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Christlich-theologische Konzeptionen

Im Dokument „Muße“ und Theoria (Seite 170-175)

B. Exkurs: Porphyrios und Iamblich

III. Christlich-theologische Konzeptionen

Vorbemerkungen

„χριστιανὸς ἑαυτοῦ ἐξουσίαν οὐκ ἔχει, ἀλλὰ θεῷ σχολάζει.“1 Nach der Analyse der neuplatonischen Konzeption von θεωρία und σχολή und der damit verbundenen Darstellung des neuplatonischen Denkens in seiner Grundord-nung mit dem absolut einheitlichen Prinzip, dem ἕν als inkommensurable ἀρχή, dürfte deutlich sein, dass in der Folge das christlich-theologische Denken „herausgefordert [war], dies Prinzip als wesensgleich mit [dem eigenen] erscheinenden Prinzip zu erweisen“2. Das neuplatonische Denken findet über verschiedene Instanzen Eingang in die sich gerade entwickelnde christliche Gedankenwelt.3 So wird vor allem durch Augustinus die plotinische Denkweise – vermittelt über Porphyrios – aufgenommen.4 Insofern hat die neuplatonische Philosophie erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des christlichen Denkens und Dogmas genommen, gab sie ihr doch die Möglich-keit, Einheit und Vielheit, Gott und Schöpfung für sich in einem philosophischen Begriff neu denken zu können. Diese Sichtweise ist allerdings nicht unumstritten.

Kritiker wenden gelegentlich ein, „die Neuplatoniker [seien für die christliche Theo-logie] weniger bedeutend, da sie einen geringeren Einfluss auf das christliche Denken

1 Ignatius An Polykarp 7,3, übersetzt etwa: „Der Christ hat kein Recht auf sich selbst, sondern gibt sich Gott hin.“ Anders formuliert bedeutet das, dass der Christ sich ganz Gott zuwendet, seine Zeit oder Muße ganz Gott gehört. Joseph A. Fischer bemerkt dazu in seiner Erläuterung des Briefes: „Für den Gläubigen, der ein neues Leben gewonnen hat, steht dieses unter Imperativen, die sich daraus ergeben. […] Richtschnur des Handelns sind die Gebote und das Vorbild Christi und des Vaters.

Der Gottmensch ist vorletztes, der Vater höchstes sittliches Ideal.“ (Schriften des Urchristentums, 1.

Teil: Die Apostolischen Väter, eingel., hg., übertr. u. erl. v. Joseph A. Fischer, Darmstadt 2011, 133).

Das Zitat ist ein Hinweis auf den bereits sehr frühen, grundlegenden Wandel, welcher sich mit dem christlichen Denken in Hinsicht auf die σχολή einstellt. Die Diskrepanz des christlichen Denkens und Lebens gegenüber den paganen Traditionen und deren Konzepten von σχολή bzw. das otium wird hier programmatisch sichtbar.

2 Uhde, Gegenwart und Einheit. Versuch über Religion, 102.

3 Vgl. hierzu auch Jens Halfwassen, „Neuplatonismus und Christentum“, in: Kaiser Julian ‚Apos-tata‘ und die philosophische Reaktion gegen das Christentum, hg. v. Christian Schäfer, (Reihe: Millenni-um-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr.; Bd. 21), Berlin/New York 2008, 1–15. Halfwassen betont nachdrücklich die Rolle des Porphyrios und des Marius Victorinus sowie des Augustinus in diesem Prozess, sieht dabei allerdings Plotin als Glied einer variierenden Entwick-lungslinie. Er weist übrigens darauf hin, dass die Entwicklung der „Hellenisierung des Christentums“

keinesfalls als „Verfremdung und Verfälschung gewertet werden darf“, da sie es dem Christentum überhaupt erst ermöglichte, „die antike Kultur in sich aufzunehmen und von einer jüdischen Sekte zur Religion Europas und der Menschheit zu werden“ (S. 15).

