Lokalkortikoid mit Intensivwirkung
1. Chirurgische Therapie
Die lange Zeit als »klassische Standardthera
pie« für das Schilddrüsenkarzinom empfoh
lene totale Thyreoidektomie bedarf angesichts der Heterogenität dieses Tumors gewisser Er
läuterungen und Modifizierungen.
Auch beim vorliegenden Kollektiv zeigt sich, daß die klassische totale Thyreoidektomie nur
bei 74% aller Patienten durchgeführt wurde.
Bei 45 Patienten (18,2%) kam ein nicht-radika
les, Schilddrüsengewebe-erhaltendes operati
ves Verfahren zur Anwendung (von der Exstir
pation eines Knotens bis zur »fast totalen« Thy
reoidektomie). So war bei fünf undifferenzier
ten Karzinomen angesichts lokaler Inoperabili
tät lediglich eine Probeexzision zur Diagnose
sicherung möglich, bei 31 papillären Karzino
men wurde bei entsprechend günstiger Kon
stellation auf eine vollständige Drüsenentfer
nung verzichtet. In ganz wenigen Fällen war ein Patient auch trotz ausführlicher Aufklärung nicht zu einer indizierten Nachresektion zu be
wegen (n = 2). Bei 13 Patienten erfolgte ledig
lich eine palliative Tumorreduktion, hier bilden die undifferenzierten Karzinome mit n = 6 die größte Untergruppe. 14mal war eine Operation wegen des Alters, des schlechten Allgemeinzu
standes bei fortgeschrittenem Tumorstadium oder bei lokaler Inoperabilität nicht mehr mög
lich.
Die definitive histologische Sicherung eines Schilddrüsenkarzinoms in der intraoperativen Schnellschnittuntersuchung ist vor allem bei hochdifferenzierten follikulären Tumoren nicht immer möglich; oft können hier die Maligni
tätskriterien Kapsel- und Gefäßinvasion erst in aufwendigen Serienschnitten nachgewiesen werden. Daraus resultiert eine hohe Rate von
»zweizeitigen« Eingriffen (n = 143 = = 57,8%) gegenüber 90 Patienten (36,4%) mit einer Sit
zung.
1.1. Follikuläres Schilddrüsenkarzinom (n = 65)
Für diesen Tumortyp gilt weiterhin die totale Thyreoidektomie als operatives Standardver
fahren. Die bezüglich der Operationsverfahren aufgeschlüsselten Überlebenskurven (Ahb. 2) zeigen signifikant, daß nur die radikalen Ope
rationsverfahren (totale oder erweiterte Thy
reoidektomie) adäquat abschneiden.
Stadium I unter 45 Jahre (jedes T, jedes N. MO) n = 72 (36%)
über 45 Jahre (TI, NO, MO) n = 11 (5.5%)
Stadium II unter 45 Jahre (jedes T, jedes N, Ml) n = 2 (1%)
über 45 Jahre (T2 oder T3, NO, MO) n = 65 (32,5%) Stadium III nur über 45 Jahre (T4. NO, MO)
(jedes T, NI. MO)
n = 38 (19%) Stadium IV nur über 45 Jahre (jedes T, jedes N. Ml) n = 11 (5.5%) Tabelle I: Stadiengruppierung hochdifferenzierter Karzinome (papillär, follikulär, onkozytär) n = 200
Schilddrüsenkarzinom Fortbildungj^^^’
1.2. Papilläres Schilddrüsenkarzinom (n = 120)
Von allen Tumorvarianten hat das papilläre Karzinom die beste Prognose (Abb.3); es be- trilTt vorwiegend jüngere Patienten (Durch
schnittsalter 45,5 ±15 Jahre gegenüber 56,9
±14 Jahre beim follikulären Karzinom). Es metastasiert vorwiegend in regionäre Lymph
knoten (Abb. 4). Für die Patienten mit einer Primärtumorgröße über 1 cm (pT2 bis pT4) ist unabhängig vom N-Stadium ebenfalls eine to
tale Thyreoidektomie zu empfehlen; dagegen kann beim sogenannten okkulten papillären Schilddrüsenkarzinom (pTl pNO MO), welches oft als Mikrokarzinom erst zufällig in der fein
geweblichen Aufarbeitung entdeckt wird, auf die radikale operative Schilddrüsenablation verzichtet werden. Zwar ist gerade von die
sem Tumortyp ein multifokales Wachstum in
OP-Verfahren beim follikulären Karzinom p < 0,0001
1 «rweilori« Thyreoidektomie 2 totale Thyreoidektomie
3 unilal. Lobektomie 4 uniiat. Lobekt.* st contrelat.
