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2.2 Bewegungsbeginn als Salienzsignal

2.2.3 Depressive synaptische ¨Ubertragung des Bewegungsstarts 34

Der aus der retinalen Populationsantwort auf einen Bewegungsstart resultie-rende postsynaptische Strom ist in Abbildung2.10gezeigt. Zur leichteren

Ver-gleichbarkeit der Ergebnisse f ¨ur die verschiedenen Werte des Parameters U wurde der Strom, der durch die dem Bewegungsbeginn folgende kontinu-ierliche Bewegung bewirkt wird, auf Eins normiert. Der Zeitverlauf des PSS

¨ahnelt f ¨ur niedrige U–Parameter (U= 0.1) dem der retinalen Populationsfeu-errate. Falls allerdings der Wert von U erh¨oht wird (U ≥ 0.5), beginnt sich ein wichtiger qualitativer Unterschied abzuzeichnen: Der PSS entwickelt ein Maximum kurz nach dem Bewegungsbeginn, das umso h¨oher ist, je gr¨oßerU gew¨ahlt wird. F ¨ur hohe U–Parameter erm¨oglichen die depressiven Synapsen also eine Hervorhebung des Bewegungsstarts gegen ¨uber der kontinuierlichen Bewegung.

Depressive Synapsen sch ¨utten bei jedem eintreffenden pr¨asynaptischen Spike einen festen Anteil des nur begrenzt verf ¨ugbaren Neurotransmit-ters aus, so daß sie bei fortgesetzt hoher pr¨asynaptischer Feuerrate schnell Ersch¨opfungserscheinungen zeigen. In Perioden, in denen keine Reizbewe-gung stattfindet und die pr¨asynaptische Feuerrate entsprechend gering ist, steht eine vergleichsweise große Transmittermenge bereit, da w¨ahrend einer l¨angeren Zeitspanne kein neuer Botenstoff aktiviert werden mußte und der zuvor inaktive gr¨oßtenteils wieder in den verf ¨ugbaren Zustand ¨ubergegan-gen ist. Falls sich die Eingangsrate aufgrund eines erneuten Bewegungsstarts

-500 0 500 1000 1500 2000

t / ms 0.0

0.5 1.0 1.5

P(t)

U=0.1 U=0.5 U=0.9

Abbildung 2.10: Normierter mittlerer postsynaptischer StromP der depres-siven Synapsen, hervorgerufen durch die Bewegungsstart–Antwort simu-lierter retinaler Ganglienzellen, als Funktion der Zeit. Der mittlere postsyn-aptische Strom bei Stimulation mit kontinuierlicher Bewegung wurde auf Eins normiert. Die Funktionsverl¨aufe wurden mit den Parametern U= 0.1 (gepunktet), U= 0.5 (gestrichelt) und U= 0.9 (durchgezogen) erhalten. Alle

¨ubrigen Stimulus- und Simulationsparameter entsprechen denen aus Abbil-dung2.5.

pl¨otzlich erh¨oht, kann mit diesem “erholten” Transmittervorrat kurzzeitig ein deutlich gr¨oßerer postsynaptischer Strom erzeugt werden, der bei andauern-der Bewegung wieandauern-der absinkt (Bethge et al., 1999). Soll dieser nun in die Feu-errate des betrachteten postretinalen Neurons ¨ubersetzt werden, so gen ¨ugt es, den PSS oberhalb einer passend gew¨ahlten Schwelle linear zu transformieren, w¨ahrend f ¨ur Str¨ome unterhalb der Schwelle die Ausgangsfeuerrate Null ist. So kann eine ausschließlich auf Bewegungsstarts sensitive Antwortcharakteristik der PRN simuliert werden.

