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Der unlösbare Konflikt

Im Dokument 4 Genre und Geschichte (Seite 80-107)

IV. Akt: Das Erinnerungsbild

4.5 Der unlösbare Konflikt

Mit den Bildern des Holocaust ist im Kriegsfilm Hollywoods das Bewusstsein einer Totalität des Mordens und Sterbens verbunden, die sich auf keinen poli-tischen oder kulturellen Konflikt mehr begrenzen oder sich überhaupt als Kon-flikt fassen lässt. Der Krieg ist in gewisser Weise allgemein geworden. Wenn aber die Grausamkeit und das Morden, das Leiden und Sterben allgemein geworden sind, verliert ein Pathos , das auf die Individualität des Soldaten abhebt, seine bindende Kraft. Damit hat sich der konstitutive Konflikt des Kriegsfilmgenres, der grundlegende Widerspruch zwischen militärischer und politischer Gemein-schaft , unendlich verschärft.

Man sollte jedoch festhalten, dass sich diese Verschärfung des Konflikts bereits sehr früh angedeutet hat. Davon zeugen etwa der Erfolg des Romans From Here to Eternity (1951) von James Jones und dessen gleichnamige, ebenfalls sehr erfolgreiche Verfilmung durch Fred Zinnemann aus dem Jahr 1953. Dabei scheint es mir kein Zufall zu sein, dass Zinnemanns Kriegsfilm, der eigentlich keiner ist, das Drama militärischer Vergemeinschaftung in die unmittelbare Vorkriegszeit verlegt. Er thematisiert weit mehr die Folgen der Militarisierung für die

Zivilge-133 „Die Kunst ist das, was der politischen Gemeinschaft jene Formen anschaulicher Gemein-schaft gibt, die, im Gegensatz zur Abstraktion des Gesetzes, die Menschen in lebendige Ver-bindung zueinander setzen […] Der ästhetische Modus der Gemeinschaft ist der Modus einer Gemeinschaft, die denkt, was sie fühlt, und die fühlt, was sie denkt.“ Rancière: Die Geschicht-lichkeit des Films, S. 241.

sellschaft als den Krieg. Die Ausnahmesituation der physischen Unterwerfung unter eine fremde, unumschränkte Befehlsgewalt fordert als erste Opfer die Sub-jektivität und die Wünsche, das Streben nach Glück der Einzelnen ein.

Der erfolgreiche Boxer Private Prewitt (Montgomery Clift) weigert sich, in der Boxstaffel des Regiments zu kämpfen. Er erträgt alle demütigenden Strafen und körperlichen Exerzitien, ohne an seiner Entscheidung, aber auch ohne an der Armee zu zweifeln. Er gehört wie die Rekruten in gung ho! zu jenen jugendlichen Delinquenten, die in der militärischen Gemeinschaft eine neue Identität gefun-den haben. Erst als sein Kamerad zum Opfer eines anderen Menschenschinders wird, ersticht er den verantwortlichen Vorgesetzten. Die Demütigung des Drills kehrt sich als Zorn gegen die eigene militärische Führung.

from here to eternity beschreibt die Zurichtung durch das Militär als eine Alchemie, die aus der zivilen Gesellschaft die Kriegsgesellschaft formt. Sie bringt im Ergebnis die Figur Burt Lancasters, First Sergeant Milton Warden, als die des kriegstüchtigen Offiziers hervor, der den sterbenden Gefreiten ebenso hinter sich zu lassen weiß wie die Frauen, die sich in ihn verlieben. Die rächende Gewalt-tat wird als Akt der Regeneration der militärischen Gemeinschaft dargestellt, die an der moralischen Insuffizienz einzelner Offiziere leidet. Dieses Narrativ wird in der Folge von zahlreichen Filmen variiert. Die Schuld lässt sich nicht mehr länger als ein Verhältnis der Überlebenden zu den toten Soldaten inszenieren;

sie betrifft vielmehr – das kann man von from here to eternity über attack!

und the bridge at remagen bis hin zu casualties of war¹³⁴ und in the valley of elah nachvollziehen – das Verhältnis des Militärs und des Staates zur politi-schen Gemeinschaft . Die militarisierte Gemeinschaft tritt selbst als eine archa-ische Gewalt hervor, deren Opfer die politarcha-ische Gemeinschaft ist.¹³⁵ Das ist das Grundthema der Vietnamfilme .