5 palliative Resektion
Monate
Abbildung 2: Überlebenskurven follikulärer Karzinom- und Tumortypen
beiden Schilddrüsenlappen bekannt (im eige
nen Krankengut bei zehn von 120 Patienten 8,3%); durch eine Lobektomie der tumortra
genden Seite sowie eine ausgedehnte Keilre
sektion der makroskopisch unauffälligen Ge
genseite mit Schnellschnittuntersuchung kann eine Multizentrizität jedoch ausgeschlossen werden.
Es verbleibt somit ein beträchtlicher Schild
drüsenrest in situ. Bei diesen Patienten erfolgt im Anschluß keine Radiojodbehandlung, son
dern eine Schilddrüsenhormon-Therapie mit regelmäßiger, initial engmaschiger Nachsorge.
Bislang haben sich im'eigenen Krankengut bei derart versorgten Patienten (n = 13 = 5,2%) keine Tumorrezidive manifestiert. Die Überle
benskurve beim papillären Karzinom zeigt si
gnifikant (Abb. 5). daß das Ausmaß der chirur
gischen Resektion keine prognostische Rolle spielt, sofern der Tumor komplett entfernt wurde.
Tumortypen p < 0,0001
madulUr. onkoxylar
Monate
Abbildung 3: Überlebenskurven follikulärer Karzinom- und Tumortypen
1.3. Onkozytäres Schilddrüsenkarzinom (n = 15)
Sowohl papilläre als auch follikuläre Karzi
nome können onkozytär differenziert wachsen (6). Auch wenn bei den 15 Patienten des eige
nen Kollektives keine Tumorrezidive oder Me
tastasen auftraten, muß nach Durchsicht der Literatur (7, 8) eher ein radikales operatives Vorgehen wie für das follikuläre Karzinom ge
fordert werden.
1.4. Medulläres Schilddrüsenkarzinom (n = 22)
Die C-Zell-Karzinome der Schilddrüse stellen ebenfalls eine besondere Tumorvariante dar:
Zum einen treten sie in zwei Formen auf, als sporadische Fälle und in einer familiären Form gehäuft, hier z. T. autosomal dominant im Rahmen der multiplen endokrinen Neoplasie (MEN). Zum anderen verfügen sie über einen speziellen Tumormarker, das Kalzitonin, wel
ches zur Diagnostik sowohl präoperativ und im Familien-Screening als auch postoperativ in der Nachsorge eingesetzt wird. Das C-Zell-Kar- zinom metastasiert ebenfalls bevorzugt in re
gionale (zervikale und mediastinale) Lymph
knoten. Die radikale operative Therapie spielt hier eine entscheidende Rolle, da sämtliche an
deren Therapieformen wegen Nichtanspre
chens nicht angewandt werden können. Zur totalen Thyreoidektomie kommt bei diesen Pa
tienten noch die Neckdissection mit Ausräu
mung der zervikalen Lymphknoten hinzu. Die Studiengruppe »Medulläres Schilddrüsenkar
zinom in der BRD« hat ein bundesweites Regi
ster für diesen Tumortyp eingerichtet (9) und entsprechendes Zahlenmaterial vorgelegt; da
nach ist das günstige Abschneiden des eigenen kleinen Kollektivs (vgl. Abb. 3) selektiert und nicht repräsentativ.