Das Auftreten eines deutlichen Maximums im postsynaptischen Strom beruht allerdings auf der Annahme, daß eine ausreichende synaptische Ersch¨opfung durch eine entsprechend schnelle Transmitterverknappung ein-tritt. Eine nur zehnprozentige Aussch ¨uttung (U= 0.1) des verf ¨ugbaren Boten-stoffs gen ¨ugt nicht, um die Synapsen w¨ahrend der Bewegungsphasen stark genug zu ersch¨opfen. Erst bei Werten von ca. 50% (U= 0.5) wird eine Her-vorhebung des Bewegungsstarts allm¨ahlich erkennbar, eine deutlicher Effekt tritt erst bei noch h¨oheren U auf. Der Bereich, in dem sich U in Synapsen von Pyramidalzellen im somatosensorischen Kortex von Ratten bewegt, wird von Tsodyks und Markram (1997) mit 0.1 bis 0.95 angegeben. Falls eine sol-che Verteilung der U–Werte, deren Mittelwert nur bei ca. 50% liegt, auch f ¨ur Synapsen zwischen retinalen Ganglienzellen und nachgeschalteten Neuronen gelten sollte, ist m¨oglicherweise die synaptische Depression im allgemeinen zu schwach, um sie als alleinige Ursache f ¨ur eine robuste Hervorhebung von Bewegungsstarts betrachten zu k¨onnen. Daher wird im folgenden ein zwei-ter Mechanismus vorgeschlagen, der eine vergleichbare Antwortcharakzwei-teristik hervorruft, allerdings im postretinalen Neuron selbst angesiedelt ist.

2.2.4 Feuerratenadaptation in postretinalen Neuronen

Einf ¨uhrende Bemerkungen

Wird eine Nervenzelle ¨uber l¨angere Zeit hinweg konstant stimuliert, so zeigt sich, daß die Zahl der pro Zeiteinheit erzeugten Aktionspotentiale unmit-telbar nach Beginn der Reizung am h¨ochsten ist, danach aber abnimmt, je l¨anger die Stimulation anh¨alt. Dieses Verhalten wird als Feuerraten- oder Spikefrequenzadaptation bezeichnet und konnte in Nervenzellen der unter-schiedlichsten Spezies und Hirnregionen nachgewiesen werden. Unter ande-rem adaptiert die Spikefrequenz von kortikalen Neuronen in Meerschwein-chen (McCormick et al., 1985) und ebenso die von menschlichen kortikalen Neuronen (Lorenzon und Foehring,1992). Weitere Referenzen werden im Zu-sammenhang mit der Aufmerksamkeitssteuerung weiter unten angef ¨uhrt (Sei-te 47).Benda (2002) gibt eine umfassende ¨Ubersicht mit zahlreichen weiteren Beispielen, ebenso werden dort die f ¨ur die Adaptation verantwortlichen zel-lul¨aren Abl¨aufe er¨ortert. Beispielhaft soll hier die sogenannte

Nachhyperpo-larisation (afterhyperpolarization, AHP) erw¨ahnt werden. Diese wird durch die langsame Anreicherung von Kalziumionen in der Zelle infolge der Spikegene-rierung und eine damit verbundene erh¨ohte Leitf¨ahigkeit von kalziumgesteu-erten Kaliumkan¨alen hervorgerufen. Durch die Hyperpolarisation wird bei andauernder Reizung das Erzeugen von Aktionspotentialen zunehmend er-schwert. Die Arbeit vonLankheet et al.(1989) zur Feuerratenadaptation in re-tinalen Ganglienzellen der Katze ist hier insofern von besonderer Bedeutung, als daß dort ein einfaches Modell f ¨ur diesen Vorgang vorgeschlagen wird, auf dessen Grundlage die hier gezeigten Ergebnisse gewonnen wurden.

Um die Verarbeitung von Bewegungsinformation in adaptiven postretina-len Neuronen zu untersuchen, wird im folgenden eine Population von einfa-chen Modellneuronen, sogenanntenleaky integrate–and–fireNeuronen mit dy-namischer Schwelle simuliert (Eckhorn et al., 1990). Das Feuerverhalten der Einzelzellen sowie die Populationsaktivit¨at bei Stimulation mit einem hellen Balken, der die rezeptiven Felder der Zellen durchquert, wird f ¨ur gleichf¨ormi-ge und ruckweise Bewegung verglichen.

