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Die aktuelle Entwicklung im Verhältnis Staat –

Im Dokument Zum Erfolg verdammt (Seite 30-33)

Struktur-projekte – Zivilgesellschaft

Oben wurde gesagt, dass die meisten der langfristig geförderten Strukturpro-jekte sich in den ersten Jahren relativ un-gehindert von staatlicher Einflussnahme entwickeln konnten.

„Relativ“ darum, weil bereits im rot-grünen Bundesprogramm „CIVITAS“ Ver-änderungen in den Leitlinien und den Zuwendungsbescheiden immer wieder Kritik der geförderten Projekte hervorrie-fen. Die staatlichen Kontrollmaßnahmen und die Nachjustierung waren teilweise dem Verwaltungsdenken im Ministeri-um und der Ministeri-umsetzenden Zentralstelle geschuldet, z. T. ging es aber auch da-rum, ob die staatlich geförderte Zivil-gesellschaft mit den Vorstellungen in Politik und Verwaltung vereinbar war. So entfielen in einer Neufassung der Leitli-nien für 2003 wichtige Aufgaben und Ansatzpunkte der Mobilen Beratungs-projekte, die noch in den Leitlinien des Bundesprogrammes „CIVITAS“ für das Jahr 2002 wie folgt beschrieben waren:

„Die MBTs lassen sich leiten von den Interessen und Perspektiven nicht pri-vilegierter und/oder bedrohter Perso-nengruppen (z. B. Opfer und

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ler Opfer rechtsextremer Gewalt) […].

Minderheitenschutz und eine Humani-sierung der kommunalen Flüchtlings-politik sind zentrale Anliegen der MBTs.“

Waren die Konzepte Mobiler Beratung also bis dahin darauf ausgelegt, Pers-pektive und Situation marginalisierter Personengruppen und Opfer rechtsext-remer Gewalt als Ausgangspunkt für die Entwicklung von angemessenen und nachhaltigen Handlungsstrategien zu nehmen, änderte sich dies mit der Leit-linienänderung.

Auch staunten die „CIVITAS“-geförderten Projekte nicht schlecht, als sie mit dem Zuwendungsbescheid für 2003 eine Art

„Maulkorb“ verhängt bekamen. Es hieß damals: „Im Rahmen der Zuwendung gewonnene Erkenntnisse bedürfen zu ihrer Veröffentlichung der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Familie, Jugend und Frauen.“ Mit-teilungen an Presse oder Öffentlichkeit

„über Thema, Inhalt und Ergebnisse oder sonstige Einzelheiten zum Pro-gramm CIVITAS […]“ seien „allein dem Ministerium vorbehalten.“ Die Projekte sollten alle Veröffentlichungen, „die Ent-würfe von Druckerzeugnissen – wie z. B.

Flyer, Broschüren und Publikationen – “ vor dem Druck der Servicestelle, die im Auftrag des Ministeriums das Programm betreute, „vorlegen und die Zustim-mung zur Veröffentlichung abwarten“.

Zwar waren die neuen Vorschriften vage formuliert, aber es stand zu befürchten, dass sie gegen unbequeme Inhalte und Initiativen angewendet werden würden.

So hatte ein Plakat, das sich unter dem Titel „Das kalte Herz Deutschlands“ mit der Lage von Flüchtlingen in Thüringen beschäftigte, für eine politische Ausei-nandersetzung gesorgt und wurde als Verstoß gegen die „CIVITAS“-Richtlinien eingestuft. Während die geförderten Projekte diese Erlasse und Veränderun-gen als zunehmende Kontrolle ihrer poli-tischen Meinungsäußerungen und ihrer wertvollen Arbeit empfanden, sprachen die zuständigen staatlichen Stellen von

„Missverständnissen“ und dass niemand die Arbeit der Projekt behindern wolle.

Diese Entwicklung verschärfte sich mit Änderungen der politischen Koalitio-nen auf Bundesebene und für einige

Projekte zusätzlich noch durch die Ein-flussnahme von CDU-geführten Lan-desregierungen auf die konkrete Arbeit vor Ort. Die ersten Veränderungen er-gaben sich aus der Förderpolitik und dem Wechsel von Zuständigkeiten in der Programmumsetzung. Waren beim Bundesprogramm „CIVITAS“ bewährte Initiativen und Vereine mit entsprechen-der Expertise direkte Antragsteller beim Bund, konnten beim Bundesprogramm

„VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ nun die Kom-munen Anträge für Lokale Aktionspläne stellen. Die ehemaligen Strukturprojek-te wurden mit dem Programm „kompe-tent. für Demokratie – Beratungsnetz-werke gegen Rechtsextremismus“ in die Länderhoheit übergeben. Im Rahmen von Beratungsnetzwerken konnten die jeweiligen Landesregierungen Mobile Beratungen und Opferberatungen för-dern – oder es sein lassen.

