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Der Europäische Gerichtshof geht in seinem Verbraucherleitbild von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher aus (BENNER, 2004B). Das ent-spricht dem Bild eines souverän agierenden Verbrauchers, der explizit seine eigenen Inte-ressen am Markt verfolgt und um die Besonderheiten der Werbung als Instrument der Infor-mationsvermittlung weiß. Dieses Verbraucherbild findet sich in der wissenschaftlichen Marketingliteratur im so genannten Persuasion Knowledge Model wieder, in dem der Ver-braucher im Marktgeschehen seine eigenen Ziele verfolgt. Die hierfür notwendigen Informa-tionen erfasst der Verbraucher auf der Basis zeitpunktunabhängiger, umfassender Reflexionen (BENNER, 2004B).

Das Bild des europäischen Verbrauchers ist nicht mit jenem Verbraucherbild identisch, das zum Grundbestand des Marketing gehört und sich beispielsweise im Elaboration-Likelihood-Model widerspiegelt (PETTY u. CACIOPPO, 1986; STAHLBERG u.FREY, 1993). Das Elaboration-Likelihood-Model zeigt zwar auf, wie sich beim Verbraucher Einstellungen gegenüber Pro-dukten bilden; das zugrunde liegende Verbraucherbild unterstellt jedoch, dass sich der Ver-braucher lediglich mit Produkteigenschaften auseinander setzt und auf Reize reagiert, die ihm etwa durch Werbung dargeboten werden (FRIESTAD u.WRIGHT 1994 u. 1995). Auf das Elaboration-Likelihood-Model bezieht sich auch ALVENSLEBEN (1999B u.2001C) wonach der Verbraucher die Informationen über Lebensmittel in erster Linie auf dem peripheren Weg verarbeitet. Hierunter werden Einstellungsänderungen durch Reize (z.B. Bilder, Geräusche u.a.) in Verbindung mit positiven oder negativen Gefühlen verstanden. Die Wirkung von Informationen hängt stärker von der Glaubwürdigkeit und Attraktivität des Kommunikators, der Häufigkeit der Wiederholung und weiteren emotionalen Schlüsselinformationen ab. Die Qualität der Schlüsselinformationen hat hierbei einen geringen Einfluss. Sachinformationen stoßen schnell an ihre Grenzen (ALVENSLEBEN, 1999B u. 2001C). ALVENSLEBEN (2002C) beruft sich auf eine englische Untersuchung, der zur Folge nur 11% der Verbraucher aktiv nach Informationen suchen. 51% der Verbraucher haben hiernach zwar gute Vorsätze, aber tun nichts, und 38% der Verbraucher haben kein Interesse an neuen Informationen.

Da es kein einheitliches Bild des Verbrauchers gibt, soll in dieser Arbeit der Verbraucher bzw. Konsument als ein solcher gesehen werden, der seine Informationen über Lebensmittel hauptsächlich auf dem peripheren Weg verarbeitet und für den häufig Schlüsselinforma-tionen/Schlüsselreize zur Meinungsbildung wichtiger sind als Sachinformationen.

2.1.2 Expertenbild

In den Lexika KNAURS (1981) und CORON (1992) ist der Experte als „Sachverständiger, Fachmann, Kenner“ definiert. Weiter findet man im Internet eine Definition von WIKIPEDIA

(2005). „Fachmann oder Fachfrau (auch Spezialist oder Experte) bezeichnet unscharf eine Person, die über umfangreiches Wissen auf einem oder mehreren bestimmten Fachgebieten oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Auch ein Wissensvorsprung gegenüber dem Durch-schnitt kann einen Fachmann definieren. Neben dem theoretischen Wissen ist auch eine kompetente Anwendung desselben, also praktisches Handlungswissen, kennzeichnend.

Solche Fertigkeiten gründen sich meist auf Training sowie Talent.“ Hierbei eignet sich die

Person das Wissen in der Regel durch eine Ausbildung oder ein Studium an, es kann jedoch auch durch Forschung oder auch autodidaktisch erworben werden.

