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Destabilisierung und Bedrohung internationaler Sicherheit

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Die Ausführungen in den Kapiteln 5 bis 7 haben gezeigt, dass der Klimawandel weltweit zu Verän-derungen der natürlichen Lebensgrundlagen führt.

Diese Transformationsprozesse übersetzen sich je nach den spezifischen geographischen und gesell-schaftlichen Bedingungen in vier Konfliktkonstella-tionen, die in Kapitel 6.2–6.5 beschrieben werden.

Die herausgearbeiteten Konfliktkonstellationen zeigen, wie der Klimawandel in einigen Weltregionen zu einem Treiber gesellschaftlicher Destabilisie-rung werden kann. Dabei kristallisieren sich Struk-turmerkmale dieser klimainduzierten Konflikte her-aus, die sich deutlich von den in Kapitel 3 analysier-ten Konflikanalysier-ten im Kontext von Umweltdegradation und Ressourcenverknappung unterscheiden (Kap.

8.1).

Aufgrund der Bedeutung der Klimapolitik für die internationale Sicherheit wird im Folgenden disku-tiert, wie die Chancen für eine wirksame Klimapoli-tik in den kommenden zwei Dekaden (die der inter-nationalen Gemeinschaft bleiben, um einen gefähr-lichen Klimawandel abzuwenden) einzuschätzen sind (Kap. 8.2). Prognosen über Prozesse der internatio-nalen Politik sind extrem schwierig. Es werden drei Szenarien vorgestellt, die mögliche und denkbare Zukünfte skizzieren. Mit diesem Instrumentarium können Weggabelungen sichtbar gemacht werden, vor denen die Klimapolitik in den kommenden Jah-ren steht. Schließlich wird die Frage gestellt, welche Auswirkungen die zuvor analysierten gesellschaft-lichen Destabilisierungsdynamiken auf das interna-tionale System haben können (Kap 8.3). Diese Über-legungen verdeutlichen, dass sich über die in Folge des Klimawandels zu erwartenden regionalen Krisen hinaus Herausforderungen für das Global-Gover-nance-System ergeben, die die internationale Stabili-tät und Sicherheit unterminieren könnten.

8.1

Klimabedingte Konfliktkonstellationen: Analyse und Ergebnisse

8.1.1

Schlüsselfaktoren für die Entstehung und Verstärkung von Konflikten

Die Analyse der vier durch den Klimawandel ange-triebenen Konfliktkonstellationen in Kapitel 6 erlaubt, Prozesse gesellschaftlicher Destabilisie-rung durch den Klimawandel sichtbar zu machen, Konfliktmuster zu erkennen und die unterschied-lichen Einflussbereiche und Schlüsselfaktoren hin-sichtlich ihrer Konfliktrelevanz zu bewerten (Tab.

8.1-1). Einige der Schlüsselfaktoren können durch politisches Handeln beeinflusst werden, so dass sie wesentlicher Ausgangspunkt für die Entwicklung der Handlungsempfehlungen in Kapitel 10 sind:

Staatsform, politische Stabilität

Die Staatsform selbst (demokratisch, autokratisch) scheint keinen unmittelbaren Einfluss auf die Bewäl-tigungskapazitäten einer Krise oder eines Konflikts zu haben. Allerdings sind gerade Gesellschaften im Übergang von autoritären zu demokratischen Gesell-schaftsformen besonders krisen- und konfliktanfällig.

Auch zeigen z. B. die Analysen der Konfliktkonstella-tionen „Klimabedingter Rückgang der Nahrungsmit-telproduktion“ und „Klimabedingte Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen“, dass Katastrophen in der Regel die Unzufriedenheit mit einer als ille-gitim empfundenen Regierung verstärken, vor allem wenn akuter Handlungsdruck besteht. Umweltindu-zierte gesellschaftliche Herausforderungen oder gar Destabilisierungen können also zu Katalysatoren für Prozesse der Delegitimierung von Regierungen wer-den und so zur Eskalation eines Konflikts bis hin zum Zerfall der politischen Ordnung beitragen. So wird der Klimawandel z. B. nicht zuletzt afrikanische Län-der treffen und unter gesellschaftlichen Anpassungs-druck setzen, die sich in ihrer Mehrzahl in solchen

