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Das Salutogenese-Modell nach Antonovsky

I. Grundlagen der Gesundheitsförderung

2. Darstellung westlicher Erklärungsmodelle zur Gesundheit

2.2 Schutzfaktorenorientierte Ansätze

2.2.1 Das Salutogenese-Modell nach Antonovsky

Wie sich unter I.2.1 gezeigt hat, wird ein Modell, das den Menschen wiederum als relativ ge-schlossenes System betrachtet, bei der sich Krankheiten einfach aufgrund gewisser Störungen innerhalb dieses Systems beschreiben lassen, dem Gesundheitsbegriff ebenfalls nicht gerecht.

Krankheiten lassen sich nicht einfach als Störungen der „Maschinenteile“ oder ihrer Zusam-menarbeit interpretieren. Vielmehr handelt es sich bei Gesundheit um ein Prozessgeschehen, wobei verschiedene medizinische und sozialpsychologische Aspekte herangezogen werden müssen.16

Der israelische Arzt Aaron Antonovsky entwickelte mit seinem Salutogenesemodell eine um-fassende Betrachtungsweise, in der sich diese verschiedenen Aspekte integrieren lassen.

Schon der Ausgangspunkt seiner Betrachtung präsentiert sich als völlig anders, wenn er fest-stellt bzw. fragt:

“A pathological orientation seeks to explain why people get sick, why they enter a given disease cate-gory. A salutugenetic orientation (which focuses on the origins of health) poses a radically different question: why are people located toward the positive end of the health-ease/dis-ease continuum, or why do they move toward this end, whatever their location at any given time?“17

In diesem Modell werden Gesundheit und Krankheit nicht als dichotome Größen gesehen, sondern als ein Kontinuum aufgefasst. Innerhalb diesem ist ein Mensch mehr oder weniger gesund bzw. krank. Dabei spielen die folgenden Modellgrößen eine besondere Rolle18:

1. Stressoren

Diese können physikalischer, biochemischer als auch psycho-sozialer Natur sein, die zu einer Störung der Homöostase führen können. Objektiv betrachtet, stellt diese Störung zunächst lediglich eine Aufforderung zur Wiederherstellung des Gleichgewichts dar. Der Organismus reagiert folglich mit Spannung bzw. Spannungsänderung. Je nach Art der Spannungsbewälti-gung und deren Effizienz kann dieser Spannungszustand positive, neutrale oder negative Auswirkungen haben. Je nachdem, ob die Auseinandersetzung mit den verschiedensten

16 Vgl. Bös/Wydra/Karisch, 1992, S. 21.

17 Antonovsky, 1988, S. XII.

18 Vgl. dazu Antonovysky, 1979, S. 85f; Wydra, 1996, S. 20ff, Bös/Wydra/Karisch, 1992, S. 22ff.

soren gut oder schlecht verläuft, wird der Organismus auf dem Kontinuum eher in Richtung Gesundheit bzw. Krankheit eingeordnet.

2. Generalisierte Widerstandsquellen

Zur Vermeidung bzw. Bewältigung von Stressoren und Spannungszuständen bedient sich der Organismus angemessener generalisierter Widerstandsquellen. Dabei sind körperliche wie die biologische Anpassungsfähigkeit und ein intaktes Immunsystem wichtig, aber nicht die einzi-gen. So spielen auch materieller Wohlstand19, Wissen und Intelligenz, Ich-Identität, Rationali-tät, FlexibiliRationali-tät, soziale Unterstützungssysteme sowie intakte Sozialstrukturen und eine funk-tionierende Gesellschaft eine erhebliche Rolle. Auch kulturell vermittelte Wertmaßstäbe und Religion können generalisierte Widerstandsquellen darstellen, denen vor allem auch in fern-östlichen Gesellschaften eine große Bedeutung zukommen dürfte.

3. Kohärenzsinn

Der sogenannte Kohärenzsinn (Sense of Coherence) stellt für Antonovsky das zentrale Kon-strukt und die Basis seines Modells dar:

„Unter dem Kohärenzsinn versteht man eine globale Persönlichkeitsdimension, die das Ausmaß eines vorherrschenden Lebensgefühls beschreibt. Menschen mit einem hohen Kohärenzsinn besitzen die Fähigkeit, ihre Umgebung als klar und strukturiert wahrzunehmen. Sie verfügen über Strategien zur Handlungskontrolle und empfinden ihr Leben als sinnhaft.“20

Das Vertrauen, auftretende Belastungen strukturieren, vorhersagen und erklären zu können, wird als Verständnisfähigkeit (comprehensibility) bezeichnet. Bei der Kontrollierbarkeit (ma-nageability) handelt es sich um die Fähigkeit, den Belastungsanforderungen Herr zu werden.

In diesen Herausforderungen auch einen Sinn zu sehen, bezeichnet man als Sinnhaftigkeit (meaningfulness). In Letzterem sieht Antonovsky den Hauptantrieb, sich überhaupt mit den Belastungsanforderungen auseinander zu setzen.

19 Schwarzer/Leppin (1990, S. 395ff) führen beispielsweise die erfolgreiche Bekämpfung der Tuberkulose in den europäischen Industrienationen in erster Linie auf verbesserte Lebensverhältnisse, vor allem durch eine höhere Einkommenssituation und weniger auf den Fortschritt der Medizin zurück.

20 Bös, 1992, S. 15.

Menschen mit einem hohen Kohärenzsinn haben somit die besseren Copingstrategien (ab-sichtsvolle Handlungen, um die Bedrohlichkeit einer Situation zu beenden) und sind deshalb eher in der Lage, ihre psycho-physische Gesundheit zu erhalten bzw. zu verbessern.

Wie sich die einzelnen Komponenten nun bedingen bzw. gegenseitig beeinflussen, soll in der folgenden Skizze des Salutogenesemodells dargestellt werden.

Abb. 2: Salutogenesemodell nach Antonovsky (In: Bös/Wydra/Karisch, 1992, S. 23).

Dieses Modell von Antonovsky ist wohl eines der derzeit am weitesten entwickelten und ver-breiteten Modellvorstellungen. Sein großer Vorteil liegt darin, sowohl körperliche als auch psychische und soziale Gesundheits- bzw. Krankheitsaspekte zu integrieren. Weiterhin bietet es im Gegensatz zum Risikofaktorenmodell die Möglichkeit, wichtige Gesundheitsvorausset-zungen zu analysieren.

Was aber die Lokalisation eines Individuums auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum angeht, so wird auch an diesem Modell Kritik geübt. Dabei wirft man Antonovsky vor, sich einseitig vom Krankheits-Pol zu nähern, also somit dem klassischen Vorgehen der Medizin zu folgen und Gesundheit durch Abwesenheit von Krankheitsanzeichen wie Schmerz zu

definie-ren.21 Darüber hinaus werden die Komplexität und das damit verbundene Problem der Mo-dellprüfung als Schwäche betrachtet.22

Letztendlich liegt das große Verdienst Antonovskys darin, als einer der ersten sich überhaupt vom rein mechanistischen Menschenbild zu lösen und nach Faktoren zu fragen, die der Ge-sundheit dienen, anstatt sich nur mit dem Krankheits-Pol zu beschäftigen. Entspannung und Entspannungsfähigkeit können innerhalb dieses Modells als Widerstandsquellen gesehen werden und somit auf dem Kontinuum aktiv zu einer Verschiebung in Richtung Gesundheit beitragen, was wiederum für die vorliegende Arbeit von großem Interesse ist. Zur Umsetzung dieses allgemeinen Gesundheitsmodells auf sportpädagogischer Ebene vergleiche I.4.2.