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„Wo die Natur aufhört, neue Formen entstehen zu lassen, beginnt der Mensch mit den natürlichen Dingen, mit Hilfe eben dieser Natur, eine unendliche Vielfalt der Formen zu schaffen.“

Leonardo da Vinci

Wie in Kapitel 2 beschrieben zeigt das Peptidlacton 16 interessante biologische Aktivitäten, und kann somit als Leitstruktur dienen. Erste Versuche zur Derivatisierung des Naturstoffs auf chemischem Weg unternahm RITZAU64, wobei wegen der geringen Stabilität des Moleküls nur Reaktionen unter milden Bedingungen möglich waren. So gelangen z.B. die Reduktionen der Doppelbindung am Propenylprolin, an der Pyrrolcarbonsäure sowie an den Nitrofunktionalitäten der Cyclopropylalanine.64 Die Totalsynthese von 16 hingegen ermöglichte weiterreichende Derivatisierungen und konnte zu strukturellen Veränderungen am Ringsystem genutzt werden. So gelang ZLATOPOLSKIY z.B. die Darstellung des Hormaomycin-Peptidlactams (17).69,74

Neben den beschriebenen (semi-)synthetischen Veränderungen einer Leitstruktur wie 16 können biologische Methoden genutzt werden, um einen Naturstoff effektiv zu variieren und

NH NH

N NH H

NH O N

O O O

O

O

NH O

N H

O N Cl

O H

NO2 O2N

17

so Struktur-Wirkungsbeziehungen zu erkennen und/ oder eine Verbesserung der biologischen Aktivitäten zu erreichen. Für die biologische Derivatisierung von Naturstoffen können natürliche oder genetisch manipulierte Mikroorganismen, bzw. deren Enzyme genutzt werden.

Ein Beispiel für Arbeiten mit genetisch manipulierten Organismen ist die Mutasynthese. Nach RINEHART75 umfasst sie die Generierung von Blockmutanten, Integrierung eines Mutasynthons sowie die Isolierung der Substanz. Erste Mutasyntheseexperimente wurden von SHIER76 an Streptomyces fradiae, einem Neomycin-Produzenten, durchgeführt. Der Stamm wurde unter Zusatz des Punktmutationen verursachenden N-Methyl-N’-nitro-N-nitrosoguanidin kultiviert, wodurch Mutanten entstanden, die die Fähigkeit zur Aminoglykosidproduktion erst durch Zufütterung geeigneter Mutasynthons erreichten.

Hierdurch konnten insgesamt fünf neue Antibiotika gewonnen werden. Ein Nachteil dieser Technik ist die durch die zufällige genetische Manipulation bedingt große Zahl entstehender Mutanten und deren aufwendige Vereinzelung.

Modernere Verfahren der Mutasynthese bedienen sich gezielter Mutationen, z.B. durch knock-out eines einzelnen Biosynthesegens. Als Beispiel für diese Derivatisierungstechnik können die Glykopeptidantibiotika Vancomycin77 und Balhimycin78 genannt werden. So ist die Deletionsmutante OP69679 des Balhimycin-Produzenten Amycolatopsis mediterranei nicht mehr befähigt β-Hydroxytyrosin zu synthetisieren, was einen Ausfall der Balhimycin-Produktion zur Folge hat. Die Zufütterung von 3-Fluor-β-Hydroxytyrosinderivaten hingegen führt zur Produktion eines neuen Antibiotikums, des Fluorbalhimycins (18).

