• Keine Ergebnisse gefunden

ausgewählte Regionen

Im Dokument Download: Vollversion (Seite 162-192)

Der WBGU identifiziert mit Blick auf die in Kapi-tel 5 diskutierten Zusammenhänge über die Auswir-kungen der Erderwärmung eine Reihe von Regi-onen, in denen der Klimawandel aufgrund der ökolo-gischen, demographischen oder sozioökonomischen Besonderheiten in den nächsten Jahrzehnten besonders große Herausforderungen mit sich brin-gen wird. Als Grundlage für die Bewertung der Problemlösungsfähigkeit und Konfliktanfälligkeit in den Regionen dienen dabei die Kapitel, in denen Erkenntnisse der Umweltkonfliktforschung und der Kriegsursachenforschung aufgearbeitet sowie ver-gangene umweltbezogene Konfliktherde identifi-ziert (Kap. 3), die Bedeutung fragiler Staatlichkeit und eines sich wandelnden internationalen Systems für Konfliktdynamiken erörtert (Kap. 4) sowie cha-rakteristische, durch den erwarteten Klimawandel geprägte Konfliktkonstellationen erarbeitet wurden (Kap. 6).

Die Zusammenschau der Konfliktforschung (Kap. 3) ließ vor allem erkennen, dass erstens Umweltdegradation stets nur einer von mehreren komplex zusammenhängenden Faktoren ist, der Konflikte verstärken oder auch auslösen kann. Ob sich Umweltdegradation in Destabilisierung, Zerfall von Ordnungsstrukturen und Konflikte übersetzt, hängt von spezifischen gesellschaftlichen Rahmen-bedingungen ab. Zweitens waren die Umweltkon-flikte der Vergangenheit lokal begrenzt und stellten keine Herausforderung für die internationale Stabi-lität und Sicherheit dar. Drittens wurde deutlich, dass der Problemlösungsfähigkeit von Staaten, aber auch von gesellschaftlichen Akteuren sowohl bei der Ent-stehung als auch bei der Bearbeitung von Konflikten eine zentrale Bedeutung zukommt. Dabei zeichnet sich ab, dass insbesondere solche Staaten und Gesell-schaften für Gewaltkonflikte anfällig sind, die durch mehrere der folgenden Merkmale gekennzeichnet sind:

• Sie befinden sich in einem politischen Übergangs-prozess (d. h. sie sind weder eindeutig demokra-tisch, noch eindeutig autokratisch verfasst).

• Sie sind durch ein niedriges wirtschaftliches Ent-wicklungsniveau und starke soziale Gegensätze gekennzeichnet.

• Sie sind durch eine große Bevölkerung oder hohe Bevölkerungsdichte charakterisiert.

• Sie sind durch unwegsames Gelände gekennzeich-net oder grenzen an ein Nachbarland, in dem ein gewaltsamer Konflikt ausgetragen wird.

• Sie haben in der jüngeren Vergangenheit auf ihrem Staatsgebiet selbst gewaltsame Auseinan-dersetzungen erlebt.

Die genannten Merkmale führen vor allem dann häufig zu Konflikten, wenn sie in Gesellschaften auf-treten, die über schwache staatliche Strukturen und Kapazitäten sowie eine geringe Problemlösungsfä-higkeit der gesellschaftlichen Akteure verfügen.

Die Ausführungen zu fragiler Staatlichkeit und Governance sowie zu wahrscheinlichen Turbulenzen im internationalen System machen darüber hinaus deutlich, dass nationale wie internationale Akteure auf die bevorstehenden Herausforderungen kaum vorbereitet sind (Kap. 4). Es muss insbesondere davon ausgegangen werden, dass der klimabedingte, wachsende Problemdruck solche Staaten, die schon heute als schwach oder fragil gelten, in der Wahrneh-mung der zentralen Governance-Funktionen voll-ends überfordern wird. Die derzeitige Global-Gover-nance-Architektur verfügt indes nicht über die not-wendigen Kapazitäten, um dieser Problematik wirk-sam zu begegnen.

