• Keine Ergebnisse gefunden

DER I- ALLUNIONS-SCHRIFTSTELLERKONGRESS4 3

З.Х. Organisation und Ablauf des Kongresses

Wenn nun zur eigentlichen Frage, nämlich zur Bewertung des I . S ch riftstellerko ngresses 1934 Ubergegangen wird, so so lle n zunächst einige Fakten zu Ablauf und Ergebnissen des Kongres- ses genannt werden-f ł Der Kongreß umfaßte 26 Sitzungen, S i t - zungstage Ceinschließlich der Eröffnungs- und Schlußsitzung) waren der 17. August, der 19, August b is e in s c h lie ß lic h der 31. August sowie der 01• September 1934. An den meisten Tagen fanden Je zwei Sitzungen s t a t t , eine Vormittagssitzung (utrenee zasedanie) und eine Nachmittags-/Abendsitzung (ve&ernee zasedanie). Insgesamt wurden auf dem Kongreß 212 Reden und Vorträge gehalten, an den Kongreß ergingen 41 Grußbotschaften aus Betrieben, Fabriken und Kolchosen, Schu- len, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen, aus dem Bereich der Roten Armee, von Organisât ionen und I n s t it u t io n e n der P a rte i, von KUnstlerorganisatIonen. Damit s o l l t e d e u tlic h werden, daß dieses Ereignis n ic h t nur auf einen kleinen Kreis i n t e r e s s ie r t e r L ite ra te n beschränkt sein s o l l t e , sondern daß Sowjet l i t e r a t u r a l l e Schichten und Berufagruppen der Bevölke- rung berührt und i n t e r e s s i e r t , daß sie in die Aufgabe h in e in - g e s t e l l t i s t , Verbindung zu a ll e n g e s e lls c h a ftlic h e n Bereichen

95) Diese Angaben und a l l e weiteren Z i t a t e aus Reden und Ei—

klärungen des Kongresses sind entnommen aus:

PervyJ vsesojuznyj s-ezd sovetskich p i s a t e l e j . Stenografi^es- k i j otfcet, Moskva, 1934.

Diese den gesamten Kongreßverlauf v o lls tä n d ig und w ö r t lic h wiedergebende stenographische Niedersehri f t i s t nur einmal, nämlich im Jahr 1934, im Druck erschienen. Es war daher recht schwierig, an diesen Uber 700 Seiten umfassenden Band heran- zukommen, zumal Bibliotheken in der Sowjetunion oder anderen s o z ia lis tis c h e n Ländern auf diesbezUgliche Anfragen oder Be- Stellungen n ic h t reagieren. Im deutschsprachigen Raum g ib t es nach meinen Recherchen eine einzige B ib lio th e k , die den

" Stenografifceskij otbet*1 in ihren Beständen hat, die Staats- b ib lio th e k Preußischer K u ltu rb e s itz in B e r lin . So t r i f f t die folgende, b e re its 1974 von H.-J. Schmitt/G. Schramm getroffene Feststellung auch heute noch zu: ״Aus Paris war von Louis Aragon zu erfahren, daß der Sammelband mit den Kongreßreden heute wohl kaum noch aufzutreiben sei - die französischen Bibliotheken hätten ihn n ic h t - , da er angeblich kurz nach seinem Erscheinen verboten wurde.“ (H.-J. Schmitt/G. Schramm,

S. 422). Diether Götz - 9783954791927

Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 03:46:08AM via free access

ООО60394

und Gruppen herzustellen, um so ihre g e s e lls c h a ftlic h e n und p o litis c h e n Aufgaben wahrzunehmen. Der Kongreß sandte Grußbot- schäften an S ta lin , an den Volkskommissar f ü r Verteidigung (Verteidigungsminister) K. Voro&ilov, an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, an den Rat der Volkskommissare der Sowjetunion, also an der M in is te r r a t, an die revolutionären S c h r i f t s t e l l e r Japans und Chinas sowie an Romain Rolland; an die Arbeiter der Papierfabriken der Sowjet- union wandte sich der Kongreß mit einem B r ie f.

Folgende p o l i t i s c h hochrangige Persönlichkeiten des Sowjet- staates h ie lt e n auf dem Kongreß Reden und Vorträge: auf der 1.

У

Sitzung der Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei A. Zda- nov, auf der 12. Sitzung der Altbolschewist und enge Kampfge- nosse Lenins K. Radek zum Thema “ Die moderne Welt1І te r a tu r und die Aufgaben der p r o le t a r ischen Kunst“ sowie auf der 19. S i t - zung der führende W irtsch aftstheoretiker der Partei N. Bucha- r i n zum Thema "Poesie, Poetik und die Aufgaben des d i c h t e r ! - sehen Schaffens in der UdSSR"; Radek und Bucharin sprachen nach den Diskussionen, die ihre Vorträge ausgelöst hatten, auf der 15 bzw. der 22. Sitzung zu ihren Ausführungen ein Schluß- wort. Als weiterer V e rtre te r der Partei sprach auf der 23.

