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B. Überblick über die Erscheinungsformen des Rechtsschutzes

I. Rechtsschutz im formellen Sinn

1. Der präventive Rechtsschutz durch Richtervorbehalte

Beim präventiven Rechtsschutz geht es um die Abschreckung vor Rechtsverletzungen bzw. die Bereitstellung einer richterlichen Mitwirkung gegen die noch nicht eingetretenen,

42 Vgl. dazu infra § 3. A. I. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Ermittlungsverfahrens.

43 Vgl. dazu Hebrok, 2007, S. 124; Bachmann, 1994, S. 56.

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aber bereits drohenden Rechtsverletzungen.44 Der im Strafprozessrecht gewährte präventi-ve Rechtsschutz unterscheidet sich von dem im Verwaltungsrecht angebotenen vorbeugen-den Rechtsschutz.45 Es handelt sich nicht um eine einstweilige Rechtsgwährung, falls ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nach vorbeugendem Rechtsschutz besteht.46 In einer sich davon unterscheidenden Weise wird im Strafprozessrecht eine antizipierte Mitwirkung des Richters angeboten, von dem die Durchführung einer Ermittlungsmaß-nahme angeordnet werden muss. Die richterlichen Anordnungen von bestimmten Ermitt-lungsmaßnahmen entsprechen den sog. „Richtervorbehalten“, die zum Teil durch das Grundgesetz zwingend vorgeschrieben werden.47

Im deutschen Rechtssystem finden sich verfassungsrechtliche Richtervorbehalte, die zum einen gem. Art. 92 GG nur von Richtern wahrgenommen werden dürfen48, und zum ande-ren bzgl. der Anordnungen von Wohnungsdurchsuchungen49 und Freiheitsentziehungen50, die ebenfalls (grundsätzlich) dem Richter vorbehalten sind51 und sich nach ihrer Umset-zung in der StPO wiederfinden lassen (§§ 105 Abs. 1 bzw. 114, 125 StPO). Daneben sieht die StPO auch andere Richtervorbehalte für den Erlass bestimmter Maßnahmen vor.52 Das Anordnungsrecht steht zunächst dem Organ zu, das die Befugnis bzw. Erlaubnis hat, die Ermittlungsmaßnahme durchzusetzen. Die Anordnung ist damit die Rechtsgrundlage der Rechtseingriffe. Wenn es eine solche Anordnung nicht gäbe, wäre die Maßnahme rechts-widrig und die Beweise unverwertbar.53

44 Hölscher, 2001, S. 12; Bachmann, 1994, S. 51; Welp, 1976, S. 10 f.; Bettermann/Grundrechte III/2, S. 781.

45 Vgl. Bachmann, 1994, S. 52., nach dem im Verwaltungsrecht grundsätzlich dem repressiven Rechts-schutzmodell gefolgt wird.

46 Bachmann, 1994, S. 52 und Fn. 133 m.w.N.

47 Vgl. dazu Wildhagen, 2011, S. 42 ff.; Müller, 2009, S. 20 f.; Talaska, 2007, S. 54 ff.; Brüning, 2005, S.

123 ff.; Rabe von Kühlewein, 2001, S. 79 ff.; Bachmann, 1994, S. 52 ff.; bzgl. des Richtervorbehalts s. supra Fn. 29 m.w.N.

48 Bachmann, 1994, S. 64; zur gesetzlichen Grundlage vgl. Müller, 2009, S. 113-168; Gusy, JZ 1998, S. 167 ff.

49 Bzgl. der Regeln für Wohnungsdurchsuchungen und ihrer Änderung durch die Rechtsprechung des BVerfG siehe Rabe von Kühlewein, NStZ 2015, S. 618 ff.; die Ausdehnung des Eingriffs in das Wohnungs-grundrecht wurde schon als Tendenz in der Rechtsprechung dargestellt, siehe Amelung, StV 2001, S. 132.

50 Für die allgemeinen Anforderungen des GG und bzgl. des Art. 104 GG vgl. Heidebach, 2014, 124 ff., 197 ff.

51 Art. 13 Abs. 2 GG bzw. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG sehen die Einschaltung des Richters vor dem tatsächli-chen Eingriff vor. Zum Eingriff unter Richtervorbehalt s. Maunz/Dürig/Papier, 2016, Art. 13 GG Rn. 21 ff.;

Sachs/Kühne, 2014, Art. 13 GG Rn. 27 ff., jeweils m.w.N.