Die in Kapitel 6 dargestellten Konfliktkonstella-tionen veranschaulichen, wie sich aus dem Wechsel-spiel unterschiedlicher naturräumlicher, politischer und sozioökonomischer Faktoren Konflikte entwi-ckeln können. Derartige Konflikte können grund-sätzlich die menschliche Sicherheit gefährden, zur Destabilisierung von Gesellschaften bis hin zum Staatszerfall beitragen, die Gewaltneigung sowohl innerhalb als auch zwischen Staaten erhöhen sowie zu grenzüberschreitender Unsicherheit führen. In diesem Sinn hat der WBGU den klimabedingten Rückgang der Süßwasserverfügbarkeit, den klima-bedingten Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, die klimabedingte Zunahme von Sturm- und

Flut-katastrophen sowie umweltbedingte Migration als zukünftig wahrscheinliche Konfliktkonstellationen identifiziert.

Weil diese Konfliktkonstellationen in verschie-denen Weltregionen in unterschiedlicher Häufung und Intensität auftreten können, werden nun in die-sem Kapitel die regionalspezifischen Auswirkungen der Klimaänderungen mit ihren Folgen auf Natur-raum und menschliche Nutzung beschrieben. Daran anschließend wird jeweils die politische und sozio-ökonomische Situation erörtert, um zu einer Ein-schätzung der jeweiligen Problemlösungsfähigkeit und Konfliktanfälligkeit zu gelangen.

Es sollte an dieser Stelle noch einmal betont wer-den, dass der WBGU klimainduzierte Konflikte etwa ab Mitte der 2020er-Jahre für denkbar hält, wenn der Klimawandel ungebremst voranschreiten sollte. Die Sozialwissenschaften verfügen nicht über Instrumen-tarien, um gesellschaftliche Entwicklungen über so lange Zeiträume verlässlich zu prognostizieren. Die folgende Analyse konzentriert sich daher auf gegen-wärtige Entwicklungen in den ausgewählten Regi-onen und erarbeitet darauf aufbauend im Sinn einer Risikoanalyse plausible Entwicklungstrends. Der WBGU behauptet nicht, dass die skizzierten Trends so eintreten müssen. Präventive Sicherheits- und Entwicklungspolitik ist jedoch darauf angewiesen, auch auf der Grundlage unsicheren, aber möglichst soliden Wissens Zukunftsentscheidungen zu treffen.

Die hier vorgestellte Darstellung der Regionen ist nicht vollständig, sondern identifiziert mit Blick auf erwartete Klimaänderungen und konkrete regionale Entwicklungen eine Auswahl besonders gefährdeter Regionen. Der WBGU impliziert damit keineswegs, dass der Klimawandel in anderen Regionen zukünf-tig keine sicherheitsrelevanten Auswirkungen haben kann. Im Gegenteil sind auch in einer Reihe hier nicht behandelter Regionen erhebliche gesellschaft-liche Auswirkungen des Klimawandels zu erwarten.

Allerdings scheint es aus heutiger Sicht zumindest in den westlichen Industriestaaten (z. B. in Australien, den USA oder Mitteleuropa) wenig wahrscheinlich, dass daraus in den kommenden 20–30 Jahren Sicher-heitsprobleme im Sinn gewaltsam eskalierender Konflikte erwachsen könnten. Im Gegensatz dazu ist in notorisch konfliktbeladenen Regionen wie z. B.

dem Nahen und Mittleren Osten oder dem Horn von Afrika offensichtlich, dass die zu erwartenden klima-bedingten Stressfaktoren eine politische Entspan-nung zusätzlich erschweren werden. Das Gutachten will aber vor allem diejenigen Regionen ins Blickfeld sicherheitspolitischer Erwägungen rücken, die bisher nicht hinreichend Beachtung fanden.

