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Der griechische Jäger Meleagros

Im Dokument John Gibson & Antonio Canova. (Seite 194-200)

Von Canovas zu Gibsons Theseus

Bei der Great Exhibition von 1851 war Gibson mit dem Griechischen Jäger Me-leagros1 (s. Abb. 175–177, Taf. 18) vertreten und festigte damit seinen Ruhm in Großbritannien endgültig. Die Entstehungsgeschichte des Meleagros ist durch Gibsons Briefwechsel mit Margaret Sandbach genau belegt : 1838 hatte er es im Auftrag der Sandbachs begonnen. Am 18. Februar 1841 wurde das Gipsmodell des Meleagros fertiggestellt.2 Danach dauerte es über ein Jahr bis der Marmorblock 1842 in seiner Werkstatt eintraf, der allerdings Risse auf-wies.3 Im November 1842 kündigte Gibson an, die Skulptur im kommenden

1 Der Titel wird im Folgenden mit Meleagros abgekürzt.

2 NLW, Gibson Papers, Gibson an Margaret Sandbach, 18. Februar 1841.

3 Dennoch bat Gibson um eine Anzahlung von £100 auf das Konto bei der Bank von Baring,

Abb. 175–176  : John Gibson  : Der Griechi-sche Jäger Meleagros (vor 1851), Marmor,  Usher Art Gallery, Lincoln. © Usher Art  Gallery, Lincoln.

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Sommer vollenden zu wollen, und im Februar 1843 war das Vorbehauen des Blocks durch seinen Werkstattmitarbeiter Felice Baini nahezu abgeschlossen.4 In der Folge schuf Gibson drei weitere Versionen, welche weiter oben bereits ausführlich unter dem Aspekt der Unterschiedlichkeit ihrer Auftraggeber be-sprochen wurden.

Beim Meleagros handelte sich um ein Werk, welches die lange Tradition der Auseinandersetzung römischer Bildhauer mit den heroisch-dynamischen Figuren der Antike widerspiegelt, die in Canovas Herkules und Lichas sowie seinen Faustkämpfern ihren Anfang fand (s. Abb. 178–179). In einem weiten Ausfallschritt steht der Jäger nach vorne gebeugt in größter Anspannung, den Blick auf die Beute gerichtet. Die Bereitschaft zum Angriff wird im Hund wie-derholt, der zu seinen Füßen kauert und mit angelegten Ohren und gefletsch-tem Maul die Aggressivität seines Herrn aufgreift. Anders als in den bislang besprochenen Werken zeigt Gibson hier eine Figur in äußerster energischer Anspannung. Vorbildhaft waren für das Bewegungsmotiv zunächst Antiken

von wo aus das Geld an die Torlonia weitergeleitet wurde. NLW, Gibson Papers, Gibson an Margaret Sandbach, März/April 1842.

4 NLW, Gibson Papers, Gibson an Margaret Sandbach, 3. November 1842, Februar 1843.

Abb. 177  : John Gibson  : Der Grie-chische Jäger Meleagros, Marmor,  119 × 88,8 × 54,4 cm, Art Gallery of  New South Wales, Sydney. © AGNSW.

Abb. 178  : Antonio Canova  : Herkules und  Lichas (1795–1815), 335 cm, Marmor,  Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Roma. 

© Praz/Pavanello 1976, Tav. XXIX.

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wie der Rossebändiger, der Borghesische Fechter (s. Abb. 180–181) und die Pasquino-Gruppe. Auch die Kampfszenen der Metopenreliefs des Parthenon boten Vorlagen für eine Auseinandersetzung mit dynamischen Figurentypen, welche sich über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg beobachten lässt.5

Aufgebracht wurde das Thema des agressiven Angreifers, das auf die Dar-stellung des Sublimen abzielte von Canova, welcher dieses in der Tradition von verschiedenen antiken Vorbildern umsetzte. Zunächst begann er 1794 mit

5 Besonders das Stichwerk von Stuart und Revett war für die Rezeption der Skulpturen von Bedeutung, wie weiter unten noch genauer zu betrachten sein wird. Stuart/Revett 2008.

Abb. 179  : Antonio Canova  : Creugas und  Damoxenes, (ab 1794), überlebensgroß,  Marmor, Vatikan, Musei Vaticani. © Winner  1998, S. 235.

Abb. 180  : Rossebändiger (hadrianisch),  überlebensgroß, Marmor, Palazzo del Quiri-nale, Rom. © Haskell/Penny 1981, S. 137.

Abb. 181  : Borghesischer Fechter (ca. 100 v. 

Chr.), Marmor, 199 cm, Louvre, Paris. © Kat. 

