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Erster Teil: Das Rechtsschutzsystem im kolumbianischen, strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

B. Funktion und Aufgaben des Richters zur Kontrolle der Garantien

I. Annahme von Maßnahmen

Der JCG muss zu verschiedenen Zeitpunkten während der Ermittlungsphase handeln, um Amtshandlungen der Staatsanwaltschaft, die ein Grundrecht zu beschränken beabsichtigt, vorher zu erlauben. So überprüft er die formale und materielle Rechtmäßigkeit der Ermitt-lungshandlungen der Staatsanwaltschaft bei der Ausübung ihrer Befugnisse während des Ermittlungsverfahrens und entscheidet über die Anträge der Parteien zu Verfahrensfragen in Bezug auf die Erfüllung bestimmter Bedingungen von Prozesshandlungen. Die Amts-handlungen des JCG werden in folgenden Anhörungen durchgeführt:

(i) Erhebung der Beschuldigung (Art. 154 Nr. 6, 286 und 294 CPP);

(ii) Antrag und Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (Art. 154 Nr. 4, 306 und 320 CPP);

(iii) Antrag und Anordnung von Sicherungsmaßnahmen über Sachen (Art. 92 und 154 Nr. 5 CPP);

(iv) Antrag auf Aufhebung oder Ersatz der Sicherungsmaßnahme (Art. 314 und 318 CPP);

(v) Anwendung des Opportunitätsprinzips (Art. 154 Nr. 7 und 327 CPP);

(vi) Vorzeitige Beweisaufnahme (Art. 154 Nr. 2, 284 und 285 CPP) und (vii) Antrag und Annahme der notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Opfer

und Zeugen (Art. 154 Nr. 3 und 342 CPP).

Entsprechend Art. 250 Nr. 1 CN ist der JCG dafür zuständig, die Sicherungs- und Schutz-maßnahmen für die Gemeinschaft und Opfer zu treffen. Zu diesem Punkt ist anzumerken, dass die Sicherungsmaßnahmen, die das Erscheinen des Beschuldigten vor Gericht sicher-stellen sollen, zu den ordentlichen Aufgaben des JCG gehören, da die Verfassung den Son-dercharakter der gesetzlich geregelten Befugnis der Staatsanwaltschaft festlegt, Festnah-men anzuordnen und durchzuführen.390 Andererseits steht fest, dass, sobald die betreffen-den Befugnisse ausgeübt werbetreffen-den und diese eine Einschränkung der Grundrechte zur Folge haben, der JCG in Bezug auf die Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft einen grund-rechtsrelevanten Eingriff durchführt, der Abwägung der Verhältnismäßigkeit unterliegt, d. h., dass sich die Maßnahmen auf die Erreichung der Ziele, die diese Verordnung enthält, richten und immer auch erforderlich sein müssen.

390 Vgl. Bernal Cuellar/Montealegre Lynett, 2013 T. II, S. 464; dazu ausführlich infra § 6. C. I. Festnahme mit Ausnahmekompetenzen.

§ 4. Der Richter zur Kontrolle der Garantien

125 II. Anordnungen und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

An zweiter Stelle steht die Aufgabe, Maßnahmen zu genehmigen. Es handelt sich um den Fall, der in Art. 250 Nr. 3 CN behandelt wird: Die Staatsanwaltschaft benötigt eine Ge-nehmigung für Anordnungen, die materielle Beweismittel sichern sollen und eine Beein-trächtigung oder Einschränkung der Grundrechte zur Folge haben. Die vorausgehende Überprüfung der Garantien erfolgt in vorbereitenden Anhörungen, in denen über Folgendes entschieden wird:

(i) Haftbefehl gegen den Beschuldigten (Art. 297 CPP);

(ii) Probenahmen, die den Beschuldigten mit einschließen, wenn dieser sich weigert, sie zur Verfügung zu stellen (Art. 249 CPP) und

(iii) Vorgehen im Falle von Verletzten oder Opfern sexueller Gewalt (Inaugenscheinnahme und ärztliche Untersuchung391, (Art. 250 CPP);

körperliche Untersuchung (Art. 247 CPP) und Durchsuchung von Personen (Art. 248 CPP)).