7.1

Arktis und Subarktis

7.1.1

Klimawirkungen auf Naturraum und menschliche Nutzung

Der Klimawandel führt in der Arktis zu einer star-ken Erwärmung. Dies hat das Auftauen der Perma-frostböden der arktischen Tundra sowie das Schmel-zen der Gletscher und des Meereises zu Folge.

Die Arktis ist geographisch nicht eindeutig fest-gelegt, wird aber meist als die Region nördlich des Polarkreises definiert. Alternativ werden häufig kli-matische (10°-Juli-Isotherme) und vegetationsgeo-graphische Kriterien (Baumgrenze) zur Eingrenzung der Region verwendet. Hier umfasst die Region das Nordpolarmeer und Teile angrenzender Meere ein-schließlich der zahlreichen Inseln und der angren-zenden Teile des nordamerikanischen, europäischen und asiatischen Festlands. Die Subarktis umfasst die südlich an die Arktis angrenzende Klimazone der borealen Nadelwälder.

Die für das Jahr 2100 erwartete Erhöhung der jährlichen Mitteltemperatur in der Arktis ist für das A1B-Szenario mit 2,8–7,8 °C (Mittelwert 5 °C) unge-fähr doppelt so hoch wie im globalen Mittel (ACIA, 2005; IPCC, 2007a). Dabei ist die Erwärmung im Winter mit 4,3–11,4 °C deutlich stärker als im Som-mer (1,2–5,3 °C). Der erwartete Temperaturanstieg steht in guter Übereinstimmung mit den in der zwei-ten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemessenen Tempe-raturtrends. Die erwartete Erwärmung geht mit einer Erhöhung der jährlichen Niederschlagsmenge um 10–28 % einher (IPCC, 2007a).

Die Auswirkungen dieser starken Klimaerwär-mung lassen sich bereits heute beobachten und wer-den sich bei ungebremstem Klimawandel in wer-den nächsten Jahrzehnten weiter verschärfen (ACIA, 2005). Das Auftauen der Permafrostböden der ark-tischen Tundra, die schrumpfende Eisbedeckung des Polarmeers sowie das Schmelzen der Gletscher und Eisschilde in der Region können den globalen Klima-wandel durch die stärkere Absorption von Sonnen-strahlung nicht vereister Oberflächen sowie durch die Freisetzung von Methan sowohl aus den Perma-frostböden als auch aus den Methanhydratvorkom-men am Meeresboden zusätzlich verstärken. Außer-dem trägt das Abschmelzen der arktischen Glet-scher und Eisschilde zum Ansteigen des Meeresspie-gels bei (IPCC, 2007b). So schätzt der WBGU (2006), dass bei einer Stabilisierung der globalen Erwär-mung bei 3 °C über dem vorindustriellem Wert der Grönländische Eisschild bis zum Jahr 2300 0,9–1,8 m zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen wird.

141 141 Arktis und Subarktis 7.1

Der Rückgang des arktischen Meereises führt zu einer zunehmenden Küstenerosion durch Wellen-schlag und Stürme, die durch den Anstieg des Mee-resspiegels und das Auftauen der Permafrostböden noch verstärkt wird. Dadurch kommt es zu einer Gefährdung küstennaher Siedlungen. Zudem steigt das Risiko von Gerölllawinen und Schlammfluten.

Die Erwärmung führt außerdem zu einer Verschie-bung der Vegetationszonen nach Norden, die aber durch das Nordpolarmeer begrenzt ist. Diese Ver-schiebung hat Auswirkungen auf zahlreiche arktische Tier- und Pflanzenarten. Ebenso werden die traditio-nellen Verbreitungsgebiete der wichtigsten Fischbe-stände durch die Erwärmung der Arktis beeinflusst (ACIA, 2005; WBGU, 2006). Schließlich könnten die starke Erwärmung durch Hitze- und Wasserstress, die Ausbreitung von Schädlingen sowie häufigere Waldbrände zu einer nachhaltigen Schädigung der borealen Nadelwälder der Subarktis führen (IPCC, 2007b).