Die beste Pro
gnose hat das papilläre Karzi
nom
Kalzitonin ist ein spezieller Tumormarker für C-Zell-Kar- zinome der SchUddrüse
ZE Fortbildung Schilddrüsenkarzinom
Lokalisation der im Krankheitsverlaiif aufgetretenen lokoregionären Rezidive und Fernmetastasen (auf
geschlüsselt für die diversen Tumortypen)
1 K L 1 + L L + K 1 + K + L So gesamt
follikulär 3 5 5 2 1 3 19
n = 65 (15,8%) (26,3%) (26,3%) (10,5) (5,2%) (15,8%) (29,2%)
papillär 8 4 3 1 16
n = 120 (50%) (25%) (18,7%) (6,25%) (13,3%)
medullär 4 4
n = 22 (100%) (18,2%)
undifferenz. 3 3 6
n = 16 (50%) (50%) (37,5%)
45 (1 = lokal, K = Knochen, L = Lunge, So = Sonstige)
Abbildung 4: Lokalisation von Rezidiven und Fernmetastasen
Die undifl'eren- zierten Karzi
nome betreffen meist alte Men
schen, die Pro
gnose ist un
günstig
1.5. Undifferenzierte Karzinome (n = 16) Bei den undifferenzierten Karzinomen handelt es sich um die Gruppe mit der schlechtesten Prognose; betroffen sind meist alte Menschen (Altersmittelwert 71 ±9 Jahre). Kine kurative Resektion ist hier so gut wie nie möglich, so daß beim operativen Eingriff die histologische Verifizierung der klinischen Diagnose, eventu
ell eine palliative Tumorreduktion sowie die Vermeidung von tumorbedingten Komplikatio
nen (z. B. Verlegung der Trachea) im Vorder
grund stehen. Im eigenen Krankengut wurde daher bei sechs von 14 Patienten simultan eine Tracheotomie durchgeführt.
1.6. Sonstige Tumorformen (n = 1)
Im eigenen Kollektiv fand sich als Rarität auch ein Patient mit einem Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse. Allgemeingültige Therapie
empfehlungen sind angesichts der Seltenheit solcher Tumorformen nicht möglich.
1.7. Komplikationen der chirurgischen Therapie
Die wesentlichen Komplikationen für das Ge
samtkollektiv sind in der Tabelle 11 aufgeführt.
Bei den postoperativen Paresen des N. recur
rens sind die präoperativ bereits vorhandenen Paresen sowie die aus Gründen der Tumorra
dikalität resezierten N. recurrentes bereits be
rücksichtigt, so daß die Rate der operativ be
dingten Paresen bei 12,8% liegt. Drei Patienten boten eine beidseitige Parese, bei zweien mußte
Wundinfekt 5/233 Ä 2,15%
Nachblutung u. operative Revision 3/233 Ä 1,29%
Passagere Hypokalziämie 40/233 ^ 17,16%
Persistierende Hypokalziämie 23/233 Ä 9,87%
Rekurrensparese 30/233 Ä 12,87%
Tabelle 11: Komplikationen der chirurgischen Therapie bei 233 Schilddrüsenkarzinomen
Häufigste Kom
plikation der chirurgischen Therapie ist eine passagere Hypokalziämie
OP-Verfahren beim papillären Karzinom p < 0,0001
1 Enukleation, st unilat. u bilat. Lobekt. unilat.
2 totale Thyreoidektomie 3 erweiterte Thyreoidektomie 4 unilat. Lobekt. + st contralat.
5 palliative Resektion
Monate
.Abbildung 5: t'berlebenskurven beim papillären Karzinom (aufgescbiüsselt nach Operationsverfahren)
daher postoperativ ein Tracheostoma angelegt werden. Bei 52 Schilddrüsenresektaten (22,5%) wurden bei der histologischen Aufarbeitung unbemerkt exstirpierte Epithelkörperchen ge
funden, die radikalen OP-Verfahren waren - wie zu erwarten - anteilmäßig häufiger betrof
fen. Bei diesen Patienten war die postoperative Hypokalziämie doppelt so häufig (46,1%) wie bei den Patienten mit in situ erhaltenen Neben
schilddrüsen (23,6%); siebenmal wurden Epi
thelkörperchen intraoperativ in die Halsmus
kulatur implantiert.