In Bezug auf die Handlungen, die einer vorherigen richterlichen Genehmigung bedürfen, führt der CPP durch den Art. 246 eine Generalklausel ein. Jede andere als die vorgesehene Maßnahme, die der Staatsanwalt eigenständig ergreifen möchte und die ein Grundrecht oder eine solche Garantie beeinträchtigt, muss vom JCG auf Antrag des betreffenden Staatsanwaltes genehmigt werden.392 In Übereinstimmung mit dem eben Erwähnten ist es die erste Aufgabe des Staatsanwalts, zu bestimmen oder festzulegen, ob mit der beabsich-tigten Handlung ein Grundrecht des Befragten oder Beschuldigten derart gefährdet wird, dass eine vorhergehende richterliche Zustimmung zum Handeln notwendig ist. Der zentra-le Aspekt für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zustimmung durch den JCG besteht in der Überprüfung der verfassungsmäßigen Begründung, die sich nach den Prinzi-pien Erforderlichkeit, Zweckmäßigkeit und Angemessenheit richtet. Der Richter muss also immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anwenden.393

391 Vgl. KVerfG, Entsch, C-822 v. 2005, Abschn. „Consideraciones de la Corte“.

392 Vgl. KVerfG, Entsch. C-336 v. 2007, Abschn. (i) Como regla general, las medidas que afectan derechos fundamentales requieren autorización previa del juez de control de garantías.

393 In Übereinstimmung mit dem letzten Satz in Art. 246 CPP kann die Ermittlungsbehörde unter außerge-wöhnlichen Umständen höchster Dringlichkeit die vorherige Zustimmung direkt vor dem Richter beantragen.

In diesem Fall muss der Staatsanwalt unverzüglich darüber informiert werden.

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Unbestritten ist die Einschränkung der Grundrechte, die nicht im engsten Sinne erforder-lich ist, um die Beweismittel zu sichern, verboten. Genauso wenig sind Maßnahmen zuläs-sig, die ausdrücklich in der Verfassung geregelte Verbote ignorieren, wie beispielsweise die Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder Meinungsäußerungsfreiheit, die zu einer Zen-sur führen würden. Grundsätzlich muss auch sichergestellt werden, dass das rechtmäßige Verfahren nicht eingeschränkt wird. Das rechtmäßige Verfahren muss bei allen Handlungen beachtet werden und muss gesetzeskonform durchgeführt werden. Das Legalitätsprinzip – Grundlage eines Rechtsstaates – ist demnach Teil des rechtmäßigen Verfahrens. Eine Ein-schränkung dieses Grundsatzes würde prima facie die EinEin-schränkung eines grundlegenden Bestandteils des Normengefüges bedeuten.

Anders als die Einschränkungen, die ausdrücklich in der Verfassung festgelegt sind – Fest-nahme, Hausdurchsuchung, Abhören bzw. Abfangen von Nachrichten und Beschlagnahme –, bei denen Zweck und Reichweite der betreffenden Anordnung bekannt sind (da sie in der Verfassung vorgesehen sind), handelt es sich hier um den Antrag auf Maßnahmen, die nicht verfassungsmäßig geregelt sind.394 Da es sich um die Einschränkung der Grundrechte handelt – die Bedingung für die Notwendigkeit einer Zustimmung –, müssen die Maßnah-men nicht nur ein legitimes Ziel verfolgen (z. B. das Sichern materieller Beweismittel), geeignet und erforderlich sein, es erscheint vielmehr unerlässlich, das Ausmaß der Beein-trächtigung des Grundrechtes ins Verhältnis mit dem erreichten Nutzen zu setzen, insbe-sondere muss der Schutz des Grundrechtskerns gewährleistet werden. Wenn die FGN di-rekt eine Maßnahme anordnet, muss sie auch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit handeln.

Mit dieser Überprüfung wird festgestellt, ob diese differenzierte Behandlung nicht wichti-gere verfassungsmäßige Werte verletzt als die, die durch die beeinträchtigende Maßnahme geschützt werden. Aus dieser Erwägung muss geschlussfolgert werden, dass die Zwecke überragend sein müssen, die Mittel nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich sein müs-sen, um den angestrebten Zweck zu erreichen, und dass die Maßnahmen nicht eine in Be-zug auf die gesuchten Zwecke unverhältnismäßige Einschränkung der Rechte des Beschul-digten zur Folge haben.395 Mit dem strengen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird mit

394 Es handelt sich nicht um Mittel, die ausdrücklich von der Verfassung gestattet werden. Solche Maßnah-men sind in Art. 213 ff. normiert. S. dazu Bernal Cuellar/Montealegre Lynett, 2013 T. II, S. 227 ff.

395 Vgl. KVerfG, Entsch. C-838 v. 2013; C-258 v. 2013; C-822 v. 2005, Abschn. „Consideraciones de la Corte“; Bernal Cuellar/Montealegre Lynett, 2013 T. I, S. 385 ff.

§ 4. Der Richter zur Kontrolle der Garantien

127 anderen Worten sichergestellt, dass die Einschränkungen durch den Nutzen, der aus der Geltung anderer Rechte hervorgeht, gerechtfertigt wird, wobei es unerlässlich erscheint, dass die Maßnahme als zielführend, berechtigt, angemessen und auch zwingend oder strikt unerlässlich bezeichnet werden kann, sodass der gesetzmäßige und wichtige Zweck be-rechtigterweise mit keinem weniger einschränkenden Mittel erreicht werden kann.