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Das Projekt der mission civilisatrice in Frankreichin Frankreich

Im Dokument Orte der (Seite 52-94)

Die französischen Schulen und ihre Lehrer, die sich im Libanon niederließen, nahmen nicht nur materielle Dinge wie Unterrichtsmaterial und ihr persön-liches Hab und Gut aus Frankreich mit in das fremde Land. Vielmehr waren sie auch, bewusst oder unbewusst, mit einem ›geistigen Gepäck‹ ausgestat-tet, das ihre Tätigkeit begründete oder begleitete: die Idee der Zivilisierungs-mission.

In diesem Kapitel geht es um den historischen Kontext in Frankreich, innerhalb dessen diese Idee entstand. Das Wort Projekt ist dabei bewusst gewählt, um die Prozesshaftigkeit dieser Situation anzudeuten: Auch wenn ihr Ursprung in Frankreich lag, wurde die Idee der Zivilisierungsmission von den hier untersuchten Akteuren im Libanon verwendet und weiterentwickelt.

Dieses Kapitel will der vielschichtigen Verankerung der mission civilisatrice in Frankreich Rechnung tragen. Es argumentiert, dass die Schulen die Idee der Zivilisierungsmission sowohl in ihrer Bedeutung als regierungspolitische Leitlinie der Dritten Französischen Republik als auch als gesellschaftliches Produkt verstanden und praktiziert haben und dass diese Idee darüber hinaus auch in gewissem Maß von den Lehrern geteilt wurde.

Um die in der Einleitung vorgestellten Kategorien des entsendenden Lan-des innerhalb Lan-des Kulturtransfers im Folgenden zu untersuchen, wird das Analyseraster von der Regierungsebene auf die Frage der Schule und schließ-lich auf die Untersuchung der individuellen Akteure schrittweise verfeinert.

Der erste Teil behandelt die mission civilisatrice als gesellschaftliches Pro-dukt der Dritten Republik. Es wird deutlich, dass sich die Schulen des Dis-kurses von der Überlegenheit und der Mission der französischen Zivilisa-tion bedient haben, um ihre Zugehörigkeit zur französischen Regierung und Gesellschaft zu manifestieren. Außerdem identifizierten sie sich mit dieser Idee. Der zweite Teil erklärt die zentrale Rolle der Bildungseinrichtungen in Frankreich für die Idee der Zivilisierungsmission. Der dritte Teil widmet sich schließlich den einzelnen Lehrern der französischen Schulen im Liba-non als Träger der Zivilisierungsmission und zeigt, dass für die individuel-len Akteure diese Idee nur ein Motiv unter anderen war, um im Libanon tätig zu werden.

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1. Kulturelle Expansion als politisches und gesellschaftliches Produkt

Indem die französischen Schulen im Libanon sich auf die mission civilisa-trice als Motiv für ihre Tätigkeit beriefen, reagierten sie auf den zentralen Stellenwert, den diese Idee für die französische Regierung und innerhalb der französischen Gesellschaft einnahm.

Dabei begriff sich die französische Regierung als selbstverständlicher Träger dieser Zivilisierungsmission, während die Institutionen einem stärke-ren Legitimationsdruck unterworfen wastärke-ren. In der Folge beriefen sie sich auf diese Idee, um von der Regierung sowohl ideelle als auch finanzielle Unter-stützung zu erhalten. Dabei interpretierten die verschiedenen Organisationen civilisation und mission civilisatrice durchaus uneinheitlich. Sie bestätigten damit die Idee der Zivilisierungsmission als ein Konzept, das Unterschiede nivelliert. In der Tat konnte die französische Regierung unter der Formel der Zivilisierungsmission sowohl die Ideen des Christentums als auch der Revo-lution vereinigen und sich der Unterstützung der unterschiedlichen Anhänger dieser Denkrichtungen sicher sein1. Aus diesem Grund möchte ich von einem Dachkonzept sprechen, das in der Interaktion der französischen Regierung mit der Gesellschaft entstanden ist und dessen sich die Führung der Republik dann bedient hat.

