• Keine Ergebnisse gefunden

Der Atmosphärenbegriff in der Stadtplanung

TEIL 1 – KONZEPTIONELLER RAHMEN

2. Theoretischer Zugang: raumbezogene Emotionen als

2.4 Der Atmosphärenbegriff in der Stadtplanung

Der Atmosphärenbegriff bietet sich mit seinem subjektiven und situativen Zugang zur Welt in spezifischer Weise für räumliche Fragestellungen an.

Denn er transportiert einen Raumbegriff, der stets an die Anwesenheit emp-findender Menschen gebunden ist: „In order to have an experience of urban space, we have to be there, we have to have a bodily experience of something that is not a mere representation” (Lapintie 2007: 43, Hv. i. O.).5 Mit diesem räumlichen Erleben sind stets symbolische Bedeutungen verknüpft. Diese sind kein Gegenpol zum situativen Erleben, sondern speisen sich aus ihm, wie Hasse anhand des Erblickens von Wolkenkratzern illustriert:

Ohne leibliche Resonanz wären die gebauten Symbole der Macht ohne Gewicht, denn das entfalten sie in ihrer Eindruckskraft: erst wer sich am Boden klein, fast weggeweht, abgeschattet und beengt fühlt, ‚ist‘ (in einem symbolischen Sinne) aus der erhöhten Perspektive der wolken-kratzenden Bürotürme klein. (Hasse 2002d: 36)

Der phänomenologische Raumbegriff unterscheidet sich damit fundamental von Lefebvres konzipiertem Raum (1991: 38ff.), der in Planungsprozessen vorherrschend ist. Denn die Überführung des leiblich erlebten Raums in den konzipierten Raum führt zu einer „Abwertung von Wirklichkeit zugunsten von Realität und dem, was sich mit den Mitteln einer begrifflich konventio-nalisierten (Herrschafts-)Sprache aussagen [bzw. kartographisch zeigen]

läßt“ (Hasse 2002a: 109). Mit dieser Strategie blenden Planungsakteure die Tatsache aus, dass alles Raumwissen stets situativ und leiblich gewonnen ist.

Vielmehr ist es aber so, dass die Annahme, es gäbe so etwas wie objektives Wissen von Räumen, zurückgewiesen werden muss. Die Betonung der Situ-ativität und der Emotionalität des Erlebens durch den Atmosphärenbegriff

5 Auch wenn die Formulierung ‚bodily experience‘ den Unterschied zwischen Leib und Körper unterschlägt, kommt in diesem Zitat das ko-konstituierende Moment der Raumwahrnehmung exemplarisch zum Ausdruck.

stellt insbesondere für die Erforschung öffentlicher Räume eine Bereiche-rung dar. Denn öffentliche Räume sind Orte „to which [the public] attributes symbolic significance and asserts claims. […] Citizens create meaningful public space by expressing their attitudes, asserting their claims and using it for their own purposes. It thereby becomes a meaningful public resource”

(Goheen 1998: 479, eg. Hv.). Ohne auf die emotionale Verbundenheit explizit Bezug zu nehmen, verweist Goheen hier auf die gefühlsmäßige Beziehung von Menschen zu ihrem urbanen Umfeld, die sich als ihre Atmosphäre aus-drückt. In der Planung wird diese emotionale Verbundenheit mit öffentli-chen Räumen oft mit dem Begriff der Aufenthaltsqualität gerahmt. Dieser

„so nüchtern erscheinende Begriff“ meint für Hasse „am Ende nichts anderes als eine den Menschen an einen Ort bindende atmosphärische Raumquali-tät“ (2012: 20). Öffentliche Räume sind somit atmosphärische Räume per se.