4 Vgl. Boeder, Topologie der Metaphysik, 238 f. Auch Uhde, Gegenwart und Einheit. Versuch über Religion, 104.

ausübten“5; demnach hätte eine „verständnisvolle Plotinrezeption [erst] mit Marius Victorinus und Augustin, etwa 100 Jahre nach Plotins Tod“ begonnen, in einer Zeit also als „die christliche Theologie in der Folge der Kontroversen des 4. Jahrhunderts bereits feste, dogmatische Umrisse angenommen“6 habe. Ein in dieser Weise zuweilen kritisch urteilender Autor war etwa Heinrich Dörrie7, der dazu die Ablehnung phi-losophisch-wesentlicher Lehrinhalte im Christentum herausstellt. Unzweifelhaft ist allerdings auch, dass der christliche Glaube in seiner konzeptionellen Ausgestaltung aufs Engste mit dem „philosophischen Monotheismus“ verwoben wird.8 So darf nicht übersehen werden, dass es gerade die Adaption plotinischer Zentralfiguren – ἕν und νοῦς – ist, die eine Formulierung der christlichen Einsicht möglich macht; doch darf eben auch nicht übersehen werden, dass es dazu dieser wesentlichen Adaption, die zum Teil auch schon in der paganen nachplotinischen Tradition stattfindet, notwendig bedarf. Insgesamt lässt sich daher mit Markus Enders feststellen:

„Erst durch diese schon von Porphyrius vorgenommene und von Marius Viktorinus und von Augustinus verständlicherweise begeistert aufgenommene Zusammenführung der beiden ersten neuplatonischen Hypostasen (des geist- und seinslosen und des seienden Einen) in dem ersten und einzigen Prinzip aller Wirklichkeit wurde es christlicherseits möglich, den plato-nisch-neuplatonischen Seinsbegriff in dieser modifizierten Gestalt auch auf den trinitarischen Gott des christlichen Glaubens zu beziehen. Denn dieser ist in sich zugleich dreifaltiger Geist, höchstes, vollkommenes Sein und in seinem Wesen differenzlos einfach.“9

Der geistesgeschichtliche und sprachliche Kontext

Eine Untersuchung der plotinischen und porphyrianischen, wie auch der victori-nischen, ambrosianischen und augustinischen θεωρία- und σχολή-Konzeptionen10 kann ohne die Einbeziehung des historischen Kontextes kaum angemessen erfolgen – andererseits kann es im Rahmen der vorliegenden konzeptionellen Studie nicht geleistet werden, die komplexen historischen Entwicklungen der Zeit darzustellen.

5 Christopher Stead, Philosophie und Theologie, Bd. 1: Die Zeit der Alten Kirche, (Reihe: Theo-logische Wissenschaft; Bd. 14,4), übers. v. Christian Wildberg unter Mitarbeit von Adolf Martin Ritter, Stuttgart/Berlin/Köln 1990, 48.

6 Ebd.

7 Vgl. Heinrich Dörrie, „Was ist ‚spätantiker Platonismus‘? Überlegungen zur Grenzziehung zwischen Platonismus und Christentum“, in: Theologische Rundschau 36 (1971), 285–302.

8 Vgl. Hanns Christof Brennecke, „Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die religiösen Angebote der Alten Welt“, in: Ecclesia est in re publica. Studien zur Kirchen- und Theologiegeschichte im Kontext des Imperium Romanum. Festschrift Hanns Christof Brennecke, hg. v. Uta Heil/Annette von Stockhausen/Jörg Ulrich, (Reihe: Arbeiten zur Kirchengeschichte; Bd. 100), Berlin/New York 2007, 125–144, 138. Dort auch eine Auswahl an weiteren einschlägigen Studien.

9 Markus Enders, „Das Unübertreffliche im Verständnis der monotheistischen Weltreligionen – Zur interreligiösen Relevanz des ‚ontologischen Gottesbegriffs‘“, in: Thomas Jürgasch/Ahmad Milad Karimi/Georg Koridze/Karlheinz Ruhstorfer (Hg.), Gegenwart der Einheit. Zum Begriff der Religion.

Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages Bernhard Uhdes, Freiburg/Berlin/Wien 2008, 205–238, 208.10 Für die lateinischen Autoren sind natürlich gleichwohl die lateinischen Entsprechungen der Begriffe gemeint, die allerdings im Folgenden erst zu erarbeiten sind.