ment) kommen deshalb eine besonders hohe Bedeu-tung zu. Deutlich wird dies am Beispiel eines funktio-nierenden nationalen und internationalen Wasser-managements, das bei der Vermeidung von Krisen eine zentrale Rolle spielt. Auch die Konfliktkonstel-lationen „Klimabedingte Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen“ und „Umweltbedingte Migra-tion“ bestätigen diesen Befund. Auch hier entschei-det das Katastrophen- bzw. Flüchtlingsmanagement im Wesentlichen darüber, ob krisenhafte Entwick-lungen überhaupt erst entstehen. Abgesehen von diesen speziellen Institutionen, die für die Krisen-bewältigung zuständig sind, ist letztlich die Eskala-tion einer Krise bis hin zum gewalttätigen Konflikt umso unwahrscheinlicher, je besser und effektiver ein Staat seine Ordnungs- und Gestaltungsfunkti-onen wahrnimmt. Die Wirkungen des Klimawan-Übergangsphasen befinden. Dieser Zusammenhang

könnte auch für China von Bedeutung sein.

Governance-Strukturen

Der Faktor Governance spielt in allen Konflikt-konstellationen eine überragende Rolle. Ob klima-bedingte Herausforderungen an die Gesellschaft in Krisen und Konflikte umschlagen, hängt vor allem von der Leistungs- und Problemlösungsfähigkeit der betroffenen Staaten ab. Das Zusammenkommen von schwachen staatlichen Institutionen und durch den Klimawandel hervorgerufene Prozesse gesellschaft-licher Überforderung birgt daher ein hohes Kon-fliktpotenzial. Dem Aufbau und der Stärkung natio-naler und internationatio-naler Governance-Strukturen (Ausbau handlungsfähiger Verwaltungsstrukturen, Stärkung des Justizsystems,

Katastrophenmanage-Tabelle 8.1-1

Schlüsselfaktoren bei der Entstehung und Verstärkung von Konfliktkonstellationen. EL = Entwicklungsländer, IL = Industrieländer Konfliktpo-tenzial in EL durch große Abhängigkeit Konfliktpo-tenzial in EL durch große Abhängigkeit

171

fliktverschärfend, wenn sich beispielsweise durch den Zuzug von Migranten die ethnische Balance in der Zielregion verändert und wenn ethnische Unter-schiede politisch instrumentalisiert werden. Im All-gemeinen gilt, dass dort, wo eine Gesellschaft bereits erheblich destabilisiert ist und zivilgesellschaftliche Strukturen wenig ausgeprägt sind, die Gefahr für Konflikte durch den Klimawandel steigt.

Geographische Faktoren

Alle Konfliktkonstellationen zeigen, dass eine Desta-bilisierung von Regionen durch „Ansteckungsge-fahr“ möglich ist. So kann z. B. Migration das Kon-fliktrisiko in benachbarten Ländern/Regionen erhö-hen, etwa durch eine wachsende Ressourcenkon-kurrenz bei hoher Bevölkerungsdichte oder durch Infiltrierung von Rebellen. Die Gefahr der Anste-ckung besteht grundsätzlich auch bei der Nutzung von Wasserressourcen, da sich Einzugsgebiete von Flüssen und Grundwasserressourcen oft über Län-dergrenzen hinweg erstrecken. Zunächst lokal oder national begrenzte Konflikte können so Nachbarlän-der destabilisieren. Da die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels grenzüberschreitend sind, können sie leicht zur Ausweitung von Krisen- und Konflikt-regionen führen.

