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Die Befugnisse der Pflegeperson im einzelnen

Teil 4: Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts, Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts und weiterer Vorschriften und Gesetz zur Beschränkung der

4. Die Befugnisse der Pflegeperson im einzelnen

4.1 § 1688 I 1 BGB n.F. stattet eine Pflegeperson mit Befugnissen aus, wie sie bisher in

§ 38 I Nr. 1 SGB VIII/KJHG a.F. normiert waren,835 indem er die Pflegeperson zur Entscheidung in "Angelegenheiten des täglichen Lebens" und zur Vertretung des Inhabers der elterlichen Sorge in diesen Angelegenheiten ermächtigt. Die in § 1688 I 1 BGB n.F.

ebenso wie in § 38 I Nr. 1 SGB VIII/KJHG a.F. geregelten Befugnisse der Pflegeperson betreffen wegen deren enger Verflechtung sowohl die Personen- als auch die Vermögens-sorge.836

4.2 Der Begriff "Angelegenheiten des täglichen Lebens" ist in § 1688 BGB n.F. selbst nicht definiert, Wissenschaft und Praxis versuchen daher den unbestimmten Rechtsbegriff anhand anderer Rechtsnormen abzugrenzen.

Im Hinblick auf Art. 6 II GG wird dabei das Hauptaugenmerk darauf gerichtet, daß die Pflegepersonen nicht zu viel Macht erhalten und daß den natürlichen Eltern die Zustän-digkeit verbleibt, grundlegende Fragen zu entscheiden. Hierzu gehören neben den Status-fragen alle diejenigen Fragen, die für den Werdegang des Kindes entscheidende Bedeutung haben. Dies hat zur Folge, daß sich Pflegeeltern und Heimerzieher zum Beispiel in Angelegenheiten des Kindes, die die Gesundheitsvor- und fürsorge zum Gegenstand haben, immer mit dem Inhaber der Personensorge abstimmen müssen.837 Die Maxime berücksichtigt, daß ein Pflegeverhältnis regelmäßig auf Zeit, das heißt, auf die Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie gerichtet ist und daher die Pflegepersonen nicht die Kompetenz für Entscheidungen besitzen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Pflegeverhältnis überdauern.838

833Staudinger-Peschel-Gutzeit, § 1630, 43; Baer, FamRZ 1982, 221, 229 834Baer, FamRZ 1982, 221, 229

835BT-Drucksache 13/4899, S. 108

836Windel. FamRZ 1997, 713, 720; Schellhorn/Wienand, § 38, 4 837BT-Drucksache 13/4899, S. 155; § 38 I Nr. 4 SGB VIII/KJHG a.F.

838Schwab, A 110

Auch § 1903 III 2 BGB spricht in Bezug auf die Betreuung ähnlich wie § 1688 BGB n.F.

von "Angelegenheiten des täglichen Lebens", versieht den Begriff allerdings noch mit dem Adjektiv "geringfügig". Dem Münchner Kommentar839 läßt sich hierzu entnehmen, daß der Gesetzgeber mit dem schwer zu definierenden Ausdruck "Angelegenheiten des täglichen Lebens" insbesondere "alltägliche Bargeschäfte über geringwertige Gegenstände" meint, wobei es nicht erforderlich ist, daß das Rechtsgeschäft üblicherweise täglich vorgenommen wird. Als Beispiel für ein alltägliches Rechtsgeschäft über geringwertige Gegenstände nennen die Gesetzgebungsmaterialien den Kauf einer Tube Zahnpasta.840 Auf alle Fälle muß es sich um Dinge handeln, die zum gewöhnlichen Lebensvollzug gehören und zum alsbaldigen Konsum angeschafft werden, insbesondere den Kauf von Lebensmitteln und Hygieneartikeln in kleineren Mengen (also nicht zwecks längerer Vorratshaltung), ferner das Lösen einer Eintrittskarte zu einer sportlichen Veranstaltung oder einem Kino, sowie die Anschaffung geringwertiger Gebrauchstextilien (z.B. Strumpfhosen, Socken). Der Gesetzgeber grenzt in § 1903 III 2 BGB die "Angelegenheiten des täglichen Lebens" in gleicher Weise wie bei der Schlüsselgewalt ab.841

