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2. Theorie

2.2. Politischer Wille

2.2.1. Definitionen politischen Willens

Während politischer Willen gesellschaftlich schon lange als durchaus wichtiger Be-griff gilt, der mit dem Willen von Politikern assoziiert oder als bloße politische BeBe-grifflichkeit verstanden wurde, stellte er in den organisationalen Wissenschaften lange Zeit ein ambigues und unzureichend definiertes Konstrukt dar (Hammergren, 1998). Der Begriff wird oft ge-braucht, um das Scheitern von Politikern, Regierungen oder sozialen Bewegungen zu erklären (Treadway, 2012) und findet v.a. dann Verwendung, wenn der Grund für das Scheitern unklar ist (Post, Raile & Raile, 2010). Aus psychologischer Sicht stellt politischer Wille jedoch weit

Tabelle 2.2

Definitionen und Konzeptualisierungen von politischem Willen in chronologischer Reihenfolge

Autor Definition/Konzeptualisierung Hauptmerkmal(e) der Definition

Mintzberg (1983)

Mintzberg (1983) verwendete den Begriff als erster, stellte jedoch keine formale Definition zur Verfügung.

Mintzberg verstand politischen Willen als die Kapazität eines Indivi-duums, Energie für ein bestimmtes Ziel aufzuwenden.

House et al.

(1996, S. 205) “tendencies to respond to situations, or classes of situations in a particular,

predetermined manner” Der Fokus liegt auf den dispositionalen Antezedenzien von

politi-schem Verhalten: Persönlichkeitseigenschaften, Bedürfnisse, Einstel-lungen, Motive etc.

Kpundeh

(1998, S. 92) „the demonstrated credible intent of political actors (e.g., elected or appoin t-ed leaders, civil society watchdogs, stakeholder groups, etc.) to attack per-ceived causes or effects of corruption at a systemic level”

Politischer Wille manifestiert sich in Verhaltensweisen und ist somit charakterisiert durch Handlungen und nicht durch Intentionen (vgl.

Treadway, 2012).

Brinkerhoff

(2000, S. 241) „A phenomenon that includes (a) individual actors along with their aspira-tions, motivaaspira-tions, and capacities (b) organizations within which individuals function and on whose behalf individuals often act (c) socio-economic and governance systems, which frame both constraints and incentives for indi-viduals and organizations, and (d) the policies, programs, and activities that actors and organizations are involved with a various stages.”

Diese weiterführende Definition zeigt die interdependente Natur individueller Handlungen, Gruppenverhaltens und Systemen für den Prozess der Zielerreichung.

Treadway et al.

(2005, S. 231) “… actor’s willingness to expend energy in pursuit of political goals, and it

is viewed as an essential precursor to engage in political behavior.” Die Operationalisierung politischen Willens nach Treadway und Kollegen (2005) orientiert sich eng an der ursprünglichen Beschrei-bung nach Mintzberg (1983) und erfolgt über die Substitute intrinsi-sche Motivation und Leistungsmotivation.

Post et al.

(2010, S. 659) “plainly speaking, political will is the extent of committed support among

key decision-makers for a particular policy solution to a particular problem.” Post et al. (2010) schlossen, dass politischer Wille ein Konstrukt darstellt, das allein auf der Gruppenebene relevant ist und dass die persönliche Motivation eines Individuums nur dann politischen Wil-len repräsentiert, wenn voll autoritäre Kontrolle besteht.

Treadway

(2012, S. 533) “the motivation to engage in strategic, goal-directed behavior that advances the personal agenda and objectives of the actor that inherently involves the risk of relational and reputational capital”

Die Definition nach Treadway (2012) konzentriert sich v.a. auf das Individuallevel und stellt drei zentrale Grundsätze heraus: Strategie, Eigennutz und Risiko.

Doldor et al.