So wurden die Projekte und Träger zu-nehmend an die politischen Konstella-tionen in den jeweiligen Ländern ge-bunden und das zunächst ostdeutsche und seit 2008 bundesweite Netzwerk aus staatlich finanzierten Trägern wurde zunehmend heterogener; es hatte kaum noch die Möglichkeit, sich zu einem schlagkräftigen Netzwerk selbstbewuss-ter Expert/-innen zu entwickeln.

Eine weitere Veränderung betrifft den grundsätzlichen Umgang mit zivilgesell-schaftlichen Organisationen, also den eingangs beschriebenen Umbau: dass der Staat Aufgaben auslagert oder klas-sische zivilgesellschaftliche Themen un-terstützt und durch beide Maßnahmen eine „NGOisierung“ fördert – dieser Um-bau hat einen „kleinen Rollback“ erfah-ren. Die zunehmende Verschiebung und sogar Umkehr im Verhältnis zwischen dem Staat und den von ihm finanzierten Projekten lässt sich an der so genannten Extremismusklausel festmachen, die un-ter der CDU/CSU-FDP Regierung (die ja einer Politik „gegen jeden Extremismus“

folgten) eingeführt wurde und mit der Regierungsbeteiligung der SPD abge-schafft werden sollte.

Durch die Unterschrift unter die so genannte Extremismusklausel als

För-derbedingung sollten die zivilgesell-schaftlichen Träger gezwungen wer-den, im Vorhinein zu überprüfen, ob Personen oder Gruppen, mit denen sie zusammenarbeiten, von den Verfas-sungsschutzbehörden als extremistisch eingestuft werden, und auf Grundlage dessen ihre Zusammenarbeit, wenn nö-tig, zu beenden – andernfalls würden ihnen die Gelder gestrichen. Viele Pro-jekte fühlten sich dadurch unter einen Generalverdacht gestellt und erhoben den Vorwurf, dass sie nicht mehr nur zivilgesellschaftliches Engagement an-stoßen sollten, sondern nun auch dazu dienen sollten, dieses Engagement im Sinne staatlicher Stellen zu überwachen.

Zudem hat in den letzten Jahren (und besonders unter der CDU/CSU-FDP Re-gierung) der Verfassungsschutz zuneh-mend „Bildungsarbeit“ in den einzelnen Bundesländern übernommen, obwohl das überhaupt nicht seinem gesetzli-chen Auftrag entspricht, während wie-derum den eigentlich Zuständigen im Bereich der Bildungsarbeit entweder die Mittel gekürzt werden oder sie durch das kostenlose Angebot der Verfassungs-schutzbehörden verdrängt werden.

Die zunehmende staatliche Kontrolle und Behinderung ist mehr als nur Aus-druck eines staatlichen Misstrauens gegenüber der Arbeit zivilgesellschaft-licher Träger und ihrer Partner/-innen.

Sie zeigt, dass staatliche Stellen sich weniger als ein Vermittler verstehen, der die Gelder der Gesellschaft verwaltet, um sie u. a. bestimmte Projekte weiter-zuleiten und darüber gesamtgesell-schaftlichen Aufgaben zuzuführen; sie treten eher wie originäre Geldgeber auf und versuchen, über die Steuerung und Kontrolle der Projekte Einfluss auf die Zivilgesellschaft zu nehmen und sie der eigenen Politik unterzuordnen.

Steht der Staat grundsätzlich auf der Grenze zwischen Förderung und Kon-trolle, zwischen Unterstützung und Misstrauen, so hängt das genaue Ver-hältnis von der jeweiligen Regierung ab. Mit einem Regierungswechsel und einer wechselnden Zuständigkeit (etwa wenn Projekte in ein anderes Ressort vergeben werden oder die

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lichen Ansprechpartner/-innen wech-seln) verändern sich Förderpolitik und Rahmenbedingungen der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. So wurden im Fall der schwarz-gelben Regierung Rechtsextre-mismus, Rassismus und Antisemitismus eher als Probleme des Randes statt der Mitte der Gesellschaft und eher als Aus-nahmen von der Normalität denn als Ausdruck einer problematischen Nor-malität wahrgenommen.