Internationale Machtverteilung und Interdependenz

Die Machtverteilung zwischen Staaten kann bei der (De-)Eskalation eines Konflikts eine Rolle spie-len. So wird bei der Konfliktkonstellation „Klima-bedingte Degradation der Süßwasserressourcen“

angenommen, dass der Anreiz zur Kriegsführung um Wasserressourcen in erster Linie für politisch-mili-tärisch handlungsfähige Staaten besteht, die keine Demokratien sind. Die Weltmarktbedingungen kön-nen unterschiedliche Auswirkungen auf den Verlauf einer Konfliktkonstellation haben: Bei der Ernäh-rungssicherheit ist der Zugang zu den Weltmärkten bei sinkender Agrarproduktion ein wichtiger, mögli-cherweise für die Krisenentspannung entscheidender Faktor. Wie die Konfliktkonstellation zur Süßwas-serverfügbarkeit zeigt, kann sich die Einbindung in internationale Handelszusammenhänge jedoch auch negativ auswirken, wenn beispielsweise transnatio-nale Wirtschafts- und lokale Entwicklungsinteres-sen divergieren. Allgemein lässt sich jedoch für alle Konfliktkonstellationen bestätigen: (1) Ist die Fähig-keit und Bereitschaft eines Staats zu zwischenstaat-licher Kooperation, Einbindung in supranationale Foren und internationale Entscheidungsgremien hoch, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass landwirt-schaftliche Produktionsausfälle, Süßwasserkrisen oder migrationsbedingte Krisen abgefedert und zwi-schenstaatliche Konflikte vermieden werden. (2) Ein dels betreffen insbesondere solche Weltregionen, in

denen schon heute Staaten mit schwachen Steue-rungs- und Problemlösungskapazitäten dominieren.

Der Klimawandel könnte so zu einer weiteren Ver-breitung des Phänomens der schwachen und fragilen Staaten führen und somit die Wahrscheinlichkeit von Gewaltkonflikten erhöhen.

Wirtschaftsleistung und Verteilungsgerechtigkeit

Die Wirtschaft eines Landes ist für Klimaauswir-kungen besonders anfällig, wenn ein hoher Anteil der Landwirtschaft an Beschäftigung und Wertschöp-fung besteht. Die Konfliktkonstellationen „Klima-bedingte Degradation der Süßwasserressourcen“

und „Klimabedingter Rückgang der Nahrungsmit-telproduktion“ verdeutlichen, dass vor allem arme, agrarbasierte Entwicklungsländerökonomien beson-ders von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden. Weil ihnen weitgehend die finanziellen Mit-tel fehlen, um die Ressourcenverknappung mit Nah-rungsmittelimporten oder Anpassung des Wasserma-nagements auszugleichen, sind gesellschaftliche Kri-sen wahrscheinlich. Die hohen ökonomischen Kos-ten können darüber hinaus die Entwicklung weiter hemmen. Entwicklungsblockaden und Armut kön-nen so verstärkt und dadurch die Konfliktgefähr-dung von Gesellschaften gesteigert werden. Deut-lich wird aber auch, dass eine hohe Wirtschaftsleis-tung nicht immer vor den Folgen des Klimawandels schützt. Extremwetterereignisse bedrohen auch die komplexen, vor allem küstennahen Infrastrukturen der Industrie- und Schwellenländer. Alle Konflikt-konstellationen bestätigen, dass bestehende sozio-ökonomische Disparitäten und eine, wenn auch nur

„gefühlte“ Benachteiligung bei der Zuteilung von Ressourcen wie Land oder Wasser wesentlich zur weiteren Eskalation eines Konflikts beitragen kön-nen. Verteilungsgerechtigkeit und Armutsbekämp-fung spielen daher bei der Vermeidung und Bewälti-gung umweltinduzierter Konflikte eine große Rolle.

Gesellschaftliche Stabilität und Demographie

Die demographische Entwicklung spielt in allen Konfliktkonstellationen eine wichtige Rolle. Ein besonders hohes Risiko für Ernährungskrisen birgt beispielsweise die Zunahme von Dürren und stei-gendem Wasserstress in Kombination mit hoher Bevölkerungsdichte und -wachstum. Auch bei Sturm- und Flutkatastrophen erhöht die Kombina-tion aus hoher Bevölkerungsdichte und schwachen staatlichen Institutionen das Schadens- und Krisen-potenzial beträchtlich. Ethnizität tritt als Faktor vor allem in der Konfliktkonstellation „Umweltbedingte Migration“ in Erscheinung. Sie wirkt vor allem

kon-Klimabedingte Konfliktkonstellationen: Analyse und Ergebnisse 8.1

kooperatives internationales Umfeld und leistungs-fähige internationale Organisationen können dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels zu bearbei-ten und nationale Akteure zu unterstützen.