(2013, S. 415) “attitudes towards politics and engaging in politics are a closer indicator of

managerial political will than personality proxies” In einer qualitative Studie zeigen die Autoren, dass es drei saliente Dimensionen politischen Willens gibt: funktionale Ambivalenz, ethi-sche Ambivalenz und emotionale Ambivalenz.

Kapoutsis et al.

(2015, S. 3) “Our multi-study approach is built upon the anecdotal notions of political will offered by Mintzberg (1983) and the conceptual framework presented by Treadway (2012). We agree with Treadway’s view of political will as a multidimensional construct consisting of both self-serving and altruistic motives.”

Kapoutsis et al. versuchen die ursprünglichen Ansätze nach Mintz-berg mit der Konzeptualisierung von Treadway zu vereinen, um einen Messinstrument zur Erfassung von politischem Willen zu er-schaffen.

Anmerkungen. Diese Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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mehr dar: einen umfassenden, wenn auch wenig erforschten Faktor in Organisationen, der Verhalten, soziale Interaktion und Leistung beeinflussen könnte und der möglicherweise essentiell für den Erfolg ist (Kapoutsis, 2016). Die reine Begrifflichkeit des politischen Wil-lens erfährt bereits eine allgemein akzeptierte Nützlichkeit, obwohl lange Zeit relativ unklar blieb, was genau dieser eigentlich beinhaltet. Eine Übersicht über die Definitionen und Kon-zeptualisierungen von politischem Willen, die sich über die Jahre hinweg entwickelt haben, ist daher in Tabelle 2.2 (S. 45) dargestellt.

Wie zuvor bereits erwähnt entwickelte Mintzberg (1983) vor über 30 Jahren als einer der Ersten eine wichtige theoretische Grundlage für die Betrachtung von Politik in Organisa-tionen. Dabei charakterisierte er Organisationen als politische Arenen, in denen das alleinige Verfügen über Macht nicht ausreichend ist, um erfolgreich zu sein. Nach Mintzberg benötigen Individuen dafür zwei bedeutende Qualitäten: politischen Willen und politische Fertigkeiten.

Politischer Wille stellt dabei die Bereitschaft oder Motivation dar, persönliche Ressourcen einzusetzen und kann als Voraussetzung für politisches Verhalten verstanden werden. Politi-sche Fertigkeiten sichern die Ausführung von politiPoliti-schem Verhalten auf eine clevere und ef-fektive Art. Obwohl politischer Wille bislang kaum von empirischer Bedeutsamkeit ist, wurde die theoretische Bedeutung des Konstrukts stets betont. So forderten bspw. Ferris, Fedor und King (1994), dass ein politisches Modell von Führung ein besseres Verständnis von politi-schem Willen erfordere, da dieser eine Antezedens von politipoliti-schem Verhalten und somit auch von Führung darstelle. Ende der neunziger Jahre haben sich aufbauend auf Mintzbergs ur-sprünglicher Konzeption verschiedene Definitionen von politischem Willen entwickelt. Wäh-rend Mintzbergs Beschreibung politischen Willens noch relativ lose war und lediglich die Bereitschaft beschrieb, persönliche Ressourcen einzusetzen, charakterisierten House, Shane und Herold (1996) politischen Willen konkret anhand von potenziellen dispositionalen Ante-zedenzien für politisches Verhalten. Als Prädiktoren galten dabei das Macht- und das Leis-tungsmotiv, intrinsische Motivation sowie Machiavellismus (vgl. Porter et al., 1981; Tread-way et al., 2005). Einen anderen Ansatz wählte Kpundeh (1998), der explizit die Manifestati-on durch Verhaltensweisen als Kernmerkmal vManifestati-on politischem Willen betManifestati-onte und diesen so-mit primär durch Handlungen charakterisierte. Brinkerhoff (2000) wiederum stellte in seiner Definition das Zusammenspiel von Individuen, Organisationen und Systemen heraus und be-schrieb politischen Willen als interdependentes Phänomen.

