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Der Umzug nach Erfurt – keine leichte Entscheidung

Die Ausbildung an der Evangelischen Predigerschule der Kirchenprovinz Sachsen in Wittenberg 1948–1960

11. Der Umzug nach Erfurt – keine leichte Entscheidung

In Wittenberg wird es für die Predigerschule zu eng. Das Predigerseminar (das ja seit 1817 im Augusteum untergebracht war) breitete sich an seinem angestammten Ort wieder aus.

Seit 1957 mussten einige Kurse wegen Platzmangel in Wittenberg in dem im Wiederaufbau befindlichen Augustinerkloster in Erfurt durchgeführt werden. So war der Gedanke nicht fern, die Predigerausbildung in Wittenberg zu beenden und sie nach Erfurt zu verlegen, in Wittenberg aber das Predigerseminar zu konzentrieren und auszubauen.

Aus dem historischen Abstand betrachtet war es wahrscheinlich auch gut, eine nach zwölfjähriger Geschichte der Predigerausbildung fällige Umstrukturierung der gesamten Konzeption an einem anderen Ort und mit anderen Leuten zu beginnen. Für die erforderli-che Kontinuität war dadurch gesorgt, dass Rektor Reuserforderli-che und Inspektor Michael den Neubeginn in Erfurt mitgestalten.

Die Vorüberlegungen und Vorbereitungen begannen schon längere Zeit vor dem tat-sächlichen Umzug. Allmählich stellten sich alle auf die Beendigung der Arbeit in Witten-berg ein. Ein Besuch in Erfurt hat einen Brief zur Folge, in dem es heißt: „Wir wissen nun, dass die Predigerschule im Augustinerkloster besser untergebracht sein wird als hier im Klosterhof, dass es weit und still ist, und dass wir mit offenen Armen empfangen wer-den“.27

Trotzdem war der Umzug für die Betroffenen ein schwerer Entschluss, und die Erinne-rung an die Wittenberger Jahre blieb lange wach.28

Literatur:

Kittel, Hans-Joachim: Die Evangelische Predigerschule der Kirchenprovinz Sachsen. Wittenberg 1948 – 1960. Erfurt 1960 – 1993. Eine Dokumentation, erstellt im Auftrag der Kirchenleitung, o.O. [Magde-burg], o.J. [1995].

26 Akte Erfurt

27 Rektor Reusche an Propst Dr. Verwiebe am 30.1.1959 – Akte Propstei Erfurt

28 1992 traf die KPS die Entscheidung, die Predigerschule in Erfurt 1993 zu schließen und den Nach-wuchs für das Pfarramt künftig vornehmlich auf dem akademischen Wege heranzubilden. Der seminaristi-sche Weg sollte gleichwohl auch erhalten bleiben, indem die KPS anstrebte, die Predigerausbildung an der Predigerschule Paulinum in Berlin (später Theologisches Seminar Paulinum) zusammenzufassen.

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Das Wittenberger Stadtkirchenarchiv

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Jens Hüttmann

Wittenberg bietet eine Vielfalt reformationsbezogener Forschungsmöglichkeiten für Histo-riker und Kirchengeschichtler: „Der größte Teil der hiesigen Quellenbestände ist bis jetzt unerforscht geblieben und bildet daher eine äußerst interessante und überraschungsreiche Fundgrube für Wissenschaftler.“2 Vier Institutionen bieten sich hierfür mit ihren Bibliothe-ken, Archiven und Sammlungen an: das Evangelische Predigerseminar, das Lutherhaus, das Stadtarchiv und das Stadtkirchenarchiv.

Eine von der Forschung oft übersehene Quelle der Kirchengeschichte ist das Archiv der Wittenberger Stadtkirche.3 Dieses enthält neben dem Stadtkirchenarchiv selbst die Ar-chive der Generalsuperintendentur und der Superintendentur des Kirchenkreises Witten-berg bzw. der Ephorie Zahna, der Ephorie Seyda und des WittenWitten-berger Friedhofes. Das Ar-chiv beherbergt damit auch Unterlagen von bereits nicht mehr existierenden Körperschaf-ten.

Es existiert vermutlich seit dem 17. Jahrhundert. Ob es sich schon immer in den jetzi-gen Räumlichkeiten befunden hat, ist fraglich. Quellen schreiben von einem Musikalienar-chiv in der Sakristei. Wo dieses Schriftgut abgeblieben ist, ist nicht bekannt. Dies gilt auch für die Frage, von wem es gegründet worden war.