8.1.2

Wechselseitige Verstärkung von Konfliktkonstellationen

Die Probleme des Klimawandels entfalten vor allem dann ihre kritische Wirkung, wenn mehrere nega-tive Ursachenkomplexe zusammenwirken (Abb. 8.1-1). So sind diejenigen Gesellschaften und Regionen besonders verwundbar, in denen ungünstige natur-räumliche Bedingungen (z. B. Küste oder Trocken-gebiet), Armut, hohe Bevölkerungsdichte, schwache gesellschaftliche und politische Institutionen und politische Instabilität zusammenkommen. Wie in den Beschreibungen der einzelnen Konfliktkonstel-lationen bereits angedeutet (Kap. 6.2–6.5), bestehen aber auch zwischen den vier beschriebenen Konflikt-konstellationen zahlreiche wechselseitige Abhän-gigkeiten und Rückkopplungseffekte. Es kann so zu schwer vorhersehbaren Interaktionen kommen, wodurch sich die Herausforderungen an die Politik potenzieren.

Wechselwirkungen zwischen den Konfliktkonstellationen „Nahrung“,

„Süßwasser“ und „Migration“

Einfach zu beschreiben ist die Verbindung zwi-schen den Konfliktkonstellationen zu

Nahrungsmit-telproduktion und Süßwasserverfügbarkeit (Kap.

6.2 und 6.3). Süßwasser bildet eine wichtige Grund-lage für Ernährungssicherung und Armutsbekämp-fung. 70 % des Süßwassers werden für die Landwirt-schaft verwendet. Ungünstige klimabedingte Ver-änderungen der Wasserverfügbarkeit, z. B. durch Gletscherschmelze oder erhöhte Niederschlagsvari-abilität, können gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen und somit auf die natürlichen Lebensgrundlagen der ländlichen Bevölkerung haben. Verstärkt werden diese Tendenzen durch Nutzungskonkurrenzen, z. B.

mit Energie aus Wasserkraft und Bioenergie sowie durch bestehende Umweltprobleme wie Bodende-gradation. Dort, wo die zentralen politisch-institu-tionellen Voraussetzungen für ein funktionierendes Wassermanagement fehlen und Wasserkrisen entste-hen, können Ernährungskrisen hervorgerufen oder verschlimmert werden. Umgekehrt kann auch eine nicht nachhaltige Landwirtschaft Wasserstress und Konflikte (mit)verursachen, indem Wasser über-nutzt, mit Dünger und Pestiziden verschmutzt und so unbrauchbar gemacht wird. Bestehende Boden-degradation, Wassermangel, nicht nachhaltige Nut-zungsmethoden (z. B. Ausbau einer nicht nachhal-tigen Bewässerungslandwirtschaft) und Nutzungs-konkurrenzen (z. B. durch den Bau von Staudämmen) in Verbindung mit Armut, schwachen Institutionen und politischer Instabilität können so die Wirkung der Probleme regional konzentrieren und verstär-ken, damit Institutionen überfordern und zur Eska-lation von Krisen führen.

Abbildung 8.1-1 Konfliktkonstellationen als Treiber internationaler Destabilisierung.