Diese Dynamik auf politischer Ebene geht auf Napoleon zurück2. Seine Ägyptenexpedition wird von vielen als Geburtsstunde der mission civili-satrice angesehen3. Über das geostrategische Ziel – die Unterbindung des englisch-indischen Handels – hinaus wollte Napoleon durch diese Expedi-tion deutlich machen, dass er die französische ZivilisaExpedi-tion in die TradiExpedi-tion der großen Weltzivilisationen stelle und seine »Zivilisierungsmission« sogar dazu beitrage, die alte ägyptische Tradition wieder lebendig zu machen4. In

1 Vgl. Bancel u. a. 2003, S. 58: »La mission civilisatrice est un mélange d’emprunts à la mission chrétienne que la France, fille aînée de l’Église, se doit d’accomplir et à la mission de la Révo-lution française d’apporter le bonheur au monde«.

2 Norbert Elias datiert den Perspektivenwechsel innerhalb der französischen Gesellschaft auf den Zeitpunkt der Revolution zurück: auf einmal galt »der Prozess der Zivilisation (anders als zum Zeitpunkt seiner Genese) im Inneren der eigenen Gesellschaft als beendet« und bekam seinen neuen »Sinn als Rechtfertigungsbegriff der nationalen Ausbreitungs- und Kolonisati-onsbestrebungen Frankreichs«. Vgl. Norbert elias, Über den Prozess der Zivilisation. Sozioge-netische und psychogeSozioge-netische Untersuchungen, Bd. I: Wandlungen des Verhaltens in den welt-lichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt am Main 1976, S. 63.

3 Vgl. conKlin 1997, S. 17; Henry laurens, L’expédition d’Égypte 1798–1801, Paris 1997.

4 Allerdings darf auch nicht die Tatsache vergessen werden, dass Napoleon durch diese Expe-dition sein neues Imperium legitimieren wollte. Die Bedeutung der ÄgyptenexpeExpe-dition Bona-partes für Frankreich wird auch dadurch klar, dass sich die französischen Mandatsträger im 20. Jahrhundert noch einmal auf sie bezogen. Vgl. Ulrike Freitag, Geschichtsschreibung in Syrien 1920–1990. Zwischen Wissenschaft und Ideologie, Hamburg 1991, S. 83.

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Ägypten und in der Region wurde seine Politik von der Bevölkerung kritisch aufgenommen. Im Gegensatz zum Rheinland, wo seine Zivilisierungsmis-sion weitaus mehr Erfolg hatte5, lehnten im Nahen Osten viele Religionsge-meinschaften seine Politik ab. Weil Bonaparte die Freundschaft zum Islam betonte, blieben auch viele Christen ihm gegenüber, bis zu seiner militäri-schen Niederlage, reserviert 6. Außerdem sorgte Napoleons Invasion dauer-haft für Unfrieden zwischen den religiösen Gemeinscdauer-haften, weil sich von da an jede von ihnen unter die Schutzmacht einer europäischen Nation stellte7. Wie Osterhammel gezeigt hat, kann Napoleon als der erste »staatliche Zivi-lisierer« bezeichnet werden, unter dem durch das »Zusammenrücken eines interventionistischen Staates und eines transformativen Kulturverständnis-ses« die Zivilisierungsmission zur Staatssache wurde8.

Während des zweiten Kaiserreichs wurde die civilisation durch die ers-ten kolonialen Eroberungen, z. B. Algeriens 1830, in der kolonialen Ideolo-gie verankert 9. Aber vor allem in der Dritten Republik avancierte die Idee der Zivilisierungsmission zu einer offiziellen Ideologie. Auch hier spielte der Kolonialismus eine wichtige Rolle. So sprach im Juli 1885 der gerade gestürzte Ministerpräsident Jules Ferry im Zusammenhang des franzö-sischen Einsatzes in Tonkin von dem »devoir de civilisation« der »races supérieures« gegenüber den »races inférieures«10. Interessanterweise wird diese Idee der Zivilisierungspflicht in einem Kontext bemüht, in dem die innen- und außenpolitischen Umstände in keiner Weise eine Superiorität Frankreichs nahelegten. Außenpolitisch war die mission civilisatrice sowohl gegen den immerwährenden Konkurrenten Großbritannien11 als auch gegen das neu entstandene Deutschland12 gerichtet, gegen das Frankreich gerade den Krieg verloren hatte. So behaupteten einige Intellektuelle und Politiker,

5 Vgl. Michael Broers, Le Fardeau du Franc. Aufklärung zu Pferde – eine Zivilisierungsmission in Napoleons Europa?, in: Boris Barth / Jürgen osterhammel (Hg.), Zivilisierungsmissionen, Konstanz 2005, S. 73–99.