Der zornige Taxifahrer

Er ist eine der bekanntesten Filmfiguren des New Hollywood: Der Taxi Driver aus dem gleichnahmigen Film von Martin Scorsese (USA 1976) ist zu einem Emblem dieses Kinos geworden. Man erinnert sich an die melancholischen Bilder des nächtlichen New York, die extrem stilisierten Einstellungen des gelben Wagens, an

134 Vgl. Grotkopp: In der Anklage der Sinne, S. 237–269.

135 Sascha Keilholz hat gezeigt, dass der Polizeifilm der frühen 1970er Jahre eine Transformati-on des Genrekinos anzeigt, die den äußeren Krieg, Vietnam, als einen inneren Krieg der Gesell-schaft thematisiert. Vgl. Sascha Keilholz: Verlustkino. Trauer im amerikanischen Polizeifilm seit 1968, Marburg 2015.

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die Wachträume von Travis Bickle (Robert De Niro), der nicht schlafen kann und deshalb nachts Taxi fährt, während er die Tage in Pornokinos verbringt. Man erin-nert sich an die bunten Lichter der Vergnügungsviertel einer urbanen Halbwelt, die blinkenden Leuchtreklamen der Striptease-Bars und Nachtclubs, die in Pulks auf den Trottoirs versammelten Prostituierten, Drogendealer und Zuhälter. Außen vor den Scheiben des Taxis gleitet diese Welt vorbei; während wir, die Zuschauer im Innern des Taxis, dem Monolog von Travis folgen, der vom großen Reinemachen träumt: ein mächtiger Regen, der diesen ganzen Abschaum einfach wegspült.

Travis ist Heimkehrer , Vietnamveteran, und seine Schlafstörung, sein Job, seine Zufluchtsstätte, die Pornokinos, machen ihn selbst zu einem Teil dieses Straßenlebens, das er so sehr verachtet. Als alle seine Versuche, zu der sauberen Welt der guten Gesellschaft in Kontakt zu treten, scheitern, besinnt er sich auf seine Bestimmung als Soldat. Zunächst bereitet er – ein Kurzschluss aus zurück-gewiesener Liebe  – ein Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten vor; dann versucht er, die Prostituierte Iris, ein sehr junges Mädchen, ein Kind, aus den Fängen der Drogendealer und Zuhälter zu retten. Die Befreiung gerät zu einem wüsten Amoklauf. Alles und jeder wird niedergeschossen, versinkt in einem Meer von Blut. Mit den Zeitungsberichten, die von den Heldentaten dieses Heimkeh-rers berichten, der das Mädchen aus den Fängen der Prostitution und Drogenwelt befreit hat, endet der Film.

Travis setzt ein Massaker in Szene, für das er am nächsten Tag als Befreier gefeiert werden wird. Im vollendeten Blutbad erfüllt sich doch noch seine Bestim-mung als Soldat. Er wird für ein Gemetzel als Held gefeiert, für das man ihn während des Vietnamkrieges verachtet und kritisiert hätte. Der Film selbst gibt keinerlei Aufschluss über die Gründe der Verletzung, die Travis zu dem gemacht hat, was er ist. Das frühere Leben des Heimkehr ers bleibt völlig ausgeblendet.

Inszeniert wird nur noch der Zorn  – ohne Grund, ohne semantische Rahmung.

Der Zorn selbst wird zur Signatur, mit der die Figur des völlig zerrütteten asozi-alen Heimkehrers als Wiederkehr des archaischen Kriegers kenntlich wird. Gilt doch das Epos vom Zorn des Achilles in der westlichen Kultur als das Urbild des Kriegergedenken s.