Quelle: WBGU Klimawandel

Destabilisierung von Gesellschaften

Instabilitität und Unsicherheit im internationalen System Konfliktkonstellation

„Nahrung“

Konfliktkonstellation

„Sturm und Flut“

Konfliktkonstellation

„Süßwasser“ Konfliktkonstellation

„Migration“

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Menschen werden schließlich im Extremfall auf-grund von Dürren oder Wasserstress gezwungen, ihre Herkunftsgebiete zu verlassen, weil keine land-wirtschaftliche Bewirtschaftung mehr möglich ist und Alternativen zum Lebensunterhalt fehlen. Oder sie fliehen vor Krieg und Gewalt, wenn aus ökolo-gischen Problemen gesellschaftliche Brennpunkte werden. Migration kann dann wiederum Ursache für Konflikte unterschiedlichster Art in den Durch-gangs- und Zielregionen sein. Der Bevölkerungs- und damit Nachfragezuwachs könnte beispielsweise das dortige Wassermanagement überfordern und zu weiterem Bevölkerungsdruck z. B. in küstennahen, von Sturmfluten bedrohten Ballungsräumen füh-ren. So kann ein schlechtes oder gänzlich fehlendes Migrationsmanagement negative Rückwirkungen auf die Situation der Wasserverfügbarkeit und Nah-rungsmittelproduktion sowie auf die Anforderungen an den Katastrophenschutz in den Durchgangs- und Zielregionen haben.

Durch die Folgen des Klimawandels wird die Zahl der Migranten voraussichtlich deutlich steigen. Diese Wanderungsbewegungen werden sich in erster Linie als Süd-Süd-Migration zeigen, aber auch der Nor-den wird ein Ziel der Umweltmigranten sein. Eine Zunahme der damit verbundenen Konflikte ist daher wahrscheinlich. Auch hier deutet sich ein positiver Rückkopplungseffekt zwischen den Konfliktkonstel-lationen sowie eine Konzentration in den Entwick-lungsländern an.

Die beschriebenen Wechselwirkungen sind bereits heute zu beobachten. Sie werden in Zukunft gehäuft und in neuen Regionen auftreten: So leidet beispielsweise die Bevölkerung der Sahelzone heute schon unter Dürren und Hunger. Weitere zukünf-tige Abnahmen der landwirtschaftlichen Nutzflä-chen durch Dürren und Wassermangel und eine Aus-weitung der Dürrezonen nach Norden in den Mit-telmeerraum und nach Ost- und Westafrika werden das Krisenpotenzial und die Wahrscheinlichkeit von Wanderungsbewegungen erhöhen (Abb. 8.1-2). Auch der Nordwesten Brasiliens droht zu einem neuen Dürregebiet zu werden. Die Gletscherschmelze und der dadurch bedingte Wassermangel in den Trocken-monaten werden vor allem in den Anden und im Himalaya zum Problem (IPCC, 2007b).

Wechselwirkungen ausgehend von der Konfliktkonstellation „Sturm und Flut“

Als Folge des Klimawandels werden Wetterextreme wie Starkregen und die Intensität tropischer Wirbel-stürme zunehmen. In Verbindung mit der Entwal-dung an Oberläufen von Flüssen, der Landabsen-kung im Großraum urbaner Zentren und der wach-senden Konzentration von Städten und Siedlungen in Küstenregionen steigen die Katastrophenrisiken

beträchtlich. Es wird in einigen Regionen der Erde zur Überflutung von Küstengebieten und ganzen Inselgruppen kommen. Die Folgen sind erodierende Küsten, eine Zerstörung der Infrastruktur und öko-nomische Schäden u. a. bei Fischfang und Tourismus.

Menschen würden in großer Zahl zur plötzlichen Flucht gezwungen sein. Das stellt große Anforde-rungen an das Katastrophenmanagement und die Bewältigungskapazitäten der betroffenen Staaten und Regionen. Zunehmende Extremwetterereignisse führen aber nicht nur zu plötzlichen Katastrophen.

Vielmehr lösen sie auch eine schleichende Umwelt-degradation aus (WBGU, 2006). Durch den Anstieg des Meeresspiegels kann das Grundwasser ansteigen und Salzwasser in Grundwasserleiter und Flüsse ein-dringen. Das kann zu Bodenvernässung und -versal-zung bis hin zu großflächigen Verlusten von landwirt-schaftlichen Gebieten und Besiedlungsflächen füh-ren. Sturm- und Flutkatastrophen können somit auch langfristig die Verfügbarkeit von Trink- und Bewäs-serungswasser und die Bodenqualität verschlechtern und in Zusammenhang mit anderen Faktoren Was-ser- und Ernährungskrisen induzieren. Auch hier werden Menschen in großer Zahl aufgrund einer schleichenden Verschlechterung der Umweltbedin-gungen zur Abwanderung gezwungen sein.