Die Analyse verweist daher für eine Darstellung des gegenwärtigen Forschungs-standes spätantiker Historie insgesamt auf die profunde Zusammentragung und Darstellung in Alexander Demandts beeindruckender Studie.11 Die Zeit, in welcher die genannten Akteure leben und wirken, ist eine Zeit des Umbruchs. Während Plotin und Porphyrios in Rom unter der Regierung der paganen Kaiser gleichsam die Ausklänge der paganen Religiosität in ihrer dominanten Form miterleben, ändern sich die Bedingungen in der Folge dramatisch. Mit Konstantin wird das vormals immer wieder bedrängte Christentum nunmehr gestärkt12 und gerät zum Mittel der Wahl zur Wahrung der Einheit des Reiches. Marius Victorinus verkörpert diesen Wandel wie kaum ein anderer: In seiner eigenen Biografie spiegelt sich die Abkehr vom pagan-religiösen Kult und Denken hin zum christlichen Denken, wobei dies für ihn keineswegs eine pauschale Absage an die pagan-neuplatonische Denkform, welcher er entwachsen ist, darstellt, sondern vielmehr, wie wir sehen werden, dessen Vollendung.

Mit der nun anstehenden Untersuchung der christlich-lateinischen Tradition13 ändert sich nicht einfach nur eine Sprache. Vielmehr ist mit dieser Sprache sogleich auch der begriffliche und konzeptuelle, kulturell-hermeneutische Kontext ein grund-legend anderer. Sprechen wir also nunmehr von otium, so heißt dies nicht, dass dieser lateinische Begriff mit σχολή eine Identität unterschiedlichsprachiger Termini auf der Bedeutungs- und Begriffsebene aufweist, da sie doch eben beide mit „Muße“

zu übersetzen wären. Es ist stattdessen zu reflektieren, ob und inwiefern sich hier Schnittmengen in den Bedeutungsfeldern beider Konzepte ergeben – und inwiefern

11 Gemeint ist Demandt, Die Spätantike. Einen konzisen Überblick bietet auch die einführende Darstellung von Ingemar König, Die Spätantike, Darmstadt 2007. Eine grundlegende und anschau-liche Charakterisierung der Epoche in einer Vielzahl von Facetten unternimmt Peter Dinzelbacher/

Werner Helmut Heinz, Europa in der Spätantike. 300–600. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, (Reihe: Kultur und Mentalität), Darmstadt 2007.

12 Vgl. zu dieser Zeit auch das Kapitel „Konstantin und die Christianisierung des Reiches“ in Die Geschichte des Christentums. Religion – Politik – Kultur, Bd. 2: Das Entstehen der einen Christenheit, (250–430), hg. v. Charles Pietri/Luce Pietri, deutsche Ausgabe bearb. v. Thomas Böhm et al., Freiburg/

Basel/Wien 1996, 193–413. Schon Galerius erließ 311 das heute (unpräzise) „Toleranzedikt“ genann-te Schreiben, welches dem Chrisgenann-tentum nunmehr den Status einer religio licita zuerkanngenann-te (ebd., 187–189). Es galt von nun an als geduldet und die weitere Geschichte über Konstantin den Großen und zuletzt Theodosius I. – eine kurzdauernde Ausnahme mit einem Versuch der Restauration nicht-christlicher Religiosität fällt in die Regierungszeit des Kaisers Julian – stellt das Christentum nicht nur den anderen paganen Kulten und Religionen gleich, sondern führt 380 mit dem folgenreichen Edikt Cunctos populos (Codex Theodosianus 16,1,2) und letztendlich 391 zum Verbot dieser anderen Kulte.

Das Christentum ist so von der verfolgten zur verfolgenden Religion geworden. Zur Geschichte dieser Zeit, vgl. – neben den bereits genannten Studien – auch Karen Piepenbrink, Antike und Christentum, 2. Aufl., Darmstadt 2010.

13 Über die hier nicht zu explizierende vorchristliche bzw. pagan-lateinische Tradition mit Terenz, Sallust, Cicero, Seneca und dergleichen, siehe bspw. Ernst Bernert, „otium“, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 4 (1949/1950), 89–99. Dabei klingen bereits viele Aspekte in unterschiedlicher Deutlichkeit an, die sodann das lateinische otium prägen. Gleichzeitig ist hier vor allem das politische Relationsprogramm ausgeprägt, so dass otium teils als verdiente Ruhe (Frucht) nach Erfüllung vom officium, teils auch als unfreiwillig erlangte Auszeit vom politischen Wirken, für manchen sogar zum Synonym für das ganze philosophisch geführte Leben (S. 92) wird. Zu beachten ist auch, dass otium hier seinen Gegensatz nicht im negotium findet, sondern bspw. in officium (S. 92) oder occupatio (S. 89).