52 Müller, 2009, S. 23 ff.; Bachmann, 1994, S. 64; Lin, 1998, S. 250 f.

53 Benfer/Bialon, 2010, S. 416 ff.; Hölscher, 2001, S. 22; Prechtel, 1995, S. 66; Bachmann, 1994, S. 56 f.

§1. Einleitung: Der richterliche Rechtsschutzim Ermittlungsverfahren

29 Ebenso entwickelt das kolumbianische Rechtssystem zwei Ebenen der Verankerung des Grundsatzes des Richtervorbehalts. Einerseits werden die Richtervorbehalte auf der Ver-fassungsebene in den Art. 28, 30 und 32 CN eingeführt, welche die Beschränkungen der persönlichen Freiheit beinhalten. Neben diesen Artikeln enthält die Verfassung in Art. 250 die bedeutendste Regelung des Grundsatzes der Richtervorbehalte und führt die Figur des Richters zur Kontrolle der Garantien (Juez de Control de Garantías) ein.54 Aufgrund dieser Norm ist der JCG für die Rechtmäßigkeitskontrolle von Hausdurchsuchungen, Beschlag-nahmen und AbhörmaßBeschlag-nahmen von der Staatsanwaltschaft (Art. 250 Nr. 2 CN) und für die Maßnahmen zur Beschränkung der Freiheit verantwortlich (Art. 250 Nr. 1 CN). Anderer-seits empfängt und entwickelt der CPP jeden dieser Grundrechtseingriffe.55

Der Richter kann auf unterschiedliche Weise in das Anordnungsverfahren eingeschaltet werden.56 Es ist zu unterscheiden, wann im Laufe des Anordnungsverfahrens eine richter-liche Tätigkeit ausgeübt wird. Die Mitwirkungshandlung des Richters im Anordnungsver-fahren einer Zwangsmaßnahme lässt sich nach Art, Inhalt, Zweck, Wirkung und Kreis der handlungsbefugten Personen differenzieren und untergliedern.57 Grundsätzlich werden in der Strafverfahrenslehre zwei Einschaltungsmöglichkeiten unterschieden: die Fälle des Richtervorbehalts und das richterliche Bestätigungsverfahren.58 Die präventiven richterli-chen Mitwirkungshandlungen bestehen einerseits aus Anordnungen und andererseits aus nachträglichen Bestätigungen. Zu den vorherigen Mitwirkungshandlungen sind diejenigen Fälle zu zählen, in denen der Richter im Rahmen der Anordnung von Grundrechtseingrif-fen zu einer Entscheidung aufgefordert wird. Handelt es sich hingegen um nachträgliche Mitwirkungshandlungen, entscheidet der Richter erst nach der Anordnung einer Zwangs-maßnahme durch einen staatsanwaltschaftlichen bzw. polizeilichen Antrag.59 Die richterli-che Bestätigung kommt dann einer ex nunc Entsrichterli-cheidung der noch nicht beendeten

54 Vgl. infra § 4. Richter zur Kontrolle der Garantien (Juez de control de Garantías).

55 Dies soll an anderer Stelle thematisiert werden. Vgl. infra § 5. Nachträglicher Rechtsschutz gegen Maß-nahmen zur Beschränkung der Intimität und § 6. Nachträglicher Rechtsschutz gegen MaßMaß-nahmen zur Be-schränkung der Unverletzlichkeit der Kommunikation und der Freiheit.

56 Glaser, 2008, S. 17 ff.; Talaska, 2007, S. 54 f.; Rabe von Kühlewein, 2001, S. 410.

57 Vgl. Prechtel, 1995, S. 65; Brüning, 2005, S. 150 f; Hellamnn, 2006, § 5.

58 Vgl. u.a. Brüning, 2005, S. 150 f., 166 f., 184 f.; Hölscher, 2001, S. 22 ff.; Prechtel, 1995, S. 128 f., 157 f.

59 Brüning, 2005, S. 73-75; Hölscher, 2001, S. 13; Lin, 1998, S. 43; Prechtel, 1995, S. 65.

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lungshandlung gleich.60 Sowohl auf die Anordnungskompetenz als auch auf den nachträg-lichen richternachträg-lichen Rechtsschutz wird nachher ausführlich eingegangen.61