Diese Art der Wechselwirkung wird vor allem in den dicht bevölkerten Flussdeltas Südasiens, Ostasi-ens und SüdostasiOstasi-ens eine wesentliche Rolle spielen (IPCC, 2007b). Wie Abb. 8.1-2b zeigt, werden aber auch andere Regionen zukünftig durch tropische Stürme von derartigen Auswirkungen betroffen sein, z. B. der Golf von Mexiko, pazifische Inseln, die West-küste Australiens und die OstWest-küste Südamerikas (z. B.

Guyana). Größere Städte in Afrika werden ebenfalls durch steigende Meeresspiegel gefährdet.

8.1.3

Die neue Qualität klimawandelinduzierter Konfliktlagen

Die Forschung zum Zusammenhang von Umweltde-gradation und Konflikten hat gezeigt, dass Umwelt-degradation in den vergangenen Dekaden ein wich-tiger, aber nur selten der maßgebliche Faktor im komplexen Kausalitätsgefüge der Entstehung oder Verstärkung von Konflikten ist (Kap. 3). Die bisher beobachteten umweltbeeinflussten Konflikte blei-ben in der Regel auf der lokalen bzw. innerstaatli-chen Ebene und sind in Ländern mit guter Problem-lösungskapazität sowie durch internationale Koope-ration einhegbar. Daher ist eine großflächige Eska-lation gewaltsamer Konflikte, ausgelöst durch lokale Umweltveränderungen wie Bodendegradation, Desertifikation, Wasserverknappung oder Verlust Klimabedingte Konfliktkonstellationen: Analyse und Ergebnisse 8.1

biologischer Vielfalt, gegenwärtig nicht zu erwarten (Kap. 3.4).

Die Analyse in den Kapiteln 5–7 zeigt aber, dass klimabedingte regionale Risiken für Destabilisierung und Gewalt eine für die menschliche Zivilisation bis-her unbekannte neue Dimension zu erreichen

dro-hen, wenn der Klimawandel in den nächsten 10–15 Jahren nicht durch eine wirksame Klimaschutzpo-litik abgebremst wird. Entsprechend sind weitrei-chende Wirkungen auf nationale Gesellschaften, auf ganze Kontinente und auf das internationale Sys-tem zu erwarten. Dies liegt in der neuen Qualität des

Tropische Stürme

Dürre Extremniederschläge Gletscherschmelze

a

b

Abbildung 8.1-2

a) Klimastatus: Regionen, in denen bereits heute extreme klimatische Bedingungen herrschen,

b) Klimazukunft: Regionen, die künftig durch ungebremsten Klimawandel gefährdet werden könnten. Eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Klimaauswirkungen findet sich in Kapitel 5.

Quelle: WBGU

175

Klimawandels in Bezug auf die Globalität der Ver-ursachung und Wirkungen, in der Geschwindigkeit und Größenordnung der klimainduzierten Umwelt-wirkungen, der hohen Zahl der Betroffenen und in gegenseitigen dynamischen Verstärkungen der Kon-fliktkonstellationen begründet.

Die beiden Karten in Abbildung 8.1-2 geben einen globalen Überblick über die regionale Verbreitung extremer klimatischer Bedingungen heute und im Fall eines ungebremsten Klimawandels. Diese Dar-stellung beruht auf der Betrachtung von Klimapara-metern (Kap. 5). Die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die das Auftreten einer Konfliktkonstellation in einer Region wesent-lich mitbestimmen, sind in Abbildung 8.1-3 mit berücksichtigt. Hier sind die Sicherheitsrisiken durch den Klimawandel anhand beispielhaft ausgewählter Regionen zusammenfassend dargestellt. Grundlage sind die im Kapitel 7 behandelten Regionen sowie deren Anfälligkeit für die in Kapitel 6 beschriebenen Konfliktkonstellationen. Aufgrund der vielfach noch ungesicherten regionalen Informationen über die Auswirkungen des Klimawandels kann eine vollstän-dige globale Übersicht hier nicht vorgelegt werden.