§ 1357 I 1 BGB stellt in erster Linie auf Haushaltsgeschäfte ab, wobei sich der Umfang der Zulässigkeit der Mitverpflichtung nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Familie richtet. Die Geschäfte müssen nicht lediglich ihrer Art nach, sondern tatsächlich dem Lebensbedarf der Familie dienen. Hierzu gehören beispielsweise die Anschaffung von Lebensmitteln, Heizmaterial, Hausrat und einzelnen Einrichtungsgegenständen, sowie die Ersetzung unbrauchbar gewordener Gegenstände und Reparaturen.842

§ 1687 I 3 BGB n.F., der sich wie der gesamte § 1687 BGB n.F. mit dem Entschei-dungsrecht bei gemeinsamer elterlicher Sorge getrennt lebender Eltern befaßt, definiert die Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens als in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwick-lung des Kindes haben. Den Gesetzesmaterialien843 ist zu dem unbestimmten Rechtsbegriff überdies zu entnehmen: Von den den Alltag des Kindes prägenden Angelegenheiten müssen gem. § 1687 I 1 BGB n.F. zunächst diejenigen Materien unterschieden werden, die grundsätzliche Bedeutung besitzen und die bei gemeinsamem Sorgerecht einer Entschei-dung durch beide biologischen Elternteile bedürfen; dazu gehören beispielsweise die grundsätzlichen Entscheidungen auf dem Gebiet der tatsächlichen Betreuung, der Aufent-haltsbestimmung, der Erziehung in schulischer und religiöser Hinsicht, der

839MüKo-BGB-Schwab, § 1903, 35 und Fn 22 u. 23 840BT-Drucksache 11/4528, S. 139

841BT-Drucksache 11/4528, S. 139 842Palandt-Diederichsen, § 1357, 15 843BT-Drucksache 13/4899, S. 107/108

bildung und der medizinischen Versorgung des Kindes; deshalb müssen sich bei gemeinsamem Sorgerecht die leiblichen Eltern beispielsweise darüber verständigen, welche Schulart das Kind besuchen oder ob es die Schule wechseln soll.844 Eine an dem nicht selbst einwilligungsfähigen Kind vorzunehmenden Operation bedarf ebenfalls - von eilbedürftigen Fällen abgesehen - einer Einwilligung durch beide natürlichen Eltern. § 1687 I 2 BGB n.F. normiert ein Alleinentscheidungsrecht in Angelegenheiten des täglichen Lebens für denjenigen leiblichen Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind regelmäßig befindet; dieses Recht betrifft insbesondere die in der Praxis ganz im Vordergrund stehen-den Fragen der täglichen Betreuung des Kindes, jedoch auch Fragen, die sich im schulischen Leben und in der beruflichen Ausbildung des Kindes stellen. Ebenso soll der genannte natürliche Elternteil Entscheidungen, die die gewöhnliche medizinische Versor-gung des Kindes zum Gegensand haben, allein treffen dürfen. Unbedeutende Vermögens-angelegenheiten, zum Beispiel die Verwaltung von Geldgeschenken, darf der das Kind betreuende leibliche Elternteil selbständig erledigen.

Gem. § 38 I Nr. 1 SGB VIII/KJHG a.F. war der dort definierte Personenkreis berechtigt, den Personensorgeberechtigten in der Ausübung der elterlichen Sorge zu vertreten, insbesondere "Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens" abzuschließen und Ansprüche aus solchen Rechtsgeschäften geltend zu machen. Das "Rechtsgeschäft" setzte sich zusammen aus einer oder mehreren Willenserklärungen, die allein oder in Verbindung mit sonstigen Tatbestandsmerkmalen eine Rechtsfolge herbeiführten, da sie gewollt war.845 Die Rechtsnorm erfaßte sämtliche Geschäfte, die der Deckung des täglichen Bedarfs dienten, also zum Beispiel die Anschaffung von Arbeitsmitteln, Kleidung und Spielzeug, soweit diese einen auch im Hinblick auf den Umfang der zur Verfügung stehenden Mittel vertretbaren Rahmen nicht überschritten,846 wozu wohl auch Schulsachen gezählt haben dürften. Ferner wurden sämtliche dem persönlichen Bedarf dienenden Rechtsgeschäfte unter Einschluß der medizinischen Versorgung, wie zum Beispiel des Kaufs von Medikamenten, gerechnet. Neben Kaufverträgen fielen Miet-, Reise- und Unterrichtsver-träge, sowie die Mitgliedschaft in Sportvereinen und dergleichen darunter.847 Außer dem Abschluß von Rechtsgeschäften gehörte auch die Geltendmachung von Ansprüchen aus derartigen Rechtsgeschäften, etwa von Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung, dazu.848