Der Amoklauf des Taxi Driver ist in gewisser Weise eine späte Erscheinungs-form des Kriegshelden, wie ihn der Kriegsfilm Hollywoods bis in die 1960er Jahre hinein entwickelt hat. Nach 1968 sind die Heimkehrerfilme die einzige Variante, in der sich Hollywood explizit auf den Vietnamkrieg bezieht (der Hollywood-Kriegsfilm scheint  – bis auf wenige Ausnahmen¹³⁶  – wie das Genrekino

Holly-136 Etwa the bridge at remagen (USA 1969, Regie: John Guillermin); patton (USA 1969/70, Regie: Franklin J. Schaffner) und tora! tora! tora! (USA/Japan 1970, Regie: Richard Fleischer, Kinji Fukasaku, Toshio Masuda).

woods insgesamt an ein Ende gekommen zu sein). Wenn dann mit Francis Ford Coppolas apocalypse now (USA 1979) und Michael Ciminos the deer hunter (die durch die hölle gehen, GB/USA 1978) gegen Ende der 1970er Jahre der Kriegsfilm wieder auftaucht, hat sich die Poetik des Hollywoodkinos so radikal verändert, dass die Forschung bis heute das klassische Genrekino vom postklas-sischen Blockbusterkino unterscheidet. Freilich wird im New Hollywood nur offensichtlich, was in der hier entwickelten Perspektive für das klassische Hol-lywoodkino herausgearbeitet werden sollte¹³⁷: Die Affektpoetiken folgen keinen Regeln und taxonomischen Ordnungen, sondern sind – wenigstens in den avan-cierten Filmen – als Versuche eines Gemeinwesens zu verstehen, sich selbst als Gemeinschaft zu beschreiben. Jedoch hat sich die konkrete historisch-politische Konstellation grundlegend verändert.

Die Bilder vom Krieg sind im Verlauf des Vietnamkriegs als Fernsehbilder und Fotoreportagen außer Kontrolle geraten. Sie werden zu Zeugnissen einer grundlegenden Desintegration des politischen Gemeinwesens; mit den Nach-richten von der Tet Offensive im Januar 1968 und dem Massaker von My Lai zwei Monate später ist die moralische Legitimation der militärischen Aktionen des kriegsführenden Staates endgültig zerstört. Die Kinofilme, die sich dann explizit auf Vietnam beziehen, sind wie Flashbacks inszeniert, die Jahre nach dem Ende der Kampfhandlungen die Vernichtung auszuleuchten suchen, die der Krieg im Innern der Gesellschaft hinterlassen hat – als lasse sich die Realität der Grausam-keit der Kriegshandlungen des eigenen Landes nur in bombastischen oder intri-katen Traumszenen erahnen, die erst ganz allmählich sich zu lichten beginnen.

Das Massaker, der Napalmkrieg, der Kampf gegen die Zivilbevölkerung werden zu Bildchiffren einer sich langsam auflösenden Selbsttäuschung über das Ausmaß der Krise des eigenen politischen Gemeinwesens.

Für apocalypse now hat Coppola alle verfügbaren medientechnologischen Mittel des Kinos aufgewandt, um einen monumentalen Bildraum entstehen zu lassen, mit dem die Metapher der Novelle von Joseph Conrad, das Herz der Fins-ternis, als Arabeske eines Urwaldtempels umgesetzt wird, den statt Blumen Tau-sende von menschlichen Leichen schmücken.

Der Film lässt einerseits die Vergemeinschaftung in der anarchischen Tyran-nei ritual isierter Menschenschlachtung als Agens der Grausamkeit des Krieges erscheinen; andererseits entfaltet er die Reise in ihren Stationen als Parabel einer Gesellschaft, deren Bindungs- und Regulierungskräfte (Mythen, Gesetze, Ideale) zerfallen, die sich selbst nicht mehr als eine politische Gemeinschaft setzen kann.

Der American Way of Life erscheint als kurzfristige Performanz auf feindlichem

137 Vgl. Lehmann: Die Aufspaltung des Zuschauers.

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Abb. 42: apocalypse now (Farbabb.: s. Anhang).