Zurück zu Mintzbergs ursprünglicher Beschreibung gingen Treadway et al. (2005), als sie einen ersten empirischen Test politischen Willens durchführten. Sie beschrieben

politi-schen Willen als Bereitschaft, Energie für ein bestimmtes Ziel aufzuwenden und sahen in po-litischem Willen zudem eine essentielle Voraussetzung für das Zeigen von popo-litischem Ver-halten. Operationalisiert wurde politischer Wille für die empirische Überprüfung durch das Leistungsmotiv und intrinsische Motivation - Komponenten, die sich auch in der Definition von House et al. (1996) wiederfinden. Es wurde angenommen, dass beide Komponenten posi-tiv mit der Wahrscheinlichkeit politisches Verhalten zu zeigen, zusammenhängen. In ihrem theoretischen Rahmenmodell spezifizierten Treadway et al. (2005) politischen Willen als Vorbedingung für politisches Verhalten und politische Fertigkeiten als Moderator der Bezie-hung zwischen politischem Verhalten und Emotionsarbeit (emotional labor15). Die Ergebnisse der Studie bestätigten, dass Individuen wahrscheinlicher politisches Verhalten zeigen, wenn sie ein hohes Leistungsmotiv und eine starke intrinsische Motivation besitzen. Die Bereit-schaft und Motivation eines Individuums stellten also ausschlaggebende Faktoren für die Ent-scheidung dar, sich politisch zu engagieren. Die Studie konnte ebenfalls zeigen, dass ein hö-heres Ausmaß an emotionaler Arbeit eine Folge zunehmenden politischen Verhaltens ist und dass dieser Zusammenhang durch die Ausprägung der politischen Fertigkeiten eines Indivi-duums moderiert wird.

Bei der Entwicklung einer einheitlichen Definition politischen Willens leisteten Post et al. (2010) einen richtungsweisenden Beitrag, indem sie verschiedene bedeutende Forschungs-fragen formulierten und beantworteten. Dabei ging es u.a. um die grundlegende Frage, ob für politischen Willen eine Schwelle mit binären Messeigenschaften besteht, die es zu überschrei-ten gilt oder ob es sich um eine kontinuierliche Messung handelt, deren Inüberschrei-tensität quantifiziert werden kann. Des Weiteren um die Existenz politischen Willens auf dem Individual- oder Gruppenlevel sowie den Inhaltsbereich des Konstrukts: handelt es sich nur um die Intentionen eines Ausführenden in Bezug auf eine politische Handlung oder finden auch die Fähigkeiten und Ressourcen Berücksichtigung, die gebraucht werden, um diese Handlung umzusetzen?

Abschließend stellte sich außerdem die Frage von Stabilität vs. Veränderung, also der dyna-mischen Entwicklung politischen Willens über Zeit und Kontext. Abhängig von der Beant-wortung dieser Fragen kann politischer Wille auf verschiedene Arten und Weisen definiert werden (vgl. Brinkerhoff, 2000; Malena, 2009). Post et al. (2010) stellten wiederum Kernele-mente verschiedenster Definitionen, v.a. aus dem Bereich der politischen Wissenschaften, zusammen und schlussfolgerten, dass politischer Wille nur auf dem Gruppenlevel relevant ist, politische Entscheidungsträger ausreichend Autorität, Kapazität und Legitimität besitzen soll-ten und sie ihren spezifischen Zielen stark verpflichtet bzw. verschrieben sein sollsoll-ten.

15 “the act of evoking or shaping, as well as suppressing, feeling in oneself’ [at work]”(Hochschild, 1979, S. 561)

scher Wille wird damit als Konstrukt beschrieben, dass nur auf der Makroebene relevant ist.

Eine Begründung für diese Annahme geht v.a. auf die Feststellung zurück, dass der Wille eines Individuums nicht einer gesamten Gruppe aufgezwungen werden kann, sofern dieses Individuum keine absolute Macht besitzt (Brinkerhoff, 2000; Post et al., 2010). Dabei wird politischer Wille jedoch als ein Phänomen eingegrenzt, das allein in kollektiven Strukturen relevant ist; die Motivation eines Einzelnen wird vollkommen ausgeklammert.