Die besondere Brisanz für die internationalen Beziehungen ergibt sich daraus, dass

– die Wirkungen des Klimawandels weltweit und gleichzeitig eskalieren (Abb. 8.1-4);

– der Klimawandel nur durch internationale Zusam-menarbeit beherrschbar ist, wobei gleichzeitig regionale und lokale Strategien zur Problemlö-sung angewendet werden müssen;

– große Unterschiede in den Pro-Kopf-Emissi-onen zwischen Industrie- und Entwicklungs- bzw.

Schwellenländern bestehen, die von letzteren als

„Gerechtigkeitslücke“ wahrgenommen werden.

Diese neue Qualität lässt sich aus Sicht des WBGU mit den folgenden acht Merkmalen beschreiben:

Verdichtung von Konfliktkonstellationen in bestimmten Ländertypen. Nicht alle Länder sind gleichermaßen den Konfliktrisiken des Klima-wandels ausgesetzt. Insbesondere werden Ent-wicklungsländer und darunter vor allem fragile Staaten betroffen sein. Aufgrund der schwachen Problemlösungskapazitäten dieser Staatengruppe ist hier von einem hohen Konfliktpotenzial auszu-gehen. Die größte Zahl fragiler Staaten konzent-riert sich in Afrika südlich der Sahara, wo durch Klimabedingte Konfliktkonstellationen: Analyse und Ergebnisse 8.1

Umweltbedingte Migration Konfliktkonstellationen in ausgewählten Brennpunkten:

Klimabedingte Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen Klimabedingte Degradation von Süßwasserressourcen

Klimabedingter Rückgang

der Nahrungsmittelproduktion Brennpunkt

Abbildung 8.1-3

Sicherheitsrisiken durch Klimawandel: ausgewählte Brennpunkte. Die Karte zeigt beispielhaft nur jene Regionen, die in diesem Gutachten abgehandelt werden und die sich zu Krisenherden entwickeln könnten.

Quelle: WBGU

den Klimawandel neben anderen Effekten bei-spielsweise mit einer stark wachsenden Zahl der von Wasserknappheit betroffenen Menschen zu rechnen ist (IPCC, 2007b).

Häufung verschiedener Konfliktkonstellationen in einer Region und dadurch mögliche Rückkopp-lungen und Wechselwirkungen. Die Konfliktkons-tellationen können sich gegenseitig verstärken, wie etwa der Rückgang der Nahrungsmittelpro-duktion und die Verknappung von Süßwasser (Kap. 8.1.2). Beispielsweise ist in den Trockenzo-nen Südamerikas mit verstärkter

Bodenversal-zung und Desertifikation zu rechnen, so dass in der Folge das Risiko für Ernährungsunsicherheit steigt (IPCC, 2007b). Von ähnlichen Rückkopp-lungen ist in Afrika südlich der Sahara auszuge-hen, wo nach den heutigen Modellrechnungen ein Rückgang der Süßwasserverfügbarkeit mit dem Rückgang landwirtschaftlich geeigneter Flächen und verkürzten Reifezeiten durch Hitzestress ein-hergeht (IPCC, 2007b). Im Himalaya wird durch eine verstärkte Gletscherschmelze der Abgang von Muren und Lawinen verstärkt, wodurch regi-onale Infrastrukturen zerstört und die Versorgung Abbildung 8.1-4

Folgen des Klimawandels für Ökosysteme und Wirtschaftssektoren bei unterschiedlichem Temperaturanstieg.

Quelle: Stern, 2006 (eigene Übersetzung) Nahrungsmittel

Wasser

Ökosysteme

Wetterextreme

Risiko eines schnellen Klimawandels und großer irreversiblen Auswirkungen

Endgültige Temperaturänderung (im Vergleich zum vorindustriellen Niveau)

0° C 1° C 2° C 3° C 4° C 5° C

Kleine Berggletscher verschwinden weltweit – potenzielle Bedrohung der Wasserversorgung in mehreren Regionen

Erhebliche Änderungen der Wasserverfügbarkeit

Erhebliche Änderungen der Wasserverfügbarkeit

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