§ 38 I Nr. 4 SGB VIII/KJHG a.F. brachte schon bisher deutlich zum Ausdruck, daß die grundlegende Entscheidung in bedeutsamen Fragen, zum Beispiel in bezug auf die Aufnahme eines Berufsausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses oder in bezug auf den

844OLG München, MDR 1998, 1353; Schwab, FamRZ 1998, 458 ff 845Palandt-Heinrichs, vor § 104, 2

846Krug/Grüner/Dalichau, § 38, II 2

847MüKo-BGB-Hinz, § 38 SGB VIII/KJHG, 4; Münder, § 38, 12 848Krug/Grüner/Dalichau, § 38, II 2

Besuch einer Tageseinrichtung dem Inhaber der Personensorge obliegt.849 - Gleiches dürfte, obwohl nirgends ausdrücklich erwähnt, für die Anschaffung von sogenanntem Sonderbedarf im Sinn von § 1613 II 1 BGB gelten.

Weil § 1688 I 1 BGB n.F. eine Pflegeperson mit Befugnissen ausstattet, wie sie bisher in

§ 38 I Nr. 1 SGB VIII/KJHG normiert waren,850 kann wohl davon ausgegangen werden, daß der nunmehr verwendete Begriff "Angelegenheiten des täglichen Lebens" auch die

"Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens" (§ 38 SGB VIII/KJHG) umfaßt. Gemäß den Gesetzgebungsmaterialien851 gehören die in § 1688 I 2 und 3 BGB n.F. aufgezählten Befugnisse und Rechte nicht zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens. Der Begriff

"geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens" (§ 1903 III 2 BGB) markiert die Untergrenze und der Umfang der "Schlüsselgewalt" (§ 1357 I 1 BGB) skizziert, wie mir scheint, eher die Obergrenze, weil die "Schlüsselgewalt" auf die Bedürfnisse einer ganzen Familie zugeschnitten ist. Der Ausdruck "in ... Angelegenheiten ... vertreten" ermächtigt meines Erachtens auch zu rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen,852 wie zum Beispiel einer Mahnung (§ 284 I BGB), einer Fristsetzung (§ 326 I 1 BGB), einer Mängelanzeige (§§ 478 I, 651 g I 1 BGB, § 11 Nr. 10 e AGBG), weil diese Handlungen mit Rechtsgeschäften in engem Zusammenhang stehen. Wenn § 1688 I 1 BGB n.F. die Pflegepersonen zum selbständigen Abschluß von bestimmten Rechtsgeschäften ermächtigt, gestattet er den Pflegepersonen erst recht die bloße Mitwirkung an solchen Rechtsgeschäften in Form der Genehmigung gem. § 108 I BGB.

4.3 Nach vorherrschender Ansicht stellt § 1688 I 1 BGB n.F. zwar ebensowenig wie § 38 I Nr. 1 SGB VIII/KJHG a.F. eine gesetzliche Befugnis im eigentlichen Sinn dar, sondern gibt lediglich eine vermutete rechtsgeschäftliche Erklärung seitens der leiblichen Eltern wieder, mit der die elterliche Sorge zur Ausübung übertragen wird.853 Daß die Pflegeperson die übertragene elterliche Sorge nicht in vollem Umfang persönlich ausüben muß, ergibt sich aus den Rechtsnormen über die Vertretung und Vollmacht, den Dienstvertrag und den Auftrag. Danach kommt grundsätzlich eine Stellvertretung in sämt-lichen Bereichen rechtsgeschäftsämt-lichen854 und rechtsgeschäftsähnlichen855 Handelns in Betracht, es sei denn, es stehen gesetzliche Verbote einer Stellvertretung entgegen. Solche Verbote bestehen zum einen in denjenigen Fällen, in denen ein Gesetz eine Erklä-rungsabgabe verlangt, zum Beispiel § 1311 BGB n.F. für die Eheschließung, zum anderen