7.1.2

Politische und wirtschaftliche Situation in der Region

Die größten Landgebiete der Arktis erstrecken sich über das nördliche Skandinavien, Russland, den US-Bundesstaat Alaska und Kanada sowie die größeren Inseln wie Grönland, Island, Spitzbergen, Nowaja Semlja und die zahlreichen Inseln des Kanadischen Archipels. Politisch ist die Arktis in mehrere Sektoren aufgeteilt, die von Russland, den USA, Norwegen und Dänemark beansprucht werden. In der hier betrach-teten Region leben etwa 4 Mio. Menschen. Davon zählen etwa 10 % zu indigenen Völkern, wobei die-ser Anteil subregional über 50 % hinaus gehen kann, z. B. in Teilen der kanadischen und grönländischen Arktis (ACIA, 2005). Insgesamt ist die Region sehr dünn besiedelt. In den arktischen Regionen Alaskas, Kanadas und Grönlands gibt es nur wenige größere Siedlungen. In Skandinavien und Russland hingegen gibt es einige größere Städte, wie z. B. Murmansk und Norilsk in Russland und Tromsø in Norwegen. Auch die isländische Hauptstadt Reykjavík ist ein für die Region wichtiges urbanes Zentrum.

Basierend auf dem Index für menschliche Ent-wicklung (Human Development Index – HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen werden alle Länder der Region – mit Ausnahme von Russland – als hochentwickelt eingestuft (UNDP, 2006). Zwar bestehen gerade in den arktischen Land-gebieten Entwicklungsdefizite und einseitige, auf Rohstoffausbeutung konzentrierte Ökonomien, die teilweise Governance-Probleme aufweisen. Die poli-tische Situation der Region ist aber insgesamt

sta-bil. Die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region umfassen in erster Linie den Fischfang und die För-derung bzw. den Abbau umfangreicher Vorkommen wichtiger Rohstoffe, darunter u. a. Erdöl, Erdgas, Eisenerz, Nickel, Zink, Kohle, Uran, Zinn, Diaman-ten, Gold und Kryolith.

Das Auftauen der Permafrostböden wirkt sich erheblich auf die Struktur von Wohnsiedlungen und deren Ver- und Entsorgung sowie auf die Sektoren Bergbau und Verkehr aus. Transporte werden auf den aufgeweichten Böden zunehmend schwieriger.

So wurde in Alaska in den letzten 30 Jahren bereits die Zahl der Tage, in denen das Befahren der Tundra erlaubt ist, von 200 auf 100 gesenkt (ACIA, 2005).

Küstennahe Industrieanlagen, wie die für den Export von Bodenschätzen wichtigen Häfen, sind zuneh-mend durch Küstenerosion gefährdet. Wirtschaft-liche Aktivitäten könnten daher durch die Klimaver-änderung zunehmend eingeschränkt werden.

Der Klimawandel bietet der Region aber auch Chancen. Wenn sich das Polareis immer weiter zurückzieht, werden die Ausbeutung natürlicher Res-sourcen erleichtert und neue Schifffahrtsrouten mög-lich. Auch eine Ausweitung oder Verbesserung land-wirtschaftlicher Nutzflächen wird oft diskutiert. Sie wird aber durch die geringe Qualität der Böden, die Entwicklung der Niederschläge, mangelnde Infra-struktur, den geringen Umfang des lokalen Marktes und die großen Entfernungen zu potenziellen grö-ßeren Absatzmärkten begrenzt (ACIA, 2005). Neue Chancen können sich allerdings auch als potenzielle Konfliktquellen entpuppen: Mit der neuen Schiffbar-keit drohen ökologische Probleme, wie z. B. die stei-gende Gefahr von Tankerunfällen, die in der Ark-tis aufgrund des langsamen Abbaus von Ölteppi-chen zu ungleich schwerwiegenderen Schäden führt als andernorts. Gewarnt wird auch vor neuen sozi-alen und sicherheitspolitischen Gefahren aufgrund potenzieller Konflikte um frei werdende Boden-schätze (Herrmann, 2006). Die bis in die Sowjetzeit zurückreichenden Auseinandersetzungen zwischen Russland und Norwegen um die Barentssee zeigen, dass das Risiko von Ressourcenkonflikten als durch-aus pldurch-ausibel einzuschätzen ist (du Castel, 2005).