Postretinale Neuronen im Tectum von Salamandern

Als Beispiel f ¨ur postretinale Neuronen wurden zur Absch¨atzung der Simulati-onsparameter Nervenzellen im optischen Tectum von Salamandern herange-zogen (Roth,1987). Von diesen Tieren ist zum einen bekannt, daß sie bevorzugt mit Hinwendebewegungen oder Schnappversuchen auf bewegte Beuteattrap-pen reagieren, wenn diese ruckweise bewegt werden. Zum anderen konnten von Neuronen im Salamandertectum detaillierte anatomische und eine Reihe elektrophysiologischer Eigenschaften ermittelt werden (Wiggers et al., 1995;

Dicke, 1999; Roth et al., 1999). Die Dendriten dieser Neuronen breiten sich in den oberen Schichten des optischen Tectums ¨uber große Distanzen aus und in-tegrieren auf diese Weise die durch retinotop angeordnete afferente Fasern ein-treffenden Signale der Netzhautzellen. Auf diese Weise kommen sehr große, stark ¨uberlappende rezeptive Felder (RF) zustande, die im Mittel 41 Seh-winkel einschließen und keinen Zentrums–Umfeld–Antagonismus aufweisen (Wiggers,1991;Wiggers et al.,1995). Weiter konnte nachgewiesen werden, daß sich im optischen Tectum eine große Zahl von Interneuronen befindet, die im Gegensatz zu den ¨ubrigen Zellen keine direkte Verbindung zu retinalen Fa-sern aufweisen, und die entweder keine Axone besitzen oder deren Axone das Tectum nicht verlassen. Verschiedene Typen dieser Zellen unterscheiden sich im Durchmesser ihrer Dendriten, von denen einige weit ausgreifen, ande-re dagegen in einem vergleichsweise kleinen Beande-reich verzweigen (Roth et al., 1999). Die Wechselwirkung mit den ¨ubrigen Zellen des tectalen Netzwerks fin-det vermutlich ¨uber eine De- bzw. Hyperpolarisierung des Dendriten statt, die sich dann auf benachbarte Zellen ¨ubertr¨agt (Wiggers, pers¨onliche Mitteilung).

Eingangsstrom der Modellneuronen bei optischer Stimulation

Um ein Modell der Verarbeitung eines bewegten Balkenreizes in tectalen Neu-ronen zu entwickeln, ist es zun¨achst n¨otig, die w¨ahrend der entsprechenden Stimulation bei einem solchen Neuron eintreffenden Eingangssignale zu be-rechnen. Bisher ist das von einer Gruppe retinaler Neuronen der Schildkr¨ote erzeugte Signal bei Stimulation mit einem ruckweise bewegten Balken be-kannt, wobei vorausgesetzt wird, daß dieses Aktivit¨atsmuster in nahezu glei-cher Weise von einer Ganglienzellpopulation der Salamanderretina erzeugt w ¨urde. Wie bereits erw¨ahnt wird das retinale Signal in das optische Tectum geleitet, so daß dort entsprechend der Position des Balkens im Sehraum eine r¨aumlich begrenzte Aktivierung der afferenten Fasern auftritt. Diese wieder-um muß mittels synaptischer Kopplung auf ein tectales Modellneuron ¨uber-tragen werden. In Ermangelung genauer Daten wird angenommen, daß die Synapsenst¨arke zwischen retinalen Axonen und postretinalen Dendriten mit zunehmender Entfernung der Synapsen vom hypothetischen Zellkern des Modellneurons monoton abnimmt. Der genaue Verlauf dieser Abnahme wird hier durch eine Gaußfunktion beschrieben, da ein antagonistisches Umfeld in tectalen Zellen nicht beobachtet wird. Relativ zum großen Dendritendurch-messer der tectalen Neuronen ist der Bereich aktiver afferenter Fasern bei den hier verwendeten schmalen Stimuli r¨aumlich nur wenig ausgedehnt. Daher ist die Annahme gerechtfertigt, daß sich die Synapsenst¨arke auf der r¨aumlichen Skala des afferenten retinalen Aktivit¨atsmusters nur unwesentlich ¨andert. Um die zur Bestimmung der synaptischen Kopplung n¨otige Abstandsinformati-on zu erhalten, gen ¨ugt es also, die Entfernung zwischen Modellzellkern und der Position der maximalen Aktivit¨at der afferenten Fasern zu betrachten. So-mit ist die Berechnung des Eingangsstroms I(t) des Modellneurons i durch die Multiplikation der experimentell ermittelten retinalen Populationsantwort R(t) mit einem Faktor m¨oglich, der der synaptischen Kopplung entspricht.