Im Rahmen der Arbeit gelten als Experten Wissenschaftler, Vertreter von Behörden in leitender Stellung sowie Vertreter der Wirtschaft und Dienstleister der Wirtschaft. Diese Personen verfügen über jahrelange Erfahrungen auf ihrem Fachgebiet. Sie haben durch wis-senschaftliche Veröffentlichungen ihre Arbeiten dokumentiert oder sich in ihrem jeweiligen Bereich Kompetenzen erworben. Dadurch ergibt sich zwangsläufig, dass es sich bei der be-rücksichtigten wissenschaftlichen Literatur auch um Expertenmeinungen handelt.

2.1.3 Risikobegriff, Risikowahrnehmung und Risikobewertung

Nach HOLZHEU u. WIEDMANN (1993) bezieht sich der Begriff „Risiko“ auf potentielle Ereignisse, deren Ausprägungen im Einzelnen im Voraus ungewiss sind. Sie definieren

“Risiko” als ein Konstrukt. Dieses heißt, dass „Risiko“ ein Beobachtungskonzept ist, das man mit einer Art Brille vergleichen kann, durch die man die Welt betrachtet. Ein „Risiko“ kann dabei je nach dem, durch welche „Brille“ man es betrachtet, unterschiedlich bewertet werden. Zum Beispiel werden innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedliche „Risikobrillen“ getragen. Dadurch wird bei der Betrachtung desselben Gegenstandes Unterschiedliches gesehen. Dieses trifft auch auf die Bewertungen von Risiken durch Verbraucher und Experten zu. Das Risiko, an Fleisch von hormonbehandelten Tieren zu erkranken, wird z.B. vielfach vom Verbraucher als ein größeres Risiko angesehen als eine mikrobiologische Kontamination, die von den Fachleuten als das größere Risiko bewertet wird (vergleiche hierzu HILDEBRAND, 2002).

In der EU-Verordnung 178/2002 wird Risiko als „eine Funktion der Wahrscheinlichkeit einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und der Schwere dieser Wirkung als Folge der Realisierung einer Gefahr“ beschrieben.

HENSEL (2003) definiert Risiko als eine Art „Vorstufe der Gefahr“. Durch das Risiko wird das Potenzial eines Stoffes oder Keims charakterisiert, der die Gesundheit unter bestimmten Bedingungen schädigen kann. Durch Risikoerkennung, -bewertung und –management kön-nen Schadpotenziale frühzeitig erkannt werden und Rahmenbedingungen festgelegt werden, um das Eintreten der Gefahr zu minimieren bzw. auszuschließen.

In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „Risiko“ als ein Konstrukt, wie er von HOLZHEU u.

WIEDMANN (1993) beschrieben wird, verwendet. Der Begriff „Risiko“ wird nicht nur im Zusam-menhang mit einer bestimmten Gefahr, durch die es zu einer gesundheitlichen Gefährdung kommen kann, benutzt. Als Risiken werden auch Sachverhalte verstanden, die Schwach-punkte in der Kommunikation darstellen, also einzelne Aussagen der Werbung oder Ereig-nisse bzw. Aussagen, die das Produktimage Fleisch insgesamt in Frage stellen können. Das können zum einen Risiken sein, die real vorhanden sind. Zum anderen können es aber auch Risiken sein, die real keine Gefahr für das Produkt Fleisch oder den Verbraucher darstellen, aber als Risiko vom Verbraucher gesehen werden und deshalb sein Konsumverhalten beeinflussen (Abbildung 2.1-1).

Wichtig bei dem Empfinden bzw. der Wahrnehmung von Risiken sind nach JUNGERMANN

undSOLVIC (1993) folgende Elemente:

Das Katastrophenverhalten: Das Empfinden der Katastrophe ist größer, wenn auf ein-mal viele Menschen betroffen sind, als wenn dieselbe Anzahl an Menschen über einen längeren Zeitrum betroffen ist.

Die Betroffenheit: Ist jemand direkt von einem Risiko betroffen, bewertet er es stärker, als wenn jemand ein Risiko beurteilen soll, von dem er nicht unmittelbar betroffen ist.