849MüKo-BGB-Hinz, § 38 SGB VIII/KJHG, 4; Münder, § 38, 14 850BT-Drucksache 13/4899, S. 108

851BT-Drucksache 13/4899, S. 169 und 108 852Palandt-Heinrichs, vor § 104, 6

853Windel, FamRZ 1997, 713, 719, Fn 92 u. 93; Münder, § 38, 2 854Staudinger-Schilken, Vorbem. zu §§ 164 ff, 40

855Palandt-Heinrichs, vor § 164, 3

in denjenigen seltenen Fällen, in denen die Zulässigkeit einer Stellvertretung an der Natur des Rechtsgeschäfts scheitert, was heute nur noch hinsichtlich der Zustimmung des anderen Ehegatten gem. §§ 1365 I, 1366 I und 1369 BGB zutrifft.856 Für die Vertretung in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind die genannten gesetzlichen Verbote ganz offensichtlich nicht einschlägig.

Inwieweit die Pflegeperson im Rahmen ihrer Vertretungsmacht Untervollmacht erteilen darf und ob sie Rechtsgeschäfte, die Dritte als Vertreter ohne Vertretungsmacht für das Kind abgeschlossen haben, gem. § 177 I BGB genehmigen darf, hängt von er Interpretation der Hauptvollmacht ab. In Ermangelung einer besonderen Gestattung kommt es dabei hauptsächlich darauf an, ob der Vollmachtgeber erkennbar ein besonderes Interesse an der persönlichen Wahrnehmung der Angelegenheit durch den Bevollmächtigten hat.857 Je geringer dieses Interesse ist, um so eher wird ein Recht zur Erteilung einer Untervollmacht für einzelne Angelegenheiten anzunehmen sein; die selbständige Wahrnehmung aller Angelegenheiten durch Untervertreter wird jedoch mit Rücksicht auf §§ 613, 664 BGB nur in Ausnahmefällen zulässig sein.858 Wenn pflichtbewußte Pflegeeltern Dritte für einige wenige Angelegenheiten des täglichen Lebens mit einer Untervollmacht versehen, geben sie nicht "das Heft aus der Hand", soweit nicht die Gefahr besteht, daß beliebige Dritte über das Kind bestimmen und die leiblichen Eltern rechtsgeschäftlich in einer Weise verpflichten, die weder diese noch die Pflegeeltern kontrollieren können. Unter solchen Umständen wird man wohl regelmäßig vom stillschweigenden Einverständnis der leiblichen Eltern ausgehen können. Soweit die leiblichen Eltern aber nicht zustimmen wollen, können sie gem. § 1688 III 1 BGB n.F. die Vertretung der Pflegepersonen durch Dritte mittels einer Erklärung ausschließen.

Macht eine Einschränkung des Vertretungsrechts der Pflegeeltern eine dem Wohl des Minderjährigen förderliche Erziehung unmöglich, kann das Jugendamt gem. § 38 SGB VIII/KJHG n.F. (= § 38 II SGB VIII/KJHG a.F.) als Vermittler eingeschaltet werden. Auch das Familiengericht kann die Befugnisse der Pflegeperson, Untervollmachten zu erteilen, einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist (§ 1688 III 2 BGB n.F.). Mit dem Erlaß einer gerichtlichen Verbleibensanordnung gem. § 1632 IV BGB verliert neuerdings ein Inhaber der elterlichen Sorge gem. § 1688 IV BGB n.F. das Recht, die Vertretungsmacht der Pflegepersonen gem. § 1688 III 1 BGB n.F. einzu-schränken.

Die Befugnis zur Erteilung einer Untervollmacht außerhalb des gegenständlichen

856Staudinger-Schilken, Vorbemerkung zu §§ 164 ff, 40, 41 857MüKo-BGB-Thiele, § 167, 77, Fn 142; BGH, WM 1959, 377 858MüKo-BGB-Thiele, § 167, 77

Rahmens der in § 1688 I 1 BGB n.F. bzw. § 38 I Nr. 1 SGB VIII/KJHG a.F. normierten vermuteten Hauptvollmacht bedarf einer eindeutigen anderweitigen Erklärung seitens des Inhabers der elterlichen Sorge.859