Territorium, deren Bühnendekor immer schon abgebrochen wird, bevor die Show richtig begonnen hat.

Auch the deer hunter entwickelt eine szenische Parabel; allerdings sind es hier, bei aller ausladenden epischen Weite, die kleinen alltäglichen Szenen des Zusammenlebens, die sich zu einem Kreis gleichnishafter Darstellungen ver-binden. Sie finden ihr Zentrum in einer komplexen Metapher: Die Wettspiele, zu denen Kriegsgefangene gezwungen werden, das russische Roulette mit drei Kugeln im Revolver, beschreiben eine Erfahrung des Krieges, in der die Tötung des Feindes die Selbstauslöschung einschließt und voraussetzt. Die endlose Wiederholung durch psychisch zerrüttete Soldaten, die im fallenden Saigon wie römische Gladiatoren ihr Leben mit jedem Schuss neu aufs Spiel setzen, weil sie einfach nicht mehr aufhören können, wird zur Parabel einer Gesellschaft, in deren Innerem sich die Gewaltakte des Krieges unendlich vervielfältigen. So wird der Tod des Opfers zu einem Rätselbild – weder Sacrifice noch Victim –, das den Hintergrund abgibt, vor dem uns, den Zuschauern, die letzte Szene des Films, die hilflosen Versuche der Trauergemeinde, sich ihrer lebendigen Gegenwart zu versichern, als ein unendlich prekärer Versuch erscheint, in der Gemeinschaft der Überlebenden weiterzuleben.

Einige Jahre später müht sich Oliver Stones platoon an der Aufgabe ab, die gebrochenen Inszenierungsformen des Opfers, wie sie den Vietnamfilm bis dahin bestimmt haben, zurückzunehmen und ein intaktes Opferbild zu restituieren; ein Ansinnen, das Brian De Palmas casualties of war wiederum einige Jahre später mit einem entschiedenen „Nein!“ zurückzuweisen scheint. Und zwar bereits im Titel: Casualties   – das meint die Todesfälle, die Verletzten und Verwundeten, die man am Ende eines Krieges zusammenzählt. Es bezeichnet die beklagens-Abb. 42: apocalypse now (Farbabb.: s. Anhang) (Fortsetzung).

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werte Zahl der Fälle mehr oder weniger zufällig vernichteter Leben, von denen es in einer offenen Serie beliebig viele geben kann. Ähnlich wie mit dem Ter-minus Victim ist damit das passive Opfer bezeichnet, das durch ein äußerliches Ereignis – kriegerische Gewalt, ein Unfall oder ein Verbrechen – Schaden nimmt.

Der Titel hebt die grundlegende Differenz zum Totengedenken früherer Filme hervor, zum heroischen Opfer, zum Sacrifice des durch seine eigenen Taten sein physisches Leben hingebenden Soldaten. Das Victim findet keine Rahmung in den Narrativen kollektiven Gedenkens, die es zum heroischen Opfer als gemein-schaftsstiftendem Sinnbild formen könnte.

Der Film von De Palma bringt die historische Konstellation des Hollywoodki-nos präzise auf den Punkt, wenn er den Soldaten Max Eriksson (Michael J. Fox) Jahre nach dem Krieg daheim in einem Bus aufwachen lässt, das Gesicht einer jungen Frau vor sich, die wie Millionen anderer Amerikanerinnen asiatische Vor-fahren hat. Für einen Moment – den der Film als die unendliche Dauer eines Alb-traums inszeniert – werden die Gräuel des Krieges im Anblick der Frau lebendig, die Schlächtereien, die Folterungen, die Vergewaltigungen.¹³⁸ An die Stelle des heroischen Opfer s ist die melodramatische Ausformung eines passiven, wortlo-sen Leidens getreten, das seine korrespondierenden Narrative in den Pathologien der individuellen Psyche findet.