Was lässt sich über den Bestand sagen? Den größten Teil der Sammlung bildet das Stadtkirchenarchiv selber – mit immerhin ca. 2800 Aktentiteln. Nimmt man diejenigen der anderen Archive hinzu ergibt sich sogar ein Bestand von 4500 Titeln. Das Archiv insge-samt umfasst den Aktenbestand der Zeit von 1245 bis 1980. So kommt das

Stadtkirchenar-hiv auf ca. 200 laufende Meter. Dort enthalten sind:

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– Urkunden, die bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen,

– die Ordinandenbücher, die mit dem Jahr 1537 beginnen und handschriftliche Vitae der Ordinanden, unter ihnen einige bedeutende Theologen, enthalten,

Darauf macht ein Faltblatt „Wittenberg: Kirchengeschichtliche Forschung in der Lutherstadt“ aufmerk-sam, dass vom „Zentrum für Reformationsgeschichte und Lutherische Orthodoxie“ herausgegeben wurde (o.J.). Es kann in der Stadtkirchengemeinde und in der Bibliothek des Predigerseminars eingesehen wer-den.

1 Zu danken ist für seine wichtigen Hinweise zur Erstellung des Textes dem Ansprechpartner des Archivs, Herrn Jörg Mayer. Die Kontaktadresse ist: Stadtkirchengemeinde Wittenberg, Archiv, Jüdenstr. 36/37 (ab Juni 2004), 06886 Lutherstadt Wittenberg, Telefon: 03491/404010, Telefax: 03491/402004. Die jeweili-gen Öffnungszeiten richten sich nach Terminabsprache mit Herrn Mayer.

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3 Vgl. den historischen Überblick zur Stadtkirche mit vielen Abbildungen von Albrecht Steinwachs/Jürgen M. Pietsch: Die Stadtkirche der Lutherstadt Wittenberg: die evangelische Stadt- und Pfarrkirche St. Ma-rien der Lutherstadt Wittenberg. Mit einem Vorwort von Stefan Rhein, Spröda 2000.

– ebenso die Ordiniertenbücher, die in reformationsgeschichtlicher Hinsicht ein wichtiger Bestandteil des Archivs sind, denn sie enthalten wichtige Hinweise zu Wittenberger Theologiestudenten, die die Bücher mit eigenhändigen Einträgen in-klusive Vita versehen haben; an ihnen kann man die europaweite Ausstrahlung der Reformation seit 1537 nachvollziehen,

– die Tauf- und Traubücher bzw. die Sterbebücher der Stadtkirchengemeinde Wit-tenberg, die 1560 bzw. 1563 beginnen,

– die Kirchenbücher, die ebenfalls bis zur Reformationszeit zurückgehen und das wichtigste Personenstandsregister der damaligen Zeit waren; deshalb sind sie be-sonders für Ahnenforscher interessant.

Schließlich ist auf einige besonders herausragende (Schrift-)Stücke hinzuweisen: So besitzt das Archiv ca. 120 sehr alte Urkunden, die sich z.B. mit dem Bau der Kirche (Ablassur-kunde, 1281) befassen. Die älteste Urkunde stammt aus dem Jahre 1245 von Papst Inno-cenz IV.

Eine besondere Attraktion befindet sich zudem im Vorzimmer des Archivraums: ein Tisch aus dem 15./16. Jahrhundert, der damals als Rechentisch genutzt wurde und einzigar-tig in Europa ist, da an ihm der „Gemeine Kasten“ verwaltet wurde:

„Die Stadtkirche erfüllte auch eine sozial-diakonische Aufgabe. Seit 1522 gibt es die Ein-richtung des ‚Gemeinen Kasten’. Von Luther angeregt, wurden zum ersten Mal Aktivitä-ten, die es auf dem Gebiet der Fürsorge, Armenpflege und Medizin in der Stadt gab, zu ei-ner Gemeinschaftskasse, dem ‚Gemeinen Kasten’ zusammengeführt.“4

Der „Gemeine Kasten“ begründete die erste Sozialfürsorge auf kommunaler Basis. Soge-nannte Rechnungsbücher des Gemeinen Kastens sind ab 1526 vorhanden und enden 1806.