6 Vgl. laurens 2005, S. 9–20, S. 12.

7 Vgl. für Syrien die Studie von Leila Fawaz, La campagne de Bonaparte en Syrie et ses con-séquences locales, in: Revue du monde musulman et de la Méditerranée 52 (1989), H. 2–3, S. 77–83.

8 osterhammel 2006, S. 15.

9 Vgl. costantini 2004, S. 86. Als Frankreich 1848 offiziell die Sklaverei abschaffte, machte es sich unter Berufung auf seine Universalität zur Pflicht, diese Überzeugung in jene Länder zu bringen, die diese Praxis noch hätten. Denker wie Tocqueville legten dafür das philosophische Fundament. Vgl. costantini 2004, S. 59.

10 Jules Ferry, La République des Citoyens, Bd. II, hg. von Odile Rudelle, Paris 1996, S. 295–315 (Parlamentssitzung vom 28.07.1885).

11 osterhammel 2005, S. 369.

12 Freitag 1991, S. 86.

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dass das französische Bemühen um Einfluss in der Levante auch eine Kom-pensation der an Deutschland verlorenen Provinzen Elsass und Lothringen darstellte13.

Vor allem bedienten sich die Vertreter der Dritten Republik der mission civilisatrice, um die eigene Identität des Staates zu definieren14. Schließlich war diese mit dem Dilemma konfrontiert, sich als demokratische Republik von der Außenpolitik des Empire absetzen zu müssen. Innenpolitisch war die junge Republik vielen Spannungen zwischen Monarchisten und Repub-likanern, zwischen klerikalen und anti-klerikalen Parteien ausgesetzt. Ban-cel, Blanchard, Vergès und Freitag betonen deshalb die christlichen Wurzeln der mission civilisatrice15 und die Tatsache, dass die laizistisch ausgerich-tete Republik ihrer Bevölkerung durch sie eine alternative sakrale Dimension anbot16.

Allerdings handelte es sich bei der Mission civilisatrice um mehr als um eine staatspolitische Leitlinie der Regierung, nämlich auch um eine Idee, die auf breiten gesellschaftlichen Konsens stieß. Parallel zur ersten staatlichen Verwendung der Idee der Zivilisierungsmission um 1800 wandelte sich auch in den intellektuellen Diskussionen das Verständnis von Zivilisation. Seit der Aufklärung, die die Religion und Gott als alleinige höchste Instanzen in Frage stellte, hatten Überlegungen zur Zivilisation an Bedeutung gewonnen.

Dabei war die wichtigste Neuerung, dass civilisation in einem universalisti-schen Sinn zunächst nur im Singular gebraucht wurde. Erst nach der Fran-zösischen Revolution bekam der Begriff eine Pluralform und eine nationale Ausdifferenzierung, wie zum Beispiel La civilisation française17. Die Idee eines Nebeneinanders verschiedener Zivilisationen veränderte sich dann rasch in Richtung der Vorstellung einer Hierarchie der Zivilisationen. Stark beeinflusst wurde diese Meinung von den Ideen des Sozialdarwinismus18. So formulierte der wichtigste Theoretiker der kolonialen Gesetzgebung Arthur Girault 1895: »L’extinction progressive des races inférieures devant les races civilisées, ou, si l’on ne veut pas de ces mots, cet écrasement des faibles par les forts est la condition même du progrès«19.

13 Vgl. Barrès 1923, S. 124. Auf die Kolonien im Allgemeinen als Ausgleich des militärischen Verlustes bezog sich der Kolonialminister Albert Sarraut in seinem Werk La mise en valeur des colonies françaises, Paris 1923, S. 28–29.

14 Laut conKlin 1997, S. 2, war die mission civilisatrice der Rahmen, den die Dritte Republik sich gab und innerhalb dessen sie ihre Aktivitäten in den Kolonien als legitim darstellen konnte.