Denn hier wird die Schaffung von Aufenthaltsqualität zu dem ausschlagge-benden Erfolgskriterium. Zwar sollen auch ein Kitaneubau oder ein neues Wohnviertel eine ansprechende Aufenthaltsqualität besitzen; derartige Pla-nungsvorhaben erfüllen aber zunächst einmal einen funktionalen Zweck: sie schaffen neuen Wohnraum oder neue Betreuungsplätze für Kleinkinder. Bei der Planung öffentlicher Räume hingegen ist die Schaffung von Aufenthalts-qualität nicht nur Nebenaspekt der Planung, sondern ihr genuines Ziel. Der Erfolg eines neu gestalteten Stadtplatzes oder neu eröffneten Parks misst sich an dessen Aufenthaltsqualität, welche wiederum das Vorhandensein an-sprechender Atmosphären widerspiegelt.

In der sozialwissenschaftlich informierten Stadtforschung stößt die frucht-bare Verbindung zwischen dem Atmosphärenbegriff und Fragen der Raum-wahrnehmungen auf zunehmendes Interesse (Buser 2017; Edensor 2012;

Frers 2007; Göbel 2015; Michels 2015). Dabei haben atmosphärische Wir-kungen insbesondere in Bezug auf die Materialität von Architektur seit eini-ger Zeit Beachtung gefunden und es wird auch nicht in Frage gestellt, dass es einen derartigen Effekt gibt (Göbel 2015; Kazig 2007). Für Freiräume wurde der atmosphärische Bezug jedoch bisher kaum hergestellt, obwohl hier der meteorologische Ursprung des Atmosphärenbegriffs am stärksten zum Tra-gen kommt (als Ausnahme vgl. Frers 2013; Hasse 2015c; Wylie 2005).

Im Planungsdiskurs wiederum wurden Atmosphären bisher nur marginal thematisiert (als Ausnahme: Kremer 2010) bzw. als Desiderat formuliert (Buser 2014). Dies ist durchaus verwunderlich, da „mit Begriffen wie Image, Urbanität [oder] Wohnumfeld […] die notwendigen Stichworte schon gefal-len sind. [Dennoch] ist […] die bisherige Stadtplanung weitgehend dem Vi-suellen und Geometrischen verhaftet geblieben“ (Böhme 1998: 11). Vor die-sem Hintergrund plädiert Hasse (2002a: 110) dafür, dass „die für die Raum-planung wichtigen Fragen nach der Sicherstellung einer identitiven Lebens-qualität von Bewohnern und Nutzern einer Stadt [mit dem Atmosphärenbe-griff] um eine wichtige Dimension angereichert werden.“ Diese theoretische

Die Atmosphären des Tempelhofer Feldes | Ulrike Mackrodt Kapitel 2

Weiterentwicklung der Planungstheorie stellt ein dringliches Desiderat dar.

Denn zum einen finden neue – zumeist partizipative – Planungspraxen ver-mehrt in öffentlichen Räumen statt (vgl. Kapitel 1.2). Zum anderen haben öffentliche Räume in der gegenwärtigen Stadtentwicklung generell einen Be-deutungsgewinn erfahren. Ihnen wird zunehmend eine korrespondierende statt wie früher eine kompensative Funktion zugeschrieben (Giseke 2004).

Sie sind vom Rest zum Baustein für die Stadtentwicklung geworden (Selle 1995). Die damit einhergehende Erlebensperspektive erhält inhaltlich einen hohen Stellenwert; konzeptionell bleibt sie aber bisher unterbelichtet. Als Reaktion auf diese Leerstelle widmen sich erste Arbeiten dem Zusammen-hang von Kunst in öffentlichen Räumen und Stadtplanung (Lewitzky 2005;

Lossau/Stevens 2015; Schild 2005) sowie – wie in Kapitel 1.2 dargestellt – dem Konzept der performativen Planung (Altrock et al. 2006; Kremer 2010;

Mackrodt/Helbrecht 2013).

Der konzeptionelle Import des Performanzbegriffs in den Planungsdiskurs zeigt paradigmatisch auf, wie postmoderne Theorien die kartesianische Trennung von Geist und Körper nicht überwinden, sondern ‚nur‘ umkehren.