Die Freiwilligkeit: Freiwillig in Kauf genommene Risiken werden eher akzeptiert und als weniger gefährlich beurteilt als Risiken, mit denen jemand unfreiwillig, gezwungener-maßen konfrontiert wird.

Die Kontrollierbarkeit: Risiken, bei denen der Mensch der Meinung ist, diese vermeintlich kontrollieren zu können, werden als weniger gefährlich eingestuft als Risiken, die sich der Kontrollmöglichkeit des Einzelnen entziehen.

Die Verantwortlichkeit: Natürliche Risiken werden als weniger gefährlich eingestuft als Risiken, die aufgrund von technischen Errungenschaften entstehen. Bei natürlichen Risiken wird häufig davon ausgegangen, dass diese unvermeidbar und somit nicht kontrollierbar sind. Risiken, die aufgrund von Entwicklungen durch die Industrie-gesellschaft entstehen, werden als vermeidbar und kontrollierbar eingestuft und damit unabhängig von ihrer Auswirkung als gravierender bewertet.

Undeutlichkeit von Risiken: Bei unbekannten Techniken (z.B. Gentechnik) spielt dieser Aspekt eine große Rolle. Hier werden in die Risikobewertung mögliche soziale und politische Fehlentwicklungen mit einbezogen. Dazu kommt die Unsicherheit, dass zum Zeitpunkt der Beurteilung nicht bekannt ist, ob sich z.B. aus einem harmlosen Organismus ein gefährlicher human- oder tierpathogener Krankheitserreger entwickeln kann.

Entsprechende Risikomerkmale werden auch von ALVENSLEBEN (2002B) benannt.

Abbildung 2.1-1: Risikobegriff, Risikowahrnehmung und Risikobewertung.

Risikomerkmale und deren Empfinden spielen gerade bei der Risikobewertung eine entscheidende Rolle. Die Risikobewertung durch Experten befasst sich in erster Linie mit Risiken als Produkt von Wahrscheinlichkeit und Konsequenzen (KEMP, 1993). Experten er-fassen Risiken nach Schadendimension, Sachschäden bzw. Gesundheitsschäden (HAMPEL

u. RENN, 1999). Experten neigen dazu, Risiken mit hoher Wahrscheinlichkeit, aber geringen Folgen unterzubewerten (KEMP, 1993).

Risiko

Kommunikationsrisiko

(ethisch, sensorisch, negatives Produktimage)

reale Risiken

(mikrobiologisch, chemisch, physikalisch)

reale Gesund

heits-gefahr

Meide- ver-halten

Die Verbraucher erfassen zusätzlich ökonomische, ökologische, soziale, rechtliche und ethische Auswirkungen (HAMPEL u. RENN, 1999). Beim Verbraucher sind die Schadenfolgen, die sich im ungünstigsten Fall ergeben, wichtiger für die Risikobewertung als die Wahr-scheinlichkeit eines möglichen Eintretens des Risikos. Das hat zur Folge, dass Risiken mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber hoher Auswirkung oft überbewertet werden (KEMP, 1993).

Dieses wird auch aus der Abbildung 2.1-2 deutlich. Von den Experten werden die ernäh-rungsabhängigen Risiken wesentlich höher bewertet und die Risiken durch BSE wesentlich niedriger bewertet als durch den Verbraucher.

Abbildung 2.1-2: Unterschiedliche Beurteilungen von Risiken durch Experten und Verbraucher (RÖHR ET AL., 2002B).

2.1.3.1 HACCP-Konzept

HACCP-Konzept ist die Abkürzung für Hazard Analysis Critical Control Point-Konzept. Es dient dazu, bedeutende gesundheitliche Gefahren durch Lebensmittel zu identifizieren, zu bewerten und zu beherrschen. Entwickelt wurde das HACCP-Konzept im Jahr 1959, als die NASA ein Lebensmittelunternehmen beauftragte Astronautennahrung herzustellen, die hun-dertprozentig sicher ist. Das HACCP-Konzept basiert auf der vom US-Militär für technische Anwendungen geschaffene Fehler-Möglichkeits-und-Einfluss-Analyse (FMEA-Methodik). Die FMEA-Methodik wird genau wie das HACCP-Konzept präventiv zur Risiko- und Fehler-analyse von Produkten und Prozessen in der Entwicklung, Konstruktion und Prozessplanung eingesetzt (MORTIMORE u.WALLACE, 2000; WIKIPEDIA, 2006).