Ausst. Galleria Borghese 2011, S. 20.

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ersten Skizzen zu einem Herkules und verließ damit, wie Myssok zeigt, die beruhigte Darstellung in der Nachfolge seines Theseus und Minotaurus.6 Wäh-rend er hinsichtlich des Typus auf den Farnesischen Herkules zurückgriff, zeigt sich in der drängenden Bewegung das genaue Studium der Dioskuren.7 Diese waren darüber hinaus vorbildhaft für die Konzeption der gleichzeitig entstan-denen Figurengruppe der Faustkämpfer, welche den finalen Schlag des Da-moxenes gegen Creugas, angeordnet auf zwei getrennten Sockeln, zeigt.8 Die Faustkämpfer wurden von den Zeitgenossen nicht nur zum Großteil abgelehnt, sondern begründeten auch das Urteil, Canova sei nicht in der Lage, heroische Themen umzusetzen.9 Canova schickte Abgüsse der Figuren an die Akade-mien in Paris und Wien, jeweils mit schriftlichen Erklärungen zur dargestell-ten Szene, und überließ den dortigen Künstlern das Urteil über das Werk.10 Auch wurden Abgüsse nach London verbracht, wo Gibson sie zum ersten Mal

sah und in einem frühen Brief an Crouchley seine Begeisterung schildert. Gib-son kopierte, nach seiner Ankunft in der Werkstatt Canovas, den Creugas als erstes Werk. In der Nachfolge der Faustkämpfer entstanden mehrere Figuren und Figurengruppen, die sich dem Themengebiet widmeten. So der 1806 von Erik Gustav Goethe (1779–1838) geschaffene Meleagro (s. Abb. 182), der im Begriff ist, seinen Speer auf seine Beute zu schleudern.11 Wie bei den bereits

6 Myssok 2007, S. 194.

7 Praz/Pavanello 1976, S. 106–107, Nr. 29–33, Myssok 2007, S. 248.

8 Laut Pavanello sind als Vorbilder der Herkules Farnese, die Tyrannenmörder, der Diskobolos, der Borghesische Fechter und die Dioskuren zu nennen. Zu den Vorbildern der Faustkämpfer vgl. Pavanello 1992, S. 274, Nr. 130. Insbesondere zu antiken Boxkämpfern als Vorbilder vgl.

Seymour 1993, S. 238–255, Myssok 2007, S. 253–255.

9 Myssok 2007, S. 242.

10 Myssok 2007, S. 245.

11 Laut Guattani entstand dieser unter direktem Einfluss des Venezianers und zeigte in seiner

Abb. 182  : E. H. Montagny  : Stich nach Erik  Gustav Goethe  : Meleagro (1806), Stich auf  Papier. © Guattani 1806.

Abb. 183  : Metope des Parthenonfries  (447–438 v. Chr.), überlebensgroß, Marmor,  British Museum, London. © Anna Frasca-Rath.

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erwähnten Werken manifestierte sich auch bei Goethe das Studium des Bor-ghesischen Fechters, der sich seit 1806 in Paris im Museé Napoléon befand. Der Herkules, die Faustkämpfer und der Meleager mit Hund gehören zu den frühen Darstellungen aktiver, im Kampf begriffener Helden, die erst nach dem Erfolg der Elgin Marbles, Anfang des 19. Jahrhunderts, einen Aufschwung erlebten.

Die weitere Folge derartiger Szenen erwuchs aus der Auseinandersetzung mit den Elgin Marbles (s. Abb. 183) : Bereits 1755 wurden die ersten Stiche nach den Figuren der Metopen des Parthenonfrieses durch die Antiquities of Athens von Stuart und Revett verbreitet.12 Canova selbst hatte bereits 1805, als Elgin nach Rom kam und ihn bat, die Figuren des Parthenon zu restaurieren, ein erstes Fragment dieser Skulpturen gesehen – jedoch lehnte der Bildhauer eine Restaurierung der Werke des Phidias ab.13 Im Anschluss entstand in en-ger Anlehnung an die Kampfszenen der Lapithen und Kentauren eine Reihe von Skulpturen, die unterschiedliche Themen in die Formensprache des Phi-dias zu übertragen suchten. In dieser Tradition entstand als erstes Canovas Theseus und Kentaur (s. Abb. 184), der in kolossalem Ausmaß in einer pyra-midalen Komposition angelegt ist und dessen Verwandtschaft mit den von Stuart und Revett publizierten Stichen schon von Quatremère und Cicognara gesehen wurde.14 Die Gruppe fand in der römischen Bildhauergemeinde rege

dyna mischen Pose eine Gegenposition zum im selben Jahr entstandenen Jason von Thorvald-sen auf. Guattani 1806, S. 142.