Zwar wird mit dem Performanzbegriff der Blick für die Materialität, Situati-vität und Bühnenhaftigkeit planerischer Aushandlungsprozesse geschärft (vgl. Mackrodt/Helbrecht 2013: 18f.) und damit an der „strukturellen Raum-blindheit fordistischer […] Planung“ gerüttelt (Hassenpflug 2004: 83).

Gleichwohl wird aber die für das Erleben öffentlicher Räume so wichtige Emotionalität (noch) nicht ausreichend adressiert. So berichtet beispiels-weise Altrock (2012: 19, eg. Hv.) von einem performativen Planungsprojekt, in dessen Rahmen eine provisorische Freiraumbibliothek in einer Kleinstadt errichtet wurde Die Intervention „führte zu einer Mobilisierung und Beteili-gung der örtlichen Bevölkerung, die sowohl den Aufbau als auch den Betrieb der Bibliothek durch ihr Engagement unterstützte.“ Der hier beschriebene Beteiligungserfolg ist ohne eine emotionale Verbundenheit der partizipie-renden Bevölkerung nicht denkbar. Denn für ein derartiges ehrenamtliches Engagement bedarf es ausreichender motivationaler Anreize, die wiederum an positive Emotionen gekoppelt sind (Kuhl 2010). Die Emotionalität des Beteiligungsprojektes wird jedoch mit der Bezugnahme auf den Performanz-begriff „wissenschaftshygienisch“ (Hasse 1999: 70) ausgeblendet. Denn in Bezug auf Emotionen zeichnet sich der breit gefächerte Performanzdiskurs6 durch eine erstaunliche Verschwiegenheit aus.

Sowohl im theaterwissenschaftlichen Ansatz nach Erving Goffman (2009) als auch im nicht-repräsentationalen Ansatz nach Nigel Thrift (2003) spielt die Emotionalität der an den Aufführungen beteiligten Personen keine Rolle.

In Goffmanscher Lesart werden Emotionen zugunsten eines intentional kon-zipierten Subjekts vernachlässigt. Damit gehört Goffmans Konzept zum

„mainstream der meisten Sozialwissenschaften, [der] von einem Bild des

6 Als Überblick vgl. Cloke et al. (2008), Dirksmeier (2009), Fischer-Lichte (2012)

Menschen dominiert [wird], das um dessen Emotionalität weitgehend ‚be-reinigt‘ ist“ (Hasse 1999: 64f). In der nicht-repräsentationalen Lesart des Performanzbegriffs wiederum werden Emotionen durch den vorkognitiven Affektbegriff ersetzt. Das Subjekt und seine Emotionalität werden hier zu-gunsten unbewusster, körperlicher Kräfte von Affekten außen vor gelassen.

Solche ‚natural forces‘ entsprächen eher dem lebendigen Vollzug als die Aus-einandersetzung mit individualisierten Emotionen (vgl. Thrift 2003: 2020).

Im „Diskurs zur Performativität [werden demnach] Gefühle entweder über-haupt nicht thematisiert oder einem ‚denkenden‘ Körper zugeschlagen“

(Hasse 2010: 66). Dies deckt sich mit dem generellen Entwicklungstrend so-zial- und kulturwissenschaftlicher postmoderner Theorien. Einerseits wird das Primat des Geistes aufgegeben, andererseits steht die wissenschaftliche Rehabilitierung des in der Moderne verbannten empfindenden Menschen-bilds noch aus (vgl. Kapitel 2.1). Bis dies geschehen ist, können Raum und Emotionen nicht in zufriedenstellender Weise mit dem Performanzbegriff zusammen gedacht werden. Aus diesem Grund ist das Konzept der perfor-mativen Planung ein erster wichtiger, aber nicht hinreichender konzeptio-neller Schritt, um die Erlebbarkeit des öffentlichen Raums in ihrer Ganzheit-lichkeit zu adressieren. Zwar werden die Materialität und Situativität des Er-lebens damit fassbar gemacht, nicht aber die subjektiven Bedeutsamkeiten.