Des weiteren kann aufgrund der retinotopen Organisation des Tectums die Position des Zellkerns von Neuron i mit der des Zentrums seines rezepti-ven Feldes ¯x im Sehraum identifiziert werden. F ¨ur die Transformation der retinalen in visuelle Koordinaten wird hier ein konstanter Umrechnungsfak-tor angenommen: 100µm retinale Entfernung=b1Sehwinkel bei Salamandern (an der Heiden und Roth, 1987; Smirnakis et al., 1997). Damit ist es m¨oglich, auch den Ort der maximalen afferenten Aktivit¨at durch die Stimuluspositi-on im Sehraum x (t) zu substituieren. Eine eventuelle Abh¨angigkeit des ver-wendeten Umrechnungsfaktors von der Exzentrizit¨at wurde hier aus Mangel an geeigneten Daten nicht ber ¨ucksichtigt. Streng genommen m ¨ußte sich der Stimulus in gleichbleibender Entfernung um das Auge herumbewegen und dar ¨uberhinaus die afferenten Fasern ein Areal der Netzhaut unabh¨angig von dessen Position immer mit dem gleichen Skalierungsfaktor ins Tectum proji-zieren.

Durch die genannten Transformationen beziehen sich alle Modellparame-ter auf das Koordinatensystem des Sehraums, und die gesuchte Eingangsakti-vit¨at des Neuronsikann folgendermaßen berechnet werden:

I(t) =R(t) Asyn 2πσ

syn exp −(x (t) −x¯ )

syn

!

, (2.12)

wobei Asyn die maximale St¨arke der synaptischen ¨Ubertragung und σsyn die Breite der Gaußschen Kopplungsfunktion darstellen. Die RF der simulierten Neuronenpopulation (N=20) sind entlang der Bewegungstrajektorie des Rei-zes angeordnet (¯x = i∆x¯; i = 0 . . . N − 1), und ¨uberlagern sich (∆x¯= 2, σsyn= 25).

Membranpotential und dynamische Schwelle

Zur Berechnung des MembranpotentialsM (t) des Neuronsi wird sein Ein-gangsstromI (t)mittels eines Leckintegrators mit Zeitkonstanteτ tiefpaßge-filtert:

M(t) =I (t)∗

exp(−t/τ )H(t)

. (2.13)

H(·)ist dabei die Heaviside–Stufenfunktion (Definition siehe AnhangB).

Neuron i generiert im Simulationszeitschritt t+∆t ein Aktionspotential, sobaldM (t)die Schwelleθ(t)der Zelle ¨ubersteigt:

O (t+∆t) = H(M(t) −θ(t)). (2.14) θ(t) besteht aus einem normierten festen Anteil θ = 1 und einem dynami-schen Anteil. Letzterer ist die Impulsantwort zweier Leckintegratorenθ und θ auf die Spikeaktivit¨atO (t):

θ (t) = θ +O (t)∗

(V exp(−t/τ ) +V exp(−t/τ ))H(t)

. (2.15) Einer der Leckintegratoren hat eine kurze Zeitkonstante τ , um die relative Refrakt¨arzeit des Neurons unmittelbar nach Erzeugung eines Spikes zu mo-dellieren, w¨ahrend die Zeitkonstante des zweiten Leckintegrators τ gr¨oßer ist, um eine langsame Adaptation der Spikegenerierung nachzubilden.

Die Parameter werden manuell so angepaßt, daß die Neuronen bei der Reizung mit gleichf¨ormig bewegten Balken biologisch realistische RF–Gr¨oßen und Feuerraten zeigen. Diese wurden experimentell in Einzelzellableitungen im Tectum opticum von Salamandern beobachtet (Wiggers,1991). Durch Wahl vonAsyn= 15,σsyn= 25 und τ = 6 ms wird eine RF–Gr¨oße von ca. 60 festge-legt. Die Feuerrate wird ebenfalls vonAsynsynundτ beeinflußt, aber ebenso von der Simulationsschrittweite∆tund den SchwellenparameternV ,V undτ . Diese werden so gew¨ahlt, daß die simulierten Zellen bei konstanter

Reizung sowohl eine deutliche Adaptation ihrer Spikerate als auch eine rea-listische Feuerrate von ca. 3 Hz bei einer Stimulusbreite von 1 und einer Be-wegungsgeschwindigkeit von 4.4/s zeigen (∆t= 5 ms, V = 0.6, τ = 10 ms, V = 0.1,τ = 400 ms).

2.2.5 Verarbeitung ruckweiser Bewegung durch adaptive