Seitdem die Bundesprogramme beste-hen, müssen die geförderten Projekte

ihre Arbeit immer wieder aufs Neue rechtfertigen und um ihren Erhalt kämpfen, ohne dass ihre professionel-len Leistungen als Daueraufgaben an-erkannt werden. Fehlende Planungssi-cherheit und Kontinuität der aktuellen

Förderungspolitik schaden jedoch nicht nur den Projekten und ihren Mitarbeite-r/-innen, sondern in letzter Konsequenz eben der Sache, die sie bearbeiten und vertreten – der demokratischen politi-schen Kultur selbst.

Bianca Klose ist Geschäftsführerin des Vereins für demokratische Kultur in Berlin e. V. Im Juli 2001 gründete sie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), die sie bis heute leitet. Sie studierte Politologie/Soziologie und Ger-manistik auf gymnasiales Lehramt. Im Oktober 2012 wurde sie vom regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) für ihr jahrelanges Engagement mit dem Verdienstorden der Stadt Berlin ausgezeichnet.

Über die Autorin

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ach dem Zusammenbruch der real-sozialistischen Staatenwelt rief Francis Fukuyama das Ende der Geschichte aus (vgl. Fukuyama 1992). Darunter ver-stand er den weltweiten Sieg des Libe-ralismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft. Damit sollte nicht nur der aktuell fortgeschrittenste, sondern der ideell höchste denkbare Stand von Gesellschaftsentwicklung erreicht sein.

Auch das schon früher angekündigte Ende der Ideologien wurde wieder be-müht. Einige Jahre später aber musste auch Fukuyama einsehen, dass die Ver-heißungen der westlichen Zivilisation keineswegs freiwillig in allen Regionen der Welt akzeptiert wurden und sich neue Ideologien, wie der islamische Fundamentalismus, zunehmend ausbil-deten. Ein zentrales Merkmal von Ideo-logien ist es, andere Theoriegebäude als Ideologie, nicht aber sich selbst als sol-che auszuweisen. Ist etwas ideologisch, lässt es Selbstreflexivität, die kritischer Wissenschaft zugrunde liegt, notwen-dig vermissen. Kritische Wissenschaft spricht ihre Prämissen aus, versucht sie möglichst weit zu begründen, macht den Anteil des Unbegründbaren

kennt-lich und reflektiert den Standort des Wissenschaftlers. Fukuyamas Verkün-dung des Endes der Geschichte lässt das vermissen und legt so den Verdacht nahe, selbst Ideologie zu produzieren.

Ohne der hier zur Diskussion stehenden Extremismustheorie eine vergleichba-re philosophische Tiefe zuzuspvergleichba-rechen, verfährt sie in ihrer Absolutsetzung westlicher Standards ähnlich unkritisch, indem sie ein aus dem historischen Prozess heraus entstandenes Regie-rungssystem, nämlich den demokrati-schen Verfassungsstaat, ans Ende der Geschichte setzt. Wer sie auf diese his-torische Bedingtheit hin befragt, dem wird kurzerhand beschieden: „Wer das Extremismuskonzept in Frage stellt, ne-giert damit die Konzeption der streitba-ren Demokratie, wie sie in der Bundes-republik als Reaktion auf die leidvolle Vergangenheit gilt. Extremismus be-ginnt nicht erst bei der Bejahung oder gar Anwendung von Gewalt. Und: Der demokratische Verfassungsstaat ist viel-fältig gefährdet“ (Jesse 2008, 8f.). Wer also das Konzept des demokratischen Verfassungsstaats kritisch befragt, ist

ein Verfassungsfeind und „bietet nicht Gewähr, voll einzutreten jederzeit für diese freiheitliche undsoweiter, na Sie wissen schon“, wie der Barde Franz Josef Degenhardt in den 70ern, zu Zeiten des

„Radikalenerlasses“, sang.

Was realpolitisch und unter machttheo-retischen Aspekten nachvollziehbar ist – dass nämlich ein Staat seine Verfasst-heit bewahrt, also konserviert –, sollte aber wissenschaftstheoretisch nicht zu einer Prämisse der politischen Theorie erhoben werden. Erkenntnis und ihre Erweiterung bestehen eben darin, dass die Gedanken frei sind, wie es im Volks-lied heißt, und über Schranken und Mauern hinweg sich nicht auf theorie-externe Vorgaben festlegen lassen. An-nahmen, Vermutungen, hypothetische Aussagen, Erkenntnisse und Ergebnisse, die zu Doktrinen und Dogmen erhoben werden, bilden den Kern von Ideologi-en, die sich ihrem Wesen nach in ihrer Geltung absolut setzen und dadurch grundsätzlich denk- und kritikfeindlich sind. Auch die Extremismustheorie hat Züge, die in Richtung Ideologieproduk-tion weisen (vgl. dazu auch Wipper-mann 2010), indem sie Raum, Zeit und Geschichte still stellen will.

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