Schilddrüsenkarziiiom Fortbildung -i
2. Radiologische und medikamentöse Therapie des Schilddrüsenkarzinoms Nach der chirurgischen Therapie kommen wei
tere Therapieformen zur Anwendung (Tab. 111).
171 Patienten (69,2%) erhielten die »klassi
sche« Standard-Kombinations-Therapie: Ope
ration - Radiojodbehandlung - suppressive Hormontherapie. Eine externe Radiatio wurde bei 15% der Patienten eingesetzt, eine adju
vante Chemotherapie wurde als Ultima ratio bei drei Patienten eingesetzt (zweimal undiffe
renziertes Karzinom, einmal follikuläres Kar
zinom).
Chirurgische Resektion n = 233 94,3%
Radiojodtherapie der
(Rest-)Schilddrüse n = 173 70,0%
Radiojodtherapie bei Metastasen n = 37 14,9%
Externe Radiatio (lokal) n = 31 12,6%
Externe Radiatio
(bei Fernmetastasen) n = 5 2,0%
SD-Hormontherapie
(substituierend) n = 39 15,8%
SD-Hormoniherapie (suppressiv) n = 190 76,9%
Chemotherapie n = 3 1,2%
Tabelle 111; Multimodale Therapie des Schilddrüsenkar
zinoms (n = 247)
Nachsorge und Verlauf
Im vierjährigen Beobachtungszeitraum sind von den 247 Patienten 37 verstorben, 28 in
folge des Tumorleidens (11,3%); 12 von 16 undifferenzierten Karzinomen, sieben von 65 follikulären, ein Patient mit einem papillären Karzinom und der Patient mit dem Plattenepi
thelkarzinom. Die Tabelle TV gibt Aufschluß über die postoperativ aufgetretenen Rezidive bzw. Fernmetastasen: 20mal erfolgte eine Re- Operation, 19mal wegen eines lokoregionären Rezidives. Die 4-Jahres-Überlebensrate liegt für das Gesamtkollektiv bei 80%; damit hat sich die Prognose des Schilddrüsenkarzinoms wei
ter verbessert.
Nachsorgeuntersuchungen sollten regelmä
ßig durchgeführt werden; neben einer halb
jährlichen Untersuchung des klinischen Status und Thyreoglobulinbestimmung (beim C-Zell- Karzinom auch CEA und Kalzitonin) empfiehlt sich die Durchführung eines Ganzkörper-Szin- tigrammes 1 Jahr nach der letzten Therapie.
Bei erhöhten oder ansteigenden Thyreoglobu
linwerten erfolgen erneute szintigraphische
1970-1974 3-Jahres-Überlebensrate 58% nach (1) 1975-1979 3-Jahres-Überlebensrate 64% nach (1) 1980-1984 3-Jahres-Überlebensrate 72% nach (1) 1986-1989 4-Jahres-Überlebensrate 80% (eigen) Tabelle IV; Überlebensraten des Schilddrüsenkarzi
noms im Wandel der Zeit; eigene Ergebnisse im Litera
turvergleich (1)
Kontrollen sowie ein Tumorsuchprogramm mit Ultraschall, Computertomographie der Halsre
gion und eine Knochenszintigraphie. Röntgen
thoraxaufnahmen sollten jährlich durchgeführt werden. Nach 10 Jahren Tumorrezidivfreiheit erscheinen Kontrolluntersuchungen im jährli
chen Abstand ausreichend (10).
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I)r. med. J. Winter Klinikum Mannheim Postfach 10 00 23 6800 Mannheim 1
Danksagung an die Kollegen in Klinik und Pra
xis, die diese Studie durch ihre aktive Mitarbeit ermöglicht haben.
Es sollten regelmäßige Nachsorgeun
tersuchungen durchgeführt werden
Die 4-Jahres- Üherlehensrate für das Ge
samtkollektiv lag hei 80%
Diese Arbeit wurde beim 17. Wissenschaftli
chen Wettbewerb der ZFA mit dem 3. Preis ausgezeichnet
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