4.4 § 1688 I 1 BGB n.F. berechtigt die Pflegeperson "zu entscheiden". Eine Entscheidung ist eine auf einen tatsächlichen Erfolg ausgerichtete Erklärung, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintritt, gleichgültig, ob sie vom Erklärenden gewollt sind oder nicht. Im Gegensatz dazu treten bei einem Rechtsgeschäft die Rechtsfolgen ein, weil sie gewollt sind. Die Entscheidung ist als "geschäftsähnliche Handlung" eine "Rechtshandlung".860 Entgegen dem ersten Anschein ist die Entscheidungsbefugnis der Pflegeeltern im § 1688 I 1 BGB n.F. aber nicht neu. Zwar hatte § 38 SGB VIII/KJHG a.F. keineswegs explizit von

"entscheiden" gesprochen, doch war im Rahmen der exemplarischen Aufzählung unter Nummer 4 von Rechtshandlungen im Zusammenhang mit dem Besuch einer Tagesein-richtung oder der Schule die Rede. Zu solchen Rechtshandlungen zählten Entscheidungen beispielsweise über die Teilnahme des Pflegekindes an Sportfesten und Schulausflügen.861 Daraus wird ersichtlich, daß im Rahmen des § 38 SGB VIII/KJHG a.F. bereits vor der Kindschaftsrechtsreform den Pflegepersonen die Entscheidungsbefugnis sinngemäß zu-stand.

4.5 Zusätzlich zu den in § 1688 I 1 BGB n.F. normierten Rechten, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden, sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten, erhalten die Pflegepersonen durch § 1688 I 2 BGB n.F. die bisher in § 38 I Nrn. 2 und 3 SGB VIII/KJHG a.F. geregelten Befugnisse, den Arbeits-verdienst des Jugendlichen zu verwalten und Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und andere Sozialleistungen für den Minderjährigen geltend zu machen und zu ver-walten.862

§ 1688 I 2, F.1 BGB n.F. betrifft die Verwaltung des Arbeitsverdienstes des Jugendlichen durch die Pflegeperson. Die neue Vorschrift erfaßt ebenso wie § 38 I Nr. 2 SGB VIII/KJHG a.F. die Verwaltung des Einkommens des Pflegekindes aus allen in den Anwendungsbereich der §§ 112, 113 BGB fallenden Tätigkeiten.863 Verwalten bedeutet Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten864 im Gegensatz zur Vermögensum-schichtung zur Ausnutzung von Substanzwertsteigerungen.

859MüKo-BGB-Thiele, § 167, 78, Fn 143; KG, HRR 1941, Nr. 468 860Palandt-Heinrichs, Überblick vor § 104, 4 und 6

861MüKo-BGB-Hinz, § 38 SGB VIII/KJHG, 4; Schellhorn/Wienand, § 38, 8 862BT-Drucksache 13/4899, S. 108 und 169

863Krug/Grüner/Dalichau, § 38 II 2

864BFH v. 17.04.1973, BStBl 1973 II S. 260

Erwerbsgeschäft im Sinn von § 112 BGB ist jede erlaubte, selbständige berufsmäßig ausgeübte und auf Gewinn gerichtete Tätigkeit.865 § 112 erfaßt daher auch die selbständige Ausübung eines künstlerischen Berufs und die Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter i.S.v. § 84 I HGB.866 Die Vermietung und Verpachtung und die entgeltliche Darlehens-hingabe im Rahmen der Vermögensverwaltung gehören nicht dazu. Zu den Einkünften aus einem Dienst- und Arbeitsverhältnis im Sinn von § 113 BGB zählen Löhne, auch aus Nebentätigkeiten oder Ferienjobs, Gehälter aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhält-nis,867 Gratifikationen und Tantiemen. Berufsausbildungsverträge sieht man zwar nicht als von § 113 BGB erfaßt an, weil bei ihnen gem. § 1 II BerBiG die Ausbildung im Vor-dergrund steht,868 doch wurden Ausbildungsvergütungen zum Arbeitsverdienst i.S.v. § 38 SGB VIII/KJHG a.F. gerechnet.869 Da der Begriff "Arbeitsverdienst" unverändert in

§ 1688 I 2 BGB n.F. übernommen wurde, ergibt sich hinsichtlich der Ausbildungsvergü-tungen keine Änderung.

