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3.3 Forschungsdesign

3.3.1 Datenquellen

Es stellt sich zunächst die Frage, wie die öffentliche Diskussion über eine europäi-sche Verfassung inhaltsanalytisch erfasst werden kann. In welchen Medien findet der Diskurs statt? Entsprechend der Verschiedenartigkeit der Medien besteht eine erhebliche Diskrepanz der Darstellungsformen. Grundsätzlich lassen sich audiovi-suelle Medien und Printmedien unterscheiden, und diese jeweils in Boulevard- und Qualitätsmedien (Meyer 2001, 49). Diskurse werden natürlich auch in den unter-schiedlichsten andern Arenen geführt – Konferenzen, Vorträgen, Büchern, Magazi-nen, Filmen, auch Werbung und Unterhaltung –, überregionale Zeitungen sind dabei aber besonders wichtig, da sie die allgemeinen Begriffe und Zusammenhänge defi-nieren unter denen ein Thema debattiert wird (Gamson 1992, 24). Einerseits sind überregionale Zeitungen Diskurs-Produzenten, da die Journalisten durch das

Erfin-den von Begriffen und Metaphern, das Betonen von Teilaspekten und das Verwen-den von Anspielungen, die sich auf einen mit der Leserschaft geteilten kulturellen Hintergrund beziehen, den Diskurs lenken und neue Aspekte hinzufügen, anderer-seits sind sie der Ort, an dem soziale Gruppen, Institutionen und Ideologien ihre Version der Realität durchzusetzen versuchen. Traditionelle Quellen wie Parteipro-gramme oder Parlamentsdebatten werden in dieser Arbeit nicht verwendet, da sie nur einen Teil - oft einen reflektierenden und nicht innovativen Teil - des Diskurses ausmachen (Larsen 1997, 29).

Die wichtigsten Beiträge zu der Debatte kamen aus Deutschland, Frankreich und mit einigem Abstand aus Großbritannien. Diese sind nicht nur die drei größten Mit-gliedsstaaten, sondern können auch als Idealtypen verstanden werden: In Deutsch-land ist die europäische Integration Teil der Staatsraison und zieht sich als Konsens durch die gesamte Außenpolitik seit der Gründung der Bundesrepublik. Die Reakti-onen in der deutschen Öffentlichkeit in der Verfassungsdebatte können stellvertre-tend für Europa-enthusiastische Mitglieder wie Italien, Portugal und die Benelux-Staaten gesehen werden. Frankreich unterstützt zwar die Integration, legt aber Wert auf die Wahrung nationaler Interessen und Schutz als wichtig empfundener Zustän-digkeiten. Es kann für Länder wie Spanien, Finnland, Griechenland, Irland und Ös-terreich stehen. Großbritannien schließlich ist der wichtigste euroskeptische Staat und ein Gegner des Prinzips der „ever closer union“. Weitere Integration (wie die Einführung einer gemeinsamen Währung) wird oft nicht enthusiastisch unterstützt.

Es repräsentiert damit Dänemark, Schweden und souveränistische Kräfte überall in der Europäischen Union.

Dennoch ist die Aussagkraft der Analyse durch die Beschränkung auf drei Länder geschwächt. Vor allem sind die kleinen Staaten nicht repräsentiert. Zugunsten der möglichst vollständigen Erfassung des gesamten Diskurses musste jedoch auf die Untersuchung weiterer Öffentlichkeiten verzichtet werden. In dem untersuchten Ma-terial fanden sich jedoch keine Hinweise auf extrem abweichende Reaktionen in anderen Staaten der EU. Eine vollständige oder auch nur teilweise Erfassung aller Öffentlichkeiten wäre – auch auf Grund der Sprachenvielfalt – nicht handhabbar gewesen.

Es wurden daher für jedes Land jeweils die beiden führenden überregionalen Quali-tätszeitungen analysiert: Für Frankreich „Le Monde“ und „Le Figaro“, für Deutsch-land die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und für Großbritannien „The Times“ und „The Guardian“. Dabei interessiert auch die Unter-scheidung der jeweiligen Ausrichtung in linksliberal und konservativ/mitte-rechts.

Über die Auswahl der Zeitungen ließe sich sicherlich streiten. Das Kriterium war hier

vor allem die Auflage und das allgemeine Ansehen der Zeitungen – sie werden als Leitmedien begriffen und dienen zur allgemeinen Orientierung der informierten Öf-fentlichkeit. Für die Auswahl spricht die Tatsache, dass die meisten einflussreichen Beiträge der Debatte in den jeweiligen hier benutzten Zeitungen veröffentlicht wur-den. Da sich eine eindeutige links-rechts-Ausrichtung bei dem Thema dieser Arbeit nicht erwarten ließ, wäre die Berücksichtigung von ausgeprägteren politischen Ori-entierungen nur auf Kosten der Berücksichtigung des Einflusses und Ansehens des Blattes möglich gewesen.

Als Datenquelle diente das Online Archiv Lexis-Nexis.com, zugänglich an der Uni-versität Mannheim. Lexis-Nexis.com ist ein Online-Service für Wirtschafts- und Presseinformationen, mit einem umfassenden Angebot an Zeitungen, Fachpublika-tionen und Pressediensten. Es stehen Volltextdatenbanken aus England, Europa, Asien und den USA übers Internet zur Verfügung. Dort konnten nicht nur alle Texte im gleichen Format zur Weiterverarbeitung leicht aufgefunden werden, sondern es stand auch die bestmögliche Art der Erfassung aller Texte, die im Beobachtungs-zeitraum einen Zusammenhang mit der Debatte haben, zur Verfügung: Das Durch-suchen aller Artikel nach Stichworten.

Als Analysezeitraum wurde der 1. Mai 2000 bis 31. Dezember 2000 definiert, ent-sprechend der zweiten Phase der Debatte. Die Kriterien bei der Auswahl des Beo-bachtungszeitraumes war zum einen ein möglichst genau auszumachender Beginn der engeren Debatte und zum anderen ein Endpunkt, der eine Repräsentativität der untersuchten Zeit für den ganzen Verlauf der weiteren Debatte erwarten ließ. Die Rede Joschka Fischers an der Humboldt-Universität markiert den Beginn der enge-ren Debatte über eine europäische Verfassung. Wie sich bei der Bearbeitung der Quellen gezeigt hat, kann die Humboldt-Rede als der Ankerpunkt des gesamten Diskurses gesehen werden. Nahezu alle Texte, die die Verfassungs-Diskussion als zusammenhängende Debatte thematisieren, beziehen sich direkt auf Fischers Rede (vgl. Kapitel 3.4.2).

Der Untersuchungszeitraum endet Ende Dezember, nachdem der Gipfel von Nizza als Thema der Berichte ausklingt. Dieser Zeitpunkt bietet sich an, weil in Nizza zum ersten Mal konkrete Früchte der Debatte sichtbar werden: Der Gipfel beschließt den Konvent als Instrument des sogenannten Post-Nizza-Prozesses, welches schließ-lich zu dem Auftrag der Ausarbeitung eines Vorschlages für einen Verfassungsver-trag führen sollte. Der Diskurs ist somit an einem Wendepunkt angelangt. Trotzdem ist dieser Zeitpunkt nicht zwingend das Ende der Debatte – es hätte sich die Rede Lionel Jospins am 21. Mai 2001 als letzter großer Beitrag eines wichtigen Staats-mannes angeboten. Ein Stichproben-Test mit zufällig ausgewählten späteren

Tex-ten zeigte jedoch, dass eine grundsätzliche Änderung der Struktur der Debatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten gewesen wäre.