Sitzung der L e ite r der ZK-Abteilung fü r Kultur und Propaganda des Leninismus A. S te c k ij.

Seitens der S c h r i f t s t e l l e r nahm Gor’ k i j die herausragendste Stellung e in ; er h i e l t die Eröffnungarede des Kongresses und auf derselben Eröffnungssitzung noch ein Grundsatzreferat Uber die sowjetische L i t e r a t u r ; weiterhin t r a t er auf der 9. Sitzung sowie mit dem Schlußwort auf der 26. Sitzung auf.

Aus der Vielzahl der Redner auf sowjetischer Seite seien so bekannte Namen wie Mariak, Bednyj, Gladkov, Leonov, S k lo v s k ij, Erenburg, Fedin, Fadeev, Ole&a, S e j f u l l i n a , Babel*, Inber, Pasternak genannt, bekannte Persönlichkeiten unter den aus-

ländischen Rednern waren Otto Schmidt, André Malraux, W i l l i Bredel, Louis Aragon, Johannes Becher, Theodor P l i v i e r , Ernst T o lle r oder vfte z s la v Nezval, um nur einige zu nennen. Hin- s i c h t l i c h der M itgliedschaft in der Kommunistischen Partei Partei der Sowjetunion waren knapp 53% der sowjetischen Kon- greßteilnehmer P a r te im itg lieder.

44

Diether Götz - 9783954791927 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 03:46:08AM

3.2. Die Setzung des Sowjetischen Sehr i f t s t e l l e r verbande a

Das g r e ifb a rs te und w ichtigste Ergebnis des Kongresses i s t die am 1. September 1934 e r fo lg te Verabschiedung der Satzung des sowjetischen S chriftstellerverbandes (Ustav Sojuza Sovets- kich p i s a t e l e j SSSR). Wenn h ie r auf ihre wichtigsten Bestim- mungen eingegangen wird, so s o l l zum einen d e u tlic h werden, welche i n h a l t l i c h e FUllung der mit der bekannten ZK-Resolution vom 23. A p r i l 1932 gezogene organisatorische Rahmen e r h i e l t ; zum anderen enthält diese Satzung Bestimmungen und Forderun- gen, die bei der Darstellung der Bewertung des S c h r i f t s t e l l e r - kongresses immer wieder eine Rolle spielen.

Die Satzung z e r f ä l l t in 6 Abschnitte. Im 1. Abschnitt wird noch einmal ausdrücklich Bezug genommen auf die ZK-Resolution vom A p r i l 1932 und f e s t g e s t e l l t • daß sie nich t nur hingewiesen habe auf die Schaffung eines e in h e itlic h e n Verbandes der sow- je tis c h e n S c h r i f t s t e l 1er, sondern auch auf die ideel1-schöpfe- rischen In h a lte und P rin zip ie n der S o w je t lite r a tu r . Diese schöpferischen Prinzipien bestunden in der " k r itis c h e n Aneig- nung des lit e r a r is c h e n Erbes der Vergangenheit* und fänden

"ih ren hauptsächlichen Ausdruck in den P rin zip ie n des sozia- l ls t is c h e n Realismus." Der s o z ia lis tis c h e Realismus wird als die "grundlegende Methode der sowjetischen künstlerischen L i t e r a t u r und L i t e r a t u r k r i t ik * * bezeichnet, die vom KUnstler die " wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Gestaltung der W ir k lic h k e it und ih r e r revolutionären Entwicklung" f o r d e r t und wodurch die "Erziehung der Werktätigen im Geiste des S o z ia lis - mus" e r r e ic h t werden s o l l . Ausdrücklich, so wird w eiter f e s t - g e s t e l l t , s t e l l t der s o z ia lis tis c h e Realismus die " . . . Wahl verschiedener Formen, S t i l e und Gattungen" s ic h e r . 96

Im 2. Abschnitt werden in 7 Punkten die Aufgaben der sow- Jetischen S c h r i f t s t e l l e r beschrieben: aktive Teilnahme am Auf- bau des Sozialismus und Stärkung der Sowjetmacht durch das kUnst1erische Schaffen, Erziehung und Heranbildung neuer S c h r i f t s t e l l e r aus der A rb e ite r- und Kolchosbauernschaft so- wie aus den Reihen der Roten Armee, Wettbewerb zwischen den

45

96) A. Fogelevib, S. 51, s. Anhang N r.9.

