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3. Die „feinen Unterschiede“ und die Reproduktion sozialer Ungleichheit nach dem Habitus-

3.1. Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital

3.1.3. Das soziale Kapital

ökonomisches Kapital in Kulturelles umgewandelt werden, das, wenn es in institutionalisierter Form vorliegt, wieder in Ökonomisches transferiert werden kann.

Gerade in der institutionalisierten Form des kulturellen Kapitals erkennt Dirk Wieland ein weiteres Element der soziologischen Perspektive Bourdieus: Die Wertigkeit und

„Verwendbarkeit“ des kulturellen Kapitals unterliegen teils institutionalisierten Regeln, teils stabilen sozialen Normen, die sich der individuellen Kontrolle entziehen.

Neben einer legitimierten Kulturform existiert eine gesellschaftlich weniger anerkannte, wertlosere Form von Kultur.

Diese legitimierte Kulturform tritt nicht nur im Bereich der institutionalisierten Art von Bildungskapital sondern auch in anderen Bereichen des Lebens wie dem Freizeit- und Konsumverhalten, das sich in Geschmack und Lebensstilen manifestiert, auf.

Die Frage der Entscheidung über Legitimität ist gleichzeitig die Frage nach Macht und Herrschaft: Diejenigen, die über ausreichend viel Kapital aller Formen verfügen und in der

„Lage sind, Begriffe und Kategorien, Sinn und Erkennen zu erschaffen und zu etablieren, sind letztlich diejenigen, die innerhalb des sozialen Raumes die höheren und besten Positionen einnehmen“ und so den eigenen Status erhalten und die eigene Kultur als die „wertvollere“

etablieren.150

Die im folgenden Abschnitt erläuterte Kapitalsorte ist ebenfalls mit Macht und Herrschaft verbunden, da auch mit ihr im sozialen Raum „gewirtschaftet“ werden kann. 151

3.1.3. Das soziale Kapital

Soziales Kapital152 verleiht seinen Besitzern Zugang zu sozialen Ressourcen und Privilegien, die dem Einzelnen aufgrund seines Beziehungsnetzwerkes zuteil werden. Diese Kapitalsorte ist durch den Besitz sozialer Beziehungen, beziehungsweise deren Verfügbarkeit durch Mobilisierung, gekennzeichnet.

„Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder

150 Vgl.: Kap. 3.5.

151 Vgl.: Wieland, Dirk: „Die Grenzen der Individualisierung. Sozialstrukturanalyse zwischen objektivem Sein und subjektivem Bewusstsein“ Opladen, 2004, S. 214 ff.

152 Die Begriffe „soziales Kapital und „Sozialkapital“ werden synonym verwendet.

Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.“153

Das „Gesamtkapital“154 der einzelnen Gruppenmitglieder ist ihre ihnen Sicherheit verleihende

„Kreditwürdigkeit“, die auf der Grundlage von „materiellen und/oder symbolischen Tauschbeziehungen“ besteht. Diese Tauschbeziehungen materieller oder symbolischer Art können beispielsweise durch die Zugehörigkeit zu Familie, Partei, exklusiven Clubs, Eliteschulen oder -universitäten oder sozialen Klassen gesellschaftlich institutionalisiert und garantiert werden, zum anderen gibt es verschiedene „Institutionalisierungsakte“, die die Betroffenen prägen und über „das Vorliegen eines Sozialkapitalverhältnisses informieren“.

Soziales Kapital produziert und reproduziert sich über diesen Austausch, materielle und symbolische Aspekte sind dabei „untrennbar verknüpft“. Nach Bourdieu kann es nur dann existieren, wenn diese „Verknüpfung erkennbar bleibt“, sie lassen sich „niemals ganz auf Beziehungen objektiver physischer (geographischer) oder auch ökonomischer und sozialer Nähe reduzieren.“155

Der Umfang des Sozialkapitals, das der einzelne besitzt, hängt demnach sowohl von der Ausdehnung des Netzes von Beziehungen ab, die er tatsächlich mobilisieren kann, als auch von dem Umfang des (ökonomischen, kulturellen oder symbolischen) Kapitals, das diejenigen besitzen, mit denen er in Beziehung steht.156

Die Verbindung zu den beiden anderen Kapitalsorten erläutert Bourdieu mit dem Beispiel der verschiedenen Individuen, die in gleichem Maße über kulturelles und ökonomisches Kapital verfügen, und dennoch sehr „ungleiche Erträge“ erzielen, da sie in unterschiedlichem Maße in der Lage sind, „das Kapital einer mehr oder weniger institutionalisierten und kapitalkräftigen Gruppe (…) stellvertretend für sich zu mobilisieren.“ Das Sozialkapital übt also „einen Multiplikatoreffekt auf das tatsächlich verfügbare Kapital aus.“157

Bourdieu bezeichnet die Existenz von Beziehungsnetzwerken weder als natürliche noch als beständige soziale Gegebenheit – sie sind vielmehr das Produkt von ständiger

„Institutionalisierungsarbeit“. Durch diese Arbeit ist die dauerhafte Produktion und

153 Vgl.: Bourdieu, Pierre in: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): „Soziale Ungleichheiten“ (Soziale Welt Sonderband 2), Göttingen, 1983, S. 190-191.

