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3.1 Charakterisierung der bekanntesten Usability Engineering Vorgehensweisen

3.1.1 Der Usability Engineering Lifecycle (Mayhew 1999)

Der Usability Engineering Lifecycle ist ein vollständiges Usability Engineering Prozessmodell, dessen 16 Aktivitäten in die Phasen (1) Anforderungsanalyse, (2) Design / Testing / Development und (3) Installation unterteilt sind (vgl. Abbildung 5). Der Lifecycle ist angelehnt an das Software-Entwicklungsmodell OOSE (Object-Oriented Software Engineering) und explizit für eine Integration in einen Software-Entwicklungs-prozess vorgesehen. Die Ergebnisse der Aktivitäten sollen in Form eines Style Guides dokumentiert werden.

Die Anforderungsanalyse spielt beim Usability Engineering eine zentrale Rolle und ist entscheidend dafür, ob die Software die Bedürfnisse der Benutzerinnen erfüllt oder nicht. Die Vorgehensweise für das Design ist ein strukturierter Top-down-Ansatz, der zunächst Anforderungen auf einer hohen Designebene festlegt und darauf basierend detaillierte Standards anwendet, um das Design zu komplettieren. Die Entwicklung findet in einem iterativen Prozess bestehend aus Design, Testing und Entwicklung statt, wobei zunächst mit einem Ausschnitt an Funktionalität gearbeitet wird, der nach und nach erweitert wird. Durch die Verwendung alter-nativer Techniken wird der Prozess flexibel, wobei das grundsätzliche Prozessmodell jedoch immer erhalten bleibt. Die optimale Umsetzung des Usability Engineering Lifecycles bedingt die volle Teilnahme eines multi-funktionalen Teams. Der Prozess ist beendet, wenn nach der Installation und ersten User Feedbacks alle Mängel einer Software beseitigt sind und das Produkt voll funktionstüchtig und erfolgreich ausgebreitet ist.

1. User Profiles (Erhebung von Benutzerprofilen):

Benutzerprofile sind Zusammenstellungen spezifischer Benutzerinneneigenschaften, die relevant sind für das Design der Benutzerschnittstelle. Sie werden für die angestrebten Benutzer des zu entwickeln-den Systems erhoben und sind massgebend für spätere Designentscheidungen. Ausserdem werentwickeln-den in diesem Schritt die wichtigsten Kategorien an Benutzerinnen identifiziert, die später in der Aufgabenana-lyse untersucht werden sollen.

2. Contextual Task Analysis (Aufgabenanalyse im Kontext):

Ziel der Aufgabenanalyse ist es, ein benutzerzentriertes Modell der Arbeit zu erstellen, wie sie momen-tan von den angestrebten Benutzern ausgeführt wird. Dies geschieht am besten durch Beobachtungen der Benutzerinnen in ihrem Arbeitskontext. Aus den erstellten Arbeitsmodellen werden die funktionalen und qualitativen Anforderungen an das zu erstellende Produkt abgeleitet.

3. Usability Goal Setting (Setzen von Usability Zielen):

Aus den Erkenntnissen der vorhergegangenen Aufgaben sowie aus den allgemeinen Geschäftszielen werden spezifische qualitative und quantitative Usability Ziele extrahiert, die massgebend sind für den Entwurf. Die Usability Ziele können zudem als Akzeptanzkriterien bei der Evaluation des Systems in späteren Usability Tests herangezogen werden.

4. Platform Capabilities and Constraints (Erhebung von Plattformeigenschaften):

Bei diesem Schritt geht es darum zu klären, welche technischen Restriktionen bei der Systementwick-lung gegeben sind, die den Freiraum bezüglich des Designs und der Interaktionstechniken einschrän-ken.

5. General Design Principles (Identifikation der grundlegenden Designprinzipien):

Für verschiedene Plattformen und Produkte kommen z.T. unterschiedliche Richtlinien für die Benutzer-schnittstelle zum Tragen. Die relevanten und grundlegenden Designprinzipien müssen zunächst identifi-ziert und ausgewertet werden.

6. Work Reengineering (Optimierung von Arbeitsabläufen):

Durch eine ausgewogene Berücksichtigung von bisherigen (gewohnten) Arbeitsabläufen und dem vor-handenen Automatisierungspotential werden die Arbeitsabläufe dahingehend optimiert, die Business-ziele möglichst effektiv zu unterstützen, die Prozesse effizient zu gestalten und gleichzeitig den Lernauf-wand für den Umgang mit dem neuen System so gering wie möglich zu halten.

7. Conceptual Model Design (Erstellung des Systemkonzepts):

Die Erstellung eines kohärenten, regelbasierten Grobkonzeptes für die Benutzerschnittstelle stellt die erste Designaktivität im Usability Engineering Lifecycle dar. Das Systemkonzept soll zum einen die Er-wartungen der zukünftigen Benutzerinnen erfüllen und zum anderen die Erstellung eines konsistenten Systems ermöglichen. In dieser Phase werden auf noch hohem Abstraktionsniveau die grundlegenden Präsentations- und Interaktionsregeln festgelegt und die wichtigsten Bildschirmmasken sowie die grund-legenden Navigationspfade identifiziert.