sie eben auch nicht deckungsgleich, sondern zu unterscheiden sind. Es wird so vielleicht zunächst überraschen, wenn wir später (im achten Jahrhundert) bei Beda Venerabilis lesen: „Otium et silentium ex uno graeco uenit, id est ἡσυχία.“14 Wir haben an dieser Stelle zwar keinerlei Kontext, der eine nähere Interpretation zuließe,15 doch ist nichtsdestotrotz offensichtlich, dass (1) hier keine etymologische Verwandtschaft ausgesagt sein soll und (2) otium  – hier vermutlich im Sinne von stiller Zurück-gezogenheit – nicht der σχολή gleichgestellt wird. Wenn also otium ganz ohne Verweis auf σχολή auskommt und es mit silentium einem anderen gemeinsamen griechischen Begriff, der ἡσυχία, entsprungen gedeutet wird, dann muss das als ein Hinweis auf die grundsätzliche Verschiebung im Bedeutungsgefüge und in der konzeptionellen Ausgestaltung begriffen werden. Ohne Zweifel haben wir zu dieser Zeit bereits eine Distanz zwischen otium und σχολή erreicht, da im lateinischen Einflussbereich die scholae eine noch stärkere Bedeutung erfuhren als im griechischen und der Begriff mithin vorrangig anders besetzt wird.

Wir werden daher sehen, dass nun eine breitere Terminologie ins Blickfeld unserer Untersuchung tritt, welche gleichwohl jeweils konzeptionelle Deckungen mit den zu untersuchenden Phänomenen der Muße aufweisen. Die nicht zu vernachlässigende Andersheit des otium-Begriffs spiegelt sich in der etymologischen Verschiebung des-selben gegenüber des σχολή-Begriffs, wie wir eben sahen. So kann otium keineswegs einfach als lateinische Übersetzung des σχολή-Begriffs gelten, sondern hat dezidiert eigene Gehalte. Diese Verschiebung spiegelt sich auch in der Negation des Begriffs:

Die ungewöhnliche Negationsbildung mithilfe des Präfixes nec, anstelle der zu er-wartenden Bildung mit in steht in einer grundlegenden Diskrepanz zur griechischen Form der Verneinung, welche ja per Alpha negativum erfolgte. Der Terminus otium bleibt daher zunächst einmal sprachgeschichtlich dunkel: “The word remains with out etymology.”16 So werden wir auch in der folgenden Analyse erkennen können, wie sehr sich der mit otium bezeichnete Gehalt immer wieder verschiebt, wie er schon im Werk eines einzelnen Autors erheblich oszilliert zwischen grundlegend positiven und ebenso negativen Aufladungen, zwischen ganz trivial-offensichtlichen Deskriptiven und Spiegelungen zutiefst innerlicher Abstrakta.

Auch in Hinsicht auf die Rede von der θεωρία lässt sich keine eindeutige Iden-tifikation mit einem lateinischen Begriff ausmachen. Stattdessen haben wir es nun im lateinischen Sprachkontext mit einem Begriffsfeld zu tun, welches sich schon in Ciceros Text über Pythagoras’ Erklärung des philosophischen Lebens finden lässt.

14 Beda Venerabilis De orthographia (= CCSL 123A) Z. 788.

15 Das Werk ist „eine Art Glossar mit grammatikalischen Erläuterungen und Worterklärungen“

(Horst Schneider, „Beda Venerabilis“, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. v. Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings, 3., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 2002, 120–124, 121).

Es ist alphabetisch aufgebaut und bietet neben dem Satz keinen Kontext, da es eher als eine Referenz für die “practical needs of monastic education” in Hinsicht auf das “elementary Latin” gedacht ist, was bedeutet, dass es dem mit dem klassisch-lateinischen Werken nicht vertrauten Leser eine Hilfestellung an die Hand geben will. (Vgl. Calvin B. Kendall, “Bede and education”, in: The Cambridge Companion to Bede, ed. by Scott DeGregorio, Cambridge/New York/Melbourne 2010, 99–112, 105).

16 Michiel de Vaan, Etymological dictionary of Latin and the other Italic languages, (Reihe: Leiden Indo-European etymological dictionary series; Bd. 7), Leiden/Boston 2008, 437.