15 Bancel u. a. 2003, S. 68.

16 Freitag 1991, S. 84–85.

17 Allerdings existierten beide Formen in der Folge nebeneinander und ergänzten sich sogar. Vgl.

Beneton 1975, S. 42–43.

18 Vgl. costantini 2004, S. 78–79.

19 Zitiert in: costantini 2004, S. 79.

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Auf die Idee einer Hierarchie der Zivilisationen griffen Autoren der Zeit auch in ihren Beschreibungen arabischer Gesellschaften zurück. So sprach der französische Journalist und Nahostreisende Gabriel Charmes von dem

»degré de civilisation«, den Frankreich in Syrien zu erhöhen habe20. Aller-dings gab es auch eine gegenläufige Tendenz, die die Zivilisation der Araber betonte und aufwertete. So beschrieb André Bruneau, der Ende der 1920er Jahre Lehrer der Schule der Mission laïque in Beirut war, dass jede der civi-lisations einmal la civilisation gewesen sei; auf Griechen und Römer sei die Phase der »civilisation des arabes« gefolgt, während im Westen die Barba-ren ihre Kultur verbreiteten21. Diese These erinnert stark an Gustave Le Bons Werk La civilisation des Arabes von 1884, in dem er betonte, dass die Ara-ber lange Zeit die höchst entwickelte Zivilisation besaßen und sogar Europa zivilisiert hätten: »Ils ont été nos civilisateurs pendant 600 ans«22. Aller-dings stellte diese Einsicht, da sie sich auf die Vergangenheit bezog, keine Konkurrenz zur europäischen Zivilisation mehr dar. Im Gegenteil: sie legiti-mierte das Überlegenheitsbewusstsein und die Notwendigkeit der Zivilisie-rung Anderer. Dafür spricht das von Henry Laurens festgestellte gesteigerte Interesse im Frankreich der Dritten Republik am Islam: In dieser Zeit hät-ten sowohl Intellektuelle als auch Politiker realisiert, dass die arabischen und islamischen Länder eine nicht zu unterschätzende Größe waren, mit der man sich auseinandersetzen müsse23.

Auch während des französischen Mandats sprachen die Autoren von der

»tradition d’expansion civilisatrice«24 Frankreichs in Syrien, und Hochkom-missar Weygand betonte, dass Frankreichs Aufgabe in Syrien und Libanon beendet sei, wenn es »guidé leur évolution«25 habe. Auf dem Höhepunkt des französischen Kolonialismus 1920 bis 1930 veränderten sich in der Tat die Vorstellungen des Zivilisationsmodells noch einmal, und anstelle des Sozi-aldarwinismus, der als zu gewalttätig erachtet wurde, betonten koloniale Ideologen wie Georges Hardy nun stärker die moralische Überlegenheit und die »Mise en valeur«, die den Kolonien zugutekäme26.

20 Gabriel charmes, Voyage en Syrie. Impressions et Souvenirs, Paris 1891, S. 121.

21 André Bruneau, Traditions et politique de la France au Levant, Paris 1932, S. 248.

22 Gustave le Bon, La civilisation des arabes, Paris 1884, S. 632.

23 Vgl. Henry laurens, Orientales II. La Troisième République et l’Islam, Paris 2004, S. 65. Die geschilderten Werke erinnern aber auch an die Überzeugung einiger schottischer Aufklärer, die europäische Geschichte habe schon zweimal den Prozess der Zivilisierung vollzogen. Vgl.

Wilfried niPPel, Griechen, Barbaren und »Wilde«. Alte Geschichte und Sozialanthropologie, Frankfurt am Main 1990, S. 69–70.

24 Siehe z. B. René ristelhueBer, Les Traditions Françaises au Liban, Paris 1925, S. V.

25 Capitaine N. Bourdon, Les Druzes. Histoire du Liban et de la Montagne Haouranaise, Préface du Général Weygand, Paris 1930, S. VII.

26 costantini 2004, S. 80.

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Die Idee der mission civilisatrice war nicht nur unter den Gelehrten, son-dern in allen Gesellschaftsschichten präsent. Ähnliche Ansichten fanden sich auch in den französischen Lexika der Zeit wieder27. Ferner hoben die Schul-bücher, die in dieser Zeit benutzt wurden, insbesondere ab dem Ersten Welt-krieg die herausragende Rolle Frankreichs in der Welt hervor28. Auch in den Kolonien wurden diese Bücher vermehrt eingesetzt. So formulierte ein fran-zösisches Schulbuch aus Hanoi von 1925, dass die französische Zivilisation die höchste sei29.