2. Der repressive Rechtsschutz durch Rechtsbehelfe a. Rechtsmittel

Gegen bereits eingetretene Rechtsverletzungen kommen zahlreiche Rechtsbehelfsmöglich-keiten in Betracht.62 Dieser Weg ist schon wegen Artikel 8 AEMR anerkannt. Gemeint ist also der „Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden“.63 Dieses Recht räumt die Möglichkeit ein, bei Rechtsverletzungen vor dem Gericht zu klagen, und spiegelt die Notwendigkeit wider, die Justizverwaltung umfassend zu kontrollieren. Die Rechtsmittel sind im straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren vor allem ein Überprüfungsmittel, mit dem die Überein-stimmung einer Ermittlungstätigkeit mit dem Gesetz oder mit der Verfassung von einem hierarchisch höheren Gericht bestimmt wird.64 Ziel dieser Bestimmung ist es, die Rechts-kraft bzw. die Rechtmäßigkeit eines Grundrechtseingriffs, der entweder von dem Richter, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei angeordnet wurde,65 festzulegen. Die Bestimmung der Entscheidungsbehörde gibt vor, welche Rechtsbehelfe in Betracht kommen.

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass der richterliche Rechtsschutz gewährt wird, wenn es Verfahrensfehler im Vorverfahren gibt, die zur Revision durch retrospektive Feh-lerkompensation führen.66 Ein solcher Rechtsschutz liegt nicht hauptsächlich in der Revi-sion selbst, sondern in der Anerkennung des Beweisverwertungsverbotes.67 Obwohl die Revision und auch die Berufung im Strafprozessrecht als Rechtsbehelfe gegen richterliche Entscheidungen vorgesehen sind, stellen diese beiden hinsichtlich der Rechtsschutzmög-lichkeiten im Ermittlungsverfahren die weniger verwendeten Rechtmittel dar. Die

60 Vgl. Glaser, 2008, S. 228 ff.; Brüning, 2005, S. 184 f; Prechtel, 1995, S. 157 f.

61 Vgl. infra § 1 B. III. Der Richtervorbehalt als Rechtsschutzstandard und C. Der nachträgliche Rechts-schutz.

62 Vgl. dazu Hebrok, 2007, S. 113 ff.; Hölscher, 2001, S. 13 f.; Köster, 1992, S. 85.

63 Art. 8 AEMR verfügbar auf Deutsch unter http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html (zu-letzt geprüft am 30.05.2016).

64 Hebrok, 2007, S. 113; Hölscher, 2001, S. 24; zu den Rechtsbehelfen im Strafverfahren Pickenpack, 2012, S. 5 ff.; Engländer, Jura 2010, S. 414 ff.;

65 Hölscher, 2001, S. 24 ff.; Lin, 1998, S. 46, jeweils m.w.N.

66 Hölscher, 2001, S. 25; Jäger, 2003, S. 93; Bachmann, 1994, S. 53.

67 Hölscher, 2001, S. 24; i.d.S. Bachmann, 1994, S. 53.

§1. Einleitung: Der richterliche Rechtsschutzim Ermittlungsverfahren

31 schwerde wird als das relevanteste repressive Rechtsmittel im Ermittlungsverfahren ange-sehen.68 Mithilfe der Beschwerde können alle Entscheidungen des Ermittlungsrichters be-anstandet werden.69 Im Strafprozessrecht besteht eine gemeinsame Ausgestaltung, nach der die Beschwerde unter zwei Prämissen eingelegt werden kann. Zunächst ist es notwendig, dass die Zwangsmaßnahme gerichtlich, d.h. vom Ermittlungsrichter, angeordnet wird.

Zweitens soll die Beanstandung nicht nur die Art und Weise der Durchführung der Maß-nahme, sondern auch die gerichtliche Anordnung als solche umfassen.70

68 Bachmann, 1994, S. 53; Köster, 1992, S. 24; Ellersiek, 1981, S. 42.

69 Burghardt, JuS 2010, S. 606; Hölscher, 2001, S. 24; Lin, 1998, S. 46 ff.; Bachmann, 1994, S. 53; Amelung, 1976, S. 19 ff.

70 Vgl. Heimgartner, 2011, S. 365; Engländer, Jura 2010, S. 415; Kühne, 2015, Rn. 558 ff.; Bornmann, 2008, S. 46 ff., die beschreibt, wie die Beschwerde sich vom Rechtsmittel mit Wiederholungscharakter zum Rechtsmittel mit Überprüfungscharakter entwickeln könnte.