Geht man von der Schlusssequenz von casualties of war aus, kann man sich eigentlich keinen Hollywood-Kriegsfilm mehr vorstellen. Die Figur des ame-rikanischen Soldaten scheint buchstäblich erschöpft zu sein. Tatsächlich kehrt der Kriegsfilm erst zur Jahrtausendwende wieder, mit jenen Filmen, die der Gegenstand des Eröffnungskapitels dieses Buches sind und die in der Rückwen-dung auf den Zweiten Weltkrieg für einen kurzen Moment eine andere historische Fluchtlinie möglich, greifbar werden ließen als die Fortsetzung des alten Genres im Set des Irakkriegs .

jarhead: Die Feier des Krieges

In den Vietnamfilmen wird die kriegerische Vergemeinschaftung selbst als eine archaische Gewalt thematisiert, die das zivile Gemeinwesen, seine Kultur, seine Formen des Zusammenlebens zerstört. Wie ein Emblem dieser Zerstörung aus den inneren Kräften der Kultur heraus erscheint die Inszenierung von Wagners Walkürenritt als Hubschrauberangriff auf ein vietnamesisches Dorf. Die Szene aus apocalypse now hat es zu solcher Berühmtheit gebracht, dass man heute

138 Vgl. Grotkopp: In der Anklage der Sinne, S. 267 ff.

die Musik Wagners durchaus als metonymischen Verweis auf den Film einsetzen kann. Sam Mendes etwa verwendet jene Szene, wenn er in jarhead die Rekru-ten zeigt, die gerade von ihrem bevorstehenden Einsatz in der Wüste des Irak erfahren haben, wie sie johlend einen Kinosaal bevölkern, um die Hubschrauber im Hintergrund auf der Kinoleinwand anzufeuern: Man sieht die weiß gekleide-ten Schulkinder und ihre Lehrerin, man sieht den Mann im Jeep schutzlos auf der Brücke, man sieht die monumentale Pracht der durch den lichtüberfluteten Himmel heranrasenden Hubschrauber, getragen von der dröhnenden Musik;

man sieht die staunenden Gesichter mitfliegender US-Soldaten, die nicht so recht wissen, wie ihnen geschieht  – und wieder die Kinder, Frauen, Männer, die vor dem heranbrausenden Getöse des musikalisch arrangierten Maschinengewehr-feuers zu fliehen suchen. Die Rekruten im Vordergrund quittieren jeden Treffer, jede Frau, jedes Kind, jeden Mann, der niederstürzt, mit wüsten

Anfeuerungsru-Abb. 43: jarhead: Die Feier der Kampfeslust und das Vergnügen des Filme-Sehens (Farbabb.:

s. Anhang).

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fen. Sie feiern den Angriff der Hubschrauber, als wären sie das ekstatisch begeis-terte Publikum eines Rockkonzerts. Tatsächlich hat Musik in allen Formen und medialen Formaten von Wagner bis zum Rap im Vietnamfilm und dann im film die Stelle eingenommen, die in den Mobilisierungsfilmen des Zweiten Welt-kriegs der sportive Drill innehatte.

jarhead hat den ersten amerikanischen Krieg gegen den Irak, den Auf-marsch einer nach Hunderttausenden zählenden Armee zum Thema. Anthony Swoffords autobiografischer Bericht aus dem Jahr 2003, auf den der Film von Mendes zurückgeht, beschreibt denn auch mit der obigen Szene den Kriegsein-satz selbst als eine orgiastische Party:

Then we send a few guys downtown to rent all of the war movies they can get their hands on. They also buy a hell of a lot of beer. For three days we sit in our rec room and drink all of the beer and watch all of those damn movies, and we yell Semper fi and we head-butt and beat the crap out of each other and we get off on the various visions of carnage and violence and deceit, the raping and killing and pillaging. […] Yes, somehow the films convince us that these boys are sweet, even though we know we are much like these boys and that we are no longer sweet.¹³⁹

Die Videoparty, die hier beschrieben ist, markiert gleichsam den entgegenge-setzten Pol zum Zorn des Heimkehrers : eine orgiastische Feier der Kampfeslust, in der sich jugendliche Männer in Krieger verwandeln, die nicht länger gesell-schaftsfähige Wesen sind.