Die in der Region lebende Bevölkerung ist damit auf vielfältige Weise von den Klimafolgen betroffen.

Besonders gilt dies für die indigene Bevölkerung.

Durch das klimabedingte Abschmelzen der Meer-eisdecke und die Veränderung der Tierpopulatio-nen sowie durch die größere Variabilität der Witte-rung wird nicht zuletzt die traditionelle Jagd schwie-riger, was gravierende Auswirkungen auf die kultu-relle Identität der indigenen Völker hat (Bangert et al., 2006).

7.1.3

Schlussfolgerungen

Arktis und Subarktis gehören zu denjenigen Regi-onen, die vom Klimawandel besonders stark betrof-fen sind. Die starke Erwärmung und das dadurch verursachte Auftauen der Permafrostböden sowie das Schmelzen der Gletscher und des Meerei-ses haben nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf Wirtschaft und Gesell-schaft. Umsiedlungen von Bewohnern gefährdeter Küstenregionen sowie zwischenstaatliche Ausein-andersetzungen um Gebietsansprüche und Boden-schätze könnten zukünftig zu Konflikten führen. Da die betroffenen Regionen aber sehr dünn besiedelt sind, überwiegend in politisch und wirtschaftlich sta-bilen Staaten liegen und bereits verschiedene For-men regionaler ZusamFor-menarbeit bestehen, schätzt der WBGU die sicherheitspolitische Bedeutung der Arktis insgesamt als gering ein.

7.2

Südeuropa und Nordafrika

7.2.1

Klimawirkungen auf Naturraum und menschliche Nutzung

Die Hauptfolge des Klimawandels im mediterranen Raum ist eine zunehmende Trockenheit. Die Aus-wirkungen auf die landwirtschaftlichen Erträge kön-nen regional beträchtlich sein, in Ägypten könnte es z. B. bis 2050 zu einem Rückgang der Sojaproduktion um fast 30 % kommen (IPCC, 2007b). Bis zum Jahr 2100 wird durch den Klimawandel für Nordafrika ein Rückgang der Agrarproduktion entsprechend 0,4–

1,3 % des BIP als wahrscheinlich angesehen (IPCC, 2007b).

In Südeuropa und in den Küstengebieten der nordafrikanischen Staaten herrscht mediterranes Klima. Während das subtropische Hochdruckgebiet für heiße, trockene Sommer sorgt, werden die Win-ter mit kühler, regnerischer WitWin-terung von der sich südwärts verlagernden Westwindzone geprägt. Die küstenfernen Gebiete Nordafrikas liegen im Bereich des Nordostpassats und weisen ein heißes, trocke-nes Wüstenklima auf. Die Temperaturen im Mittel-meergebiet werden nach Modellrechnungen unter Verwendung des A1B-Szenarios bis Ende des Jahr-hunderts gegenüber der Periode 1980–1999 um 2,2–

5,1 °C (Mittelwert 3,4 °C) ansteigen, was geringfügig über der durchschnittlichen globalen Erwärmung lie-gen dürfte (IPCC, 2007a). Modellrechnunlie-gen erge-ben die höchste Erwärmung im Sommer bei

aller-dings größeren Temperaturschwankungen, im Win-ter ist die Temperaturvariabilität geringer (Giorgi und Bi, 2005). Der prognostizierte Anstieg des Mee-resspiegels kann Küstenregionen bedrohen, hier ist insbesondere das Nildelta zu nennen.