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b. Sonstige Rechtsbehelfe

Bzgl. einzelner staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsmaßnahmen kommt in den Strafpro-zessordnungen ein besonderer Rechtsbehelf, d.h. der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, in Betracht. Die richterliche Entscheidung darf beantragt werden, wenn der Grundrechts-eingriff von der Staatsanwaltschaft oder den Ermittlungsbehörden angeordnet worden ist und die Art und Weise der Durchführung als Beanstandungsgegenstand tauglich ist.71 In der deutschen StPO sind Rechtsbehelfe beispielsweise in zweifacher Ausgestaltung vorge-sehen. Einerseits gibt es diejenigen Rechtsbehelfe, die auf richterliche Entscheidung beim zuständigen Amtsgericht (Ermittlungsrichter) erhoben werden.72 Davon zu unterscheiden sind diejenigen Maßnahmen, für die die Landgerichte bzw. – in besonderen Ausnahmefäl-len – die Oberlandesgerichte oder gar der Bundesgerichtshof zuständig sind.73 Eine beson-dere Bedeutung für das Verständnis des Rechtsschutzes im Ermittlungsverfahren haben die rechtlich anerkannten Möglichkeiten, gegen eine staatsanwaltschaftliche Entscheidung im Rahmen der Ausnahmekompetenzen vorzugehen, da die Staatsanwaltschaft oder Ermitt-lungsbehörden aufgrund dieser Eingriffsbefugnisse den intensivsten Grundrechtseingriff ausführen dürfen. In diesem Zusammenhang stellt dieses repressive Rechtsschutzmittel die einzige Möglichkeit dar, eine Ermittlungsmaßnahme anzufechten.

Es ist festzustellen, dass der Rechtsschutz gegen Grundrechtseingriffe zusätzliche Erschei-nungsmöglichkeiten aufweist. Einerseits ist besonders auf die Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit Grundrechtsverletzungen im Vorverfahren hinzuweisen, im Rahmen derer es auch zugelassen ist,sichmithilfe eines Verfassungsgerichts gegen eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch Akte der Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsbehörden zu wehren. Die Gründe einer solchen Gestaltung der Verfas-sungsbeschwerde liegen erstens bei der Sicherung und Durchsetzung subjektiver Rechte und zweitens bei dem generalpräventiven Grundrechtsschutz und somit bei der Einhaltung

71 Burghardt, JuS 2010, S. 607; Engländer, Jura 2010 S. 415; Kühne, 2015, Rn. 567; Kramer, 2009, S. 325 ff.; Hebrok, 2007, S. 120 f.; Hölscher, 2001, S. 25; Bachmann, 1994, S. 54;

72 Hellmann, 2006, § 5 Rn. 177; Hölcher, 2001, S. 25; Nach Bachmann, 1994, S. 54 haben diese Fälle ge-meinsam, dass es insbesondere um den Antrag gegen Maßnahmen mit Dauerwirkung geht.

73Hölscher, 2001, S. 26; Bachmann, 1994, S. 54; Hellmann, 2006, § 177 Rn. 5; Vgl. ausführlich Gläser, 2008, S. 43 ff., 121 ff. bzgl. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO. In Deutschland gibt es daneben einen generalklauselar-tigen § 23 EGGVG, der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Justizbehörden auf dem Gebiet der Strafrechts-pflege gewährt und für den das Oberlandesgericht zuständig ist. Diese Rechtsschutzmöglichkeit tritt subsidiär zurück, sodass die Gerichte, die ordentlich entscheiden sollen, wegen anderer Verordnungen angerufen wer-den können.

§1. Einleitung: Der richterliche Rechtsschutzim Ermittlungsverfahren

33 des objektiven Verfassungsrechts.74 Alle Grundrechtsträger dürfen die Verfassungsbe-schwerde aufgrund der Verletzung eines Grundrechts erheben. Der Schutz der Grundrechte wird durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Aktes der Ermittlungsgewalt oder durch die Aufhebung einer verfassungswidrigen Ermittlungsanordnung erreicht.75 Es geht dabei nicht um eine umfangreiche Überprüfung, sondern lediglich um eine Nachprü-fung auf verfassungswidriges Handeln, die wegen der Subsidiarität des Verfassungsbe-schwerdeverfahrens eingeschränkt ist.76 Andererseits kommen die sog. formlosen Rechts-behelfe in Betracht, die eine innerdienstliche Selbstüberprüfung der Ermittlungsbehörden zur Folge haben. Im Ermittlungsverfahren werden die Gegenvorstellung und die Auf-sichtsbeschwerde als formlose Rechtsbehelfe betrachtet, die durch ihre Formlosigkeit, Unmittelbarkeit und Unentgeltlichkeit gekennzeichnet sind.77