Über den „Gemeinen Kasten“ sind an Hand der Archivunterlagen mehrere Doktorarbeiten geschrieben worden.5

Schließlich befinden sich im Archiv der Stadtkirche „eine Reihe von Bildern der Pfar-rer, die zugleich das Amt des Generalsuperintendenten inne hatten und Professoren an der Wittenberger Universität waren“ – und dies in Lebensgröße.6 Die Porträts sind zum Teil bereits restauriert.

Das Archiv will vor allem Historiker, Theologen und andere Wissenschaftler anspre-chen, die sich mit der Reformationsgeschichte befassen. Es richtet sich aber auch an Pri-vatpersonen, die Interesse an Martin Luther und der Reformationsgeschichte haben. Für diese werden regelmäßig Begleitungen durch das Archiv durchgeführt, z.B. am Tag des offenen Denkmals. Ebenso beteiligt sich die Stadtkirchengemeinde selbst an Forschungsak-tivitäten, so geschehen zur 700 Jahrfeier der Stadt.7

4 Ebenda, S. 70.

5 Eine guten Überblick vermitteln Wolfgang Böhmer/Friedrich Kirsten: Der Gemeine Kasten – der Sozial-gedanke der Reformation, in: Kulturbund der DDR des Kreises Wittenberg/Gesellschaft für Heimatge-schichte (Hg.), Aus Fläming, Aue und Heide erschienen in Heimatblätter, Wittenberg 1989, S. 37-52.

6 Ebenda, S. 107. Eine Auswahl der Portraits ist ebenso abgebildet: S. 108f.

7 Vgl. den Katalog: „Cranach-Altäre der Reformation. Ausstellung von Reproduktionen in der Sakristei und des Flügelaltars im Chorraum der Stadtkirche“, Ausstellung der Evangelisch Lutherischen

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Zusammenfassend lässt sich sagen: Im Stadtkirchenarchiv befindet sich unterschied-lichstes Schriftgut, das sich mit der Stadtkirche und ihren Verbindungen zu anderen Institu-tionen, zur Stadtverwaltung wie auch zum Staat insgesamt befasst. An Hand der Akten, Briefe, Rechnungsbücher, Zeichnungen, Pläne, Kirchenbücher, Bücher, Bilder und Fotos kann ebenso das kirchliche Leben der Gemeinde und einzelner Personen nachgezeichnet werden.

Recherchen im Stadtkirchenarchiv werden durch ausgezeichnete Findbücher unter-stützt.8 Das Schriftgut des Stadtkirchenarchivs ist in den Jahren 1997 bis 2000 neu geord-net, teilweise neu katalogisiert und vor allem computertechnisch erfasst worden. Dazu gehörte auch die fachgerechte Einlagerung des Archivgutes:

„Nach und nach können wir als Gemeinde die wichtigen alten Kirchenbücher dem Restau-rator zuführen. Dies ist besonders wichtig, da einige Bücher in den Jahrhunderten Schaden genommen haben. Vor allem hat der ‚Tintenfraß’ und der Schimmel den Büchern zu schaffen gemacht.“9

Anfragen an das Archiv können ohne längere Suche mit Hilfe der Findbücher beantwortet werden. Das Stadtkirchenarchiv arbeitet im Arbeitskreis Bibliothekskooperation mit. Zu diesem gehören die Stiftung Luthergedenkstätten, das Predigerseminar, das Stadtarchiv, das Luther-Zentrum und das Stadtkirchenarchiv. Unterhalten wird das Archiv von der Stadtkirchengemeinde Wittenberg. Die Einzelheiten der Benutzung werden durch die Ar-chivbenutzerordnung der Kirchenprovinz Sachsen geregelt.

chengemeinde Wittenberg in Zusammenarbeit mit der Luther-Gesellschaft in der Stadtkirche St. Marien anlässlich der 700 Jahrfeier der Lutherstadt Wittenberg (o.J., 12 S.).

8 Um sich einen ersten Blick über den näheren Bestand zu verschaffen, ist folgender Band hilfreich: Fritz Bellmann/Marie-Luise Harksen/Roland Werner: Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg, Weimar 1979, S. 152 ff und S. 271ff. [Materialien zur Kenntnis bzw. Findbuch mit weiterer Literatur].

9 Schriftliche Auskunft von Jörg Mayer vom 17. März 2004.

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