8. Conceptual Model Mock-ups (Erstellung von einfachen Prototypen des Konzepts):

Um das Kernkonzept zu evaluieren und ein iteratives Vorgehen zu ermöglichen, werden einfache Prototypen gebaut, die die zentrale Funktionalität des zu entwickelnden Systems repräsentieren. Hierbei werden bereits die grundlegenden Präsentations- und Interaktionsregeln berücksichtigt.

9. Iterative Conceptual Model Evaluation (Iterative Verbesserung des Konzepts):

Durch ein iteratives Vorgehen wird unter Einbeziehung von Benutzern das Konzept getestet und so lange verfeinert, bis es stabil ist und den Usability Anforderungen genügt.

10. Screen Design Standards (SDS) (Festlegen von Bildschirmdesignstandards):

Um die spezifischen Anforderungen des zu entwickelnden Systems bedienen zu können, müssen vor-handene Styleguides (z.B. der verschiedenen Plattformen oder Firmenstyleguides) angepasst und/oder erweitert werden. Zusammen mit dem Systemkonzept bilden die SDS die Grundlage für das detaillierte und konsistente Design der Benutzerschnittstelle. Die SDS stellen die zweite Designaktivität des Usabi-lity Engineering Lifecycles dar.

11. Screen Design Standards Prototyping (Erstellen von Protypen der SDS):

Um die erweiterten Styleguides auf ihre Usability zu testen, werden sie in Form eines Prototypen visualisiert.

12. Iterative Screen Design Standards Evaluation (Iterative Verbesserung der SDS):

Durch ein iteratives Vorgehen werden die SDS evaluiert und optimiert.

13. Style Guide Development (Entwicklung des Produkt-Styleguides):

Der Produkt-Styleguide ist ein Dokument, in dem das Systemkonzept, die SDS und die Ergebnisse aller Aufgaben der Anforderungsanalyse zusammengefasst werden. Das Dokument soll in erster Linie dazu dienen, die bisherigen Erkenntnisse aus dem Usability Engineering Prozess innerhalb (und gegebenen-falls auch ausserhalb) des Projektteams zu kommunizieren.

14. Detailed User Interface Design (Detailliertes Design der Benutzerschnittstelle):

Auf der Basis der erarbeiteten Standards und der Designkonzepte werden detailliert alle Bildschirm-masken des Systems entworfen. Der detaillierte Entwurf der Benutzerschnittstelle ist die dritte Stufe der Designaktivitäten des Usability Engineering Lifecycles.

15. Iterative Detailed User Interface Design and Evaluation (Iterative Verbesserung des Designs der Benutzerschnittstelle):

Auch das detaillierte Design der Benutzerschnittstelle wird iterativ verfeinert, indem die wichtigsten Bereiche getestet und anhand der Testergebnisse optimiert werden.

16. User Feedback (Einholen von Benutzerfeedback):

Der Usability Engineering Lifecycle endet erst, nachdem usabilityrelevante Daten über konkrete Nutzungserfahrungen (z.B. in einer Pilotphase oder auch nach Ausbreitung eines Systems) vorliegen und die Usability des Produktes bestätigt wurde. Gibt es in der realen Nutzung noch Probleme mit der Usability des Produktes, müssen Verbesserungen vorgenommen werden.

Abbildung 5: Der Usability Engineering Lifecycle

Der Usability Engineering Lifecycle ist in hohem Masse auf Kompatibilität mit einem modernen Entwick-lungsprozess ausgelegt und kann daher theoretisch problemlos in einen objektorientierten Prozess einge-bunden werden. Zu jeder der 15 Aktivitäten wird eine Vorgehensweise (Methode) vorgeschlagen, wobei häufig Alternativen in Form von Literaturverweisen und Abkürzungsmöglichkeiten genannt werden. Mayhew weist explizit darauf hin, dass der Prozess für jede Entwicklungsorganisation (je nach Grösse und vorhande-nem Know-how) und jedes Entwicklungsprojekt (je nach Komplexität, Dauer und Projektteam) angepasst werden muss.

Die Besonderheiten des Usability Engineering Lifecycles im Vergleich zu anderen Prozessmodellen beschreibt Mayhew im Vorwort zu ihrem Buch folgendermassen:

„(..) the Usability Engineering Lifecycle (..) differs from those described by other authors in several important ways:

- It is more comprehensive and specific in its inclusion of Usability Engineering tasks in the overall lifecycle.

- It is more detailed in specifying how to integrate usability tasks into an already existing software development lifecycle.

- It is more detailed in its specification of how to carry out tasks and techniques in the lifecycle.

- In particular, it provides more structure and detail for the actual process of user interface design.“

(Mayhew 1999, S. X. Hervorhebungen: S.H.) Vor allem der zweite und vierte Punkt erscheinen hinsichtlich der Erfolgschance für einen derartigen Prozess von Bedeutung.