In den letzten 50 Jahren waren die Winternieder-schläge im Mittelmeerraum rückläufig, was auf einen Trend der Nordatlantischen Oszillation zurückge-führt wird (oplaki et al., 2004; Scaife et al., 2005). Die größten Niederschlagsrückgänge werden in Zukunft im Sommer erwartet. Die durchschnittliche jähr-liche Niederschlagsrate dürfte bis Ende des Jahrhun-derts in Südeuropa um 4–27 % und in Nordafrika um durchschnittlich 20 % abnehmen. Durch die zukünf-tig höheren Temperaturen wird die Verdunstungs-rate des im Boden vorhandenen Wassers zunehmen und die bereits heute in vielen Ländern Südeuropas und Nordafrikas beobachtete sommerliche Wasser-knappheit verschärfen (IPCC, 2007b). Auch Flüsse sind betroffen: Die saisonalen Unterschiede ihrer Wasserführung werden größer, mit höheren Was-serständen im Winter und niedrigeren im Sommer, wenn die Wassernachfrage am größten ist (Santos et al., 2002). Dieser sich verschärfende Wassermangel hat besonders negative Auswirkungen auf die land- und forstwirtschaftlichen Erträge und auf die Strom-erzeugung durch Wasserkraft (IPCC, 2007b).

Die erwarteten klimatischen Trends werden in Südeuropa aber nicht nur die Bodenaustrocknung beschleunigen, sondern auch die Gefahr der Wind-erosion erhöhen und zu Feuern und Waldbränden führen, was die Vegetationsdecke weiter in Mitlei-denschaft ziehen wird. Schleichend kann so eine Vegetationsverschiebung von Wald zu Buschland entstehen (Mouillot et al., 2002). Eine solche ökosys-temare Veränderung wird sich wiederum auf die Was-serhaltekapazität und Bodenqualität, den Kohlen-stoffkreislauf und das lokale Klima auswirken. Die Verstärkung der Sommertrockenheit und die daher abnehmende Bodenfeuchte wird die durch unange-passte Land-, Forst- und Viehwirtschaft verursachte Bodendegradation (Kap. 5.4) weiter vorantreiben, so dass sich ohne nachhaltigere Bewirtschaftungsmaß-nahmen die Übernutzung der mediterranen Böden weiter verschärfen dürfte. Einer Erhöhung der Pro-duktivität durch Bewässerung, um auf die Trocken-heit und insbesondere auf zukünftige Extremperio-den zu reagieren, muss mit großer Vorsicht begeg-net werden: die Wasserressourcen sind bereits heute knapp und bei übermäßiger Bewässerung ist mit Ver-salzung zu rechnen. Schon heute sind die Böden in großen Teilen Spaniens und in einzelnen Regionen Italiens und Griechenlands versalzen (MA, 2005a).

Setzt sich dieser Trend fort, kann das zu Desertifika-tion und zum Verlust dieser Böden für die landwirt-schaftliche Nutzung führen.