Dieser Ansatz kann sich für die politischen Wissenschaften oder die öffentliche Politik als durchaus passend erweisen; für die Anwendung in der Organisationspsychologie kann anhand dieser kollektiven Auslegung jedoch z.B. nicht erklärt werden, welche individuelle Motivation und welches individuelle Einflussverhalten Führung bedingt, durch welche wiede-rum ein kollektiver Begriff des Willens kreiert werden kann (vgl. Kapoutsis et al., 2015).

Nach Treadway (2012) spiegelt aber genau diese Motivation, die hinter einem Einflussverhal-ten steht, die Idee des politischen Willens nach Mintzberg wider. Folglich argumentierte Treadway, dass vor dem Versuch des Verstehens der Dynamik des politischen Willens auf der Gruppenebene oder im Kollektiv, zuerst herausgefunden werden muss, wie Individuen sich dafür entscheiden, politisches Kapital zu investieren oder Veränderungen auf organisationaler oder persönlicher Ebene zu implementieren. Ansätze auf der Mikroebene (Kapoutsis et al., 2015, Treadway, 2012) fokussieren daher auf die reinen Intentionen einer Handlung und nicht auf die Fähigkeit, diese Handlung auch erfolgreich auszuführen. Im weiteren Verlauf der Ar-beit wird diese mikropolitische Sichtweise zugrunde gelegt und politischer Wille nach der Definition von Treadway (2012) verstanden als “the motivation to engage in strategic, goal -directed behavior that advances the personal agenda and objectives of the actor that inherently involves the risk of relational and reputational capital” (S. 522).

Nach dieser Definition bezieht sich politischer Wille auf das Verlangen eines Han-delnden, politisches Kapital aufzuwenden und nicht darauf dieses Kapital auch tatsächlich zu nutzen; Kapazität und Fähigkeit werden daher bewusst aus der Definition von politischem Willen herausgehalten (Carbonetti, Pomeroy & Richards, 2014). Darüber hinaus sollte politi-scher Wille auch von Commitment unterschieden werden (Kapoutsis, 2016), da dieses impli-zieren würde, dass das Engagement für ein politisches Ziel über die Zeit ansteigt. Politischer Wille ist nur ein Indikator für den Wunsch oder die Bereitschaft eines Individuums, wertvolle Ressourcen für bestimmte persönliche, soziale oder organisationale Ziele aufzuwenden. Diese reine Intention garantiert jedoch keine kollektive Handlung oder kollektiven Erfolg. Politi-scher Wille kann nur sicherstellen, dass Individuen ein Verhalten zeigen wollen, das dazu

dient einflussreiche andere zu ähnlichem veränderungsorientierten Handeln zu motivieren.

Politischer Wille garantiert weder, dass die angesprochene Gruppe auch tatsächlich handelt, noch dass das Handeln zu Erfolg führt (Treadway, 2012).

Über die eigene Definition hinaus beschreibt Treadway (2012) politischen Willen zu-dem auch als multidimensionales Konstrukt, dass sowohl eigennützige als auch kollektive Motive enthält. In der Literatur zur organisationalen Politik werden politische Handlungen oft als eigennützig und zielgerichtet beschrieben (z.B. Chen & Fang, 2008). Politisches Verhalten repräsentiert in der Tat einen Vorgang, der auf spezifische Ziele ausgerichtet ist, die anders nicht erreicht werden können. Jedoch ist die Absicht, sich am Arbeitsplatz politisch zu enga-gieren, nicht ausschließlich in selbstdienlichen Motiven begründet (Treadway, 2012). Im Fol-genden wird daher ein multidimensionales Modell politischen Willens vorgestellt, das eine wichtige theoretische Grundlage für die hier verwendetet Konzeption und Definition darstellt und auch weiterreichende Implikationen für Mikropolitik im Allgemeinen besitzt.