12 Suart/Revett 2008.

13 Pavan 2004a, S. 188.

14 Cicognara 1824, Bd. 7, S. 183, Quatremère de Quincy 2012, S. 217. Auf den Zusammenhang wurde bereits von Myssok aufmerksam gemacht. Vgl. Myssok 2007, S. 285, Anm. 51.

Abb. 186  : Antonio Canova  : Achill und Pen- thesileia, Terracotta, 29 × 20 × 17 cm, Gipso-teca Canoviana, Possagno. © Grandesso  2015, S. 74.

Abb. 185  : Johann Nepomuk Schaller  : Bel-lerophon und Chimaira (1821), Marmor,  210 cm, Belvedere, Wien. © Belvedere,  Wien.

Abb. 184  : Antonio Canova  : Theseus und  Kentaur (1804–1819), Marmor, überlebens-groß, Kunsthistorisches Museum, Wien. 

© Rolf 1999, S. 251.

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Nachfolge. Der österreichische Stipendiat Johann Nepomuk Schaller schuf von 1818 bis 1821 mit seinem Bellerophon und Chimaira (s. Abb. 185) unter der Aufsicht Canovas eine ähnliche Komposition, welche das dreieckig ange-legte Werk mit dem erhobenen Arm des Angreifers zitierte, wenngleich weni-ger überzeugend umsetzte.15 Die Gruppe entstand gleichzeitig mit dem 1805 begonnenen Theseus von Canova, der 1819 vollendet war.16 Auch der Spanier Josè Àlvarez Cubero griff das Thema in seiner Figurengruppe von Nestor und Antilochos im selben Zeitraum auf, genauso wie Giuseppe de Fabris in einer heute verlorenen Gruppe des Milon.17 Obwohl das Thema nach Canovas Tod weniger oft dargestellt wurde, riss die Umsetzung heroisch-dynamischer Kom-positionen nicht ab.18

Das dritte antike Vorbild für die dynamischen Figurengruppen war die Pasquino-Gruppe19, wie bei den von Vincenzo Pacetti und Tobias Sergel um-gesetzten Skulpturengruppen des Themas von Achill und Penthesileia zu se-hen ist.20 Canova und Thorvaldsen schufen etwa gleichzeitig Bozzetti zu dem Sujet (s. Abb. 186–187).21 Während Canova das Thema nicht weiter vertiefte, deuten zahlreiche Vorarbeiten in Form von Skizzen und Bozzetti im Archiv des Thorvaldsen-Museums auf eine intensive Auseinandersetzung des Dänen hin (s. Abb. 188–189). Zunächst war die Gruppe als Gegenstück zu Cano-vas Herkules und Lichas in der Sammlung der Torlonia gedacht, jedoch zog Thorvaldsen aus ungeklärten Gründen seinen Entwurf zurück. Dieser kam nie zur Umsetzung – möglicherweise, da er in seiner Dynamik den Vorstel-lungen seines Förderers Carl Ludwig Fernow diametral entgegengesetzt war.22 Auch Ridolfo Schadow23, der seine Werkstatt direkt neben der von

Thorvald-15 Zur Entstehungsgeschichte und Genese der Figur vgl. Krasa-Florian 2009, S. 111. Die Skulptur wurde vom Habsburger Hof in Auftrag gegeben, wobei das Thema einer lebensgroßen männ-lichen Statue vorgegeben wurde. Vgl. Schreiben Schallers an Ellmaurer, 18. Dezember 1818, Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, I. N. 8222, fol. 17–18, zit.

nach ebd.

16 Krasa-Florian 2009, S. 120.

17 Vgl. Krasa-Florian 2009, S. 66–68. Bereits Grandesso hat auf die Skulpturen, die in der Nach-folge des Theseus entstanden sind, ausführlich hingewiesen. Seine Beobachtungen dazu und auch zur Rezeption der Gruppe von Achill und Penthesileia sind grundlegend für die folgen-den Betrachtungen, wurfolgen-den jedoch im Hinblick auf Gibson um mehrere Werke erweitert. Vgl.

Grandesso 2010, S. 69.

18 Zwar attestierte Tesan in seiner monographischen Betrachtung der Bildhauerschule Thorvald-sen den Verlust des Achilleischen und damit das Abrücken von dynamischen Themen, jedoch kann davon aufgrund der Vielzahl von Skulpturen, die sich mit dem Thema befassten, wohl kaum die Rede sein. Tesan 1998, S. 76–77.

19 Die Gruppe war im 19. Jahrhundert durch ihre Rezeption in Sarkophagreliefs, wie dem des Amazonensarkophags im Vatikan sowie des Campana-Reliefs im Louvre, bildlich überliefert.