"Geltendmachen" oder einklagen darf die Pflegeperson den Arbeitsverdienst allerdings nicht. Die Teilgeschäftsfähigkeit nach §§ 112, 113 BGB umfaßt auch die Vertragsab-wicklung. Damit kann der Jugendliche selbst kündigen, der Kündigung widersprechen, Ausgleichsquittungen erteilen,870 Vergleiche schließen871 und, soweit er sich gem. §§ 112, 113 BGB vertraglich binden kann, Prozesse führen.872

§ 1688 I 2, F.2 BGB n.F. überträgt die bislang in § 38 I Nr. 3 SGB VIII/KJHG a.F.

normierte Befugnis der Pflegeeltern, Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und andere Sozialleistungen für das Pflegekind geltend zu machen und zu verwalten. Die genannten Unterhaltsleistungen umfassen sowohl Sozialleistungen, wie zum Beispiel die Ausbil-dungsförderung nach dem BAföG, das Kindergeld873 und das Pflegegeld, das der Träger der Jugendhilfe bewilligt,874 sowie Unterhaltsleistungen, jedoch nur gegenüber anderen Personen als dem Inhaber der Personensorge.

Diese Einschränkung hängt damit zusammen, daß die Pflegepersonen als Vertreter des Sorgeberechtigten und als Untervertreter des Kindes875 handeln, so daß die Pflegepersonen

865Scheerer, BB 1971, 981; Palandt-Heinrichs, § 112, 3 866Palandt-Heinrichs, § 112, 3; BAG, NJW 1964, 1641 867Palandt-Heinrichs, § 113, 2

868Staudinger-Dilcher, § 113, 5; MüKo-BGB-Gitter, § 113, 7

869MüKo-BGB-Hinz, § 38 SGB VIII/KJHG a.F., 4; Schellhorn/Wienand, § 38, 8 870LAG Hamm, DB 1971, 779

871Palandt-Heinrichs, § 113, 4 872Thomas-Putzo, § 52, 2

873MüKo-BGB-Hinz, § 38 SGB VIII/KJHG, 4 874Krug/Grüner/Dalichau, § 38 II 2

875Schwab, A 90

keine vom Inhaber der Personensorge losgelöste (unabhängige) Rechtsposition besitzen. Es besteht daher eine Interessenkollision, die in den Anwendungsbereich des § 181 BGB fällt.

Denn § 181 ist nach seinem Sinn und Zweck auch dann einschlägig, wenn der Vertreter, der einen Anspruch des Vertretenen geltend zu machen beabsichtigt, sich zu diesem Zweck eines Untervertreters bedient, dessen Vertretungsmacht auf einer vermuteten rechtsge-schäftlichen Bevollmächtigung beruht,876 da hierdurch die nach dem Normzweck im Vordergrund stehende Gefahr der eigennützigen Bewertung der kollidierenden Interessen nicht gebannt wird. Trotz der vermuteten Erteilung der Untervollmacht bleibt der Inhaber der Personensorge877 als gesetzlicher Vertreter an der Geltendmachung des Unterhaltsan-spruchs beteiligt, weil er regelmäßig die Möglichkeit hat, auf die Sachentscheidung der Pflegeeltern als vermutlich von ihm bestellte Untervertreter Einfluß zu nehmen, unab-hängig davon, ob er von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch macht. Weil die Interessenkollision auch abstrakt-generell tatbestandlich erfaßbar ist, gebietet der Norm-zweck des § 181 BGB hier eine entsprechende Anwendung.878

Die Konstellation ähnelt hier derjenigen in einem Unterhaltsrechtsstreit, in dem ein Minderjähriger denjenigen auf Unterhalt verklagt, der im gleichen Rechtsstreit als sein gesetzlicher Vertreter fungiert; in diesen Fällen ist wegen der zwischen dem Minder-jährigen und seinem gesetzlichen Vertreter bestehenden Interessenkollision gem. § 1909 I BGB stets die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich.879

Daher darf nur ein bestellter Ergänzungspfleger Unterhaltsansprüche des Pflegekindes gegen den Inhaber der elterlichen Sorge geltend machen, so daß den Pflegeeltern als solchen diese Befugnis nicht zusteht.