Vor dem Hintergrund der hier skizzierten emotionalen Leerstelle zeichnet sich der Mehrwert des Atmosphärenbegriffs umso klarer ab. Denn Räumlichkeit und Emotionalität sind hier intrinsisch miteinander verbun-den und können die neue gesellschaftliche Wertschätzung ästhetischen Raumerlebens begreifbar machen. Das Atmosphärenkonzept bietet den für diese Studie notwendigen erkenntnistheoretischen Ansatz, der „die konse-quente Integration von Gefühlstheorien [umsetzt und] Stadt […] als einen im Erleben sich konstituierenden Raum begreif[t]“ (erneut Hasse 1999: 80, eg. Hv.). Damit leistet die Studie einen Beitrag zum sich zaghaft entwickeln-den Atmosphärendiskurs in entwickeln-den Planungstheorien. Im Rahmen dieses Dis-kurses stellt Buser (2014) erste planungstheoretische Überlegungen zum At-mosphärenbegriff an, bleibt dabei in seinen methodischen Überlegungen je-doch sehr vage. In einer der bisher wenigen empirischen Planungsstudien zum Atmosphärenkonzept untersucht Manz (2015) mit einem stärkeren An-wendungsbezug, wie der „planerischen (Vogel-)Perspektive die Sicht der Be-wohnerinnen und Bewohner und damit eine alternative Raum- und Bilder-sprache gegenüber [gestellt werden kann], […] um Unsichtbares sichtbar zu machen“ (ebd.: 136). Manz stellt dabei ebenso wie die vorliegende Studie „die sinnlich-leibliche Betroffenheit in den Fokus des Forschungsinteresses, […]

um Bedeutungen und Wahrnehmungen von Bewohnerinnen und Bewoh-nern analytisch zu fassen“ (ebd.: 135). Im Gegensatz zu Manz‘

Forschungs-Die Atmosphären des Tempelhofer Feldes | Ulrike Mackrodt Kapitel 2

anliegen untersucht die vorliegende Studie die atmosphärische Wirkmäch-tigkeit nicht (nur) für die ansässige Bevölkerung, sondern explizit für die Planer*innen selbst. Denn auch ihr Raumwissen ist situativ und leiblich ge-wonnen. Die beiden Studien ergänzen sich in ihren Forschungsinteressen und legen den Grundstein für die weitere empirische Erforschung von Atmo-sphären in Planungsprozessen. Abgesehen von diesen wenigen Pionierarbei-ten ist das PoPionierarbei-tential des Atmosphärenkonzepts im Planungsdiskurs noch weitgehend unerschlossen.

Hier könnte der Begriff Atmosphäre zumindest und zunächst wenigs-tens die Wahrnehmung verändern. Er richtet die Aufmerksamkeit auf die Beziehung von Umgebungsqualitäten und Befindlichkeiten […]. In der Tat kann man durch die Analyse der Erzeugenden von Atmosphä-ren von der Seite des Objekts her, d. h. durch die Stadtplanung, die Be-dingungen schaffen, aufgrund derer sich Atmosphären eines bestimm-ten Charakters entfalbestimm-ten können. Die Dimensionen und die Handlungs-möglichkeiten der Stadtplanung werden dadurch erweitert. Aber not-wendig auch ihre Haltung, denn im Bereich der Atmosphären heißt Handeln nicht immer bloß machen, sondern auch zulassen. (Böhme 1998: 70)

Mit dem phänomenologischen Atmosphärenbegriff schafft es die vorlie-gende Studie, das gemeinsame ‚In-Erscheinung-treten‘ von sich vollziehen-der Wahrnehmung und entstehenvollziehen-der Emotionalität konzeptionell zu fassen.

Damit können materielle und immaterielle Aspekte im Erleben öffentlicher Räume integrativ betrachtet werden. Dazu ist es jedoch zunächst vonnöten, für die bisher noch ausstehende empirische Umsetzung der Atmosphären-forschung einen methodologischen Zugang zu finden.

3. Methodischer Zugang: Operationalisierung des