HN

Ein Nachteil der gezielten Mutasynthese ist die nötige exakte Kenntnis des Biosynthesegenclusters des jeweiligen Naturstoffproduzenten, dazu müssen Geld und Zeit in erheblicher Größenordnung investiert werden. Wildstämme von Mikroorganismen können einfacher durch Enzyminhibitoren oder die Vorläufer-dirigierte Biosynthese zur Derivatisierung von Naturstoffen angeregt werden. Die gezielte Inhibierung von Enzymen ist möglich, wenn Vorläufer der Biosynthese eines Naturstoffs bekannt sind. Dies kann zur Akkumulation von Vorläufern oder auch Abzweigungen in Biosynthesewegen führen.80

Die Vorläufer-dirigierte Biosynthese81 nutzt eine oftmals vorhandene geringe Substratspezifität in einzelnen Modulen eines Multienzymkomplexes. Hierbei werden zu den im natürlichen Sekundärmetabolit vorkommenden Bausteinen verwandte Substanzen (bei Peptiden z.B. Aminosäuren) zu einer wachsenden Kultur gefüttert und anstelle dieser in das Zielmolekül eingebaut. ISAKA et al. ist auf diese Weise die Derivatisierung des Cyclohexadepsipeptids Beauvericin (19) durch Zufütterung unnatürlicher Aminosäuren wie

D-Isoleucin sowie L- und D-allo-Isoleucin gelungen.82 Bemerkenswert an diesem Beispiel ist vor allem, dass Epimere der natürlich vorkommenden Aminosäuren in das Peptid eingebaut wurden obwohl Nichtribosomale Peptidsynthetasen (NRPS) zumeist hohe Selektivität bezüglich der C-2-Stereochemie der Aminosäuren aufweisen.83

Abb. 2: Allobeauvericine durch Vorläufer-dirigierte Biosynthese an Paecilomyces tenuipes BCC1614.

Durch die Konkurrenz zwischen der gefütterten und der natürlichen Aminosäure um den Einbau in ein Peptid entstehen bei der Vorläufer-dirigierten Biosynthese im Gegensatz zur Mutasynthese oftmals Produktgemische von mindestens zwei Substanzen. Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Naturstoff und Derivat kann es in Folge dessen zu Problemen bei der Isolierung von Reinsubstanzen kommen. Weiterhin enthalten viele Peptide, wie auch das Hormaomycin (16), ein und dieselbe Aminosäure mehrfach, woraus eine noch größere Anzahl an Derivaten resultiert (s. Abb. 3). Allerdings ergibt sich hieraus auch gleichzeitig der Vorteil, dass mehr Analoga eines Naturstoffs mit einem Fütterungsexperiment zugänglich sind.

Abb. 3: Vorläufer-dirigierte Biosynthese (A) und Mutasynthese (B) im Vergleich: Die Mutante ist nicht mehr in der Lage den grünen Baustein zu biosynthetisieren, bei Fütterung des „unnatürlichen“ gelben Bausteins resultiert nur ein Derivat (B); der Wildtyp des Naturstoffproduzenten produziert bei Fütterung des gelben Bausteins neben dem Naturstoff drei Analoga (A).

Neben Kenntnissen der Biosynthese eines Sekundärmetaboliten und seiner Vorläufer muss bei den biologischen Derivatisierungen sichergestellt sein, dass die gefütterten Substanzen vom Produzenten toleriert und aufgenommen werden. Für die Variation von Peptiden ist dies zumeist unproblematisch, da in Zellmembranen aktive Transportsysteme für Aminosäuren existieren und somit im Gegensatz zu vielen Polyketidvorläufern (s. Kap. 4.3, S. 100) die Verfügbarkeit am Ort der Sekundärmetabolitenbiosynthese sichergestellt ist.

Weiterhin erscheinen Peptide ideal für den Einsatz in der PDB, da ihre Biosyntheseenzyme häufig eine relativ geringe Substratspezifität aufweisen.84 Diese Beobachtung ist allerdings nicht zu verallgemeinern, schon innerhalb ein und desselben NRPS-Komplexes können sehr spezifische neben scheinbar unspezifischen Modulen existieren, wie am Beispiel des

+

knock-out Mutante Wildtyp

+ Mutasynthese (B)

Vorläufer-dirigierte Biosynthese (A)

Immunsuppressivums Cyclosporin gezeigt werden konnte.85,86 Generell gilt jedoch, dass Enzyme des Sekundärmetabolismus eine geringere Substratspezifität als solche des Primärmetabolismus zeigen.87

2.3 Vorläufer-dirigierte Biosynthese mit Streptomyces griseoflavus