Was das französische Verständnis der Zivilisierungsmission von dem anderer Gesellschaften der Zeit unterschied, liegt neben der schon erwähn-ten Bedeutung der Sprache in dem Anspruch des Universalismus30. Costan-tini zufolge wurde mit der Französischen Revolution auch die Idee der »Uni-versalität der Republik« geboren, die von der Dritten Republik später stark genutzt werden sollte. Auf diese Universalisierung nahmen die französi-schen Schulen im Libanon eindeutig Bezug. Besonders die Mission laïque betonte die Universalität der französischen Kultur, die partikulare Tenden-zen unwichtig mache:

La culture française ne s’y prête-t-elle pas? Elle est, de l’aveu même d’éminentes personnalités étrangères, la plus pénétrée peut-être d’humanité; le particularisme national s’y montre moins qu’ailleurs; elle n’altère pas le sentiment national de ses élèves étrangers31.

27 Beispielsweise formulierte Lalande in seinem »Vocabulaire technique et critique de la Philoso-phie«, das 1926 in erster Auflage erschien, zwei Definitionen von civilisation. Die erste konsta-tiert eine komplexe Gesamtheit von sozialen Phänomenen mit Eigenschaften, die für alle Teile einer Gesellschaft gelten, und somit die verschiedenen Gesellschaften auf eine Ebene stellen.

Die zweite Definition hat eine absolute Dimension: Lalande bezeichnet die Zivilisation, im Gegensatz zur Barbarei, als die Gemeinschaft der Zivilisationen, die als die höchsten angese-hen werden, und zwar nicht wegen einer bestimmten Eigenschaft oder gar wegen ihrer Rasse, sondern wegen ihres technischen und wissenschaftlichen Fortschritts. Vgl. André lalande, Vocabulaire technique et critique de la Philosophie, Paris 1962, S. 141–142.

28 Vgl. said 1994, S. 218.

29 Zitiert in: Nicola cooPer, France in Indochina. Colonial Encounters, Oxford 2001, S. 54. Sogar Gesellschaftsspiele für Kinder spiegelten diese Ansichten wider, wie das Beispiel des Brett-spiels »Course de l’empire français« belegt, bei welchem die Kinder die verschiedenen Sta-tionen der Eroberung der Kolonien durch Frankreich nachempfanden. Vgl. Alice L. conK

-lin / clancy-smith, Julia, Introduction: Writing Colonial Histories, in: French Historical Studies 27 (2004), H. 3, S. 497–505.

30 costantini 2004, S. 58. In der Tat zeigen Studien anderer Formen der Zivilisierungsmissionen diesen Anspruch auf Allgemeingültigkeit nicht, wie Steinbach für die imperiale Sprachpolitik Großbritanniens gezeigt hat. Vgl. Almut steinBach, Sprachpolitik im Britischen Empire: Herr-schaftssprache und Integration in Ceylon und den Föderierten Malaiischen Staaten, München 2009, S. 20.

31 Revue de l’enseignement français hors de France 31 (1934), S. 106–107.

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Der Anspruch des Universalismus blieb auch im 20. Jahrhundert bestehen und legitimierte nach Ansicht kolonialer Ideologen wie Albert Sarraut die spezifische Aufgabe Frankreichs zu kolonisieren32. Aber von der Legitima-tion Frankreichs, Werte wie Freiheit und Laizismus weiterzugeben, waren auch französische Politiker außerhalb der kolonialen Lobby überzeugt33. So hat Dueck herausgearbeitet, dass französische Schriftsteller wie André Mal-raux, André Gide, Albert Camus und Marguerite Duras, die als politisch links eingeordnet werden, zwar in den 1920er und 1930er Jahren die wirt-schaftliche Abhängigkeit der Kolonien von Frankreich, nicht aber die franzö-sische Administration oder Erziehung in den Kolonien kritisierten34.