Diether Götz - 9783954791927 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 03:46:08AM via free access

einzelnen S c h r i f t s t e l l e r n , aber auch gegenseitige H il f e , Ent- Wicklung der Natio n a l 1І teraturen der einzelnen Republiken durch gegenseitigen künstlerischen Austausch und wechselsei- t ig e Übersetzungen 1І t e r a r ischer Werke, Teilnahme der s o w je ti- sehen S c h r i f t s t e l 1er an der revolutionären, i n t e r n a t ionalen Bewegung, weitere theoretische Ausarbeitung der Probleme des s o z ia lis tis c h e n Realismus; als generelles Z ie l wird die Schaffung einer L i t e r a t u r genannt, in der der "heroische Kampf des in te rn a tio n a le n P ro le ta r l e t s ’* , das "Pathos des Sieges des Sozialismus" sowie die " . . . Klugheit und das Heldentum der kommunistischen Partei" zum Ausdruck kommen, einer L i t e r a t u r , deren Werke sich als wUrdig erweisen der

“ großen Epoche des Sozialismus“ . 9 7

Im 3. Abschnitt werden die Bedingungen fUr die Aufnahme in den und M itg lie d s c h a ft im sowjetischen S c h rifts te lle rv e rb a n d genannt- Der S c h r ifts te lle r v e r b a n d i s t eine " f r e i w i l l i g e Orga- n is o t io n “ , deren M itg lie d e r l e d i g l i c h auf dem Boden der Sow- Jetmacht stehen und am Aufbau des Sozialismus teilnehmen mUs- sen; eine ausdrückliche P a rte im itg lie d s c h a ft wird nicht gefor- d e rt. S c h r i f t s t e l l e r , die noch n ic h t diese Anforderungen in ihren lit e r a r i s c h e n Werken e r f ü l l e n , können als *,Kandidaten", also a ls Mitgliedsanwärter, in den Verband aufgenommen werden.

GrUnde fUr den Ausschluß aus dem S c h rifts te lle rv e rb a n d können z.B. T ä tig ke ite n sein, die gegen den Aufbau des Sozialismus oder die Interessen des Verbandes g e ric h te t sind, weiterhin das Begehen von Verbrechen antisow jetischer oder a n t ig e s e ll- s c h a f t li c h e r A r t, die mehrjährige Unterbrechung der l i t e r a - rischen T ä t ig k e it oder Nichtbezahlung der M itglieds beiträge ; A u s t r i t t auf eigenen Wunsch i s t ebenfalls möglich.

Der 4. Abschnitt beschreibt den organisatorischen Aufbau des S c h rifts te lle rv e rb a n d e s , wobei das höchste Organ der A l l - u n io n s -S c h rifts te lle rk o n g re ß i s t , der a ls ausfUhrendes Organ die Leitung des S c h rifts te lle rv e rb a n d e s wählt; sie s t e l l t das höchste Organ zwischen den Kongressen dar. Der Verband g l i e - dert sich in einzelne Republiks-, Gebiets- und Kreisorganisa- tionen. Die Leitung des S c h riftste lle rve rba n d e s muß ihre Tä- t i g k e i t vor dem Allunions-Schri f t s t e l lerkongreß zur Rechen- schaft vorlegen.

97) A. Fogelevifc, S. 52, s. Anhang N r . 10.

Diether Götz - 9783954791927 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 03:46:08AM

Im 5. Abschnitt weden r e c h tlic h e Probleme geregelt wie etwa Fragen der Betreuung der S c h r i f t s t e l l e r durch den Verband, F i - nanzen, Autorenrecht.

Im 6. und le tz te n Abschnitt wird gesagt, daß sich der S c h r ifts te lle r v e r b a n d selbst auf lösen oder durch Regierungs- anordnung aufgelöst werden kann.

Die i n h a l t l i c h gewichtigen und fUr die S c h r i f t s t e l l e r be- deutsamen Bestimmungen liegen z w e i f e l s f r e i in den Abschnitten 1. und 2 . : wenn auch der s o z i a li s t i s c h e Realismus als Schaf- fensmethode bezeichnet wird, die F r e i h e it in Form, S t i l und Gattung zuläßt, so binden doch die einzelnen Bestimmungen den S c h r i f t s t e l l e r ganz d e u tlic h : p o l i t i s c h und ideologisch an die Sowjetmacht, i n h a l t l i c h und k ü n s tle ris c h an S to ffe , die vom Aufbau des Sozialismus» vom revolutionären Kampf des P r o le t a r ia t s berichten. Damit i s t ein gerade fUr die Sowjet- l i t e r a t u r typisches Spannungsfeld beschrieben: das l i t e r a - rische Schaffen i s t h i n e in g e s t e l l t zwischen den Anspruch des des einzelnen Künstlers auf i n h a l t l i c h e und formale Schaffens- f r e i h e i t und den Erwartungen des Staates und der Partei an Kunstwerk und KUnstler, ein Grundthema, das auch im Zusammen- hang mit der Bewertung des I . Sehr i f t s t e l l e r k o n g r e s se s durchgängig eine Rolle s p i e l t .

4 7

Diether Götz - 9783954791927 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 03:46:08AM via free access

00050394

4. DARSTELLUNG UND BEWERTUNG DES I. ALLUNIONS-SCHRIFTSTEL-

LERKONGRESSES IN DER SOWJETISCHEN PUBLIZISTIK UND

LITERATURWISSENSCHAFT VON 1934 BIS ZUM TODE STALINS;