154 „Je höher der Status, das Ansehen, also das Gesamtkapital, über das eine Gruppe als ganze verfügt, desto größer ist das soziale Kapital jedes einzelnen Mitgliedes der Gruppe.“ (Vgl.: Wieland, Dirk: „Die Grenzen der Individualisierung. Sozialstrukturanalyse zwischen objektivem Sein und subjektivem Bewusstsein“

Opladen, 2004, S. 215.

155 Bourdieu, Pierre in: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): „Soziale Ungleichheiten“ (Soziale Welt Sonderband 2), Göttingen, 1983, S. 191.

156 Ebd. S. 191.

157 Ebd. S. 191.

Reproduktion von „nützlichen Verbindungen, die Zugang zu materiellen oder symbolischen Profiten verschaffen,“ gesichert. Das Beziehungsnetz ist also „das Produkt kollektiver und individueller Investitionsstrategien, die bewußt oder unbewußt auf die Schaffung und Erhaltung von Sozialbeziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen.“158 Dauerhafte Verpflichtungen unterschiedlicher Art und gegenseitige Anerkennung sind die Investitionen, die die Gruppenmitglieder tätigen. Anerkennung stellt zum einen eine Investition, zum anderen ein wichtiges Ausschlusskriterium dar – sie sichert die Gruppenzugehörigkeit und die Grenzen der jeweiligen Gruppe.

„Für die Reproduktion von Sozialkapital ist eine unaufhörliche Beziehungsarbeit in Form von Austauschakten erforderlich, durch die sich die gegenseitige Anerkennung immer wieder neu bestätigt.“159

Diese, wie bereits erwähnt, ebenfalls mit Macht und Herrschaft verbundene Kapitalform ist

„noch deutlicher und offensichtlicher mit der Frage nach Macht und Herrschaft“160 in einer Klassengesellschaft verbunden. Grund für diese Annahme ist die Tatsache, dass das soziale Kapital explizit über die Einheit des Individuums hinausweist und somit „auf die Existenz gesellschaftlicher Klassen oder zumindest identifizierbare Klassenverhältnisse“161 hinweist.

Die Kapitalien entscheiden über die „Plazierung im sozialen Raum, d.h. auch über (…) Klassenzugehörigkeit und Chancen in den Klassifikationskämpfen.“162

Festzuhalten bleibt somit, dass die Möglichkeiten, über die drei Kapitalsorten verfügen zu können, ungleich verteilt sind und den Verlauf einer Biographie stark beeinflussen.

Sowohl schulischer und damit verbunden beruflicher Erfolg; die Partizipation an gesellschaftlichen oder kulturellen Ereignissen, als auch zahlreiche andere Möglichkeiten der Lebensgestaltung und des Lebensstils sind von der Verfügbarkeit über Kapital und der damit verbundenen sozialen Klasse abhängig.

Abschließend soll der Begriff des symbolischen Kapitals erläutert werden, welches als eine

„Kapitalunterart“ betrachtet werden kann. Beispiele für symbolisches Kapital sind legitimiertes Kulturkapital, soziales Kapital in all seinen Erscheinungsformen und alle Vorgänge, bei denen der Wert einer der drei anderen Kapitalsorten durch „Anerkennung und

158 Bourdieu, Pierre in: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): „Soziale Ungleichheiten“ (Soziale Welt Sonderband 2), Göttingen, 1983, S. 192.

159 Ebd. 193.

160 Wieland, Dirk: „Die Grenzen der Individualisierung. Sozialstrukturanalyse zwischen objektivem Sein und subjektivem Bewusstsein“ Opladen, 2004, S. 215.

161 Ebd. S.215

162 Bohn, Cornelia; Hahn, Alois in: Kaesler, Dirk (Hrsg.) „Klassiker der Soziologie Band II. Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu“ München, 1999, S. 264.

kollektive Mandatsträgerschaft“163erhöht wird. Symbolisches Kapital ist also mit Prestige, Wertschätzung und Anerkennung verbunden.

Es ist vor allem deshalb von großer Bedeutung, da es mit dem Begriff der Distinktion164 zusammenhängt, da „symbolisches Kapital ein anderer Name für Distinktion ist.“165

„Unterschiede werden mittels Distinktion hervorgebracht und dabei Praktiken sowie Sichtweisen in (…) distinktive Zeichen verwandelt.“166 Distinktion funktioniert dann, wenn

„Kapital (gleich welcher Art) wahrgenommen“167 wird und dadurch Unterschiede generiert werden. Der Prozess der sozialen Klassifikation ist „ein relationales Geflecht, welches hauptsächlich aus gegenseitigen Abgrenzungen besteht: aus Distinktionen.“168 Die distinktiven Merkmale in Geschmack, Habitus und Lebensstil tragen einen „Unterschied und Anderssein betonenden Charakter“169 der hilft, Klassenunterschiede zu erkennen. Die wechselseitige Bestimmung von teilweise minimalen Differenzen trägt also zur sozialen Klassifikation bei. Die soziale Abgrenzung, also das Zeigen der Unterschiede erfolgt mittels des Habitus.

Im folgenden Abschnitt werden zunächst die Strukturkategorien des Habitus und die Konstruktion der sozialen Klasse erläutert. Anschließend werden die Auswirkungen der Klassenzugehörigkeit und der durch den spezifischen Habitus generierte Geschmack und damit verbundene Lebensstil erläutert.