Die Schulen hatten die Idee der Zivilisierungsmission als offizielles Leit-bild der Republik und als Konsens der Gesellschaft verinnerlicht. Aller-dings stellte diese Idee nicht für alle Schulen die gleiche Priorität dar. Für die Mission laïque française bildete die Zivilisierungsmission eindeutig das Hauptmotiv ihres Engagements. Schon 1906, also kurz nach ihrer Gründung, bekannte sich die Zeitschrift Revue de l’enseignement colonial 35, das Haupt-organ der Organisation, zum »Œuvre civilisatrice«, das über die französi-sche Kultur und mit Hilfe der französifranzösi-schen Regierung realisiert würde36. Gleichzeitig werden in diesem Artikel auch schon die Widersprüche deutlich, die die Organisation kennzeichneten: Einerseits wollte sie die französische Sprache und Kultur den Gesellschaften bringen, die sich durch vermeint-lichen kulturellen und sprachvermeint-lichen Stillstand auszeichneten, andererseits wollte sie niemandem die französische Sprache aufzwingen, weil das brutal und wenig wirksam sei. Ziel war also eine Kontaktzone37, in der die »unter-entwickelten« Kulturen sich sozusagen automatisch durch den Kontakt mit der französischen Kultur entwickeln würden:

En vertu du principe qui nous porte autant à civiliser qu’à exploiter, nous n’imposerons pas notre langue aux indigènes de nos colonies, car: 1. Ce serait continuer la conquête brutale alors que notre devoir est d’entreprendre la conquête des cœurs et des volon-tés; 2. Nous ferions d’ailleurs fausse route pour notre œuvre civilisatrice, car un peup-le ne se développe pas bien qu’avec sa langue, résumé de sa civilisation, expression de

32 costantini 2004, S. 89.

33 So die beiden Politiker der radikalen Partei Bayet und Viollette auf dem Kongress der nationa-len Liga für Menschenrechte 1931. Zitiert in: costantini 2004, S. 90.

34 Jennifer duecK, Stories of Pride and Shame: Left-Wing Writers and the French Mission to Civilize an Empire, in: Chronos. Revue d’Histoire de l’Université de Balamand 15 (2007), S. 107–130, hier S. 115–122.

35 Die Zeitschrift wurde kurze Zeit später in Revue de l’enseignement français hors de France umbenannt.

36 Vgl. MLF/Paris, Revue de l’enseignement colonial 1906, S. 38/39.

37 Diesen Begriff prägte Mary Louise Pratt in ihrem Buch Imperial Eye. Travel Writing and Transculturation, London 1992, S. 8.

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ses aptitudes, de ses goûts, de ses besoins moraux, intellectuels, esthétiques etc. Cela ne veut pas dire que nous n’enseignerons pas du tout le français, que nous ne ferons l’éducation des indigènes qu’avec leurs différentes langues et que nous condamne-rons celles-ci à leur pauvreté naturelle et à une immobilité qui leur serait funeste. Une langue, comme tout être vivant, naît, grandit, évolue, continue à vivre ou [...] meurt.

[...] À notre contact, au contact de notre civilisation et de ses diverses aspirations, il est donc possible et même probable que les langues indigènes s’enrichisseront de termes nouveaux et que leur syntaxes se modifieront [...] cela arrive aux langues des peuples les plus libres et les plus civilisés38.

Für die Mission laïque hatte die Idee der Zivilisierungsmission eine viel exklusivere Bedeutung als für die katholischen Schulen. Letztere bekannten sich ebenfalls zur mission civilisatrice, allerdings bildete sie nicht das ein-zige Ziel ihrer Aktivitäten, sondern einen Aspekt neben ihrer christlichen Missionstätigkeit. Dabei stand der Bezug auf die mission civilisatrice für die Orden nicht in Konkurrenz zu ihrer primären Aufgabe, das Christentum zu

Für die Mission laïque hatte die Idee der Zivilisierungsmission eine viel exklusivere Bedeutung als für die katholischen Schulen. Letztere bekannten sich ebenfalls zur mission civilisatrice, allerdings bildete sie nicht das ein-zige Ziel ihrer Aktivitäten, sondern einen Aspekt neben ihrer christlichen Missionstätigkeit. Dabei stand der Bezug auf die mission civilisatrice für die Orden nicht in Konkurrenz zu ihrer primären Aufgabe, das Christentum zu

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