Seit 1993 wird die Anwendung von HACCP-Konzepten durch die Food and Agriculture Organisation der UNO empfohlen. Im deutschen Recht wurde das HACCP-Konzept erstmals mit der Lebensmittelhygieneverordnung von 1998 verankert. Es ist seit dem 1. Januar 2006 in der gesamten Lebensmittelproduktion vorgeschrieben.

Im Rahmen des HACCP-Konzeptes werden chemische, physikalische und mikrobiologische Gesundheitsgefahren identifiziert. Anschließend werden die Wahrscheinlichkeit und die Bedeutung der Gesundheitsgefahren bewertet. Aufgrund dieser Analysen sind die notwendi-gen vorbeunotwendi-genden Maßnahmen festzulenotwendi-gen. Das HACCP-Konzept liegt primär in der Ver-antwortung des Unternehmers (HOLZAPFEL ET AL., 2004). Das HACCP-Konzept umfasst eine konsequente Prozessüberwachung. Hierbei geht es um vorbeugende Maßnahmen und

we-Gesundheitsrisiken

niger um die Untersuchung von Endprodukten (WEBER, 1996). Die HACCP-Analyse erfolgt dabei nach sieben Grundsätzen, die in Tabelle 2.1-1 dargestellt sind. In der Tabelle sind die Schritte aufgeführt, die bei der Erstellung eines HACCP-Konzeptes durchgeführt werden (WEBER, 1996; SINELL, 1998B; MORTIMORE u.WALLACE, 2000; HENSGEN, 2004). Regelungen und Weiterentwicklungen des HACCP-Konzeptes erarbeitet die Codex Alimentarius Kommis-sion (MORTIMORE u.WALLACE, 2000).

Tabelle 2.1-1: Die 7 Grundsätze des HACCP-Konzeptes nach dem Codex Alimentarius.

HACCP Konzept Codex Alimentarius 1. Durchführen einer Gefahrenanalyse.

2. Bestimmung der kritischen Kontrollpunkte (CCPs).

3. Festlegung der kritischen Grenzwerte.

4. Festlegung eines Systems zur Überwachung (Monitoring) der CCPs.

5. Festlegung von Korrekturmaßnahmen, wenn die Überwachung anzeigt, dass ein CCP-Punkt nicht mehr beherrscht werden kann.

6. Festlegung eines Verfahrens zur Verifikation des Konzeptes, das bestätigt, dass das System richtig arbeitet.

7. Dokumentation der eingeführten Maßnahmen, anhand derer das System nachzuvollziehen ist.

2.1.4 Produkt- und Prozessqualität

Im Rahmen vorliegender Arbeit werden die Begriffe Produktqualität und Fleischqualität sy-nonym verwendet. Die Fleischqualität wird durch folgende Eigenschaften definiert (HOFMANN, 1973):

sensorisch (Aussehen, Aroma, Textur),

ernährungsphysiologisch (Nährwert, Vitamine),

hygienisch-toxikologisch (u.a. Rückstände, Mikroorganismen).

verarbeitungstechnologisch (u.a. pH-Wert, Wasserbindungsvermögen).

Unter Prozessqualität werden die Einflüsse verstanden, die durch die Produktionsverfahren auf das Tier und auf das Produkt wirken. Hierunter fallen Punkte wie:

Futterqualität,

Haltungsbedingungen (u.a. Spaltenboden, Anzahl der Tiere/Stall), Transportbedingungen (u.a. Art, Dauer, Klima),

Betäubungsverfahren und Blutentzug,

hygienische Voraussetzungen (u.a. Schlacht- und Verarbeitungshygiene), Rückverfolgbarkeit,

Umgang mit den Tieren, Verhalten der Tiere.

2.2 Die Sicherheit der Fleischproduktion aus der Sicht des Verbrauchers

Im Dokument Risikoaspekte der Fleischerzeugung (Seite 13-18)