143

Die Ausgangssituation der nordafrikanischen Mit-telmeeranrainer ist bereits heute schlechter als die ihrer südeuropäischen Nachbarn: In weiten Teilen Algeriens, Libyens und Ägyptens und regional in Marokko und Tunesien droht eine rasche Zunahme der schon heute großflächig auftretenden Boden-versalzung. Die Böden sind aufgrund von Überwei-dung, Entwaldung und nicht nachhaltiger Bewäs-serungspraxis stark erodiert. Die Vegetationsdecke ist sehr lückenhaft und droht sich weiter zu verrin-gern. Folgen sind dann erneut geringere Luftfeuchte und weniger Niederschläge, ein sich selbst verstär-kender Kreislauf. Bewässerung der Landwirtschafts-flächen mit fossilem Grundwasser ist keine nach-haltige Lösung, die aus diesem Teufelskreis heraus-führt. Nach den IPCC-SRES-Szenarien wird der Oberflächenabfluss in Nordafrika bis 2050 signifi-kant abnehmen (Arnell, 2004). Es ist zu erwarten, dass sich die Geschwindigkeit der Bodendegrada-tion, die bereits heute in Ägypten als schnell einge-stuft wird, im gesamten nordafrikanischen Gebiet weiterhin erhöht (Oldeman et al., 1991). Letztlich ist die Gefahr der Desertifikation in allen Staaten, vor allem aber an den nördlichen Rändern der Sahara vorhanden (USDA, 1998; MA, 2005a). Es wird daher deutlich, wie zukünftige klimatische Veränderungen die bereits heute nicht nachhaltige Landnutzung wei-ter unwei-ter Druck setzen werden.

7.2.2

Politische und wirtschaftliche Situation in der Region

Südeuropa, d. h. Portugal, Spanien, Frankreich, Ita-lien und Griechenland (die Balkan-Region wird hier ausgespart), und Nordafrika, d. h. Marokko, Alge-rien, Tunesien, Libyen und Ägypten, unterscheiden sich deutlich in ihrer Verwundbarkeit und Problem-lösungsfähigkeit. Die südeuropäischen Länder sind konsolidierte Demokratien mit funktionierenden Governance-Strukturen, die überdies in die Europä-ische Union eingebunden sind. Demgegenüber regie-ren in Nordafrika weitgehend autokratische Regime, die sich in einer politischen Übergangsphase befin-den (Jacobs und Mattes, 2005; Kaufmann et al., 2006).

Nach Schneckener (2004) handelt es sich bei allen nordafrikanischen Ländern um schwache Staaten, d. h. Staaten, deren Gewaltmonopol (noch) weitge-hend gewährleistet ist, die aber teils erhebliche Defi-zite bei der Wohlfahrts- und Rechtsstaatsfunktion aufweisen (Kap. 4.2). Hinzu kommen eine virulente Konfliktgeschichte (z. B. Bürgerkrieg in Algerien, Nachbarschaftskonflikte in Marokko), periodisch auftretende soziale Ausschreitungen, eine gewaltbe-reite Opposition sowie radikalisierte

fundamentalis-tisch-religiöse Bewegungen. Diese Situation schafft vielfältige Probleme für die Sicherheit der Menschen und die Stabilität und Problemlösungsfähigkeit der nordafrikanischen Mittelmeeranrainer.

Diese regionalen Diskrepanzen spiegeln sich auch in der wirtschaftlichen und sozialstaatlichen Leis-tungsfähigkeit wider. In den südeuropäischen EU-Staaten beträgt das jährliche Pro-Kopf-Einkommen 19.000–29.000 US-$, in den nordafrikanischen Län-dern dagegen nur 4.000–7.500 US-$ (in Kaufkraftpa-ritäten; World Bank, 2006a). Die Länder der Euro-päischen Union verfügen über etablierte marktwirt-schaftliche Strukturen, sozialstaatliche Netze und supranationale Ausgleichssysteme wie den Europä-ischen Strukturfond. Neben den weitgehend etablier-ten staatlichen Mechanismen, die im Fall von Dürre oder Überschwemmungen Wissen und finanzielle Mittel bereitstellen können, besteht ein weit ver-zweigtes Netz privater Versicherungen und die Mög-lichkeit europäischer Beihilfen z. B. über den Euro-päischen Katastrophenfonds.

Für die südlichen Anrainer des Mittelmeers ergibt sich ein anderes Bild. Hier bestehen erhebliche

Für die südlichen Anrainer des Mittelmeers ergibt sich ein anderes Bild. Hier bestehen erhebliche

Im Dokument Download: Vollversion (Seite 162-192)