Auch finden sich Darstellungen in der Glyptik, wobei auch die Sammlung Thorvaldsens eine Gemme mit einem Fragment der Darstellung enthielt. Die vollplastische Gruppe ist bis heute verschollen und wurde 1967 von E. Bergers rekonstruiert. Hartmann 1979, S. 125.

20 Pacettis Version von 1773 befindet sich heute in Rom in der Accademia di San Luca, Sergels Skulptur, die 1775 vollendet wurde, im Nationalmuseum in Stockholm. Grandesso 2010, S. 66.

21 Etwa gleichzeitig befasste sich auch Canova mit dem Thema, wie ein Bozzetto in Possagno belegt, der allerdings nicht in Marmor übertragen wurde. Zum Bozzetto vgl. Hartmann 1979, S. 125.

22 Es ist, wie bereits im Kapitel Mars und Amor ausgeführt, unklar, warum Thorvaldsen den Auftrag für die Gruppe nicht ausführte. Auf die Furcht vor Fernows Kritik verwies Grandesso.

Grandesso 2010, S. 69.

23 Ridolfo Schadow war 1810 von seinem Vater Johann Gottfried Schadow, welcher rund 25 Jahre in Rom verbracht hatte, an seinen Freund Canova empfohlen worden. Er verblieb bei

Abb. 187  : Bertel Thorvaldsen  : Achill und  Penthesileia (1801), Terracotta, 65,5 cm,  Thorvaldsen-Museum, Kopenhagen. 

© Thorvaldsen-Museum.

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sen hatte, begann ohne Auftrag mit einer Version von Achill und Penthesileia in monumentalem Maßstab.24 Die Skulptur entstand wohl im Wettstreit mit Thorvaldsen, wollte Schadow doch zeigen, was er im heroischen Genre zu leis-ten imstande war.25 Noch vor Vollendung verstarb Schadow jedoch und sein Neffe, Emil Wolff, wurde nach seiner Ankunft in Rom mit der Übernahme der Werkstatt des Oheims und mit der Fertigstellung betraut, die sich bis in das Jahr 1826 zog.26 Mit deren Fertigstellung ging allerdings keineswegs ein Ende der Kompositionen zu Achill und Penthesileia einher : Erneut griff nun Thorvaldsen das Thema auf, wie ein Relief aus dem Jahr 1837 in Kopenhagen belegt,27 bei welchem die Komposition, nun ganz im Sinne von Fernow, beru-higt wurde.28

Auch von Gibsons Hand finden sich drei undatierte Skizzen in London zu Achill und Penthesileia, die der Bildhauer zwar nie als Skulpturen ausführte,

die aber der Komposition des Meleagros und des Verwundeten Kriegers sehr nahe stehen (s. Abb. 190–192). Die Datierung der Blätter ist nicht gesichert und somit ist unklar in welchem Kontext sie entstanden. Besonders in der doppelt gerahmten Skizze wird im raumgreifenden Ausfallschritt des Achill eine enge Verwandtschaft mit der Komposition des Meleagros deutlich. Auch weisen die pyramidale Anordnung der Figuren und die zusammengesun-kene Figur der Penthesileia eine enge Verwandtschaft sowohl mit den Skiz-zen Thorvaldsens als auch mit der Komposition von Schadow auf. Aber auch Gibson setzte, wie bereits im Falle Canovas und Thorvaldsens beobachtet, die Gruppe nie um, wenngleich er ihr eine derartig große Bedeutung zumaß,

diesem ersten Aufenthalt rund acht Monate in Rom. 1812 reiste Schadow erneut, diesmal in Begleitung von Christian Daniel Rauch, nach Rom. Vgl. Götz 2000, S. 18.

24 Götz 2000, S. 108.

25 Götz 2000, S. 109. Thorvaldsen war Schadows Hausgenosse in der Casa Buti gewesen.

26 Springer 1977, S. 256, Götz 2000, S. 110.

27 Hartmann 1979, S. 126.

28 Hartmann konstatierte hinsichtlich der Darstellung Thorvaldsens, dass die „leidenschaftliche Dynamik des hellenistischen Barock in der klassizistischen Version dem apollinischen Tempe-rament des nordischen Bildhauers angepasst“ wurde. Hartmann 1979, S. 126.

Abb. 188  : Bertel Thorvaldsen  : Skizzen zu  Achill und Penthesileia (1807), schwarze  Kreide auf Papier, 43,2 × 28,6 cm, Thor vald- sen- Museum, Kopenhagen. © Thorvald sen-Museum.

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