Zusätzlich berechtigt § 1688 I 2, F.2 BGB n.F., sozusagen als "Annexkompetenz", die Pflegeeltern zur Stellung des Antrags auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gem. § 4 I 1 SchwbG, da die Gewährung zahlreicher Leistungen und Vergünstigungen von einer behördlichen oder gerichtlichen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft abhängt. Als weitere "Annexkompetenz" beinhaltet meines Erachtens § 1688 I 2, F.2 BGB n.F. das Recht der Pflegeperson, ein selbständiges Beweisverfahren im Sinn der §§ 485 ff ZPO zu beantragen, weil es die etwaige spätere Geltendmachung von Ansprüchen, die in den Anwendungsbereich des § 1688 I 2, F.2 BGB fallen, erleichtert.

Zur Geltendmachung der betreffenden Ansprüche gehört meines Erachtens die Befugnis

876Windel, FamRZ 1997, 713, 719, Fn 92 und 93; Münder, § 38, 13 877BGH, NJW 1953, 1546

878MüKo-BGB-Thiele, § 181, 21, Fn 45; OLG Frankfurt a. M,OLGZ 1974, 347 = DNotZ 1974, 435 879Palandt-Diederichsen, § 1909, 5

der Pflegeperson, die Ansprüche vor Behörden geltend zu machen und gegebenenfalls vor den zuständigen Gerichten einzuklagen. Üblicherweise wird es sich um Ansprüche gegen Versorgungswerke,880 um Ansprüche gegenüber dem Jugendamt auf zusätzliche Erzie-hungshilfe881 oder um Schadensersatzansprüche handeln. Zur Geltendmachung gehört meines Erachtens auch die Durchsetzung im Weg der Zwangsvollstreckung aus vollstreckbaren Titeln, die einen dieser Ansprüche zum Gegenstand haben.

Die Geltendmachung eines unter § 1688 I 2, F.2 BGB n.F. fallenden Anspruchs ist meines Erachtens ausschließlich so zu verstehen, daß die Pflegeeltern nicht das Recht besitzen, Dritten eine in den Anwendungsbereich des § 1688 I 2, F.2 BGB n.F. fallende Schuld zu erlassen (§ 397 I BGB). Ein Abfindungsvergleich (§ 779 I BGB), den eine Pflegeperson im Rahmen der Geltendmachung eines Anspruchs (§ 1688 I 2 BGB n.F.) schließt, basiert definitionsgemäß auf gegenseitigem Nachgeben und beinhaltet somit auch erlaßähnliche Elemente. Ein solcher Vergleich kann, denkt man an die Spätfolgen eines Verkehrsunfalls, weitreichende Risiken für das geschädigte Kind in sich bergen,882 denn die Rechtsprechung läßt lediglich den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB zu, und das auch nur dann, wenn die Spätschäden zu einem unerträglichen Mißverhältnis zwischen Schaden und Vergleichssumme führen, so daß ein Festhalten am Vergleich für den Geschädigten eine unzumutbare Härte bedeuten würde.883 Dennoch dürfen Pflegeeltern einen Abfindungsvergleich im Namen und für Rechnung des Pflegekinds selbständig schließen; denn seit der Kindschaftsrechtsreform ist das Zustimmungserfordernis mit der Streichung des § 38 III SGB VIII/KJHG weggefallen. Auch wenn man davon ausgeht, daß die Rechte der Pflegeeltern abgeleitete Rechte sind, ändert sich an dieser Feststellung nichts; für einen Vergleich benötigen auch die leiblichen Eltern keine vormundschaftliche Genehmigung, weil § 1643 I BGB den einschlägigen § 1822 Nr. 12 BGB ausdrücklich ausnimmt. Wollte man das Risiko für das Kind begrenzen, müßte man eine entsprechende Regelung in den Pflegevertrag aufnehmen.

Je nach Art des streitigen Anspruchs kommen als zuständige Gerichte neben den Amts- und Landgerichten auch die Verwaltungsgerichte, zum Beispiel in Bezug auf Leistungen der Jugendhilfe (vgl. § 188 VwGO), und die Sozialgerichte vor allem in Bezug auf Lei-stungen der Sozialversicherungen (§ 51 SGG) in Betracht.

Ebenso wie den Arbeitsverdienst darf die Pflegeperson auch die Unterhalts-,

Ebenso wie den Arbeitsverdienst darf die Pflegeperson auch die Unterhalts-,