There is talk that many Vietnam films are anti-war, that the message is war is inhumane and look what happens when you train young American men to fight and kill, they turn their fighting and killing everywhere, they ignore their targets and desecrate the entire country, shooting fully automatic, forgetting they were trained to aim. But actually, Vietnam war films are all pro-war, no matter what the supposed message, what Kubrick or Coppola or Stone intended. […] [We were] excited by them, because the magic brutality of the films cele-brates the terrible and despicable beauty of [our] fighting skills. Fight, rape, war, pillage, burn. Filmic images of death and carnage are pornography for the military man; with film you are stroking his cock, tickling his balls with the pink feather of history, getting him ready for his real First Fuck.¹⁴⁰

Im Film sieht man die johlenden Soldaten, die in ihrer enthemmten Begeisterung den Walkürenritt aus apocalypse now als eine Lust zelebrieren, die letztlich das Genießen der Zuschauer von Kriegsfilmen selber meint. Mögen die Zuschauer

139 Anthony Swofford: Jarhead. A Marine’s Chronicle of the Gulf War and Other Battles, New York u. a. 2003, S. 5 f.

140 Ebd., S. 6–7.

auch eine kritische Position zum Krieg einnehmen, sie haben genau soweit Anteil an dem Genießen , das wir in jarhead als das Vergnügen des Filme-Sehens selbst gezeigt bekommen, wie sie den Filmen in ihrer Sinnlichkeit einen Körper, eine physische Realität geben.

Dass die Metaphern, die dieses Vergnügen beschreiben, sich auf den Geschlechtsverkehr beziehen, ist dabei so wenig beliebig wie der Umstand, dass der Taxi Driver als politischer Attentäter und Liebhaber versagt – um erst richtig zur Form aufzulaufen, als er sich in den Stand eines sentimentalen Helden ver-setzt, der die geschändete Tugend einer Kindfrau rettet. Beiden Beispielen gemein ist, dass die Gewalt kriegerischer Vergemeinschaftung mit der Funktionalisierung männlicher Sexualität verbunden wird. Die Sexualisierung der Kampfeslust und die Raserei des Berserker s bezeichnen zwei Seiten ein und desselben Phantasmas vom Krieg, das seit den 1970er Jahren die Kriegsfilme Hollywoods bestimmt.

Roger Caillois hat dieses Phantasma als das Fest militärischer Vergemein-schaftung ¹⁴¹ in der Feier des Krieges beschrieben: „Kein Zweifel, der Krieg ist ein einziges Grauen, eine einzige Katastrophe und Todesflut, während das Fest mit überbordender Freude und Lebensüberfluß verbunden ist. Sie widersprechen sich also Punkt für Punkt, alles weist sie als Gegensätze aus“; jedoch: „in ihrer Funktion im Kollektivleben“, im „Bild, das sie der Seele des Individuums aufprä-gen“, nehmen sie eine analoge Stellung ein.¹⁴² Wie das Fest bezeichnet der Krieg die Zeit der Exzesse und des Verstoßes gegen die Regeln des Zusammenlebens:

„Beide haben ihre eigene Disziplin, wirken aber trotzdem wie monströse, form-lose Explosionen angesichts des monotonen Ablaufs des regulären Lebens“¹⁴³;

und wie das Fest bezeichnet der Krieg „eine Periode starker Vergesellschaftung, völliger Zusammenlegung von Hilfsmitteln und Kräften“¹⁴⁴, eine Periode der Auf-lösung individueller Geschäftigkeit. Es herrscht das Gesetz der Verschwendung, hier „vergeudet [man] Vorräte, die manchmal über Jahre hinweg angehäuft“¹⁴⁵

141 Es ist als Fest der Vergemeinschaftung durchaus jenen Festen verwandt, die Jan Assmann als

141 Es ist als Fest der Vergemeinschaftung durchaus jenen Festen verwandt, die Jan Assmann als

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