dagegen die Ausdifferenzierung der Müller-Gänge zur Bildung des weiblichen inneren Genitale erlauben. Die degenerierten, atretischen Wolff-Gänge bilden das Epoophoron, Paraoophoron und die Gartner-Gänge (Abbildung 3).

Abbildung 3. Vollendete Entwicklung des Uterus und der Vagina, Degeneration der Wolff-Gänge.

Initial können die Müller-Gänge in drei Segmente unterteilt werden. Das erste verläuft vertikal und eröffnet sich in die Bauchhöhle, das zweite verläuft horizontal und kreuzt sich mit den Wolff-Gängen und das dritte Segment verschmilzt mit dem entsprechenden Abschnitt des gegenüberliegenden Müller-Ganges. Dies geschieht zeitlich ungefähr in der achten embryonalen Woche (SSL 56mm). Mit der Deszension der Ovarien stellen sich die beiden ersten Segmente horizontal ein und bilden jeweils den Eileiter mit dem Ostium abdominale tubae. Die nach kaudal verschmolzenen Segmente der Müller-Gänge bilden den Canalis uterovaginalis, woraus der Uterus und die oberen 2/3 der Vagina entstehen (Larsen, 1993;

Langman, 1975). Im Detail scheint die Fusion der Müller-Gänge an ihrem distalen Ende (Müllertuberkel) zu beginnen, um sich unidirektional nach kranial fortzusetzen. Daraus resultiert eine Kavität, die zunächst durch ein medianes Septum unterteilt wird. Dieses Septum verschwindet nachfolgend durch Resorption, die an jeder Stelle der verschmolzenen Gänge beginnen kann und in die eine oder andere oder in beide Richtungen gleichzeitig erfolgen kann (Crosby et al., 1962). Fehler im Verlauf des Fusionsprozesses oder Störungen bei der Resorption des Septums führen zur Entstehung zahlreicher verschiedenartiger

1b

Abbildung 4.

A. Entsprechend der „klassischen Theorie“

führt die fehlende kaudal-nach-kraniale Fusion zu einem Uterus didelphys

B. Fehlende kaudale Fusion mit komplett kranialer Fusion. Es resultiert ein Uterus septus mit Cervix duplex und Vaginalseptum.

Entsprechend der Hypothese von Musset et al. (1967) scheint jedoch die Fusion des oberen und unteren Anteils der Müller-Gänge aus zwei separaten Prozessen zu bestehen. Genauer soll mit Beginn der zehnten embryonalen Woche die Fusion des unteren Anteils der Müller-Gänge zwischen dem Sinus urogenitalis und dem Isthmus erfolgen. Diese Fusion führt zur Bildung einer Kavität von oberer Vagina, Cervix und Isthmus, die zunächst noch durch ein Septum unterteilt bleibt. Im oberen Anteil scheinen die Müller-Gänge nicht wirklich zu verschmelzen, sondern sich durch einen Prozess rapider Zellteilung näher zu kommen. Das daraus resultierende mediane Septum verbindet beide Gänge und vereinigt sich mit dem unteren Septum. Die Resorption des medianen Septums beginnt nun am Isthmus und setzt sich gleichzeitig in beide Richtungen, nach kranial und kaudal, fort. Anhand dieser Hypothese können uterovaginale Anomalien erklärt werden, die durch eine fehlende kaudale Fusion bei gleichzeitig komplett stattgehabter kranialer Fusion entstehen, wie z.B. die Anomalien in Form eines Uterus septus, einer doppelten Cervixanlage und eines longitudinalen Vaginalseptums (McBean et al., 1994; Fatum et al., 2003; Pavone et al., 2006) (Abbildung 4).

Parallel zur Morphogenese werden die Müller-Gänge von peritonealen Duplikationen umwickelt, aus denen die Ligamente des Uterus entstehen, an denen Ovarien (Mesovarium), Tuben (Mesosalpinx) und der Uterus (Mesometrium) anhängen werden. Es sei betont, dass die Fusionierung der Müller-Gänge und die korrekte Formgestaltung des Uterus von den lateral positionierten Wolff-Gängen induziert werden, indem sie als Führungselemente für die regelrechte Entwicklung der Müller-Gänge dienen (Gruenwald, 1941).

Die Ausgestaltung der Harnwege korreliert eng mit der Genese des Genitaltraktes und findet ebenfalls in der sechsten bis neunten embryonalen Woche statt (Muller et al., 1967). Der Metanephros wird im medialen Mesoderm gebildet, kaudal des Mesonephros, und seine Entwicklung wird durch die Ureterknospen induziert. Wie bereits erwähnt, wachsen Letztere als Knospen aus der Hinterwand der mesonephrischen Gänge an ihrer Mündung in den Sinus urogenitalis und wandern in den Metanephros. Der Stamm der Ureterknospe formt den Ureter und ihr kranialer Anteil das Nierenbecken.

Blase und Urethra entstehen überwiegend aus dem Sinus urogenitalis, der obere und ventrale Anteil der Blase außerdem aus der Allantois. Mit Teilung der Kloake durch das Septum urorectale entsteht nach dorsal das Rectum mit dem superioren Segment des Anus und nach ventral der Sinus urogenitalis (Mackie, 1978). In den unteren Abschnitt des Sinus urogenitalis, vor dem Septum urorectale, münden die Wolff-Gänge und ventral davon wird die Blase gebildet. Mit dem Größerwerden der Vesica urinaria verschmelzen die kaudalen Anteile der mesonephrischen Gänge mit der dorsalen Blasenwand (Mackie, 1978). Somit münden die Ureteren, die von den mesonephrischen Gängen entsprungen sind, im Trigonum vesicae. Letztendlich erfolgt die Unterteilung und endgültige Differenzierung der Blase mit beiden Ureterostien und Urethra nach ventral.