Diese Stelle ist eine lateinische Vorlage für die von uns oben bereits zitierte Anekdote aus Diogenes Laertios 8,8. Cicero schreibt:

„cuius ingenium et eloquentiam cum admiratus esset Leon, quaesivisse ex eo, qua maxime arte confideret; at illum: artem quidem se scire nullam, sed esse philosophum. admiratum Leontem novitatem nominis quaesivisse, quinam essent philosophi, et quid inter eos et reliquos interesset;

Pythagoram autem respondisse similem sibi videri vitam hominum et mercatum eum, qui haberetur maxumo ludorum apparatu totius Graeciae celebritate; nam ut illic alii corporibus exercitatis gloriam et nobilitatem coronae peterent, alii emendi aut vendendi quaestu et lucro ducerentur, esset autem quoddam genus eorum, id que vel maxime ingenuum, qui nec plausum nec lucrum quaererent, sed visendi causa venirent studiose que perspicerent, quid ageretur et quo modo, item nos quasi in mercatus quandam celebritatem ex urbe aliqua sic in hanc vitam ex alia vita et natura profectos alios gloriae servire, alios pecuniae, raros esse quosdam, qui ceteris omnibus pro nihilo habitis rerum naturam studiose intuerentur; hos se appellare sapientiae studiosos – id est enim philo sophos –; et ut illic liberalissimum esset spectare nihil sibi adquirentem, sic in vita longe omnibus studiis contemplationem rerum cognitionem que praestare.“17

Wir finden hier einen erheblichen Teil der Termini, welche als lateinische Begriffe für die Beschreibung oder die Übersetzung der „Schau“ genutzt werden: visere, per-spicere, videre, intueri, spectare, contemplatio18 und cognitio. Diese Begriffe werden uns in verschiedener Weise im Rahmen der folgenden Untersuchung der lateinischen Tradition wiederbegegnen. Die Betrachtung dieser Tradition widmet sich nun zuerst dem Denken des in der damaligen Zeit viel gerühmten und weithin angesehenen Marius Victorinus. Dieser darf gleichsam als Bindeglied zwischen der pagan-neu-platonischen (griechischen) Philosophie und der lateinisch-christlichen Theologie gelten, wenngleich er in der wissenschaftlichen Einordnung keineswegs immer in dieser zentralen Funktion gesehen oder auch wertgeschätzt wurde.

17 Cicero Tusculanae disputationes 5,3,8–9: „Da Leon seine Begabung und Beredsamkeit bewun-derte, habe er ihn gefragt, auf welche Kunst er am meisten vertraue; jener aber habe geantwortet: auf eine Kunst verstehe er sich nicht, sondern er sei Philosoph. Leon habe sich über den neuen Begriff gewundert und gefragt, wer denn die Philosophen seien und welcher Unterschied zwischen ihnen und den übrigen Menschen bestehe; (9) Pythagoras aber habe geantwortet, ihm scheine das Leben der Menschen ähnlich zu sein wie das Volksfest, das mit der großartigsten Ausstattung von Spielen unter Beteiligung ganz Griechenlands gefeiert werde; denn wie dort die einen mit trainierten Körpern Ruhm und Ehre des Siegerkranzes erstrebten, die anderen sich durch den Erwerb und Gewinn des Kaufens und Verkaufens leiten ließen, es aber auch eine gewisse Gruppe von Menschen gebe, und zwar die edelste, die weder Beifall noch Gewinn suche, sondern komme, um zu schauen, und eifrig betrachte, was geschehe und wie, ebenso seien auch wir wie aus irgendeiner Stadt zu einem viel-besuchten Volksfest so aus einem anderen Leben und einer anderen Natur in dieses Leben gelangt und dienten teils dem Ruhm, teils dem Geld; es gebe aber auch einige wenige, die alles übrige für nichtig hielten und das Wesen der Dinge mit Eifer betrachteten; diese bezeichneten sich als ‚um die Weisheit Bemühte‘ – denn das heißt Philosophen; und wie es dort das Vornehmste sei zu schauen, ohne etwas für sich zu erstreben, so übertreffe im Leben die Betrachtung und Erkenntnis der Dinge alle übrigen Beschäftigungen bei Weitem.“

18 Contemplari, zuerst für die durch die Auguren erfolgende Himmelsbetrachtung gebraucht, wird schon bei Cicero und auch bei Seneca zur lateinischen Wiedergabe von θεωρεῖν verwendet.

Siehe dazu König, „Theorie“, 1131. Dort u. a. die Belegstellen Cicero De natura deorum I,50; Seneca Epistulae morales 95,10.

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